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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Wirtschaft und Umwelt
Deutsche Umwelthilfe musste Gabriels Umweltbundesamt erst verklagen
Erfolg im Prozess um Rußfilterskandal
Von Peter Kleinert

Eine schwere Schlappe erlitt das Umweltministerium von Sigmar Gabriel am Freitag vor dem Verwaltungsgericht Dessau. Das ihm unterstellte Umweltbundesamt (UBA) wurde aufgrund einer Klage der Deutschen Umwelthilfe e.V. (DUH) dazu verurteilt, alle ihm zur Verfügung stehenden Messdaten von Partikelfiltern herauszugeben. Nach Schätzung der DUH haben bis zu 60.000 Autohalter „unwissentlich weitgehend unwirksame und zum Teil den Motor gefährdende Betrugsfilter einbauen lassen“, um dadurch 330 Euro Kfz-Steuer zu sparen. Der den Autofahrern entstandene Schaden wird auf mehr als 60 Millionen Euro geschätzt.

Sigmar Gabriel
    Schwere Schlappe für „Naturdetektiv" Sigmar Gabriel
     Quelle: BMU


„Wir fordern die rückhaltlose Aufklärung des Rußfilterskandals. Die Verantwortlichen für die fast einjährige Vertuschung zentraler Untersuchungsdaten müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Sie sitzen im Bundesumweltministerium. Es kann nicht sein, dass jetzt ausgerechnet im Umweltbundesamt die Schuld für das eingetretene Desaster gesucht wird. Die dortigen Verantwortlichen wollten die Bevölkerung ausweislich der Gerichtsakten frühzeitig informieren und wurden aus der Leitungsebene des Ministeriums daran gehindert“, sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch nach dem Urteil.
 
„Kostenlosen Austausch garantieren!“
 
Um den Schaden für die Luftreinhaltepolitik in Deutschland nicht noch größer zu machen, sei es „unumgänglich, jetzt alle „funktionsuntüchtigen Filter zurückzurufen und den betroffenen Autohaltern einen kostenlosen Austausch gegen seriöse Systeme zu garantieren.“ Nur unter dieser Voraussetzung könne die Steuerbefreiung und die Höherstufung bei den Feinstaubplaketten für die Betroffenen Bestand haben.
 
Aufgrund des Urteils des Verwaltungsgerichts Dessau über die im Frühjahr angestrengte „Untätigkeitsklage“ der DUH erwartet diese nun weitere Erkenntnisse darüber, welche Informationen der Regierung bereits seit über einem Jahr vorliegen und warum eine frühzeitige amtliche Überprüfung der auffälligen Systeme ebenso unterblieb wie die ihrer Ansicht nach dringend notwendige Information der Bevölkerung. Auch das Kraftfahrtbundesamt (KBA) hatte laut DUH mehr als ein Jahr nach entsprechenden DUH-Informationen an die Bundesregierung gebraucht, um für nicht ausreichende Partikelfilter die Allgemeinen Betriebserlaubnisse zu löschen.
 
Erst nachdem die DUH den Skandal mit unwirksamen Partikelfiltern vor mehr als drei Monaten öffentlich gemacht hatte, reagierte das KBA in Flensburg mit der Anordnung und Durchführung von Wirksamkeitstests, die sich dann über volle vierzehn Wochen hinzogen. Inzwischen sind laut DUH sämtliche Mangelsysteme, die überprüft wurden, bei der amtlich angeordneten Nachprüfung wegen unzureichender Filterleistung durchgefallen.
 
Acht statt dreißig Prozent Filterwirkung
 
Katalysator IAA Gat-Filter
GAT-Werbung auf der IAA                                         
Quelle: gat-kat
Unmittelbar vor dem Gerichtstermin hatte das Umweltbundesamt einen Teil der Untersuchungen veröffentlicht, von deren Inhalten die DUH seit Herbst 2006 erfolglos und schließlich mit Hilfe eines Einsichtbegehrens nach Umweltinformationsrecht Kenntnis erlangen wollte. Danach belief sich laut DUH die Filterwirkung des GAT-Filters auf gerade einmal acht Prozent – gegenüber vorgeschriebenen mindestens dreißig Prozent. Den strittigen wesentlichen Teil der Untersuchung aus dem Jahre 2006 aber hielt das UBA hingegen – auf Weisung des Bundesumweltministeriums – weiterhin unter Verschluss.

Entgegen Zusagen des Kraftfahrzeuggewerbes stellte die DUH in einer Umfrage unter Automobilwerkstätten fest, dass insbesondere die Ketten Pit-Stop in zehn von fünfzehn befragten Betrieben und Vergölst in sechs von vierzehn Betrieben die mangelhaften Filter von GAT, Tenneco/Walker bzw. Ernst-Apparatebau (Hagen) weiter anbieten. Bisher unbekannt sei überdies, dass auch die von den Herstellern Landrover und Jaguar eingebauten Original-Nachrüstfilter betroffen sind. Testanrufe bei den jeweiligen Markenwerkstätten hätten ergeben, dass diese Filter ebenfalls weiter angeboten werden, obwohl es sich auch hier um GAT-Systeme handelt. Gegen die Firma GAT aus Gladbeck laufen deshalb laut DUH inzwischen staatsanwaltliche Ermittlungen.
 
