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Aktueller Online-Flyer vom 27. April 2024  

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Kultur und Wissen
Vor zehn Jahren starb die „Stimme des Ostermarsches“
Erinnerungen an Fasia Jansen
Von Manfred Demmer und Peter Kleinert

Beim diesjährigen „Volkstrauertag“ an den KZ-Gräbern auf dem Aachener Waldfriedhof gedachten der VVN-Bund der Antifaschisten, die Katholische Arbeiternehmerbewegung (KAB) und Fraueninitiativen der Opfer des Nationalsozialismus. Besonders erinnert wurde dabei an die rund 2.000 Menschen schwarzer Hautfarbe, die in den KZs zu Tode kamen. Eine von ihnen, die die Nazi-Verfolgung überlebten, war die Sängerin Fasia Jansen, die „Stimme des Ostermarsches“. Sie ist vor zehn Jahren, am 29. Dezember 1997, in Oberhausen gestorben.

Fasia zusammen mit Mutter Elli    
und Schwester Rita
Die uneheliche Tochter des liberianischen Generalkonsuls Momulu Massaquoi – er war der erste afrikanische Diplomat in Deutschland – und des deutschen Zimmermädchens Elli Jansen wurde am 6. Juni 1929 in Hamburg geboren. Schon im Jahr ihrer Geburt war er – den Fasia nur den „Erzeuger“ nannte – allerdings schon mit seiner Familie nach Liberia zurückgekehrt, was ihm Fasia nie verzieh. Als Kind erlebte sie „Hänseleien“ und Ausgrenzung sowohl wegen ihrer Hautfarbe als auch wegen ihrer unehelichen Geburt.






„Negerkind“

Petra Eberhardt schilderte bei der Trauerfeier für Fasia, dass man ihr „Negerkind“ hinterher rief, sie hänselte, an den Haaren zog und mit Steinen nach ihr warf, so dass sie sich oft prügeln musste, um sich Respekt zu verschaffen. Und sie berichtete davon, dass sie ihre Hautfarbe bald so sehr hasste, dass sie sich einmal ihren ganzen Körper und die Haare mit heller Ölfarbe einrieb, um endlich weiß wie die anderen zu sein. Fasia erinnerte sich später: „Wenn wir mal zusammen in der Straßenbahn waren, und die Leute machten so höhnische Bemerkungen und Kinder fingen an ‚Owamba, Owamba, das Negerweib, huhuhu!’ – dann guckte mein Vater mich nur an und sagte: ‚Alles geistig Minderbemittelte, Fasia“.


Den Vater hatte sie bekommen, als sie sechs war. Er war Schlosser im Hafen und Kommunist. Fasias Mutter heiratete ihn, weil sie sah, dass er gut zu ihrem unehelichen schwarzen Kind war. Außerdem war das Mädchen in dem großen Haus mit seinen sieben Hinterhöfen sicher, wo unzählige Menschen eng beieinander wohnten, wo es Pferdeställe und Werkstätten gab und der Geruch der Elbe und des Hafens eindrang. Da mochte man die kleine „Schwatte“, da lernte sie früh, sich in den Kinderbanden zu behaupten, die sich nach Abenteuern sehnten. Zudem erlebte sie dort solidarisches Verhalten.

Ihre an Josephine Baker orientierte Hoffnung, einst ein Leben mit Musik und Tanz zu führen, wurde zunächst zerstört, als sie im Alter von elf Jahren aus der Tanzschule geworfen und vier Jahre später zum Zwangsdienst in der Küche des KZ Neuengamme bei Hamburg gezwungen wurde. Dort erlebte die Fünfzehnjährige die Brutalität der SS wie die Verzweiflung der Häftlinge, was ihre Haltung entscheidend prägte. Auch zog sie sich dort eine Herzkrankheit zu, unter der sie den Rest ihres Lebens litt.

