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Medien
Die Tagesshow - Wie man in 15 Minuten die Welt unbegreiflich macht
Teil 4: Botha, Ecevit und Orhan Pamuk
Von Walter van Rossum

In Teil 2 dieser Serie zitierte Walter van Rossum nicht ohne Ironie aus dem „Nachrichtengrundgesetz für die Tagesschau“, das deren ehemaliger Chefredakteur Henning Röhl in einem Buch über seine Arbeit dargestellt hatte. Einer der „Grundgesetzartikel“ lautet: „Die Tagesschau will nicht indoktrinieren, sondern informieren.“ Wie grundgesetztreu ARD-aktuell ist, können Sie dem folgenden Ausschnitt aus dem Buch des Publizisten entnehmen. – Die Redaktion.
Die große Mehrheit der Journalisten sieht ihre Aufgabe darin, die Gesellschaft vor den finsteren und komplexen Realitäten zu beschützen. Also besteht ihre Geschicklichkeit u.a. darin, sehr genau zu unterscheiden, wo die Politik „humanitäre“ Miseren wahrzunehmen wünscht, die sie demnächst mit Napalm zu löschen gedenkt, um Schurken und Barbaren auszumerzen, und wo sich humanitäre Wahrnehmung zur Zeit nicht empfiehlt.

„Pieter Willem Botha ist tot“

In diesem Sinne war Pieter Willem Botha kein Schurke, wenn man der Tagesschau vom 1. November 2006 folgt, die Botha staatsmännisch binnen knapp dreißig Sekunden in die Ewigkeit verabschiedet. „Der ehemalige südafrikanische Präsident Pieter Willem Botha ist tot“, liest die Sprecherin vor. „Er starb im Alter von 90 Jahren.“ Dann folgt als NiF (Nachricht im Film) eine Würdigung: „Botha war von 1978 an Regierungschef und später Staatschef Südafrikas. Er war der letzte Spitzenpolitiker des Landes, der die Rassentrennung verteidigt hat.“


Botha – „versöhnliche Töne“ von Mandela
Quelle: www.southafrica.to
 Das ist zweifelsohne unwahr, denn noch heute gibt es in Südafrika weiße „Spitzenpolitiker“, die die Rassentrennung „verteidigen“, sie müssen sich bloß den neuen Verhältnissen anpassen. Und der Rassismus ist mit Botha in Südafrika gewiss auch nicht ausgestorben, wie uns die Bilder suggerieren sollen, die dem Kommentar unterlegt sind: Botha vertraulich mit Nelson Mandela auf dem Sofa plaudernd.

Die Sprecherin weiter: „Sein langjähriger Widersacher Nelson Mandela fand dennoch versöhnliche Töne.“ Jetzt sieht man Botha und Mandela beim Shakehands-Spiel. Botha sei derjenige gewesen, der die ersten Schritte für ein Ende der Rassendiskriminierung eingeleitet habe. Auf der Bildebene begeben sich Botha und Mandela jetzt einträchtig in den Garten. „Botha wird in der kommenden Woche im Familienkreis beigesetzt.“ Das heißt, es gibt kein Staatsbegräbnis. Was die Tagesschau lieber nicht berichten möchte: Die Familie hatte das abgelehnt. Eine unbelehrbare Koryphäe des Rassismus möchte schließlich nicht von Bimbos zu Grabe getragen werden.

Wenn Nelson Mandela die menschliche Größe hat und unter dem enormen Druck der Integrationspolitik in Südafrika sich genötigt sieht, Bothas Ableben mit einer versöhnlichen Geste zu begleiten, dann erlaubt das der Tagesschau noch lange nicht, Mandela als eine Art Onkel Tom zu präsentieren, der dem großen weißen Mann nachtrauert. Mandela war übrigens keineswegs der „Widersacher“ von Botha, sondern sein prominentester Häftling, der 27 Jahre in Gefängnissen gesessen hatte, also länger, als die gesamte Regierungszeit Bothas währte, und er ist erst 1990 unter Bothas Nachfolger F. W. de Klerk aus dem Victor-Verster-Gefängnis bei Paarl entlassen worden.

