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Lokales
Wie Bergkamen seinen BürgerInnen Müllentsorgungskosten ersparte
Privatisierung rückgängig gemacht
Von Andreas Johren

Auf Einladung der Bürgerinitiative „Mülheim bleibt unser“ hielt im Handelshof Dr. ing. Hans-Joachim Peters, technischer Beigeordneter der Stadt Bergkamen und Betriebsleiter des EntsorgungsBetriebBergkamen (EBB), einen hochinteressanten Vortrag, aus dem die nicht anwesende Politprominenz der Stadt an der Ruhr einiges hätte lernen können.

 
Dr. Hans Joachim Peters: Wie Bergkamen
seinen BürgerInnen Kosten erspart
Nach einleitenden Worten von Lothar Reinhard und Reinald Schnell von den Mülheimer Bürgerinitiativen (MBI) gratu- lierte Dr. Peters der Stadt und den Bürgern zunächst zum 200sten Geburtstag ehe er seinen Power-Point-Vortrag über die Erfolge begann, die die Stadt Bergkamen mit der Rekommunalisierung der Müllabfuhr zu Recht feiern kann. 

 
Versuchter Einfluss auf Ratsmitglieder
 
Seit 1966 war die Müllentsorgung in Bergkamen in privater Hand. Zu den jeweiligen Vertragsenden wurden neue Ausschreibungen durchgeführt, der günstigste Anbieter bekam den Zuschlag – bis 2006. Ab diesem Jahr, genauer ab dem 3. Juli 2006, übernahm der neu gegründete EBB die Entsorgung der Mülltonnen, nachdem bereits Ende der 1990er Jahre Strom, Gas und Fernwärme wieder in kommunale Hand genommen worden waren – obwohl die Vereinigten Elektrizitätswerke Westfalen (VEW) heftig davon abgeraten und gezielt versucht hatten, Einfluss auf Ratsmitglieder zu nehmen. 
 

Nach MBI-Auffassung viel zu
teuer – MEG Mülheim/Ruhr
Quelle: MEG
1995 wurde der letzte Zehnjahresvertrag mit Remondis (in Mülheim Mitgesellschafter der nach Auffassung der MBI viel zu teuren Mül- heimer Entsorgungsgesellschaft – MEG) geschlossen. Angesichts des nahen Ver- tragsendes 2005 begann man 2003 mit ersten Überlegungen über eine neue Organisation der Müllentsorgung. Dabei wurden fünf Alternativen durchgerechnet.


Fünf Alternativen
 
- Europaweite Ausschreibung an private Entsorgungsunternehmen, Entscheidung auf Grundlage des günstigsten Angebotes
- Gemeinschaftsentsorgung mit den Nachbarstädten
- Einbeziehung der Müllentsorgung in die bestehenden interkommunalen Gemeinschaftsstadtwerke
- Gründung einer eigenen GmbH
- Gründung eines städtischen Eigenbetriebs
 
Eine verwaltungsinterne Arbeitsgruppe wurde eingerichtet, darüber hinaus gab es interfraktionelle Gespräche über Zwischenergebnisse und einen intensiven Erfahrungsausstausch mit den Nachbarstädten und kommunalen Entsorgungsunternehmen. 
 
Eigene Kostenkalkulation
 
Mitte 2004 war dann die eigene Kostenkalkulation fertig, die mit dem preiswertesten Ergebnis der o. g. Alternativen abschloss und zu einer Kostenersparnis von 30 Prozent führen sollte. Zur Sicherheit wurde das Konzept nochmals von externen Unternehmensberatern – Ernst & Young/Econum – überprüft. Die städtische Einschätzung wurde dort bestätigt. Im Mai 2005 kam es dann zu einem Grundsatzbeschluss des Stadtrates mit einer Mehrheit von etwa zwei Dritteln, wobei die CDU-Fraktion natürlich dagegen stimmt. „Obwohl es eine Fraktion gibt, die sogar die absolute Mehrheit hat, versucht man die wichtigsten Entscheidungen der Stadt eigentlich immer auf eine ganz, ganz breite Basis zu stellen...“, so Hans-Joachim Peters. 
 