Erste Lieder im Hafen

Nach der Befreiung vom Faschismus begann sie auf den Hafenbarkassen Volkslieder und Shanties zu spielen, sang für die Touristen „Schön ist die Liebe im Hafen“, jobbte auch als Tankwärtin, Holz- und Metallarbeiterin oder verkaufte Aale. Das verlockende Angebot ihrer afrikanischen Geschwister, ein sorgenfreies Leben unter den ersten zehn Familien Liberias zu führen, schlug sie aus. Stattdessen wurde sie sich in den Bewegungen gegen die Remilitarisierung aktiv, schloss sich einem Hamburger Jugendchor an und sang 1948 ihre ersten politischen Lieder.


Fasia Jansen
Bei den X. Weltfestspielen               
1973 in Berlin
Marina Achenbach, die ein Buch über Fasia veröffentlicht hat, schreibt: „Mit ihrem Singen wollte sie Menschen auch ermutigen, weil meist der Mut fehlte, zu widersprechen und eigene Interessen zu verteidigen. Deshalb würden die ‚kleinen Leute’ abhängig und elend bleiben, meinte sie.
Den Gedanken spielt sie immer wieder durch, in ihren Tagebüchern, in Interviews, in zwei Filmen, die über sie gedreht wurden: Wie einfach könnte es sein, sich gemeinsam gegen Zumutungen zu wehren, einschließlich der Kriegsschrecken. Da sie ja erlebte, wie Zivilcourage entstand – bei Ostermärschen, bei Streiks, durch die Solidarität mit emigrierten Chilenen oder den Kindern von Roma und Sinti – fühlte sie ihre Idee bestätigt, dass Selbstbewusstsein und Mut geweckt werden konnten, auch durch Lieder.

Weltfestspiele in Berlin, DDR


Aber bevor sie öffentlich auftrat, hatte sie noch zwei Wendepunkte im Leben vor sich. Einer war das Weltjugendfestival, das einst ungeheuer erfolgreiche, internationale Treffen gegen Krieg und für antikoloniale Befreiung. Im Jahr 1951 fanden die Weltfestspiele in der DDR, Berlin, statt. Fasia kam aus Hamburg mit ihrem Akkordeon und traf auf eine Volkstanzgruppe aus Oberhausen. Und wie es nur manchmal geschieht, flammte hier auf den ersten Blick eine Freundschaft auf, die ein Leben lang hielt: zwischen Fasia und Anneliese Althoff, die später mit Annemarie Stern den ASSO-Verlag gründete. Von Hamburg nach Oberhausen, das war damals keine Reise, die man nebenbei machte. Doch irgendwann landete Fasia im Ruhrgebiet, das ihr nicht fremd vorkam mit seinen Arbeiterstädten, der direkten Umgangsart und dem Humor, auch den herzlichen, patenten Frauen. Das Hamburger Platt blieb zwar ihre Sprache und nach Hamburg zog es sie immer wieder zurück, aber das Ruhrgebiet hielt sie fest.

Fasia Jansen








 




Fasia Jansen: „An meinen amerikanischen Brieffreund“


Dort fuhr sie mit der Niederrheinischen Volkstanzgruppe zu den Auftritten und begleitete sie auf dem Akkordeon. Es war für ihre Freunde eine der ganz wenigen Möglichkeiten des politischen Engagements. Sie waren in der FDJ, bevor die Organisation in den Jahren des hysterischen Antikommunismus unter Adenauer verboten wurde. Als Ausweg hatten sich Fasias Freundinnen dem Volkstanz zugewandt.
Die Gruppenmitglieder kamen aus Arbeiterkreisen, sie reisten auch in die DDR, manchmal auf abenteuerlichen Wegen und wurden als Tanzgruppe immer besser.“


Auf dem Ostermarsch


Zehn Jahre später, 1961, der zweite Wendepunkt: Fasia sang bei einer Veranstaltung der Ostermarschbewegung, die sich gerade zu entwickeln begann, das berühmte amerikanische Gewerkschaftslied „Black and White“.
Freunde hatten sie auf die Bühne gedrängt, ihr Auftritt kam gut an. Hier begann jene Entwicklung, die dazu führte, dass sie „Die Stimme des Ostermarsches“ wurde. Gerd Semmer, der „Vater des politischen Liedes der Bundesrepublik“ schrieb ihr: „Wir haben uns alle sehr gefreut, daß es Sie gibt auf der Welt. Ich denke ohne Schmus, daß aus Ihnen sehr viel werden kann, wenn Sie arbeiten. Zunächst einmal mit uns.“ (Da der Literat im heutigen Deutschland so gut wie unbekannt ist, unten unter [1] ein kurzer „Steckbrief“ von ihm.)