Tatsächlich war Botha der erste südafrikanische „Spitzenpolitiker“, der erkennen musste, dass das grausame Apartheidregime nicht zu halten sein würde, und der dennoch mit einer Politik minimalster Zugeständnisse und brutalster Staatsgewalt versucht hat, es zu erhalten. Erst nach seiner Ablösung durch de Klerk 1989 konnte der Prozess der Aufhebung der Rassentrennung knirschend in Gang kommen.

Im Übrigen war Pieter Willem Botha kein Amateur, der sich mit ein bisschen „Rassendiskriminierung“ begnügt hätte. In Südafrika ging es nach 1948 um nichts anderes als um eine systematische Apartheid, Rassentrennung, eine Biopolitik, die den Schwarzen die Menschenrechte verwehrte. Einige Bilder von Soweto und anderen Townships wären da ein wenig informativer und wohl auch angemessener gewesen. Doch die entsetzliche Realität des südafrikanischen Rassismus hat in den TV-Nachrichten selten eine große Rolle gespielt, ebenso wenig die verheerenden Kriege, die Botha in Mozambique, Namibia oder Angola angezettelt und unterstützt hat – seinerseits wiederum freundlich unterstützt von den weißen Brüdern im Norden. Kriege, in denen mindestens anderthalb Millionen Menschen ihr Leben gelassen haben. Und schließlich müsste sich herumgesprochen haben, dass Bothas Südafrika zusammen mit Israel an illegalen Atomwaffenprogrammen gearbeitet hat. Nein, Mandela hat gewaltig geflunkert bei seinen letzten Bemerkungen über Botha. Er wird wissen, warum. Doch die Art und Weise, wie die Tagesschau hinter dieser noblen Geste einen der großen humanitären „Gangster“ des 20. Jahrhunderts versteckt, erweckt schon Bewunderung für so viel ideologische Maßarbeit.

Nachruf auf Bülent Ecevit


Bülent Ecevit – nach dem Nachruf kam Stoiber
zu Wort

Quelle: dolmakalem.org
 Wenige Tage später vermeldet die Tagesschau den Tod von Bülent Ecevit, der von 1974 bis 2002 mehrfach sozialdemokratischer Ministerpräsident der Türkei war. Diesmal nimmt sich die Sendung über anderthalb Minuten Zeit, um einen verstorbenen Politiker kritisch zu würdigen. Zweimal wird gesagt, dass es Ecevit zu verdanken sei, dass die Türkei den Status eines EU-Beitrittskandidaten erhalten habe. Anlass genug, den Nachruf als Kurzbericht über ein Land zu nutzen, das jenseits unserer zivilisatorischen Vorstellungen agiert. Die Kunst des Nachrufs findet ihr Echo in der Tagesschau vom folgenden Tag, wo zwei Minuten lang darüber berichtet wird, dass der bayrische Ministerpräsident Stoiber ein Ende der Verhandlungen mit der Türkei fordert.

Warum Orhan Pamuk nicht nach Deutschland kam

Für die Tagesschau liegen Literatur, Philosophie und Reflexion normalerweise außerhalb ihres Sendegebietes. Manchmal bieten sich jedoch glückliche Ausnahmen an. Zum Beispiel wenn es um den türkischen Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk geht, der von den deutschen Medien im Allgemeinen und von der Tagesschau im Besonderen als unser Mann in Ankara gehandelt wird, da er sich kritisch mit den türkischen Realitäten auseinandergesetzt hat, speziell was den Umgang mit den ethnischen Minderheiten angeht. Hätte indes ein Tagesschau-Redakteur sich einmal die Mühe gemacht, die Romane Pamuks zu lesen, dann wäre die Sache nicht mehr so adrett eindeutig. Beispielsweise erzählt der Roman „Schnee“ auch vom schrägen europäischen Blick auf die Türkei, er handelt von einer sehr viel komplexeren türkischen Realität, die das unerträglich schlichte Schema von ‚böse Traditionalisten versus gute Modernisierer’ bei Weitem übersteigt. Genau das Schema, in das viele unserer Kommentatoren Pamuk gerne zwängen wollen. 

