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Aktueller Online-Flyer vom 26. April 2024  

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Lokales
Wenn Kölns Kämmerer etwas richtig gut findet, sollte man vorsichtig sein
Mehr Demokratie durch „Bürgerhaushalt“?
Von Claus Ludwig

Am 22. Oktober startet in Köln der „Bürgerhaushalt“. Die BürgerInnen können per Post, über Internet oder Telefon Vorschläge zum Einsatz städtischer Finanzen machen. Die erste Runde ist auf die Bereiche Straßen, Sport und Grün beschränkt. Die 300 wichtigsten Vorschläge werden dem Finanzausschuss vorgelegt, der muss sich damit beschäftigen. Die Frist ist kurz: vom 22. Oktober bis zum 19. November können die Vorschläge eingereicht werden. Erst danach beginnt das eigentliche Ringen um den Haushalt zwischen Ratsparteien und Verwaltung. Wir haben Ratsmitglied Claus Ludwig um einen Kommentar zu diesem Thema gebeten. – Die Redaktion.

Auch viele Linke sind vom „Bürgerhaushalt“ begeistert. Das Ganze klingt nach mehr Demokratie und der Möglichkeit, Ratsentscheidungen durch die Bevölkerung zu beeinflussen, danach, zumindest im Einzelfall die bürgerlich-etablierten Mehrheiten im Rat zu überwinden. Für Globalisierungskritiker klingt es nach Porto Alegre. In dieser südbrasilianischen Stadt wurde der „Bürgerhaushalt“ Anfang des Jahrzehnts zu einem Mittel der sozialen Bewegungen, kommunale Politik direkt und basisorientiert zu gestalten. Ist der Kölner Bürgerhaushalt damit vergleichbar?
 
Nicht von unten, sondern von oben
 
Ein wichtiger Unterschied fällt sofort ins Auge: der Kölner „Bürgerhaushalt“ ist nicht von unten durchgesetzt, sondern von oben, seitens des Rates und der Verwaltung, verordnet worden. Die Auftaktversammlung findet demgemäß auch nicht im Bürgerzentrum Alte Feuerwache oder in einer Schulaula im Veedel statt, sondern im Gürzenich. Dort werden nicht diejenigen sitzen, die dringend auf öffentliche Dienste angewiesen sind, sondern die Einflussreichen, Mächtigen und Wohlhabenden, die Honoratioren der Stadt.
 
Allein die Tatsache, dass der Kämmerer Peter-Michael Soénius, Befürworter von Investoren-Projekten und Privatisierungen öffentlichen Eigentums, geradezu vom „Bürgerhaushalt“ schwärmt, sollte stutzig machen.


Claus Ludwig auf einer Demonstration vor der Kölner Oppenheim-Bank 
Foto: H-D Hey/Arbeiterfotografie

 
Porto Alegre ...
 
Porto Alegre ist eine Großstadt im Süden Brasiliens. Die Infrastruktur – Straßen, soziale Einrichtungen – war Anfang der 90er unterentwickelt, der Haushalt wies jedoch einen Überschuss auf. Es wurde diskutiert, welche Investitionen die wichtigsten wären und wie diese gerecht vorgenommen werden könnten.
 
Regiert wurde die Stadt von der „Arbeiterpartei“ (PT) des heutigen Präsidenten Lula. Der linke, sozialistische Flügel der Partei war in Porto Alegre stark und stellte zeitweise den Bürgermeister. Die sozialen Basisbewegungen waren gut organisiert. Auf dieser Grundlage ergriffen die linke Stadtverwaltung und die sozialen Bewegungen gemeinsam die Initiative, über den parlamentarischen Rahmen hinaus zu gehen und die Bevölkerung direkter in die Entscheidungsfindung einzubeziehen. Es wurde ein System von Massenversammlungen auf der Grundlage von Wohnblocks, Stadtteilen, Bezirken und stadtweit entwickelt. Es gab nicht nur eine Abstimmung, sondern einen Diskussionsprozess, der von aktiven Initiativen und Organisationen getragen wurde.
 
Auf den Versammlungen stellten Politiker und Verwaltung ihre Pläne und die Rahmenbedingungen vor, die Bürger bezogen dies in ihre Planungen ein. Die Bürger hatten die Kontrolle über die Umsetzung, so konnten sie z.B. Baumaßnahmen in den Wohnvierteln selbst abnehmen.
 
Die Internet-Enzyklopädie wikipedia.org schreibt über Porto Alegre: „Eine positive Auswirkung dieses Modells liegt in der gerechteren Verteilung städtischer Ressourcen und Finanzen. Es wurden alle Stadtteile mit Geldmitteln bedacht, ärmere aber bevorzugt, was wegen der Transparenz des Ablaufs auch für Bewohner reicherer Viertel akzeptabel war.“
 
Doch selbst diese relativ weitgehende Beteiligung der Bevölkerung hat Grenzen. Das Wochenmagazin „Freitag“ schrieb am 7.2.2003: „Bei allem Erfolge sollten auch Grenzen des Projekts klar umrissen werden. Nach 13 Jahren Bürgerhaushalt hat die Armut in Porto Alegre nicht abgenommen. Der Bürgerhaushalt ist nicht in der Lage - von Ausnahmen abgesehen - Arbeit und Einkommen für die Bürger zu schaffen.“

Kämmerer Peter-Michael Soénius – für Oppenheim-Esch-Fonds und „Bürgerhaushalt“ | Foto: Stadt Köln
 
...und Kölle
 
In Köln wird es keinen derartigen Diskussionsprozess geben. Es findet eine Online-Abstimmung bzw. Meinungsumfrage statt, in der Bürger ihre Vorlieben vertreten können, ohne dass es eine allgemeine Debatte über den Haushalt und die Ausrichtung der Kommunalpolitik geben wird.
Dies spielt sich vor dem Hintergrund einer angespannten kommunalen Finanzlage ab. Nicht Investitionen in das städtische Leben stehen für die etablierten Politiker und die Verwaltung auf der Tagesordnung, sondern Personalabbau, Beschneiden von Dienstleistungen und der Verkauf öffentlichen Eigentums.
 
