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Inland
Es braucht Zeit, damit Falsches zu Wahrem wird
Neoliberalismus hat einen Namen
Von Erich Katterfeld

Nach ihrem Coup mit der Einführung von Studiengebühren gelungen, ausgedacht und durchgesetzt vom „Zentrum für Hochschulentwicklung (CHE)" – einer Bertelsmann-Stiftungs-Organisation im Zusammenwirken mit der Deutschen Hochschulrektorenkonferenz, liegen die nächsten Pläne für Bildungsgebühren für Sekundarstufe II und I bei der Bertelsmann-Stiftung bereits in der Schublade.

Die Bertelsmann-Stiftung ist Eigentümerin des Bertelsmann-Konzerns. Der Konzern besitzt marktbeherrschende Teile der bundesdeutschen Presse, des Privatfernsehens und des Büchermarktes.  Der Stiftung gehört über 75% des Konzerns. Der Rest  ist im Besitz der Familie Mohn. Die Familie Mohn stellt 50% des Stiftungsrates. Für die Freiheit der Meinungsbildung im Lande hat dies Folgen.


Zukunftsfähige Gesellschaft mit der Kultur von Bertelsmann?
Quelle: Bertelsmannstiftung

 
Für 75 Prozent des Gewinns keine Steuern

Für 75 Prozent des Bertelsmann-Gewinns werden keine Steuern bezahlt. Der Gewinn des Konzerns betrug 2006 ca. 1,6 Milliarden Euro. Aber nicht allein die gewaltigen Summen, die der Stiftung zur Verfügung stehen, erklären ihren immensen Einfluss: Hinzu kommt die überaus geschickte Strategie als „operative" Stiftung. Im Klartext bedeutet dies, dass die Stiftung alle Projekte selbst entwirft und steuert und die Federführung nie aus der Hand gibt. Dabei ist Ziel die Durchsetzung marktwirtschaftlicher Steuerungsinstrumente in allen Bereichen der Gesellschaft: Alles soll zur Ware werden. Dabei erweisen sich öffentliche Verwaltung und Bildungsbereich als schwierig zu knackende Bereiche.

Das Vorgehen, diesem Missstand abzuhelfen, ist immer gleich: öffentliche Leistungen werden mit Tests, Ranking und pseudowissenschaftlicher Untermauerung schlecht gemacht, im Anschluss wird auf die – durch neoliberalistische Regeln verursachte – öffentliche Armut verwiesen und privatwirtschaftliche Lösungen angepriesen. Die angeblichen Unzulänglichkeiten, die die Stiftung im öffentlichen Bereich festzustellen glaubt, können dann selbstverständlich und praktischerweise mit den Angeboten desselbigen Konzerns gelöst werden. Dabei bedient sich die Stiftung gerne der Bereitschaft öffentlicher Verwaltungen, ihr unter Druck geratenes Ansehen zu verbessern. Die Stiftung genießt so hohes Ansehen, dass Politiker sich gerne für Stiftungszwecke hergeben: Wolfgang Schäuble verleiht den europäischen Verwaltungspreis der Stiftung, Ursula von der Leyen erscheint bei der Bürgerstiftung Gütersloh zur zehnjährigen Gründungsfeier. Mit dem Motto „Verantwortung statt Zuständigkeiten" wird die demokratisch legitimierte gesellschaftliche Machtausübung demontiert und für die Privatisierung vorbereitet.

Privatisierte Schule ein riesiger Markt


Im Schulbereich lautet das Credo der Stiftung, dass das beste Schulsystem die zwar von Steuergeldern bezahlte, aber privatisierte Schule sei: ein riesiger Markt, der sich bisher dem privatwirtschaftlichen Zugriff mehr oder weniger entziehen konnte. Der größte Coup war mit der Einführung von Studiengebühren gelungen. Und der war ausgedacht und durchgesetzt vom „Zentrum für Hochschulentwicklung (CHE)" – einer Bertelsmann-Stiftungs-Organisation im Zusammenwirken mit der Deutschen Hochschulrektorenkonferenz. Dass die Bundesrepublik 1966 einem Vertrag über wirtschaftliche, soziale und  kulturelle Rechte beigetreten ist, der die Verpflichtung zur allmählichen Unentgeltlichkeit im Bildungsbereich beinhaltet, scheint heute vergessen. Und die nächsten Pläne für Bildungsgebühren für Sekundarstufe II und I liegen bereits in der Schublade. Der neoliberale Stiftungswunsch nach Rankings und Kennziffern führt zu ständig neuen Listen über die besten Unis in Deutschland, genau nach den Vorstellungen und Zahlen des „Centrums für Hochschulentwicklung". Sie erscheinen in der ZEIT, einer Wochenzeitung, an der der Konzern ebenso Mitanteilseigner ist wie am Spiegel.



Führt der Thinktank an dieser feinen Adresse, ...

Unter den Linden 1 ist eine feine Adresse in der Bundeshauptstadt. Eingerahmt vom in Kürze wieder entstehenden Berliner Schloss und Deutschen Dom, Lustgarten, Oper und dem ehemaligen DDR-Staatsratsgebäude – heute eine Managerschule –, befindet sich hier die Hauptstadtrepräsentanz von Konzern und Stiftung. Es ist das wieder aufgebaute Palais des ehemaligen Berliner Stadtkommandanten. An diesem Ort findet statt, was Bertelsmann meisterhaft beherrscht: Politiker mit den politischen Positionen der Bertelsmann-Stiftung zusammenzubringen. Partner der Bertelsmann Stiftung sind dabei Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft, Lobbyisten, öffentliche und wissenschaftliche Institutionen oder andere Stiftungen.
 