„Ein Jahr Schweigen ist genug!“
 
Die DUH wirft dem Bundesverkehrs- und dem Bundesumweltministerium vor, die Öffentlichkeit und insbesondere Fahrzeughalter, die ihre Diesel-Pkw nachrüsten wollen, bis heute nicht vor den Betrugsfiltern der Hersteller GAT, Tenneco/Walker und Bosal und Ernst-Apparatebau gewarnt zu haben. Stattdessen hätten die zuständigen Ministerien zugelassen, dass die betreffenden Unternehmen über drei Monate hinweg Nebelkerzen werfen und sich fälschlich auf reine „Formfehler“ oder „unterschiedliche Interpretationen von Prüfvorschriften“ herausreden konnten. „Ein Jahr Schweigen ist genug – wir fordern die zuständigen Bundesminister Wolfgang Tiefensee und Sigmar Gabriel auf, den Bundesbürgern endlich reinen Wein einzuschenken“, fordert DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch.
 
Keine Wirkungskontrollen
 
Wesentlicher Hintergrund für den Partikelfilterskandal sind laut DUH schwerwiegende Mängel bei den Zulassungsbestimmungen für Partikelminderungssysteme (geregelt in der Anlage 26 zur Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung, StVZO). Der dort festgeschriebene vollständige Verzicht auf Wirkungskontrollen der Systeme bei der Zulassung durch das KBA, das Fehlen eines praktikablen Kurztests sowie der Verzicht auf eine Funktionskontrolle von Filtern im Rahmen der sogenannten „periodischen Abgasuntersuchung“ (AU) habe offensichtlich Unternehmen zur Entwicklung unwirksamer Systeme motiviert.
 

Auch im Landrover –
nicht ausreichende Partikelfilter

Quelle: KFZ Schweizer
Als die DUH Mitte August die Bundesbürger öffentlich vor diesen Betrugsfiltern warnte, schwiegen die Behörden zu diesen Vorwürfen. „Die Öffentlichkeit täuschte GAT mit der Erklärung, man habe lediglich versehentlich technische Modifikationen an den Filtersystemen nicht gemeldet, es handele sich also um „Formfehler“, die nun geheilt würden. Die Filterwirksamkeit hingegen sei auf jeden Fall gegeben“, so die DUH. Gleichzeitig ging GAT gegen die DUH vor Gericht vor und verwickelte - wie auch der Hersteller Bosal - die Umwelt- und Verbraucherschutzorganisation in diverse Rechtsverfahren.
 
Aussagen im SPIEGEL „ganz offensichtlich unwahr“
 
Zu den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Essen gegen GAT wegen des Verdachts auf Urkundenfälschung, erklärte ein GAT-Sprecher gegenüber SPIEGEL-Online: „Bewusst falsche Werte in den Antragsunterlagen sind uns nicht bekannt". Diese Aussage ist laut DUH „ganz offensichtlich unwahr“. Nach ihren Informationen wurden beispielsweise Original-Messprotokolle eines bereits im Jahr 2006 an einem Landrover getesteten GAT-Systems, die das Versagen des Filters auswiesen, „in ihr Gegenteil verkehrt“: Die negativen Ergebnisse seien sowohl in den Prüfberichten als auch in den dazugehörigen Messprotokollen in positive Werte umgewandelt und als Grundlage für die beim KBA eingereichten Anträge auf Allgemeine Betriebserlaubnis (ABE) verwendet worden.
 
Das Kraftfahrtbundesamt hat der DUH inzwischen bestätigt, erstmals durch ihre Pressemitteilungen im August 2007 überhaupt auf die Betrugsfilter aufmerksam geworden zu sein. „Die bisherige Regelung, vollständig auf amtliche Wirksamkeitskontrollen zu verzichten, muss schnellstmöglich korrigiert werden“, fordert Jürgen Resch von der DUH. Weil die zuständigen Behörden die Fehlerhaftigkeit der Prüfvorschrift hinsichtlich der geforderten Kontrolle weiterhin ignorieren, werde die DUH noch im Dezember ein Experten-Fachgespräch zur Entwicklung geeigneter Kurztests einberufen. Auf dieser Basis solle die Bundesregierung dann gedrängt werden, einen praktikablen Wirksamkeits-Kurztest für Partikelminderungssysteme zu entwickeln und im Rahmen der periodischen Abgasuntersuchungen (AU) vorzuschreiben. 

ARD-Ratgeber: Kein Wort über die DUH 

Am Samstagnachmittag befaßte sich endlich auch der ARD-Ratgeber Auto+Verkehr mit dem Skandal und versprach seinen Zuschauern exklusive Enthüllungen zum Thema. "Enthüllt" wurde in der Sendung nichts Neues, aber verschwiegen: Mit keinem Wort erwähnt wurde die Deutsche Umwelthilfe, die den Skandal tatsächlich ans Licht gebracht und nun durch ihren erfolgreichen Prozess das Bundesumweltministerium gezwungen hat, Umweltbundesamt und Kratfahrtbundesamt endlich von der Leine zu lassen - gegen die oben genannten Filterhersteller und im Interesse der um schätzungsweise mehr als 60 Millionennen Euro betrogenen DieselautofahrerInnen. 

Am Mittwoch schließlich gab Gabriel dem von der DUH ausgelösten öffentlichen Druck nach: Autofahrer können nun wirkungslose Rußfilter in ihren Diesel-Fahrzeugen kostenlos austauschen lassen. Darauf hätten sich Regierung und die Verbände von Kraftfahrzeughandel und Werkstätten geeinigt, teilte der Minister mit. Nach seiner Kenntnis seien nur rund 40.000 Fahrzeuge betroffen. Autofahrer, die nicht austauschen wollen, müssen laut Gabriel die Steuerentlastung von 330 Euro nicht zurückzahlen, was bei den Umweltorganisationen heftigen Protest auslöste. (PK)

Online-Flyer Nr. 123  vom 23.11.2007

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