Nun hat Orhan Pamuk am 31. Januar 2007 seine seit langem geplante Deutschlandreise abgesagt. Für die Tagesschau war der Fall natürlich klar: „Hintergrund sind offenkundig Drohungen gegen Pamuk nach dem Mord an Hrant Dink. Beide hatten sich in der Türkei kritisch über die Massaker an Armeniern im Ersten Weltkrieg geäußert. Allein die Erwähnung dieses Konflikts kann in der Türkei bestraft werden.“ Soweit die vom Sprecher verlesene Nachricht.


Orhan Pamuk – ausgezeichneter Vorwand für die Tagesshow
Quelle: www.kurdeparis.org

Dann folgte ein Filmbericht: „Orhan Pamuk umringt von Sicherheitsbeamten. Seit dem Mord an seinem Freund Hrant Dink befürchtet er ein ähnliches Schicksal. Wie Dink kritisiert auch Pamuk den Umgang mit den Kurden und wirft der Türkei Völkermord an den Armeniern während des Ersten Weltkriegs vor. Reisen sind dem Autor jetzt zu riskant. In Deutschland reagiert man auf die Absage bestimmt und fordert: [Es folgt ein Statement von Volker Beck von den Grünen] ‚Die türkische Regierung muss sich jetzt um ein anderes innenpolitisches Klima in der Türkei kümmern, und dabei spielt die Streichung des Strafparagraphen über die Beleidigung des Türkentums eine zentrale Rolle. Das ist eine Strafbestimmung, die ist eines’ - und hier gerät Beck leicht ins Stottern - ‚europäischen Staats nicht würdig.’“

Die Tagesschau sollte Volker Beck vielleicht mal höflich an den § 90a des Strafgesetzbuches erinnern, in dem es um die Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole geht. Gefängnis bis zu drei Jahren, in besonderen Fällen bis zu fünf Jahren drohen da dem, „wer öffentlich in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften 1) die Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder oder ihre verfassungsmäßige Ordnung beschimpft oder böswillig verächtlich macht 2) die Farbe, die Flagge, das Wappen oder die Hymne der Bundesrepublik Deutschland oder einer ihrer Länder verunglimpft“.

Pamuk hat Angst vor den türkischen Nationalisten. Das mag sein. Gesagt hat er es aber nicht. Warum aber sollte er vor türkischen Nationalisten in Deutschland mehr Angst haben als in der Türkei? Tatsache ist, dass Pamuk seine Reise ohne Angabe von Gründen verschoben hat. Das hätte einen aufmerksamen Journalisten stutzig machen müssen. Für die Tagesschau heißt das aber bloß, dass sie die Gründe jetzt selbst erfindet. Pamuk liefert einen ausgezeichneten Vorwand, das Lieblingsspiel der EU-Staaten im Umgang mit der Türkei zu spielen. An der Frage der Anerkennung des Völkermords an Armeniern soll sich die zivilisatorische Qualität der Türkei entscheiden.

Man stelle sich das einmal umgekehrt vor: Die Türkei könnte Deutschland nur dann moralisch ernst nehmen, wenn sich Deutschland zum ersten furchtbaren Völkermord im 20. Jahrhundert bekennt, dem bestialischen Massaker der kaiserlichen Truppen an 100.000 Hereros und Hottentotten in Deutsch-Südwestafrika im Jahre 1904. Anlässlich des 100. Jahrestags der Ereignisse bekundeten offizielle Stellen kürzlich, es gebe keinen Grund zur Staatstrauer. Und wie wäre es, wenn man den Franzosen aufgäbe, Folter und Ermordung von Hunderttausend Algeriern endlich ins Nationalbewusstsein zu heben? Stattdessen gibt es in Frankreich eine Verordnung, den Kolonialismus als zivilisatorische Leistung in den Schulen zu lehren. Fast schon komisch wäre schließlich die Forderung, dass die Deutschen sich doch erst mal zu ihrem Anteil am Völkermord an den Armeniern bekennen sollten.

