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Aktueller Online-Flyer vom 08. Mai 2024  

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Literatur
Rezension: „Die nationale Befreiungsrevolution Vietnams"
Vietnam: Erfahrungen, Lehren und Perspektiven
Von Heinz-W. Hammer

Vietnam – wie stolz das klingt! Unweigerlich schieben sich Erinnerungen und Bilder vor das geistige Auge. Da sind die heute noch weltweit im Einsatz befindlichen, gigantischen US-Langstreckenbomber B 52, die um die halbe Welt flogen, um ihre tödliche Last über einem Land abzuwerfen, das weder die meisten GIs noch ihre Kriegsherren auf der Landkarte zu finden in der Lage waren... das Massaker von Son My (My Lay) im März 1968 unter US-Leutnant Calley, bei dem über 500 vietnamesische Zivilisten abgeschlachtet wurden...

Da ist das damals neunjährige Mädchen Phan Thị Kim Phúc, das nahe Trang Bang im Juni 1972 napalmverbrannt, schreiend und nackt neben anderen Kindern aus dem Dorf lief. Da ist der damals 34jährige NFL-Genosse Nguyễn Văn Lém, der im Februar 1968 durch einen aufgesetzten Kopfschuss durch den Polizeichef von Saigon vor den Kameras westlicher Reporter ermordet wird. Da sind aber auch die Bilder von den Volkstunneln, aus denen heraus der Guerrillakrieg organisiert wurde.

Da sind die hoffnungsfrohen Lieder vom Oktoberklub, die wir damals bei Veranstaltungen und Demonstrationen sangen und schließlich die TV-Bilder vom April 1975, als ein T-54-Panzer der Befreiungskräfte das schmiedeeiserne Tor des Saigoner Präsidentensitzes, durchbricht und vom Dach der US-Botschaft hochrangige US-Militärs mittels Faustrecht um die Plätze in den letzten flüchtenden Helikoptern kämpfen. Am nächsten Tag schallte es bei den 1.Mai-Demonstrationen durch viele Städte der Welt: „Alle auf die Straßen – Rot ist der Mai! Alle auf die Straßen – Vietnam ist frei!“


Kim Phúc und die Kriegsverbrechen mit Napalm – bis heute unvergessen
Quelle: www.kimfoundation.com

Hòa Binh – Frieden hatte sich das vietnamesische Volk erkämpft, nach jahrzehntelangem Krieg, nach Unterdrückung und unter unendlichen Leiden. Angesichts des scheinbaren globalen Durchmarsches des Imperialismus in der heutigen Zeit ist die Frage nicht nur angebracht, sondern von großer Aktualität: Wie konnte das damals wie heute mächtigste Imperium der Weltgeschichte durch einen so offensichtlich zahlenmäßig und militärisch unterlegenen Gegner besiegt werden? Antworten hat Gerhard Feldbauer, promoviert in vietnamesischer Geschichte, der von 1967-1970 zusammen mit seiner Frau Irene als Korrespondent in Vietnam, Laos und Kambodscha arbeitete, in seinem neuen Buch anzubieten. Nach den 2005 erschienenen Erinnerungen [1] hat der Autor nun eine historische Studie vorgelegt, die sowohl spannend zu lesen ist als auch immer wieder Parallelen zur aktuellen Weltlage zieht und somit zu weiteren Schlussfolgerungen anregt.

Bereits im Vorwort von „Die nationale Befreiungsrevolution Vietnams – Zum Entstehen ihrer wesentlichen Bedingungen von 1925 bis 1945“ wird betont, „dass aktuelle Entwicklungen in Lateinamerika, Asien und Afrika dringend erfordern, die revolutionären Erfahrungen aus Ländern wie Vietnam und Kuba (...) auszuwerten.“ Die KP Vietnams wird aktuell als eine „nicht gewendete“ marxistisch-leninistische Partei eingeordnet, die sich – entgegen manch anderen ehemals kommunistischen Parteien – uneingeschränkt auch auf Lenin stützt.

