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Globales
Die Zerschlagung Jugoslawiens begann nicht erst 1992
Der Tod des Patrioten Jusuf Gervalla
Von Alexander Goeb

Er würde keinen „Staat im Staat“ dulden hatte der serbische Minister- präsident Kostunica in seiner jüngsten Ansprache vor dem Europarat gesagt. Auch die Verhandlungen kosovo-albanischer und serbischer Vertreter in Brüssel über den zukünftigen Status des UN-verwalteten Kosovos waren ergebnislos verlaufen. Wann genau die Konflikte zwischen Kosovo-Albanern und Serben angefangen haben, lässt sich schwer erfassen – sicher aber stellte die Ermordung des Dichters Jusuf Gervallas einen weiteren Einschnitt dar – die Redaktion.

Die Schlagzeilen der „Heilbronner Stimme“ meldeten am 18. Januar 1982: „Drei Tote bei Attentat in Heilbronn-Untergruppenbach – Exil-Jugoslawen im Auto erschossen – Opfer befürworteten ein unabhängiges Kosovo – Sterbender beschuldigte Geheimdienst“

Zwei der Männer waren sofort tot. Der dritte, Jusuf Gervalla, Sänger, Dichter, Journalist, hatte noch einige Stunden gelebt. Er war 36 Jahre alt. Damals nannte man die Toten „Exil-Jugoslawen“. Heute heißen sie Kosovo-Albaner. Damals setzte die Staatsanwaltschaft 10.000 Mark Belohnung aus. Eine Sonderkommission ermittelte – ohne Ergebnis. Die Politik ging auf Tauchstation. Der damalige BND-Präsident Klaus Kinkel blieb stumm, denn das Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem zwar sozialistischen aber blockfreien Jugoslawien war ausnehmend gut. Deshalb blieben Sonderkommission und Staatsanwaltschaft bei ihren Ermittlungen einsam und allein – keine Mörder, keine Anklage, keine Beweise.


jusuf gervalla privat
Jusuf Gervalla
Foto: Familie Gervalla
| www.gervalla.org

Der damalige Staatsanwalt Ehmann sagte: „Ich bin der Meinung, dass alles dafür spricht, dass es der jugoslawische Geheimdienst war. Für die waren die Gebrüder Gervalla so etwas wie Staatsfeinde Nr. 1.“

Donika Gervalla, heute 36, ist die Tochter von Jusuf, studierte Querflöte in Tirana und studiert Jura in Hamburg, macht Übersetzungen, war im Krieg Sprecherin der LDK des inzwischen verstorbenen Kosovo-Präsidenten Ibrahim Rugova. Sie ist Mutter von zwei Kindern und mit dem CDU-Politiker Stephan Schwarz verheiratet, der für seine Hilfe während der Zeit der Belagerung Sarajewos durch die Serben Ehrenbürger der Stadt wurde:
„Meine Mutter hörte gerade Radio. Sie rannte vor die Tür, als sie die Schüsse hörte. Mein Vater lebte noch. Meine Mutter hat gefragt, hast du gesehen, wer das war? Er konnte noch kurz sagen, dass es der jugoslawische Geheimdienst UDBA war.“

Im Kosovo kennt jeder Albaner Jusuf Gervalla. Warum wurde dieser sanfte und freundliche Mann mit so unversöhnlichem Hass verfolgt? Warum hetzte die Polizei ihn und seine Familie? Warum wurden seine Gedichte und Lieder vernichtet, die von der Schönheit der Heimat sangen und von der Liebe? Warum wurden die Folterknechte in Marsch gesetzt, um Jusuf Gervalla zu brechen? Er fürchtete sich vor der Folter. „Ich weiß nicht, ob ich stark bleiben kann“, sagte er zu seinem Jugendfreund, Journalisten-Kollegen und Fluchthelfer Skender Blakaj, der, als Jusuf längst gestorben war, den Text eines Liedes geschrieben hatte:

    „Die auf mich warten,
    werden etwas wissen,
    was ich nie lernen konnte,
    wie führt man ein Volk zusammen?“

Der Kampf gegen die Unterdrückung ihrer Identität und die Besetzung ihrer Wohngebiete durch fremde Militärmächte spaltete die Albaner schon immer in verschiedene politische Flügel, die sich auch gegenseitig bekämpften. Nun war da einer, der es verstand, die Gräben zwischen den verfeindeten politischen Lagern zu überwinden.

