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Aktueller Online-Flyer vom 08. Mai 2024  

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Lokales
Dellbrücker Forum zum Thema „5 Jahre Krieg im Irak“
„Wer schafft den Frieden?“
Von Mirjam Sander

Von einem friedlichen Neuanfang sind der Irak und seine Bevölkerung auch fünf Jahre nach dem Sturz Saddam Husseins noch weit entfernt. Lösungsansätze für die Probleme, die Rolle der UN, die Herausforderung für Europa und Deutschland sowie Strategien und Chancen des neuen US-Präsidenten oder der Präsidentin sollten am 25. Februar im Rahmen des Dellbrücker Forums diskutiert werden.

Die stetig wachsende Zahl der Toten unter Zivilisten und Soldaten durch Gewalt und Anschläge ist nur ein Anzeichen für die dauerhafte Destabilisierung der Region. In den Vordergrund der öffentlichen Diskussion wird die Frage des Abzugs der US-Truppen gestellt. Die greift angesichts der komplizierten Lage viel zu kurz. Hilflosigkeit und Resignation machen sich breit. 
 
„Nicht mehr zurückschauen“
 
„Nicht mehr zurückschauen, No more blame game“, forderte deshalb gleich zu Beginn der Moderator der Diskussion Arnd Henze, leitender Fernsehredakteur beim WDR, die Podiumsrunde auf. Zu der gehörten Jürgen Trittin, Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen und zuständig für Außen- und Sicherheitspolitik der Partei, John Hulsman, Politikwissenschaftler aus den USA und gegenwärtig bei der „Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik“ in Berlin, Rolf Mützenich, SPD-Bundestagsabgeordneter aus Köln, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss und Nahost-Experte seiner Fraktion, sowie Andreas Zumach, Fachjournalist für Sicherheitspolitik und Autor zahlreicher Bücher zum Irak und anderer Krisenregionen.



Podiumsteilnehmer in der Dellbrücker Christuskirche – mit Arnd Henze (rechts)

 
In aktuellen Diskussionen müsse man sich nicht mehr darüber einigen, dass George W. Bush einen desaströsen Krieg begonnen hat, sondern es müsse verstanden werden, wo die Herausforderungen liegen und wo eine mutige Politik alte Antworten beiseite schiebt und neue formuliert, stellte Henze fest. Tatsächlich glauben viele Iraker selbst nicht mehr an eine baldige Lösung. So glauben nur noch 42 Prozent der Bevölkerung daran, dass es ihre Kinder einmal besser haben werden. Zwar ging in den vergangenen Monaten die Zahl der Bombenanschläge zurück, aber die Probleme im Irak sind zahlreich und Hindernisse für einen Stabilisierungs- und Versöhnungsprozess zwischen den Bevölkerungsgruppen sind hoch.
 
„Internationale Stabilisierungstruppe“
 
Andreas Zumach hält dies allein für ein abendfüllendes Thema und mahnt an, die Statistiken kritisch zu hinterfragen: „Erstens sehe ich keine Chance für eine Verbesserung der derzeitigen Lage, solange die Truppen, die diesen Krieg geführt haben und das Land seit fünf Jahren besetzten, anwesend sind.“ Für den Fall, dass die Truppen aus dem Irak abziehen, müsse dort zumindest für eine Übergangsphase eine „internationale Stabilisierungstruppe“ eingesetzt werden: mit einem Mandat der UNO. Außerdem dürften sich diese nur aus Soldaten solcher Länder, die nicht am Krieg beteiligt waren oder – am besten – die dagegen waren, zusammensetzen. Ansonsten würde eine Situation entstehen, in der die Gewalt weiter eskaliert. 
 