Das erste Kapitel des Buches ist angemessener Weise der unbestreitbaren Führungspersönlichkeit Vietnams, Ho Chi Minh, gewidmet, den Gerhard und Irene Feldbauer selbst mehrmals persönlich getroffen haben. „Onkel Ho“ wird als faszinierende Persönlichkeit beschrieben, der auch nach seinem Tod im Kampf seines Volkes fortlebt. Der „unbestrittene Führer, Leninist, Mitbegründer der FKP, Wegbereiter der Partei und Vater der nationalen Minderheiten“ – so einige der Zwischenüberschriften – wird in seiner ganzen, vielschichtigen Persönlichkeit geschildert. Dabei erinnern die dargestellten geistigen, moralischen, politischen und militärischen Führungsqualitäten Ho Chi Minhs in mancherlei Beziehung sehr an den kubanischen Nationalhelden José Martí (1853-1895), der ebenfalls einen Massenkampf gegen ausländische, imperialistische Okkupanten anführte. Und noch ein weiterer zentraler Punkt weist Parallelen zu Kuba auf: „Die vietnamesische KP bewies seit ihrer Gründung, dass man die Mehrheit des Volkes in der revolutionären Aktion gewinnt und dass diese nicht erst begonnen werden kann – was auch heute noch eine weit verbreitete Illusion ist – wenn die Hauptmasse zum Kampf bereit ist.“

Ho chi minh vietnam
Ho Chi Minh
Vietnamesisches Gemälde           
Feldbauer räumt im II. Kapitel mit dem reaktionären Vorurteil auf, dass Vietnam und andere Länder des Trikont im 19. Jahrhundert „im Zustand sozialökonomischer Zurückgebliebenheit und unter mittelalterlichen Feudalverhältnissen existiert“ hätten, denen erst durch die kolonialistischen Heilsbringer Fortschritt und Zivilisation zuteil geworden wären Das Gegenteil ist der Fall und wird für den Zeitraum ab 1772 akribisch belegt: Vietnam „befand sich an der Schwelle zu einer zwar etwas verspäteten aber entwicklungsfähigen Etappe einer bürgerlichen Gesellschaft.“ Die antifeudale Entwicklung des Landes wurde in erster Linie von der kolonialen Eroberung durch Frankreich seit 1790 erstickt.

Die hierdurch entstehende „typisch kolonial deformierte sozialökonomische und Klassenstruktur“ wird im III. Kapitel in großer Ausführlichkeit und mit fundiertem Zahlenmaterial beschrieben. Dies führt zum Verständnis für die kaum beschreibbare Massenverelendung der breiten Volksschichten, während zugleich der materielle Reichtum in das kolonialistische „Mutterland“ Frankreich abfloss. Die extreme politische Unterdrückung korrespondierte mit den brutalsten Mitteln der Ausbeutung. Aus dem umfassenden Zahlenmaterial sei stellvertretend eine Ziffer herausgegriffen: „Zwei Millionen Vietnamesen wurden unter der französischen Kolonialherrschaft Opfer wiederkehrender Hungersnöte.“ Der sich entwickelnde Massenkampf der Bauern und Arbeiter hatte unter den gegebenen Bedingungen von Beginn an einen Doppelcharakter, indem er sich gegen die ausländische Kolonialmacht sowie gegen die nationale Bourgeoisie richten musste.