Donika Gervalla meint: „Ich glaube, dass das Interesse des jugoslawischen Geheimdienstes an meinem Vater damit zu begründen ist, dass die Rolle, die mein Vater unter den Albanern in Deutschland hatte, ziemlich wichtig gewesen sein muss. Als mein Vater hierher kam, gab es etliche albanische Gruppen, angefangen von Marxisten-Leninisten bis zu den Königsanhänger. Mein Vater hat nie zum Ziel gehabt, sie alle in einer Organisation zusammen zu schließen, aber doch irgendwie Zusammenarbeit herzustellen.“

Zehn Jahre lang galt das Prinzip Gandhi im Kosovo. Die Tauben der Skipetaren unter ihrem Präsidenten Ibrahim Rugova, ein Schriftsteller, schluckten alle Demütigungen der serbischen Staatsmacht, ließen die Waffen ruhen, setzten auf Verhandlungen. Serbien unter Milosevic errichtete im Gegenzug ein Terrorregime. Ungeklärte Morde an Albanern häuften sich, Verhaftungen waren an der Tagesordnung, Folter gehörte zum Alltag. Serbischer Terror, das hieß: Gefängnis, Entlassungen, Obdachlosigkeit, Hunger, Vergewaltigungen. Und immer noch griffen die Albaner nicht zu den Waffen. 1990 wurde ein Gesetz mit den Titel „Arbeitsverhältnisse unter besonderen Umständen“ erlassen. Danach wurden 80 Prozent aller albanischen Arbeitnehmer entlassen. Allein im Schulwesen standen 26.000 Lehrerinnen und Lehrer auf der Straße. Und immer noch griffen die Albaner nicht zu den Waffen.

Heimlich führte Jusuf Gervalla politische Gespräche mit Freunden und Bekannten. Sie kannten ihn als den Sänger und Dichter. Jusuf Gervalla stammte aus dem kleinen Dorf Dubovik, im Westen des Kosovo, in der Nähe der Rugova-Berge, der Grenze zu Albanien , unweit der Stadt Peja, die die Serben Pec nennen. Sein einziger Freund in der Jugend, der Schulzeit, war jener Skender Blakaj, der später, wie er, Kulturredakteur werden sollte. Jusuf wuchs bei einem Onkel auf. Das Studium musste er sich selbst verdienen. Jusuf verliebte sich in Suzana, eine junge Albanerin aus Skopje und verehrte Ajshe, seine Mutter, die im fernen Slowenien ihr Geld verdiente und für die albanische Sache stritt.

Ismail Kadare lesung 2002
Ismail Kadaré bei einer Lesung 2002        
Foto: Lars Haefner | www.wikipedia.de
Ismail Kadaré war der Dichter, den Jusuf Gervalla liebte, inzwischen der renommierteste und bekannteste albanische Schriftsteller der Gegenwart. Was weiß der große Kadaré, der seit Jahren in Paris lebt und arbeitet, von Jusuf Gervalla?

„Das Wichtigste: Er war wirklich mein Freund, war Schriftsteller, Dichter, Musiker, und was mich mit ihm verband, war seine menschliche Wärme, waren freundschaftliche Beziehungen, ein wunderbarer Mensch.“






Während Jusuf Gervalla den Militärdienst absolvierte, bewarb sich seine Frau Suzana für ihren Mann bei der Zeitung „Rilindja“ in Pristina. Jusuf bekam die Stelle. Er wurde Kulturredakteur, gab zwei Gedichtbände heraus, ein erster Roman erschien, ein zweiter war druckbereit, als er nach Deutschland flüchten musste.