Außerdem ist laut Zumach ein wirtschaftlicher und politischer Wiederaufbau wichtig. Dabei sei gerade der politische Wiederaufbau das wichtigste, aber auch das größte Problem: „Es findet immer mehr ethnische Säuberung, ethnische Aufteilung statt. Menschen die früher zusammen gelebt haben, tun das heute nicht mehr.“ Die Vertriebenen im Irak und außerhalb des Iraks müssten wieder in ihre Dörfer und Häuser zurückkehren können. Das alles müsse aber auch finanziert werden, so Zumach. „Ich denke das Geld muss von denen kommen, die für diesen Krieg verantwortlich sind.“ 

Zeitplan für den Abzug
 
John Hulsman erklärt, dass die Amerikaner vor allem das Problem in der Anwesenheit der eigenen Truppen sehen. Für den Abzug müsse zuerst ein Zeitplan erstellt werden, ohne dabei die exakte Daten zu nennen. Die Internationale Gemeinschaft müsse mehr involviert werden und zusätzlich müssten die Nachbarländer des Irak mit einbezogen werden. Die Verstärkung der amerikanischen Truppen habe nämlich keineswegs zu den gewünschten Zielen geführt. Der beobachtete Rückgang der Gewalt sei nämlich eher in den vorangegangen, oft gewaltsamen ethnischen Aufteilungen begründet. Die Milizen seien keineswegs entwaffnet worden. Außerdem würden Gegner der amerikanischen Besatzung wie der radikale schiitische Prediger Muktada al Sadr nur auf den Abzug der Amerikaner warten, um zu versuchen die Macht selbst an sich zu reißen. 
 
Die Frage der Verantwortlichkeit für den Frieden im Irak widerspiegelt sich nach Auffassung von Zumach vor allem in der Diskussion über einen Einsatz der UNO und der Frage, wer daran beteiligt werden soll oder muss. „Die USA sind aufgrund ihrer militärischen Fähigkeiten nicht die einzigen, die die Sicherheit in der Region garantieren könnten. Das könnten internationale Truppen mit entsprechendem Mandat.“ Dabei schließt Zumach auch eine Beteiligung von deutschen Soldaten nicht aus. 
 
Deutsche Truppen beteiligen?
 
Auch Rolf Mützenich kann sich eine Entsendung von UN-Truppen mit entsprechendem Mandat gut vorstellen: „Dennoch tue ich mich schwer, an dieser Stelle zu sagen, dass deutsche Truppen an einem solchen Mandat beteiligt sein müssten. Eine solche Stabilisierungstruppe würde mit Sicherheit auch in möglicherweise schwere Kämpfe verwickelt werden. Da nützt es nichts, den jeweiligen Gruppen zu erklären, wir waren sowieso immer gegen den Irak-Krieg, sondern die entscheidende Frage ist: glauben diejenigen, dass eine Stabilisierungstruppe gegen die Machtinteressen der eigenen Gruppe verstößt oder nicht.“ Dies würde aber zwangsläufig der Fall sein, da für Recht und Ordnung gesorgt werden müsse. Mützenich erachtet es als außerordentlich schwierig, einen solchen Einsatz vor den Soldaten und den Menschen in Deutschland zu rechtfertigen. Dazu tragen besonders die Schwierigkeiten des Einsatzes in Afghanistan bei. „Eine zusätzliche Beteiligung würde uns wahrscheinlich vollkommen überfordern und innenpolitisch möglicherweise auseinander reißen“.
 
Jürgen Trittin hält einen UN Einsatz zwar für wünschenswert, aber auch für nahezu unmöglich. Die UN mit ihrer derzeitigen Struktur sei überhaupt nicht in der Lage, einen Einsatz in dieser Größenordnung angesichts dieser Herausforderungen übernehmen, vor allem, wenn die Länder, die den Krieg geführt haben, nicht beteiligt sein dürften. Stattdessen müsse der Versöhnungs- und Stabilisierungsprozess eingeleitet werden, bevor die Amerikaner sich zurückziehen: „Ich kann mir schlecht vorstellen, dass irgendjemand Truppen in ein Land schickt, in dem beispielsweise die Milizen gerade von den Amerikanern mit den neusten Waffen ausgestattet worden sind!“



Jürgen Trittin (links), Dolmetscher, John Hulsman, Rolf Mützenich, Andreas Zumach


Teilung des Irak?
 
