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Aktueller Online-Flyer vom 25. April 2024  

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Arbeit und Soziales
Eine Serie über den Niedergang der Gewerkschaften
„Nur nicht den Bogen überspannen!“
Von Peter Glück

Der Konjunkturtrend von 2006 hat sich 2007 bestätigt. Die Wirtschaft brummt, die Arbeitslosenzahlen gehen zurück, ja es wird sogar über Fachkräftemangel geklagt. Die Bourgeoisie und ihre Medien überschlagen sich fast vor Jubel und die Regierung vor Selbstlob. Selbst der Außenminister mischt sich ein, schließlich will er Stellvertretender Parteivorsitzender werden. Im Spiegel gibt er seine Erkenntnisse zum Besten: „Ich würde es das dritte deutsche Wirtschaftswunder nennen“. Tatsächlich: Den Kapitalisten und Reichen geht es immer besser, während es dem Rest der Bevölkerung immer schlechter, aber auf jeden Fall nicht besser geht. Die Gewerkschaften sahen das Problem durchaus. Aber:
Gewerkschaftliche Praxis


Ihre Argumentation ging die ganzen Jahre immer in die Richtung der Notwendigkeit deutlicher Lohnerhöhungen. Argumentiert wurde dabei weniger mit der Interessenslage der Mitgliedschaft, sondern vielmehr mit der volkswirtschaftlichen Notwendigkeit, die Binnenkaufkraft zu stärken und damit die Konjunktur zum Laufen zu bringen. In der gewerkschaftlichen Praxis entstand dabei eine Diskrepanz zwischen der theoretischen Einsicht nach kräftigen Lohnerhöhungen und der konkret aufgestellten Tarifforderung. Diese blieb aber immer unter der theoretischen Notwendigkeit. Das führte zu dem Resultat, dass die Tarifabschlüsse schließlich brutto auf dem Niveau der Inflationsquote, bestenfalls geringfügig darüber lagen. Dass es gegen diese Politik an der Basis nicht zu massenhafter Empörung kam, ist darauf zurückzuführen, dass die Massenarbeitslosigkeit, aber auch betrieblicher Druck auf Entgelte, Arbeitszeiten und die Arbeitsplätze selbst, ein riesiges, individuelles Bedrohungspotential darstellen, das außerordentlich disziplinierend wirkt.

Die Stimmung in den Betrieben und der Mitgliedschaft war deshalb schon recht mies und wurde durch unzureichende Tarifabschlüsse natürlich nicht besser. Um dem entgegenzuwirken, wurden die Abschlüsse immer schön geredet und gerechnet. Das gilt auch aktuell. Der Tarifabschluss in der Metall-Industrie 2007 ist ein anschauliches Beispiel dafür. Man weiß dort, dass nur durch materielle gewerkschaftliche Erfolge der rapide Mitgliederschwund gestoppt und damit die Organisationen stabilisiert werden können. „Jetzt sind die Arbeitnehmer dran“, meinte im Frühjahr Jürgen Peters von der IG Metall.  Und DGB-Sommer hatte wegen der  guten Konjunktur das Jahr 2007 zum „Jahr der Arbeitnehmer“ ausgerufen.

Beispiel IG Metall-Tarifrunde 2007

Der IG Metall-Vorstand empfahl dann Anfang Februar den Tarifkommissionen, eine Forderung von 6,5 Prozent mehr Geld bei einer zwölfmonatigen Laufzeit des Tarifvertrags aufzustellen. Der IG Metall-Vize Bertold Huber begründete in der Metallzeitung die Forderung so: „Wir bewerten, wie die gesamtwirtschaftliche Entwicklung ist und wir bewerten, wie es der Branche geht. Beides ist hervorragend. Wir haben eine stabile wirtschaftliche Aufwärtsbewegung. Die Produktivität der Metall- und Elektrobranche soll
in 2007 um etwa 4,5 bis 5,5 Prozent steigen. Das sind gute Bedingungen für eine angemessene Entgeltforderung: nämlich 6,5 Prozent“.


