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Aktueller Online-Flyer vom 20. April 2024  

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Ein „Propagandabuch“ – Nachrichten aus „Transnistrien“ vom Kollektiv Fischka
Hier spricht Radio PMR
Von Nele Spielvogel

Wo liegt noch einmal „Transnistrien“? Die Frage ist äußerst schwer zu beantworten, denn das Land heißt bei seiner Bevölkerung Pridnestrowien – „Transnistrien“ wird es nur im Westen genannt. Aber auch Frank-Walter Steinmeier wird die Frage nicht beantworten können, denn im Gegensatz zum Kosovo wird es als Staat bisher von keiner Regierung anerkannt, funktioniert aber seit etlichen Jahren als Republik. Nele Spielvogel stellt einen sehenswerten Fotoband über ein außergewöhnliches Land vor – die Redaktion.

Pridnestrowien ist ein schmaler Streifen auf der linken Seite des Dnjestr, eingezwängt zwischen Moldawien und der Ukraine – Teil eines Gebietes, das Jahrhunderte lang Spielball zwischen Russen und Osmanen war. Der Dnjestr auf der einen und die Ukraine auf der anderen Seite bilden seit der Unabhängigkeitserklärung im September 1990 die Grenzen. In zwei Volksabstimmungen in Rybniza und der Hauptstadt Tiraspol sprachen sich 1989 und 1990 über 90 Prozent der Pridnestrowier für eine unabhängige „Pridnestrowiesch-Moldauische Sozialistische Sowjetrepublik (PMSSR)“ aus.

wahlurne transnistrien CC kramar






















Wahlurne in Pridnestrowien
Foto: Kramar


Die Unabhängigkeitserklärung war Folge der Abtrennung Moldawiens von der UdSSR und des Erstarkens rumänisch-nationaler Bewegungen in dem an Pridnestrowien angrenzenden, zu 65 Prozent von rumänischstämmiger Bevölkerung bewohnten Moldawien. Der westlichen Hemisphäre ist die gut als Demokratie funktionierende Republik besser bekannt als „Transnistrien“ – ein Name, den die Pridnestrowier nicht gern hören, da die aus dem Rumänischen abgeleitete Bezeichnung die Erinnerung an die rumänische Besatzung während des zweiten Weltkriegs heraufbeschwört: „Transnistria, das waren die ‚Killing Fields’ der rumänischen Faschisten, eine riesige chaotische Zone, in der Hunderttausende deportierte Juden und Roma dem sicheren Tod überlassen wurden.“, schreibt Martin Leidenfrost in der Wochenzeitung Freitag.

Im Gegensatz zu den Landstrichen seiner Nachbarn Ukraine und Moldawien ist Pridnestrowien ein fruchtbares Agrarland mit effizienten landwirtschaftlichen Großbetrieben. In Sowjetzeiten wurde aus dem Land am Dnjestr ein Industriestaat mit erfolgreichen, exportorientierten Unternehmen; es hat ein Stahlwerk, Textil- und Schuhfabriken sowie die Maschinen- und Elektroindustrie.

Kramar und Marcel Nimführ, die Autoren des Fotobands „Hier spricht Radio PMR – Nachrichten aus Transnistrien“, haben über mehrere Jahre hinweg das Land besucht, das sich seit 17 Jahres behauptet und von der internationalen Staatengemeinschaft noch immer nicht anerkannt wird. Sie haben die unterschiedlichsten Menschen kennengelernt, lassen einige von ihnen zu Wort kommen und geben dem Leser die einmalige Chance, einen Blick aus der Sicht seiner Bewohner auf das Land am Dnjestr zu werfen.


Radio PMR, Tiraspol | Foto: kramar

Wie ein roter Faden verbinden hier die Kommentare aus Radio PMR die Geschichten und Ansichten der Prednjestrowier. Der Regierungssender kann übrigens auf 7370 Kilohertz Kurzwelle auch auf Deutsch gehört werden – in einer täglichen Übertragung von Andrej Smolensky, der als Co-Autor des Bandes firmiert. Neben Andrej, der drei Pässe sein Eigen nennt – einen predniestrowischen, einen russischen, einen moldauischen – und als Dozent, Übersetzer und Sprecher bei Radio PMR arbeitet, lernen wir noch viele andere Bewohner des Landes sehr nah und persönlich kennen: den ukrainischen Maler Wassja, den Russen Pjotr, der als Chronist versucht, seine pridnestrowische Heimat zu bewahren, die Tänzerin Kjusha, die Pridestrowien als „Kleine Sowjetunion“ bezeichnet, Artjom, Moldauer, Architekturstudent, der Schauspieler werden will und viele mehr.