Wer aber übernimmt denn nun Verantwortung? Wo liegen mögliche Lösungsstrategien? Eine Teilung des Iraks scheint einigen ein möglicher Weg, weil so die Spannungen zwischen den ethnischen bzw. religiösen Gruppen der Kurden, Sunniten und Schiiten vermindert werden könnten. Allerdings sei zu befürchten, dass ein solches Konzept die Konflikte nur verlagernoder sogar verstärken würde. Die damit verbundene Aufteilung der Ölreservoirs berge ein kaum vorstellbares Konfliktpotential, schon jetzt, da der Irak noch eine Einheit bildet.
 
Einig war sich die Podiumsrunde, dass eine Teilung des Irak auf keinen Fall Frieden bringen werde. Zumach betonte, dass er keine Chance sieht, den Irak in drei oder vier ethnisch homogene Enklaven aufzuteilen. Rolf Mützenich machte deutlich, dass, wenn der Irak auseinander falle, dies auch unmittelbare Auswirkungen auf Europa haben würde, im Hinblick auf Flüchtlinge und weitere Eskalationen an den EU-Außengrenzen. Man müsse alles unternehmen, damit der Irak stabil bleibe.
 
Die US-Präsidentschaftskandidaten
 
Diskutiert wurde auch die Frage nach den Konzepten des Nachfolgers von George W. Bush. In diesem Punkt sieht John Hulsman einen fundamentalen Unterschied zwischen den Vorstellungen der möglichen Präsidentschaftskandidaten John McCain und Barack Obama: „McCain sagt, wir bleiben im Irak. Auch 100 Jahre, wenn wir müssen.“ Er wolle nicht, dass das amerikanische Militär einen so großen Krieg verliert. Allerdings seien die meisten Amerikaner schon der Meinung, dass der Krieg längst verloren sei. Obama hingegen wolle die Armee innerhalb von 18 Monaten aus dem Irak abziehen. 
 
Zumach meint, dass Obama wie Clinton allerdings noch „Kampftruppen“ im Irak belassen wollen – ungefähr 50.000 bis 75.000 Soldaten. Unter anderem, um Aufstände zu bekämpfen, irakische Truppen auszubilden oder bei Menschenrechtsverletzungen einzuschreiten. John Hulsman hält die Rückzugstrategie innerhalb von 18 Monaten nicht für realistisch, auch wenn viele Menschen in den USA davon träumen würden. Falls Obama die Wahlen gewinnt, wäre er unter dem enormen Druck, die Truppen schnell abziehen zu müssen. „Die Gefahr ist nicht mehr, dass wir zu lange bleiben sondern dass wir einfach gehen und ein riesengroßes Chaos hinterlassen.“
 
Ein weiterer großer Unterschied zwischen den Kandidaten liege in ihrer Bereitschaft, Gespräche mit irakischen Nachbarstaaten zu führen, allen voran mit dem ungeliebten Iran und mit Syrien. Während McCain solche Gespräche gänzlich ablehnt, würde Obama diese führen wollen, so Hulsman. Für Frieden im Irak, sei es allerdings notwendig, die Nachbarn mit einzubeziehen und hierzu erst einmal Gespräche zu führen.
 
Eine Antwort auf die Frage „Wer schafft den Frieden?“ war am Ende des Abends nicht in Sicht. Aber es kommen neue Fragen auf: Können es sich die Länder, die nicht am Krieg beteiligt waren, oder die, die wie wir dagegen waren, noch leisten, den moralischen Zeigefinger zu erheben? Oder ist das Problem so dringlich geworden, dass wir endlich auch Verantwortung für den Frieden übernehmen müssen? Wie weit müssen wir gehen? Die Amerikaner sagen: Die wollen nichts tun! Wir sagen: Die haben alles alleine eingebrockt! Wird eine mutige Politik also alte Antworten beiseite schieben und miteinander neue suchen und formulieren? Genug offene Fragen also für die nächste Diskussion. (PK)


Fotos: Bella Logutenok

Online-Flyer Nr. 137  vom 05.03.2008

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