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Medien
Wie frei ist die freie Presse wirklich?
„Lobbyisten-Medien“
Von Hans-Dieter Hey

Rechtzeitig zum medienpolitischen Forum der Arbeiterfotografie am 28. Oktober im Stadtgarten in Erfurt wird das Buch „Medienmacht und Widerspruchserfahrung" aus dem Pahl-Rugenstein-Verlag angekündigt, aus dem wir den Leserinnen und Lesern einen Auszug präsentieren.
Die Redaktion.


Fragt man nach den Gründen der Verbreitung und des Einflusses der neoliberalen Ideologie in den sozialen Auseinandersetzungen der jüngsten Zeit, so stößt man unweigerlich auf die Rolle der Massenmedien. Ohne die aktive Mithilfe des Medienapparates könnte die Ideologie der Deregulierung und des ungebremsten Marktes nicht so tief in das allgemeine Bewusstsein eindringen...


Foto: K. Richert | arbeiterfotografie

...Die Mainstream-Medien haben dabei die Möglichkeiten des Internet erkannt und treten dort schon seit Jahren massiv auf. Sie sind in der Regel finanziell ganz anders aufgestellt als die meist ehrenamtlich arbeitenden alternativen Medien. Sie genügen offensichtlich zur Durchsetzung der Macht für die Mächtigen allein noch nicht. Es gibt zahlreiche „Lobbyisten-Medien“, die längst als solche enttarnt sind. Sie versuchen, Einfluss auf die öffentliche Meinung zu nehmen und zu bestimmen, was man denken und was man wissen soll. In ihren Methoden sind sie von der herkömmlichen Presse kaum mehr zu unterscheiden – und deshalb werden die perfiden Angriffe auf unser Denken nicht immer ohne Weiteres wahrgenommen.

Beispielsweise kamen die „Bertelsmann Stiftung“, die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM) oder der „Bürgerkonvent“ ins Gerede, weil sie durch die Wirtschaft massiv finanziell unterstützt wurden. Sie alle profitieren außerordentlich vom Internet – ein Beispiel mag das erläutern: Die Kölner INSM tritt im Internet mit dem Slogan „Chancen für alle“ auf. In Wahrheit verbirgt sich dahinter die Arbeitgeberlobby, die Leute wie den Grünen-Politiker und medialen Dauerschwätzer Oswald Metzger, den geschassten Arbeitsagentur-Chef Florian Gerster oder den Mehrfachverdiener Friedrich Merz (CDU) vor ihren Karren spannt, um den öffentlichen Diskurs zu bestimmen. Mit Hilfe der Werbeagentur „Scholz & Friends“ und durch die Journalisten der INSM, wie zum Beispiel Tasso Enzweiler (früher Chefredakteur der Financial Times Deutschland) oder Dieter Rath (früher Pressechef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie) dringt ihr Presselobbyismus quasi durch das Hintertürchen in die Köpfe. Sie sind die „APO des Kapitals“, wie die Zeitschrift Medien 1/05 schreibt.


Foto: arbeiterfotografie

Sie haben sich allesamt für das neoliberale System und gegen den Rest von Sozialstaat und Demokratie in Stellung gebracht, finden in den Polittalks von Sabine Christiansen und anderen eine Bühne und werden als Experten für was auch immer der Öffentlichkeit präsentiert. Walter van Rossum hat diese Zustände in seinem Buch „Meine Abende mit Sabine Christiansen“ beschrieben. Leitmotivisch, so van Rossum, geht es jeden Sonntag darum, „Deutschland erst in Gefahr zu wiegen, um es anschließend zu retten“. Die mediale Erfindung des inzwischen überall diskutierten „Sanierungsfalls Deutschland“ von Kanzlerin Angela Merkel ist eine dieser Verblödungen mit dem Mittel der Vereinfachung von Zusammenhängen. Zudem wird penetrant versucht, Einfluss auf die Chefredaktionen der Zeitungen zu nehmen. Gelingt dies nicht, scheut sich die INSM nicht , Journalisten zu diffamieren, wie im Fall des SWR-Redakteurs Dietrich Krauß, der sich zu der globalisierungskritischen Organisation attac bekannte. Dass sich alternative Medien von derlei Einfluss frei machen können, stellt eine große Chance für die Freiheit der Berichterstattung dar.

Auch Günter Henkel vom RBB wurde intern ausgebremst, indem man seinen kritischen Beitrag über die sogenannte Kulturradioreform aus dem Programm entfernte. Manche sahen darin eine Strafaktion gegen den Kollegen. Man könnte das Vorgehen allerdings auch innere Zensur nennen. Die Grenze zwischen Öffentlichkeitsarbeit, Lobby- und Wirtschaftsinteressen einerseits und Journalismus an­de­rerseits, so die Zeitschrift Medien, werde durch derartige Zustände aufgelöst und sei im Normalfall von einem Durchschnittskonsumenten nicht mehr zu durchschauen. Eine kritische Berichterstattung ist auch durch das Gutdünken des Verlegers beschränkt. Das Bundesverfassungsgericht entschied bereits 1976, dass Verleger „den Abdruck von Anzeigen und Leserzuschriften einer bestimmten Richtung verweigern“ dürfen. Und so veröffentlichten eben deshalb die beiden Stuttgarter Tageszeitungen eine Anzeige des Deutschen Gewerkschaftsbundes seinerzeit nicht.

Alfred Neven DuMont, Herausgeber des Kölner Stadt-Anzeiger, war zeitweise Vorsitzender des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) und zeichnete auch verantwortlich dafür, dass die Forderung der Redakteure nach „innerer Pressefreiheit“ und einer Kompetenzabgrenzung zum Verleger vertraglich nicht zustande kam, berichtet Eckart Spoo in seiner Analyse der Medienmacht in der BRD (auszugsweise erschienen in der jungen Welt vom 10.03.2004). So zurechtgestutzt und verbogen kann man dem nur mit Alternativen begegnen, die frei von medialer Verstümmelung durch Verleger und Kapital sind... (PK)

Hrsg. P. Bathke, W. Kopp und W. Seppmann, Medienmacht und Widerspruchserfahrung, Pahl-Rugenstein-Nachf., Bonn 2007, 12,95 Euro

Das Buch wird vorgestellt anlässlich der Veranstaltung „80 Jahre Gegenwind – 80 Jahre Arbeiterfotografie" vom 25.10 bis zum 28.10.2007 in Erfurt. Näheres unter www.arbeiterfotografie.com





Online-Flyer Nr. 118  vom 24.10.2007

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