Gigantische Entdemokratisierung

Die Stiftung will nach eigenen Aussagen für eine zukunftsfähige Gesellschaft eintreten. Dazu bedarf es ihrer Meinung nach des Wandels ökonomischer Strukturen und eines Werte- und Kulturwandels nach ihren eigenen Vorstellungen. Sie behauptet, sich für das friedliche Miteinander der Kulturen einzusetzen. Dabei bedient sich die Stiftung einer klaren Sprache: „Unser vorrangiges Ziel ist eine möglichst große und nachhaltige gesellschaftliche Wirkung unserer Arbeit. Wir konzentrieren uns in unserer Arbeit auf die Bereiche, in denen wir durch unsere Projekterfahrung besonders hohe Kompetenz erworben haben: bessere Bildung, eine gerechtere und effiziente Wirtschaftsordnung, ein vorsorgendes Gesundheitswesen, eine lebendige Bürgergesellschaft und wachsende internationale Verständigung.“ Demokratie kehrt sich im Neoliberalismus zum Hindernis des Kapitals um, und demokratische Diskussion und Entscheidungsfindung sollen ersetzt werden durch technokratische Einflussnahme und Steuerungsverfahren der neueren Betriebswirtschaftslehre. Die Vermarktung freier Bildung und ihrer Verwaltung stellt eine gigantische Entdemokratisierung dar. Wer soll sich noch für Politik und Wahlen interessieren, wenn die gesellschaftlichen Dinge vor Ort privatwirtschaftlichen Notwendigkeiten und Steuerungsmechanismen unterworfen sind?


bezahlt durch Steuerergeschenke, zu immer weniger Demokratie?
Fotos: arbeiterfotografie


Die Umsetzung des elitären Programms der „zukunftsfähigen Gesellschaft" zeigt aber ein unfriedliches und gewalttätiges Gesicht. Und das stammt vom „Centrum für angewandte Politik", CAP, (eine von der Stiftung an der Universität München bezahlte Einrichtung). Die politische Vorstellung: „Die Supermacht Europa verabschiedet sich endgültig von der Idee einer Zivilmacht und bedient sich uneingeschränkt der Mittel internationaler Machtpolitik.“, so CAP 2003. Wen wundert es, dass in der europäischen Verfassung – nunmehr als Reformvertrag geschönt – unter maßgeblicher Beteiligung der Stiftung die Aufrüstungspflicht für alle Mitgliedsstaaten in Artikel I-41 zu Verfassungsrang erhoben werden soll. Bei Veranstaltungen der Stiftung begegnen sich dann gern auch Ex-Außenminister Fischer und der tschechische Vizepremier Vondra zum europäischen Strategieaustausch im Sinne der Bertelsmann-Stiftung.

„Selbstbehauptung Europas“

Insgesamt diskutierten 45 hochrangige Experten aus 21 Ländern auf der Veranstaltung der Bertelsmann-Stiftung „Memorandum zur Zukunft der europäischen Union“ im Februar 2007. Vorgelegt wurde ein Strategiepapier der Stiftung: Dabei geht es nicht um die Zukunft eines demokratischen und sozialen Europas, sondern um die „Selbstbehauptung Europas“ in der globalisierten Welt. Die Stiftung nimmt Einfluss über transatlantische Arbeitsgruppen, über Präsenz in Afghanistan, Irak und Pakistan, oft im Zusammenwirken mit anderen Stiftungen, und gelegentlich auch mit der Böll-Stiftung. Überhaupt vertreten die Grünen bevorzugt die neoliberalen Ansichten Bertelsmanns und befördern das Wirken der Stiftung in vielen Fällen, sei es der Plan zu einem europäischen Satellitensystem, das Europa zur Weltraummacht machen soll, oder die Militarisierung der europäischen Gesellschaft, wobei laut Plänen von CAP die Bundeswehr zu einer Truppenstärke von 500.000 Frauen und Männern aufgepuscht werden soll.

Wie ein Chamäleon taucht die Stiftung in Dutzenden von Gewändern und personalen Verflechtungen auf: Gründungsbeteiligung an der WTO, CHE, CAP, Pisagoras, Sachverständigenrat Bildung, UAG, UPJ, Mittelstand und Familie, Bertelsmann Transformationsindex, Stifterverband für die deutsche Wirtschaft. Die Liste wäre nahezu endlos. Und Bertelsmann ist bereits lange unterwegs. Dabei sollte man sich den Satz des Soziologen Pierre Bourdieu merken: „Die Arbeit der Einprägung, jene Einprägung des Falschen, ist eben eine Kärrnerarbeit; denn es braucht Zeit, damit Falsches zu Wahrem wird“ (Pierre Bourdieu).

Das Startfoto zeigt Erich Katterfeld. Er ist Oberstudienrat in Freiburg und setzt sich intensiv mit den Machenschaften des Bertelsmann-Konzerns auseinander. Kontakt: ekatterfeld@compuserve.com
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Online-Flyer Nr. 119  vom 31.10.2007

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