So stark sind Gewerkschaften heute

Geht man von einer durchschnittlichen Produktivitätssteigerung von 5,5 Prozent und einer Inflationsrate von 2,5 Prozent aus, hätte die IG Metall 2007 eine Entgelterhöhung von 8,5 Prozent durchsetzen(!) müssen. Das wäre dann noch immer eine so genannte verteilungspolitisch neutrale Erhöhung gewesen. Das heißt, bei einer solchen Erhöhung, wäre für die Kapitalisten der einbehaltene Mehrwert aus der Arbeit der Beschäftigten gegenüber
dem Vorjahr unverändert geblieben. Es wäre also zu keiner, wie das in den Gewerkschaften zu früheren Zeiten immer genannt wurde, Umverteilung zugunsten der Werktätigen gekommen. Huber hatte in seiner Begründung ein solches Element stillschweigend fallen lassen. Dabei war in der Vergangenheit ganzen Generationen von Gewerkschaftsfunktionären
beigebracht worden, wie Forderungen aufgestellt werden: nämlich aus der Berücksichtigung der Inflationsrate plus der Produktivitätssteigerung und einem Umverteilungsbeitrag.

Argumente des Kapitals übernommen

Dass dieser Umverteilungsbeitrag von Huber nicht erwähnt wurde, ist kein Zufall. Es entspricht der Praxis aller Gewerkschaften in den vergangenen Jahren, mit der man die Behauptung der Kapitalisten - und damit auch der Politik und der Medien - stillschweigend anerkennt, wonach die deutsche Industrie aufgrund der „hohen Löhne“ ein „Wettbewerbsproblem“ habe. Sicher ist es so, dass in den zurückliegenden Jahren, hohe, an der Interessenslage der Mitgliedschaft ausgerichtete Forderungen, aufgrund der gewerkschaftspolitischen Kräfteverhältnisse schwierig durchzusetzen gewesen wären. Aber es muss schon die Frage gestellt werden, warum bei der jetzigen Konjunkturlage selbst die Forderung unter dem verteilungsneutralen Rahmen blieb. Wann, wenn nicht jetzt können von den Kapitalisten erzwungene Lohneinbußen ausgeglichen werden?

In „Metall“ wurde dann Huber gefragt: „Will die IG Metall dieses Jahr auch einen Ausgleich für die höhere MWSt. fordern?“. Darauf Huber: „Nein, politische Entscheidungen haben auf die Höhe unserer Tarifforderung keinen Einfluss“. Welche Naivität, oder vielleicht besser gesagt, welche Durchtriebenheit! Gerade von den Gewerkschaften, auch von Huber, wird die Umverteilungspolitik der Bundesregierung zugunsten der Kapitalisten angeprangert. Und dann sollen politische Entscheidungen, bei denen die Arbeiterklasse zur Kasse gebeten wird, keine Rolle spielen? 20 Milliarden € werden durch die MWSt.-Erhöhung hauptsächlichden abhängig Beschäftigten abgeknöpft. Gleichzeitig ist für neue Steuergeschenke an die Unternehmer Geld da. Mit der so genannten Unternehmenssteuerreform werden den
Kapitalisten 10 Milliarden Euro, das ist die Hälfte dieser Steuereinnahmen, hinten rein geblasen. Aber für Huber spielt das keine Rolle!

Statt 8,5 Prozent nur 4,1 auf dem Papier

8,5 Prozent brauchten die Beschäftigten also, um alleine den Status Quo zu halten. 6,5 Prozent wurden gefordert und 4,1 Prozent standen schließlich 2007 auf dem Papier. Und das, obwohl die Konzerne geradezu im Geld schwimmen. Am 3. Mai kam es zum Abschluss im IG Metall Bezirk Stuttgart, zu einem verschachtelten Abschluss, der der Mitgliedschaft die
eigene Begrenztheit verschleierte, und der Führung ermöglichte, voll des Lobes darüber zu sein. „Geschafft! Jetzt kommt dickes Plus in die Tüte“, betitelten die metallnachrichten das Tarifergebnis. Aber so dick war das Ergebnis bei Leibe nicht! Es waren nur optisch 4,1 Prozent.Der Abschluss setzte sich im Wesentlichen folgendermaßen zusammen: Die Monate April und Mai waren Nullmonate, für sie wurde ein Einmalbetrag von 400 € gezahlt. Ab Juni erhöhten sich die Entgelte um 4,1 Prozent und 2008 ab Juni um weitere 1,7 Prozent  (tabellenwirksam). Hinzu kommt 2008 eine Einmalzahlung von 3,98 Prozent für die fünf Monate Juni bis Oktober, die aber ebenfalls nicht in die Tabelle eingehen. Die Gesamtlaufzeit beträgt 19 Monate. Lässt man also den Konjunkturbonus von 2007 und 2008 beiseite, so muss man in Übereinstimmung mit Gesamtmetall folgende Rechnung aufmachen: Für die ersten 14 Monate sind es auf´s Jahr umgerechnet 3,51 Prozent. Hierauf addieren sich dann die 1,7 Prozent und wir sind somit bei 5,21 Prozent für die 19 Monate. Auf´s Jahr umgerechnet sind das also 3,29 Prozent (Gesamtmetall erklärt seine Rechnung nicht, kommt aber offiziell auf 3,3 Prozent).
 