Donika Gervalla erinnert sich: „Im Dezember 1979 kam ich aus der Schule und sah, dass in unserer Wohnung fremde Leute sind. Ich war damals erst acht Jahre alt. Meine Mutter erklärte, dass das die Polizei sei. Sie haben das Haus durchsucht aber nichts gefunden. Es gab nichts, was meinen Vater belasten konnte.“

Die Familie erfuhr, dass der Vater mit dem Tode bedroht war. Es gab nur die eine Konsequenz: Flucht. Jusuf Gervalla verabschiedete sich von der Familie und flüchtete aus seiner Heimat. Am Steuer des Fluchtautos saß sein Freund Skender Blakaj, geduckt auf der Rückbank: Jusuf Gervalla.

Nach dem Mord gingen die Drohungen gegen die Gervallas weiter. Die Familie wusste keinen anderen Rat als nach Albanien auszureisen. Donika Gervalla schildert die Zeit der Umsiedlung: „Das war kein Leben mehr, hier zu bleiben und sich ständig bedroht zu fühlen“

Aber Albanien war nicht das gelobte Land, das sich die Mutter vorgestellt hatte. Die Gervallas wurden zwar respektiert, aber die Bedrohungen und Beschimpfungen nahmen nicht ab. Das Chaos des Umbruchs war der Anstoß für Suzana, das Land zu verlassen. In Schweden hat sie Asyl gefunden, andere Mitglieder der Familie ebenso. Donika Gervalla ging zurück nach Deutschland, dessen Sprache sie so gut sprach.
                                           
Rafet Rudi hat ein kleines Zimmer seiner Wohnung in einem heruntergekommenen Hochhaus in Pristina, in dem wieder der Aufzug streikte, zu einem Musikstudio umgebaut. Er ist Musik-Professor, und an Jusuf Gervalla hat ihn besonders dessen Verständnis von Musik interessiert. Gespräche des Profis mit Jusuf Gervalla, dem Amateur.

„Ich hatte damals mehr mit klassischer Musik zu tun, und ich merkte, dass er auch daran Interesse hatte. Mit der Zeit spürte ich, dass er das Potential besaß, in dieser Richtung zu arbeiten. Ich habe noch nie einen Menschen getroffen, der kein professioneller Musiker war, aber dennoch ein derartiges Verständnis und Gefühl für Musik hatte“.

jusuf gervalla privat
...ein derartiges Verständnis und Gefühl für Musik..."
Foto: Familie Gervalla | www.gervalla.org

Sie hörten gemeinsam Bach, diskutierten über Literatur, über Joyce und Kafka, und immer wieder ging es um die Musik. „Er hat eine Musik gespielt, die wir heute nicht mehr haben. Sie war neu, die Form der musikalischen Ballade. Er verband diese Musik mit der Poesie, ähnlich dem französischen Chanson, ähnlich, aber nicht gleich. Man kann sagen, er war sehr frei, auch in seinen Liedern.“

Jusuf Gervalla war ein heiterer Mensch. Davon zeugen seine Liebeslieder, die Balladen über die Mutter und das Heimatdorf. Doch immer wieder spricht er auch von dunklen Schatten und schwarzen Tieren. Einige seiner Gedichte sind Todesahnungen, auch Vermächtnisse.

Für viele Albaner galten diese Gedichte als ein Versprechen: Gervalla wird wiederkommen. Das Versprechen wurde eingehalten. 2002 ist Jusuf Gervalla in seinem Dorf Dubovik beigesetzt worden. Mehrere zehntausend Menschen waren am Grab. Die Familie verbat sich jede politische Einvernehme ihres Vaters. (CH)


Weitere Informationen über Jusuf Gervalla und die Stiftung, die seinen Namen trägt, finden Sie unter www.gervalla.org





Online-Flyer Nr. 117  vom 17.10.2007

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