„Keiner, keiner schiebt uns weg!“


Vor dem Hoesch-Stahlwerk                      
Fasia sah es – wie viele fortschrittliche Künstler – als Erlösung an, dass sich nach Jahren der Verbote und Selbst- beschränkungen wieder eine Opposition sammelte, die ihre eigene Kultur hervorbrachte. Marina Achenbach: „Jetzt gab es Bühnen und Kontakte über die ganze Bundesrepublik hin und ins Ausland. Das Wort ‚Vernetzung’ war nicht üblich, aber genau das lief ab, die Netze bildeten sich erstaunlich schnell.
Für Fasia war das mit Herausforderungen ohnegleichen verbunden, sie wurde zur Lernenden, schrieb auch eigene Liedtexte und Melodien. Sie sang von nun an auf zahllosen Bühnen, in kleinsten Räumen und in Stadien oder Hallen mit 20.000 Leuten, sie sang auf der Burg Waldeck, in Streiklokalen, Schulen, Gewerkschaften, Kirchengemeinden und auf Kirchentagen, vor Fabriktoren, bei internationalen Konzerten in Turin, Bologna, Paris, auf der Krim in der Sowjetunion. Nach ihrem Auftritt am 1. Mai 1965 in Bologna erschienen in Italien erste Schallplatten von ihr. 1966 erhielt sie den Zweiten Preis des Südwestfunks und wurde 1969 auch bei Internationalen Chanson-Festival in Sotschi geehrt.“

Am 21. November 1981 stand sie in der Dortmunder Westfalenhalle bei „Künstler für den Frieden“, mit Hanna Schygulla, Udo Lindenberg, André Heller, Curt Bois, Esther Bejarano, Harry Belafonte, Dietmar Schönherr, Erika Pluhar, Hannes Wader und Dieter Süverkrüp auf der Bühne, war bei vielen Aktionen anzutreffen, fragte nie nach der Höhe von Gagen. Das wenige, was sie bekam, teilte sie. Fasia war überall; setzte sich gegen jede Form von Unterdrückung ein, in den späteren Jahren besonders für die Rechte der Frauen. Als sie vom Kampf der Heintze-Frauen in Gelsenkirchen um gleichen Lohn für gleiche Arbeit erfuhr, half sie ihnen bei ihren Aktionen vor dem Betrieb, auf der Strasse, vor dem Arbeitsgericht. Ihr Song „Keiner, keiner schiebt uns weg!“ wurde nicht nur für diese kämpfenden Arbeiterinnen zur Hymne.

Eine-Welt-Laden „Vier Himmelsrichtungen“


Viele Jahre engagierte sie sich im Oberhausener Eine-Welt-Laden „Vier Himmelsrichtungen“, den sie gemeinsam mit ihrer Freundin Ellen Diederich aufgebaut hatte. Dort finden sich kleine Kostbarkeiten aus allen Kontinenten, die sie von ihren Friedensreisen und -märschen mitbrachten, kulturelle Zeugnisse von der Vielfalt der Frauenkreativität in aller Welt – Textilien, Schmuck, Kunst, Handarbeiten, Musikinstrumente und vieles mehr. Natürlich verstand Fasia es, von jedem Stück eine kleine Geschichte zu erzählen, um damit die Leute wissbegieriger und kauffreudiger zu machen. „Schließlich fließt doch der jeweilige Erlös zurück in die internationalen Frauenprojekte, die brauchen doch immer Geld für ihre Arbeit und – Solidarität.“ 

Fasia Jansen
 










Alle Fotos: Fasia-Jansen-
Stiftung e.V.