Feldbauer schlussfolgert: „Aber erst mit der Arbeiterklasse und ihrer revolutionären Partei entstand in Vietnam die führende Kraft der gesellschaftlichen Entwicklung. Das Bündnis beider Klassen erwies sich in den folgenden Jahrzehnten als die entscheidende Kraft im Kampf gegen das kolonial-feudale Joch, in dem nationale und soziale Ziele untrennbar miteinander verbunden waren und der im August 1945 mit dem Sieg der ersten Befreiungsrevolution in einem kolonial unterdrückten Land nicht nur zur Proklamation der Unabhängigkeit führte, sondern den Beginn des Zerfalls des ganzen imperialistischen Kolonialsystems einleitete.“

Ho Chi Minh im Lijang-Fluss China 1961
Internationalist Ho Chi Minh im Lijang-Fluss in China, 1961
Foto: „Sozialistisches Eigentum
"

Das IV. Kapitel des Buches ist dem „Entstehen revolutionärer Organisationen mit kommunistischer Tendenz und dem Kampf um die Schaffung der Kommunistischen Partei“ ab 1925 gewidmet, wobei ein entscheidender politisch-ideologischer Schritt in der 1926 erschienenen Schrift „Der revolutionäre Weg“ von Ho Chi Minh besteht. Feldbauer verweist auf dessen internationalistisches Selbstverständnis: „Ho Chi Minh skizziert in dieser Arbeit bereits die Bedeutung des proletarischen Internationalismus, der Einheit des Kampfes aller kolonial unterdrückten Völker und der Verbundenheit des Kampfes mit dem der Arbeiter aller Länder.“

Der „historische Wendepunkt in der Geschichte des vietnamesischen Volkes“ wird auf den 3. Februar 1930, dem Zeitpunkt der Gründung der KPV, datiert, als vorher beschriebene Irrungen, Wirrungen und Spaltungen für endgültig überwunden erklärt wurden. Die KPV, „die sich in den folgenden Jahren zur stärksten revolutionären Befreiungsbewegung in Südostasien entwickelte“ (S. 74), bewies sich in den folgenden Jahrzehnten als die unbestrittene politische, ideologische und militärische Führerin aller antikolonialen Klassen und Schichten des vietnamesischen Volkes.

Viet-Cong soldier Viet-Cong Soldat
Viet-Cong Soldat  1966                                 
Die ersten „Feuerproben“ der Partei werden anschaulich im V. Kapitel „Die revolutionären Massenkämpfe 1930/31 – Der Übergang der Führung der nationalen Befreiungsbewegung an die Arbeiterklasse“ beschrieben. „Von besonderer Bedeutung – auch für den weiteren Verlauf der vietnamesischen Befreiungsrevolution – waren die unter Führung der KPV in den Sowjetgebieten geschaffenen Selbstverteidigungsgruppen.“, hebt Feldbauer hervor. Die Kämpfe im Verteidigungskrieg gegen französischen Kolonialmacht „vermittelten der KPV und den revolutionären Massen wertvolle militärische Erfahrungen und Erkenntnisse für die Vorbereitung eines bewaffneten Aufstandes…“ sowie sich „...gegen alle Anschläge der inneren Reaktion und des ausländischen Imperialismus und seiner Handlanger zu verteidigen“.

Die Voraussetzung für die Schaffung einer antiimperialistischer Front mit Kräften weit über die Arbeiterklasse und Bauernschaft hinaus wurde von der KPV im März 1941 mit der Gründung der „Liga für die Unabhängigkeit Vietnams – Viet Minh“ gelegt, der etwa 50 Parteien und Organisationen angehörten, was als der „Beginn einer qualitativ neuen Etappe der nationalen Befreiungsbewegung Vietnams“ eingeordnet wird. Die Strategie und Taktik der KPV am Vorabend der Augustrevolution von 1945 wird im Kapitel VII analysiert.  und dabei sowohl der Kampf gegen opportunistische Erscheinungen in der eigenen Partei, wie nochmals die konsequent internationalistische Position und die Massenarbeit auf dem Weg zur antiimperialistischen Einheitsfront geschildert. Besonderer Wert wird hierbei auf das Verhältnis von Arbeiterklasse und Bauernschaft gelegt. Die Augustrevolution selbst, die in der Proklamierung der Demokratischen Republik Vietnams am 2. September 1945 mündet, wird leider nur sehr kurz angerissen, der Autor verweist hier auf das bereits genannte Buch „Sieg in Saigon“ (siehe unten.)

