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Globales
86 tschechische Bürgermeister gegen ein US-Raketenschild
„Dieses Ding ist ein Monstrum“
Von Carl H. Ewald

Die Notwendigkeit einer Raketenabwehr in Europa sei real, hatte George W. Bush zuletzt verlauten lassen, man müsse schließlich auf einen Angriff mit Atomraketen aus dem Iran gefasst sein. Um das bis jetzt nicht sehr fruchtbare Feld dafür vorzubereiten, schickt er in dieser Woche seinen Verteidigungsminister, Robert Gates, durch Europa, um für das ausgedehnte „Verteidigungssystem“ der mächtigsten Militärmacht der Welt die Werbe- trommel zu rühren. Das Raketenschild steht auch beim NATO-Treffen im niederländischen Noordwijk auf der Tagesordnung.

Im Januar 2007 wurden die Pläne des US-amerikanischen Verteidigungs- ministeriums bekannt, als Teil des globalen US-Verteidigungssystems in Polen und in der Tschechischen Republik neue Militärbasen zu errichten. Bei Pilsen, in der mittelböhmischen Region Brdy, soll ein „Raketenschutzschild“ errichtet werden, das nicht nur den Abfang feindlicher Missiles, sondern wie der russische Außenminister Lawrow befürchtet, auch Angriffe koordinieren kann. Die Pläne hatten zu erheblichen Spannungen mit Russland geführt.

Erhebliche Irritationen gab es auch in der tschechischen Bevölkerung: Die Regierungskoalition aus Konservativen, Christdemokraten und Grünen in Prag hatte bis jetzt sämtliche Einwände gegen das Vorhaben ignoriert. Laut Umfrageergebnissen sind mehr als 60 Prozent der Bevölkerung gegen den Bau des Raketenschilds, und in den vergangenen Monaten kam es in Prag und einigen anderen Städten zu beachtlichen Protesten. „Ne Základnám“, eine Initiative tschechischer Humanisten und vierzig weiterer Organisationen gegen die US-Basen, sammelte fast 40.000 Unterschriften für ein Referendum, was von der tschechischen Regierung bislang vollkommen außer Acht gelassen wurde.

„Nein zu US-Basen in Tschechien“ – ein breites buntes Bündnis
Proteste von „Nein zu den Basen" anlässlich des „Besuchs" von George W. Bush Foto: Ne Základnám | www.nezakladnam.cz

Am 20. Oktober hatte „Ne Základnám“ und die Initiative „Europe for Peace“ zu einer internationalen Konferenz im mittelböhmischen Breznice geladen, an der 86 Bürgermeister aus der Region teilnahmen sowie Friedens- organisationen aus 16 europäischen Ländern, darunter auch Kate Hudson von „Campaign for Nuclear Disarmament“ (CND), einer Organisation, die seit mehr als vierzig Jahren mit Massenprotesten und spektakulären Aktionen für Abrüstung in Großbritannien Furore macht. Der bolivianische Präsident Evo Morales und die Bürgermeister von Hiroshima und London hatten Grußbotschaften geschickt und sich mit den Protestierenden solidarisiert.

Die ignorante Haltung der tschechischen Regierung und ihre absichtlich verfehlte Informationspolitik hatten die Bürgermeister zahlreicher tschechischer Gemeinden auf den Plan gerufen. Das tschechische Fernsehen versuchte noch bis Mitte des Jahres, Informationen über Raketenschild und die Proteste dagegen zu verschweigen.


Jan Neoral, Bürgermeister von Trokavec
Foto: Ne Základnám | www.nezakladnam.cz

Jan Neoral, Gemeindevorsteher von Trokavec, das nur zwei Kilometer von der geplanten Radaranlage entfernt liegt, kritisierte auf der Tagung heftig, dass er von dem geplanten Bau der Radaranlage erst aus Zeitung und Internet erfahren habe. „Ich verstehe nicht, warum ‚unsere’ Regierung so etwas macht: Ist sie vollkommen korrupt?! Ein großer Teil der tschechischen Bevölkerung ist gegen den Bau, aber die Regierung ignoriert diese Mehrheit einfach. Ich habe fünf Jahre lang an der Radarschule Physik und Radioortung studiert. Natürlich war mir sofort klar, dass wir dieses Monstrum auf keinen Fall in Brdy haben wollten. Der geplante Radarschirm stellt nicht nur eine große Gefahr für die internationale Sicherheitslage, sondern auch für unsere tägliche Gesundheit dar – dieses Ding ist ein Monstrum!“

Petr Navratil, Gesundheitsbeauftragter der tschechischen Armee, schloss eine von dem Radar ausgehende Gefährdung durch Strahlung aus, allerdings nur solange ein genügender Sicherheitsabstand, den er nicht weiter definierte, gewahrt bliebe. Die Bundeswehr wiederum hält Strahlungsschäden durch Radaranlagen von nur fünf Kilowatt schon für möglich – von den „Gesundheitsschäden“, die durch einen atomaren Erstschlag auf die Anlage herrühren könnten, ganz zu schweigen.

Jan Tamas Gespräch Abrüstung Forum Friedensaktivisten
Jan Tamas, Sprecher von „Ne Základnám“, Bürgermeister und Friedensaktivisten | Foto: Ne Základnám, www.nezakladnam.cz

„Von Anfang an hat uns die Regierung versucht zu diskreditieren, man hat uns als ‚Kommunisten, Bolschewisten, Pazifisten und als Alkoholiker’ bezeichnet!“, sagte Josef Řihák, Sprecher der tschechischen „Bürgermeister gegen das Raketenschild“. Viele Bürgermeister, die auch Mitglieder in Regierungsparteien sind, habe man versucht durch parteiinterne Sanktionen einzuschüchtern, da sie sich gegen die Politik ihrer eigenen Parteien stellten. „Wir lassen uns nicht länger an der Nase herumführen. Wenn wir Hunderte und Tausende werden, können sie nicht länger einfach nur auf uns eindreschen. Von diesem internationalen Treffen bin ich sehr berührt, und ich danke Ihnen für die Solidarität. Und wir geben nicht auf, bis wir gewonnen haben!“, sagte Řihák.

Giorgio Schulze, Sprecher des Europäischen Humanistischen Forums, forderte in einer Abschlussrede die Beseitigung aller Kernwaffen, die auf US- und NATO-Basen in Europa stationiert sind. Und so könnten Frankreich und Großbritannien einen ersten konsequenten Schritt zu einer globalen Abrüstung tun, indem sie unter der Aufsicht der UN ihrer Arsenale vernichteten.

Auf der Tagung in Breznice beschloss man, verstärkt auf die Gefahr, die für die Tschechische Republik und Europa von dem geplanten „Abwehrsystem“ ausgeht, aufmerksam zu machen und den tschechischen Bürgermeistern in ihrem Kampf solidarisch zur Seite zu stehen. Es sei wichtig, sich zunehmend auf europäischer Ebene zu vernetzen, da das geplante Raketenschild eine Gefahr für alle darstelle, lautete der Grundtenor, wozu das Mittelmeerforum für nukleare Abrüstung Mitte November in Madrid, ein Forum zur Gewaltfreiheit in Paris und eine Konferenz von CND in London im Dezember sowie das Europäische Humanistische Forum in Mailand im April 2008 sicher eine Gelegenheit bieten. (CH)



Online-Flyer Nr. 118  vom 24.10.2007

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