NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 26. April 2024  

zurück  
Druckversion

Arbeit und Soziales
KEA-Gespräch mit Ex-ARGE-Geschäftsführer Josef Ludwig
Wo liegt es bei der ARGE im Argen?
Von Jochen Lubig und Heiko Naumann

Josef Ludwig, ehemaliger Geschäftsführer der Kölner ARGE, heute stellvertretender Leiter des Amts für Wohnungswesen, sitzt in einem großen, noch leeren Büro im Kalk-Karree und wirkt darin etwas allein gelassen. Umso besser, dass ihn jetzt zwei Mitarbeiter der KEA-Redaktion besuchten. „Soviel Termine, wie ich zur Zeit in einer Woche habe, hatte ich in der ARGE bisweilen jeden Tag.“, sagt Ludwig. Der Mann hat Zeit. - Die Redaktion. 

Nachdenklich: Ex-Chef
der Kölner ARGE
Josef Ludwig
 „Herr Ludwig, mal Hand aufs Herz, was halten Sie von Hartz IV?“ – Josef Ludwig muss nicht lange überlegen: „Die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe- und Sozialhilfeempfängern halte ich für richtig.“ Er spricht damit einen Aspekt an, mit dem sogar große Teile der Anti-Hartz-Bewegung mitgehen können. Wir haken nach und versuchen zu ergründen, ob sich Ludwig des „Systems Hartz IV“ als ein politisches Instrument bewusst ist, Löhne und soziale Ausgaben ganz allgemein zu drücken. Mütter und Väter von HartzIV gibt es viele: die Bertelsmann-Stiftung, die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, der Arbeitgeberverband u.a. mächtige Lobby-Vereine. Sie alle haben ihren Part am Gesetzes-Paket mitgeschrieben, dem Peter Hartz, damals beim VW-Konzern, nur noch seinen Namen zu geben brauchte, und sowohl die Grünen und die SPD, als auch Gewerkschaften, Diakonie (Ev. Kirche) und Caritas (Kath. Kirche) zollten in beinahe tranceartiger Abwesenheit ihren Beifall.

Pamphlete der Bertelsmann-Stiftung

Ludwig kennt sie, die Pamphlete der Bertelsmann-Stiftung, die dazu anstiften will, Erwerbslosen lediglich die Wohnkosten zu erstatten. Arbeit gäbe es schließlich genug, solange Arbeitnehmer auf eine angemessene Entlohnung verzichten oder halt aufstockend Alg2 beantragen. Ludwig weiß also, wohin der Hase laufen soll und kennt die Manipulationen des Arbeitsmarktes, die Mitnahme-Effekte durch Zeitarbeit, Praktikanten-Missbrauch, Minijobs und weiß schließlich auch, dass der Markt mit vielleicht 51 verschiedenen Zahnpasta-Sorten nicht zwingend nach einer 52sten ruft. Es sei denn, sie ist noch billiger!

Insofern, schätzt Ludwig die Frage dessen, was an „Arbeit“ gesellschaftlich nötig ist, vielleicht sogar realistischer ein, als die öde Vollzeit-Arbeit-Forderung, die so manch gestandener Gewerkschafter Jahr für Jahr zum 1.Mai rethorisch gekonnt von der Bühne brüllt. „... aber erwarten Sie bitte keine politische Wertung von mir. Ich bin städtischer Beamter und möchte es auch bleiben.“, zieht er sich aus der Affäre und irgendwie, na klar, auch aus der Verantwortung. Seiner Rolle innerhalb dieses Systems ist er sich also bewusst: Der loyale Beamte, der seine kritische Kompetenz allmorgendlich mit der Jacke an die Garderobe hängt, um seinen Auftrag bestmöglichst zu erfüllen!

Sanktionsquote in Köln steigt

Auch die Unternehmensberatung „Roland Berger“ (Partner der Bertelsmann-Stiftung) trug ihren Teil zu Hartz IV bei und durfte u.a. die ARGE Köln für nicht wenig Steuergeld strategisch umkrempeln. „Dass hierbei die Sachgebiete 'Integration' und 'Leistung' getrennt wurden, finde ich ausdrücklich richtig“, sagt Ludwig. Aber dann wird er kleinlaut: „Das hat zur Folge, dass der persönliche Ansprechpartner mehr Kunden einladen kann und seine Arbeitsergebnisse transparenter werden. Somit [mit steigendem Mitwirkungsdruck bei den Erwerbslosen - Anmerkung der Autoren] steigt zwangsläufig auch die Sanktionsquote.“


Beklagt: Klagemauer gegen ARGE-Schikane

Konfrontiert mit den vielen so genannten „Einzelfällen“ aus der KEA-Beratungspraxis, wovon ein Großteil Betroffener mitnichten auf 347,- Euro zum (Über)Leben zurückgreifen kann, statt dessen anteilig die Mietkosten davon decken muss, erklärt uns Ludwig noch mal, wie das mit den KdU (Kosten der Unterkunft) funktioniert:

„Die kommunalen Richtlinien zur KdU erlauben den Sachbearbeitern unter Umständen einen Ermessensspielraum von mehr als 50 Prozent über dem Satz á 6,90 Euro Warmmiete/Quadratmeter. Ist die Wohnung teurer, muss der Betroffene ggf. darauf hingewiesen und mit einer Frist von sechs Monaten zur Senkung der Mietkosten aufgefordert werden. Die Bemühungen sind in irgendeiner Form nachzuweisen. Waren sie erfolglos ohne eigenes Verschulden und hat auch die ARGE selbst keine alternative Wohnung im Angebot, müssen weiterhin die vollen KdU übernommen werden.“

Die in Köln oft angewandte Praxis der willkürlichen Kürzung der KdU ohne vorherige Aufforderung zur Mietkostensenkung ist also illegal!