Auf dem Land
Auf dem Land

Andrejs Tante, eine Kleinbäuerin und gelernte Buchhalterin, erlaubt uns einen Blick auf das Leben auf dem Land. Den Älteren sitzt der Krieg gegen Moldawien im Jahre 1992 noch in den Knochen. Sie alle vermitteln dem Leser den Stolz auf die junge Republik und ihre Heimatverbundenheit. Anna Sacharowa Wolkowa, Ratgeberin des Präsidenten, bringt es auf den Punkt „Es gibt bei uns die Devise der Vorväter: ‚Denke zuerst an die Heimat und dann an dich selbst.“

Komsomolzin
Komsomolzin

Mehr noch als die kurzen Texte sprechen die Bilder aus dem Alltag, Bilder von Feiern mit Freunden und der Familie sowie von der Arbeit und natürlich in Porträts die Menschen. Wünschen würde man sich vielleicht noch mehr Aussagen und Meinungen von den Arbeiterinnen und Arbeitern, die auf den Fotos mit offenen, ernsten Gesichtern vor ihren Maschinen, an ihrem Arbeitsplatz posieren. Der Band, der die Zuneigung der Autoren zu diesem Fleckchen Erde atmet, ist dreisprachig gestaltet – deutsch, englisch, russisch – und will ein „Propagandabuch“ für dieses Land sein.

Wladimir Kaminer schrieb aus östlicher Sicht ein sympathisches Vorwort, Professor Doktor Troebst, Wissenschaftler der Kulturstudien Ostmitteleuropas an der Uni Leipzig, aus westlicher Sicht einen vielleicht etwas distanziert wirkenden historischen Abriss, der den Band von den Autoren unkommentiert schließt.

Das Kapitel um die Anerkennung von Pridestrowien als Staat ist allerdings noch nicht geschlossen: Russlands stellvertretender Außenminister Grigorij Karasin erklärte unlängst bei einem „Arbeitsbesuch“ in dem Land am Dnjestr, sein Land wolle völkerrechtswidrige Methoden wie bei der Anerkennung des Kosovos nicht akzeptieren. Das Autorenkollektiv des Fotobandes meldete kurz vor Redaktionsschluss, „Vorverhandlungen für eine Reintegration Transnistriens in die Republik Moldau“ hätten vertraulichen Quellen gemäß begonnen. Was mit Pridestrowien passiert, bleibt also spannend. (CH)

Wer mehr über Pridnestrowien wissen will, findet Ausführlicheres bei Hannes Hofbauer: „Niemandsland am Dnjestr“ und „Mitten in Europa. Politische Reiseberichte aus Bosnien-Herzegowina, Belarus, der Ukraine, Transnistrien/Moldawien und Albanien.“ (Promedia, Wien 2006) sowie Martin Leidenfrost „Das Stück aus dem Spaghetti-Western“ oder hört Radio PMR in deutscher Sprache auf Kurzwelle 7370 kHz, Mo-Fr 15:30-16:45 UTC und jede weitere Stunde bis 19:30 UTC sowie 23:30-23:45 UTC.
Links pridnestrovie.net, www.tiraspoltimes.com


Ohne Titel

Tag der Befreiung, Parade
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Wahl "Miss Pridnestrowien" 2005
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85. Jahrestag der Oktoberrevolution, Blumenniederlegung der Komsomolzen vor dem Regierungsgebäude und der Statue Lenins
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Schießbudenbesitzer Gena Tschokalew
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„Luftgewehr-Schießstand"

Gena T. am Grab seines gefallenen Sohnes (†1992)
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Kriegswitwe von 1992, Ludmila Jakowlewa Gusar
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Alle Fotos: Kramar und Marcel Nimführ

Hier spricht Radio PMR

„Hier spricht Radio PMR – Nachrichten aus Transnistrien“
von Kramar und Marcel Nimführ, mit Andrej Smolensky
Verlag für Schöne Bücher
ISBN 978-3-939181-07-1
www.bildschoene-buecher.de
www.fischka.com
www.radio-pmr.com

Online-Flyer Nr. 136  vom 05.03.2008

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