Er sei dann der „Bitte“ des Stadtrates nachgekommen, möglichst eine gütliche Einigung mit Remondis zu erzielen. In nächtlichen Runden wurde dann über Details des Übergangs verhandelt. Die Ergebnisse konnten sich für beide Seiten sehen lassen: Die Tonnen wurden vom EBB übernommen, im Gegenzug wurde der Vertrag bis zur Mitte des Jahres 2006 verlängert, was eine Umstellung zum Jahreswechsel wegen Frostgefahr verhinderte. So konnte man nun in der ruhigeren Sommerferienzeit umstellen. 
 
„Trockenübungsphase“
 
Einen Monat vor Vertragsbeginn gönnte sich der EBB eine „Trockenübungsphase“, in der das neue Personal die neuen Fahrzeuge sowie die Strecken testen konnte. Nach einem reibungslosen Übergang konnte sogar noch ein Reservewagen angeschafft werden, der für kurzfristige Ausfälle zur Verfügung steht. Und: das Ziel der Einsparung von 30 Prozent wurde tatsächlich erreicht, so dass die Müllgebühren 2006 und 2007 gesenkt werden konnten – und das trotz 3 Prozent MwSr-Erhöhung und Kostensteigerungen für Verbrennungen in 2007. 
 
2008 wird, so Peters, erstmals eine Erhöhung fällig sein, die durch die gestiegenen Dieselpreise begründet ist. Trotzdem werde aber die Müllentsorgung in Bergkamen auch 2008 „immer noch billiger als in der Ausgangssituation 2005“ sein. 
 
Günstige Overheadkosten 
 
Neben dem Wegfall einer Gewinnmarge tragen jedoch auch weitere Komponenten zur Kostenreduzierung bei. Hierzu nannte Peters insbesondere auch die sogenannten Overheadkosten, d. h. die Kosten für Betriebsführung, Verwaltung und Kontrollorgan. Der Geschäftsführer ist kein GmbH-Geschäftsführer, sondern hat diese Aufgabe nebenamtlich zu erledigen, die notwendige Verwaltung (Gehaltsabrechung etc.) ist im Rathaus angesiedelt und das Kontrollorgan ist kein klassischer Aufsichtsrat, sondern ein Betriebsausschuss, der identisch ist mit dem Haupt- und Finanzausschuss des Rates der Stadt. Dafür werden keine Sitzungsgelder gezahlt. 



Power-Point-Vortrag im Handelshof Mülheim | Fotos: Thomas Kämpf

Tarifgehalt ohne Zulagen
 
In einem Monitor-Bericht wurde in diesem Zusammenhang besonders hervorgehoben, dass die Bezahlung der Bergkamener Müllwerker besser als bei privaten Firmen sei. Dies bestätigte Peters jetzt so nicht mehr. Zwischenzeitlich wurde vom Tarif „BMTG2“ auf den Tarif „TVÖD“ gewechselt, der weitaus schlechtere Konditionen für die Arbeitnehmer enthalte als der vorherige. Hinzu komme, dass es ein Überstundenverbot gebe und Remondis wohl ähnliche Löhne zahle. 
 
Extra-Service
 
Etwas, worauf man als Mülheimer durchaus neidisch blicken darf, sind Zusatzleistungen, die der Bergkamener EBB mittlerweile anbietet. Der Express-Service bietet dort gegen einen Aufpreis von 10 Euro die Gewähr, dass Sperrmüll innerhalb von 72 Stunden abgeholt wird. Eine Einrichtung, die sich mittlerweile etabliert hat und von jedem fünften Kunden genutzt wird. Der Voll-Service bietet gegen Abrechung des Stundenaufwandes die Abholung von Sperrmüll – direkt aus dem Keller/der Garage/der Wohnung an. Und die „Windeltonne“ bietet Familien mit Kleinkindern die Möglichkeit das Tonnenvolumen zum halben Preis für die Dauer von 3 Jahren zu erhöhen. 
 
Keine Ideologien
 
Verständlicherweise wollte sich Hans-Joachim Peters nicht konkret zur Mülheimer Situation äußern. Er betonte jedoch mehrfach, dass transparente und sachliche Prüfungen in jedem Fall erforderlich seien. Privatisierungen und PPP (Public Private Partnership) seien zwar nicht generell zu verteufeln; auch in Bergkamen gibt es solche Modelle. Entscheidend müsse jedoch immer das Bürgerinteresse und ein sachliches Prüfungsverfahren sein. (PK)

Andreas Johren ist Vorsitzender bei www.radioruhr.de

Online-Flyer Nr. 135  vom 27.02.2008

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