Unerfahrene ARGE-Mitarbeiter haben Probleme

Immer wieder verweist Ludwig entschuldigend auf die qualitativen Defizite der ARGE-Mitarbeiter. „Manche wollen eine Richtlinie, die klar sagt A oder B. Mit dem Ermessensspielraum haben unerfahrene Mitarbeiter bisweilen große Probleme.“ (Die KEAs empfehlen aus diesem Grund, offensiv das Gespräch mit dem Team-Leiter zu suchen oder den Gang zur Beschwerdestelle anzutreten.)


Gestellt: Erwerbslose beschwerten sich beim ARGE-Chef

„Herr Ludwig, neue Besen kehren gut, alte wissen wo der Dreck liegt. Können Sie in zwei, drei Punkten verraten, wo's Ihrer Meinung nach bei der ARGE im Argen liegt?“ Ludwig: „Das Problem ist die Organisation nach innen, wie nach außen. Innen ist es die schwierige Personalsituation, nicht ausreichende und oft ungelernte Mitarbeiter; außen ist es die Abstimmung mit zwei verschiedenen Trägern – Bundesagentur und Stadt, deren Vorstellungen nicht immer die gleichen sind. Dann die fortwährenden Probleme mit der Software und nicht zuletzt die Lage auf dem Arbeitsmarkt. Die ARGE kann keine Arbeitsplätze schaffen“ (... außer ihre eigenen. Anm. der Autoren).

Die Frage ist also, womit sich ca. 1.250 bezahlte Angestellte der ARGE Köln tagtäglich beschäftigen und darüber hinaus: wofür?

Pünktlich zum vertraglichen Ablauf von Ludwigs Amtszeit und sicher auch dank der spektakulären „Zahltag!-Aktionen“, entdeckte auch die Kölner Presselandschaft den organisierten Widerstand gegen Hartz IV und griff die Beschwerden auf, die die Sozialdezernentin Bredehorst erst kürzlich dazu zwangen, öffentlich Rechenschaft abzulegen (siehe u.a. NRhZ 94 und 118). Die Bilanz von drei Jahren Hartz IV in Köln ist ein arges Kapitel, das man Ludwig zuschreiben wird. „Der neue Mann, Klaus Müller-Starmann ...“, so die Schlagzeilen, „soll es richten.“

Angesichts der Realität des Arbeitsmarktes, der ungeeigneten Rezepte der politisch Verantwortlichen und somit der Verschärfung der sozialen Lage darf man wohl – egal, welcher Beamte gerade ANgeschaltet ist – getrost mit dem Schlimmsten rechnen.

Proteste haben Erfolg!

Wenn Kölner Erwerbslosen-Initiativen offene Briefe an die ARGE oder das verantwortliche Sozialdezernat schreiben, blieben diese für gewöhnlich von Dezernentin Bredehorst in ignoranter wie arroganter Weise unbeantwortet. Insofern schien es nicht nur verständlich, sondern notwendig, dass sich die selbstorganisierten Erwerbslosen an den Ort und Ausgangspunkt des Geschehens begeben, um den Konflikt offen und öffentlich auszutragen. Die so genannten „Zahltag!“-Aktionen, bei denen im Oktober und Dezember 2007 bisweilen über 100 Demonstranten verschiedene ARGEn in Köln „belagerten“ zeigen nun Wirkung.


Durchgesetzt: Überweisung „vergessener" Zahlungen an Erwerbslose
Fotos: arbeiterfotografie


Die Medien hatten von den Protesten berichtet und die Beschwerden der Erwerbslosen aufgegriffen. Dies hatte bereits zur Folge, dass Sozialdezernentin Bredehorst zum Rapport in den Sozialausschuss geladen wurde und dass die Grünen und die SPD folgenden Dringlichkeitsantrag in den Kölner Stadtrat einbrachten. Hier ein Ausschnitt aus der Beschlussvorlage der Stadtratssitzung vom 29. Januar:

„Die Rückstandssituation, der Widerspruchsstelle und die Bearbeitungsdauer von 12,9 Monaten sind nicht akzeptabel und müssen erheblich verkürzt werden… Die Rückstände in der Leistungssachbearbeitung (Backoffice) müssen umgehend abgebaut werden, so dass eine maximale Bearbeitungszeit von einem Monat nach Eingang der erforderlichen Unterlagen gewährleistet ist. Die Leistungsempfänger sind in geeigneter Weise auf die Folgen eines verspätet eingereichten Folgeantrags auf Alg2 hinzuweisen… Das Betreuungsverhältnis von aktuell 322 erwerbsfähigen Kunden pro Vollzeitmitarbeiter ist kurzfristig auf die planmäßig vorgesehenen Kunden pro Vollzeitmitarbeiter zu reduzieren…“ (PK)


Die „Kölner Erwerbslosen in Aktion" (KEA e.V.) sind hier zu erreichen!


Der Kölner Erwerbslosen-Anzeiger ist hier zu bekommen!

Online-Flyer Nr. 133  vom 13.02.2008

Druckversion     



Startseite           nach oben

KÖLNER KLAGEMAUER


Für Frieden und Völkerverständigung
FOTOGALERIE