Es entstanden Filme mit und über Fasia, so im Jahre 1977 der WDR-Film „Hungerstreik in Duisburg“ über die Verteidigung der Zechenhaussiedlung Rheinpreußen gegen den Abriss durch Spekulanten. Es gibt tausende Fotos, hunderte Musik- und Videokassetten, selbst gemachte Liederhefte. Fasia sammelte alles, wollte alles archivieren und dokumentieren, um es den Menschen zu zeigen, damit sie voneinander lernen und Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen. Sie übernahm den Vorsitz im Internationalen Frauen-Friedensarchiv (IFFA), das von ihr und Ellen Diederich 1989 gegründet wurde und die Arbeit der Frauen für Frieden, ihren Widerstand gegen Krieg, Gewalt, Globalisierung, Zerstörung der Ökologie sichtbar macht.
Ihre Arbeit im Friedensarchiv nahm sie ungeheuer ernst. Doch ohne das Geld einer Stiftung aus Texas, das sie für ihre Friedensarbeit erhielt, wären ihre internationalen Aktivitäten nicht möglich gewesen. Fasia selbst hatte kein Geld. Im Alter musste sie von der Sozialhilfe helfen.

„Sie brachte Menschen in Bewegung“

Vor zehn Jahren starb diese trutzige Frau und Troubadora, die auf die ihr immer wieder gestellte Frage nach dem Grund ihres enormen Einsatzes für Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit erklärte: „Ich bin am Leben geblieben, aber die jüdischen Frauen, mit denen ich zusammen war, sind alle vernichtet worden. Das ist der Grund, warum ich politische Lieder singe!“


Hannes Wader, der Sängerkollege, sagte über die Ehrenbürgerin von Oberhausen: „Sie war vielleicht die authentischste Sängerin von uns allen. Weil sie das alles auch selbst und für alle offen lebte. Sie hatte einen einzigartigen, leuchtenden Charakter, die Frau.“ Dass sie Menschen in Bewegung brachte, belegt der Brief einer junge Frau in ihrem Nachlass: „Was Du nicht wissen kannst, weil ich bisher nie darüber gesprochen habe, ist die Tatsache, dass Du durch Dein politisches Engagement unbewusst dazu beigetragen hast, dass ich diesem unserem Lande wieder mehr Interesse entgegen bringe. Und ich heute der Überzeugung bin, dass man überall auf der Welt sich gegen politische und soziale Ungerechtigkeit einsetzen kann und muss, in erster Linie in dem Land, in dem man lebt, auch wenn oder gerade weil man zu einer unerwünschten Minderheit gehört.“ (CH)

Mehr unter www.fasia.de

Fasia Jansen Buch Marina Achenbachs Buch:
„Fasia. Geliebte Rebellin“
,
Bildband mit CD, erschienen im
ASSO Verlag Oberhausen, 304 Seiten, Hardcover, 29.80 Euro,
assoverlag (at) aol.com


Der Film „Hungerstreik in Duisburg – Der Kampf um den Erhalt der Rheinpreußensiedlung“ erhielt 1978 den Adolf Grimme-Preis in Gold. Auch Fasia Jansen nahm an diesem drei Jahre dauernden am Ende erfolgreichen Kampf bei Solidaritätsveranstaltungen vor dem Duisburger Rathaus teil. www.kaos-archiv.de – DokFilme.


Fußnote:
[1] Geboren wurde Gerd Semmer am 21.12.1919 in Paderborn. Nach Schneiderlehre und Schneidermeisterarbeit im väterlichen Geschäft holte er das Abitur nach, studierte in Wien Theaterwissenschaft, nach dem Krieg in Marburg Germanistik, Romanistik und Kunstgeschichte, arbeitete bei Erwin Piscator als Regieassistent, später als Sekretär. Ab 1953 lebte er in Düsseldorf, wo er die satirische Zeitschrift „Deutscher Michel“ redigierte und ab 1956 als freier Schriftteller arbeitete. Er übersetzte und schrieb Chansons, entdeckte und förderte Sänger und bemühte sich um die Entwicklung des deutschen politischen Liedes. So war er gemeinsam mit Dieter Süverkrüp an der Veröffentlichung von „Ca ira – Lieder der französischen Revolution” beteiligt, die einen wichtigen Beitrag für eine kritische Kultur in jenen Jahren darstellte. Im November 1967 starb Gerd Semmer nach jahrelanger Krankheit in Ratingen.


Online-Flyer Nr. 127  vom 02.01.2008

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