Für die EU ist die Frage über den armenischen Völkermord ein reines außenpolitisches Druckmittel. Und es ist nur wahrscheinlich, dass Orhan Pamuk keine Lust mehr hatte, von den deutschen Medien als Europapolitiker instrumentalisiert zu werden. So stellt es in der Stuttgarter Zeitung auch Sibylle Thelen dar, die im Gegensatz zu den meisten anderen Berichterstattern die Türkei, türkische Literatur und Pamuk kennt: „Das sind die gefährlichen Momente eines so genannten Brückenbauers, nämlich jene, in denen es gar nicht mehr darum geht, was der Brückenbauer gesagt hat, sondern viel mehr darum, was sich mit seinen Aussagen anstellen lässt: Die einen zimmern daraus eine bösartige Anklageschrift zurecht. Und die anderen, die auf eine derartige Reaktion nur gewartet haben, schwelgen in ritualisierter Empörungsrhetorik über die schlimme nationalistische Türkei.“ Für die wiederum Volker Beck in der Tagesschau das geradezu idealtypische Beispiel liefert. Es sieht also ganz danach aus, als befinde sich Orhan Pamuk weniger auf der Flucht vor türkischen Nationalisten, als vielmehr vor der Berichterstattung, die die Tagesschau beispielhaft intoniert.

Man stelle sich vor, die Kritik eines deutschen Schriftstellers an seiner Gesellschaft würde begeistert von Wladimir Putin und seiner Presse gefeiert und Teil der russischen Außenpolitik werden. Man muss sich das genau vor Augen halten: Die Tagesschau irrt sich nicht bloß, sondern sie erfindet Informationen, damit Vorgänge in ein bestimmtes bereitliegendes politisches Deutungsschema passen. Und so gesehen, macht es dann Sinn, dass Pamuk seine Absage nicht öffentlich begründet. Wahrscheinlich hat er das Vertrauen in eine korrekte Berichterstattung einfach aufgegeben.

Wenige Tage später befindet sich Pamuk dann doch endlich auf der Flucht ins Ausland, zumindest in der Wahrnehmung des NDR Kulturjournals vom 5. Februar 2007. Da entdeckt ihn ein Filmteam auf dem Flughafen von Istanbul „getarnt mit einer Baseballkappe“. Ob man sich mit einer Baseballkappe tarnen kann - über das Maß an geradezu zwangsläufiger Entstellung durch dieses Bekleidungsstück hinaus -, dürfen wir bezweifeln, und ebenso, ob es sehr klug wäre für einen als Modernisierer in der Türkei angeblich gehassten Schriftsteller, sich ausgerechnet mit einer Baseballkappe zu tarnen. Die Reporterin hat einen Schriftsteller, der weiterhin - jetzt ohne Kappe - jede Auskunft verweigert, bei der Flucht ins sichere Amerika erwischt. „Keiner weiß, wann und ob er wiederkommt.“ Das ist Wort für Wort erfunden. In Wahrheit sieht es eher so aus, als befände sich Orhan Pamuk auf der Flucht vor seinen falschen Freunden.

Welche Schlüsse soll man aus diesen Beispielen ziehen? Entweder haben wir es mit mehr oder weniger zufälligen journalistischen Fehlleistungen zu tun, oder aber wir müssen uns von der hehren Phantasie befreien, die die öffentlich-rechtlichen Informationsarbeiter gerne über sich verbreiten. Derzufolge bieten sie nämlich einen möglichst objektiven und aufklärenden Informationsservice an. [Das Folgende eher Fazit der Untersuchung:] Es ist jedoch relativ leicht nachweisbar, dass die viel gerühmten öffentlich-rechtlichen Fernsehnachrichten alles andere als „objektiv“ berichten und dabei sorglos sämtliche journalistische Standards unterlaufen, auf die sie sich so gerne berufen. (PK)

Fortsetzung folgt in der nächsten NRhZ-Ausgabe

Walter van Rossum: „Die Tagesshow – Wie man in 15 Minuten die Welt unbegreiflich macht“ Köln – Kiepenheuer und Witsch – 2007, KiWI 1016, 200 S., 8,95 Euro,

ISBN: 978-3-462-03951-1


Online-Flyer Nr. 126  vom 19.12.2007

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