DGB-Chef Michael Sommer
Quelle: Deutscher Gewerkschaftsbund


Gründe der Zurückhaltung des Vorstands

Angesichts der wirtschaftlichen Lage in der Metall-Branche also ein äußerst bescheidener Abschluss. Dabei waren, wie schon bemerkt, die gesamten Rahmenbedingungen für die IG Metall so gut, wie schon lange nicht mehr. Schon vor dem Auslaufen der Friedenspflicht gab es Bewegung in den Betrieben. Es kam zu diversen Kundgebungen und die Stimmung
war gut. Das spürten auch die Vertreter von Südwestmetall und Hessenmetall, die sich den Demonstranten vor den Verhandlungslokalen stellten. Die ab dem 29. April angelaufene Warnstreikwelle machte dann ausreichend deutlich, dass gehörig Dampf im Kessel war. Aber schon am Mittwoch, dem 2. Mai, wurde in Funktionärskreisen bekannt, dass sowohl Kannegießer von Gesamtmetall, wie auch Peters und Huber vom IGM-Vorstand zum Verhandlungsort nach Stuttgart reisen würden, um hinter den Kulissen den Abschluss zu erleichtern. Genau genommen hatte es bis zur Entscheidung, dass man sich einigen wolle, also nur drei Warnstreiktage gegeben. So schnell ist seit vielen Jahren nicht mehr abgeschlossen worden. Es muss daher gefragt werden, warum die IGM-Führung trotz der hervorragenden Voraussetzungen, den vorhandenen Rahmen nicht ausgeschöpft hat.

Der Grund des Zauderns und der Zurückhaltung war vermutlich in der zunehmenden Schwäche der IGM, wie auch aller anderen Gewerkschaften zu suchen. Die seit Jahren rückläufige Tarifbindung hat inzwischen deutliche Spuren hinterlassen. 1995 wurden nach einer Untersuchung der Hans-Böckler-Stiftung noch 66,5 Prozent der Beschäftigten von Tarifverträgen erfasst. 2004 waren es nur noch 52,1 Prozent, bei weiter abnehmender Tendenz. Bei Arbeitern sank die Bindung besonders stark. Von 87,4 auf 71,7 Prozent.

Kannegießer drohte mit Verbandsflucht


Während der Tarifrunde drohte der Verbandschef von Gesamtmetall, Kannegießer, offen mit der Verbandsflucht seiner Mitgliedsbetriebe. Er wollte die Möglichkeit zur Lohnsenkung durch tarifliche Öffnungsklauseln. Komme es dazu nicht, und die IG Metall streike, so Kannegießer, hätte das erodierende Folgen, sowohl für die Tarifmacht der IG Metall, als
auch für seinen Verband. Ihm würden dann die Mitglieder davon laufen (und der IGM der Verhandlungspartner). Das war glatte Erpressung. Bei Gesamtmetall weiß man natürlich, dass abnehmende Tarifbindung direkten Einfluss auf die Mitgliederentwicklung der Gewerkschaft hat. Und zu Recht fürchtet man in den Gewerkschaftsvorständen nichts mehr als das.

In ihrer sozialpartnerschaftlichen Beschränktheit sind die Gewerkschaften deshalb für solche Erpressungen offen. Besonders im Osten haben hier alle Gewerkschaften in den zurückliegenden Jahren einschneidende Erfahrungen gemacht. So sind beispielsweise in Sachsen heute nur noch wenige Betriebe tarifgebunden. Dabei handelt es sich nicht nur um kleinere Betriebe (dort gibt es fast ausnahmslos keine Tarifbindung mehr), sondern auch um Großbetriebe. So hat die Dresdner Halbleiterindustrie, AMD und Infineon, mit rund 7000 Beschäftigten keine Tarifbindung. (HDH)

Teil 2 dieser Serie folgt in NRhZ 129

Aus „Arbeiterstimme“ Nr.158 – Weitere Informationen unter www.arbeiterstimme.org und redaktion@arbeiterstimme.org

Online-Flyer Nr. 128  vom 09.01.2008

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