In seinem Schlusswort belegt der Autor die Vitalität des heutigen Vietnam, die Prinzipientreue der KPV im Jahre 2007 und verweist mit beeindruckendem Zahlenmaterial auf die auch heute noch virulenten Hinterlassenschaften der US-Herrschaft, auf die millionenfachen menschlichen, ökologischen und ökonomischen Wunden des Landes.


US riverboat using napalm in Vietnam
US-amerikanisches Militärboot im Napalmeinsatz in Vietnam

Bezüglich Überlegung, wie es dem vietnamesischen Volk gelungen ist, den Verursacher all des Todes, der unendlichen Schmerzen und des anhaltenden Leidens, den US-Imperialismus, zu besiegen, erinnert Feldbauer an die militärische Hilfe der sozialistischen Länder und die weltweite Solidarität der Völker und Friedenskräfte, nicht zuletzt in den USA selbst. Er hebt jedoch hervor: „Aber die letztlich ausschlaggebende Bedingung, dass diese Faktoren zur Geltung kommen konnten, bildete der nicht zu brechende Widerstandswille des Volkes, der in den Traditionen nationalen und antikolonialen Widerstandes wurzelte, die zu mobilisieren eine Kommunistische Partei verstand, die der legendäre Führer Ho Chi Minh gegründet hatte“. Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen, doch möchte ich daran erinnern, dass es aus meiner Sicht noch einen weiteren wichtigen Faktor gab, nämlich die außerordentlich kluge und geschickte Diplomatie der vietnamesischen Führung, die während des gesamten Krieges auf allen Ebenen der internationalen Politik eine nicht unerhebliche Rolle spielte und das Weltgewissen positiv beeinflusste.

Mopeds Ho Chi Minh City CC Thomas Schoch
Dynamiasche Metropole: Ho-Chi-Minh-Stadt
Foto:
CC Thomas Schoch | Quelle: wikipedia.de

Das für an der Geschichte ebenso wie an der Zukunft des Antiimperialismus Interessierte absolut empfehlenswerte Buch von Gerhard Feldbauer beinhaltet mehrere historische Photos sowie ein ausführliches Quellenregister und endet mit einem Zitat des Vorsitzenden der FG Vietnam, Prof. Günter Giesenfeld, über das „Erfolgsgeheimnis“ des Landes, das auch am Ende dieser Rezension stehen soll:

„Die Ideale hochhalten, die Weltentwicklung beobachten, die eigenen Kräfte einschätzen, den richtigen Moment wählen und dann handeln. Wir können das auch in uns angemessenere philosophische Begriffe übersetzen: Einer menschlichen statt einer marktorientierten Logik Geltung verschaffen, einer humanitären statt einer kommerziellen Rationalität folgen, im kleinen, d.h. in dem größten uns zugänglichen Ausmaß einer globalen menschlichen Eiszeit entgegenwirken.“ (CH)

Der Artikel von Von Heinz-W. Hammer musste aus Platzgründen gekürzt werden, der gesamte Text kann unter der Email hwhammer@tele2.de angefordert oder auf www.cubafreundschaft.de abgerufen werden – Die Redaktion.

titel befreiungsrevolution gerhard feldbauer







„Die nationale Befreiungsrevolution  
 Vietnams.
Zum Entstehen ihrer wesentlichen Bedingungen von 1925 bis 1945.“

Bestell-Nr. 5002 bei Pahl-Rugenstein,
Bonn 2007
134 S., 11,90 €
ISBN: 978-3-89144-379-8



[1] Irene und Gerhard Feldbauer: „Sieg in Saigon – Erinnerungen an Vietnam“; Pahl-Rugenstein-Verlag, Bonn, ISBN: 3-89144-366-8; 240 S.; € 19,90



Online-Flyer Nr. 120  vom 07.11.2007

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