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Lokales
Verfassungsfeindliche Regelungswut in Sicherheitsfragen
„Schäuble raus“
Von Klaus Wockenfoth und Hans-Dieter Hey

Während viele Kölner am vergangenen Freitag lieber für Weihnachten einkauften, demonstrierten kritische Bürgerinnen und Bürger gegen die im Bundestag beschlossene Vorratsdatenspeicherung und den ausufernden Überwachungsstaat. Bundesweit haben sich inzwischen in der größten Klagewelle der Deutschen Rechtsgeschichte mehr als 13.000 Menschen deshalb an das Bundesverfassungsgericht gewandt, weil die Regierung von CDU und SPD damit eine Verfassungskrise heraufbeschworen hat.



Kölner protestieren für Erhalt des grundrechtlich geschützten Privatraums

Mit Transparenten und Rufen wie „Schäuble raus" und „Für die Freiheit, für das Leben, Schäuble aus dem Amte fegen!" zogen 500 DemonstrantInnen friedlich vom Albertus-Magnus-Platz bis zum Bahnhofsvorplatz und meinten damit den Namensgeber der Vorratsdatenspeicherung, Innenminister und Buhmann Wolfgang Schäuble (CDU). Eigentlich hätten sie auch Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) nennen müssen, die das Ganze in die entsprechenden Gesetze gegossen hatte.

Gutachten und Klageschrift vorenthalten: Brigitte Zypries

Ihre Rolle in der Sache ist besonders pikant, hatte sie doch vor der Abstimmung im Bundestag den Abgeordneten im Deutschen Bundestag eine Studie als „irrelevant“ vorenthalten, die sie selbst beim Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Auftrag gegeben hatte, und die schon seit dem 7. Juli vorliegt. Vielleicht hätte das für das Abstimmungsverhalten einiger Parlamentarier ausschlaggebend sein können. Auch 26 Abgeordnete der SPD hatten ihre Bauchschmerzen vorübergehend vergessen und unter Inkaufnahme eines Verfassungsbruchs ebenfalls zugestimmt. Laut Mitteilung von AP am 22. November warnt deshalb auch der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) davor, dass sich Deutschland in einer ernsten Verfassungskrise befinde. Auf dem Parteitag der BündnisGrünen am Wochenende bezeichnete deren Vorsitzende Claudia Roth die große Koalition wegen ihrer verfassungsfeindlichen Regelungswut als „Totengräber der Demokratie“.    


Eine Liebe, die gegenwärtig nicht auf Gegenliebe stößt
Quelle: Creative Commons/AK-Vorratsdatenspeicherung


Christoph Brüning von der Ortsgruppe Siegen des „Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung" am Freitag in Köln: „Als der Bundestag am 9. November über die Vorratsdatenspeicherung entschieden hat, wussten die Parlamentarier nicht, ob die bisherigen Mittel zur Strafverfolgung ausreichen oder nicht. Das Bundesjustizministerium unter der Leitung von Brigitte Zypries hat die entsprechenden Ergebnisse einer unabhängigen Studie nämlich zurück gehalten." Ebenso hatte die Sozialdemokratin die Herausgabe einer Klageschrift des Landes Irland mit der Begründung verhindert, die „Integrität" des Verfahrens könne gefährdet werden. Denn die Vorratsdatenspeicherung geht auf eine Initiative der EU zurück, gegen die Irland seit 2006 klagt.

Berlin wird nervös


Offensichtlich wird man nun in Berlin nervös, dass die ganze Sache doch noch kippen könnte. Ralf Bendrath vom Netzwerk Neue Medien am 9. November: "Drückt die Koalition noch kurz vorher eine Totalprotokollierung der Telekommunikation in Deutschland durch, verletzt sie nicht nur die Grundrechte von 80 Millionen Bürgerinnen und Bürgern, sondern verursacht auch vergebliche Millionen- bis Milliardenkosten für Wirtschaft und Verbraucher. SPD und Union sollten endlich einsehen, dass alle Signale auf Rot stehen und ein 'Weiter wie bisher' unweigerlich dazu führen würde, dass ein verfassungswidriges Gesetz eine nichtige EU-Richtlinie umsetzt. Das ist den Bürgern nicht zu mehr vermitteln".



Zur Zeit häufig zitiert: Faschismusforscher und Aufklärer Theodor W. Adorno

Die Kölner waren sich da nicht so sicher und hatten sich vorsichtshalber zum zivilen Protest entschlossen. In 40 Städten haben bisher Tausende gegen die Vorratsdatenspeicherung demonstriert. Sie wollen nicht, dass die Demokratie weiter gefährdet wird. So zitierte sogar  die Welt online am 25. November den Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar, der davor warnt, dass die Vorratsdatenspeicherung „vielfältige Missbrauchsrisiken mit sich bringt."


Aufhebung der Privatsphäre
Fotos: arbeiterfotografie


Annika Kremer von „Freiheit ist Sicherheit" auf der Abschlusskundgebung in Köln: „Die Politiker, die uns unsere Rechte nehmen, sagen, sie wollten unsere Sicherheit. Aber was sie wirklich meinen, ist nicht wahre Sicherheit, es ist allerhöchstens Risikovermeidung. Eine Gesellschaft völliger Risikovermeidung aber ist weder möglich, noch ist es überhaupt wünschenswert. Niemand möchte überwacht und bespitzelt werden, niemand möchte, dass der Staat in seiner Privatsphäre herumwühlt und in Bereiche eindringt, in denen er nichts zu suchen hat, in Dinge, die ihn nichts angehen. Niemand möchte als Verbrecher behandelt werden. Und daher rufen wir allen, die diesen Rechtsstaat einschränken wollen, zu: Nicht mit uns! Demokratie braucht keine Überwachung". Ein Teilnehmer aus Leipzig zeigte sich besonders betroffen: „Ich war vor 18 Jahren in Leipzig dabei, und ich finde es zum Kotzen, dass ich nun schon wieder in der Kälte stehen muss." (PK)

Online-Flyer Nr. 123  vom 28.11.2007

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