Aktuell sieht es zwar so aus, als würde die Haushaltsdebatte 2008 wegen hoher Gewerbesteuer-Einnahmen relativ entspannt verlaufen, größere Kürzungen sind nicht in Sicht. Doch der Konjunkturaufschwung wird nicht ewig dauern. Die Finanzausstattung der Kommunen ist zu schwach, immer weiter wachsenden Folgekosten der sozialen Krise (z.B. Hartz IV) stehen strukturell zu niedrige Einnahmen gegenüber. Das wurde erst kürzlich in einer Verwaltungsvorlage für den Finanzausschuss festgestellt.
 
Politiker können ihre Hände in Unschuld waschen
 
Würde ein „Bürgerhaushalt“ unter den Bedingungen der Haushaltskrise aufgestellt werden, hätten die Bürger die Wahl zu entscheiden, wo sie kürzen wollen, ob lieber Sportanlagen stillgelegt oder Grünflächen vernachlässigt werden, ob man lieber die GAG-Wohungen oder die Stadtwerke an private Investoren verkauft. Das ist wie die Wahl zwischen Erhängen und Erschießen.
 
Und gerade das könnte der Grund sein, warum die Politiker der Sozialabbau-Parteien CDU, SPD, FDP und Grüne sowie die Verwaltungsspitze die Idee des „Bürgerhaushaltes“ schätzen. Dieser bietet die Möglichkeit, die Debatte „kürzt nicht bei uns, sondern bei den anderen“ neu aufzulegen. Kommt es zu Einschnitten, können die Politiker ihre Hände in Unschuld waschen und sagen: „Die Bürger wollten es so.“ Ein möglicher Widerstand gegen die grundlegende Ausrichtung des Haushaltes würde somit argumentativ geschwächt.
 
Gegen diese Tellerrand-Sicht müssen sich die Linke und die sozialen Bewegungen wehren. 2003 gab es vielfältige Proteste gegen den Kürzungshaushalt, der die Schließung von Jugendeinrichtungen, Schwimmbädern und die Kürzung von Zuschüssen an Träger im Sozialbereich vorsah. Eine Schwäche der Proteste war zu Beginn, dass alle Gruppen für sich demonstrierten. Durch die Initiative des „Kölner Sozialforums“, in dem sich linke Gruppen, Attac und Basis-Inititiaven zusammengeschlossen hatten, konnte es erreicht werden, die Proteste zusammenzuführen und eine gemeinsame inhaltliche Grundlage zu schaffen – gegen die Verschleuderung öffentlicher Gelder an Investoren, gegen Privatisierung, für die Verbesserung der öffentlichen Dienstleistungen. Die vom Sozialforum organisierte Demo mit 1.200 Teilnehmer im Juli 2003 brachte erstmals die verschiedenen Gruppen Betroffener zusammen und verstärkte den Druck auf den Stadtrat.
 
Ignorieren? Boykottieren?
 
Sollten Linke und soziale Bewegungen den Kölner „Bürgerhaushalt“ daher ignorieren oder gar zum Boykott aufrufen? Keineswegs! Alle Möglichkeiten, Forderungen aufzustellen und Druck zu machen, sollte man nutzen. Genau wie eine Anhörung zu Bauprojekten oder andere bisher schon existierende Formen von Bürgerbeteiligung stellt der „Bürgerhaushalt“ eine Möglichkeit dar, sich in die kommunale Diskussion einzuschalten. Z.B. bietet er für die Bevölkerung in Nippes, Rodenkirchen und Weiden eine weitere Möglichkeit zu betonen, dass die dortigen Schwimmbäder erhalten bleiben müssen.
 
Der „Bürgerhaushalt“ auf kölsche Art ist im Kern eine Meinungsumfrage, allerdings nicht repräsentativ. Es werden sich eher die gebildeteren Schichten mit gesicherter sozialer Existenz beteiligen, die sich auch an Wahlen beteiligen und Veränderungsmöglichkeiten sehen.
 
Wichtig ist, dass die Linke deutlich macht, dass die Bevölkerung mit der Beteiligung an der Meinungsumfrage keine Verantwortung für den Haushalt übernimmt, dass sich nichts an der grundlegend reaktionären Ausrichtung der städtischen Finanzen ändert, nichts an der Prioritätensetzung der bürgerlichen Parteien, die Investoren-Interessen zu bedienen und bei Dienstleistungen für die Bevölkerung zu kürzen. Es gilt, keine Illusionen zu schüren und auch nicht darauf hereinzufallen, verschiedene Wünsche der Bevölkerung gegeneinander ausspielen zu lassen.
 
In Porto Alegre wurde der Bürgerhaushalt als ein Mittel gesehen, über die Grenzen der parlamentarischen bürgerlichen Demokratie hinauszugehen und Elemente einer direkten Demokratie einzuführen, welche die arbeitenden und armen Massen dazu befähigen, die Macht der Reichen und Besitzenden einzuschränken.
 
Auch dieses Projekt ist an seine Grenzen gestoßen, kaum verwunderlich in einem kapitalistischen Brasilien, in dem die Unterschiede zwischen Arm und Reich so groß sind wie in kaum einem anderen Land und in dem die inzwischen landesweit regierende „Arbeiterpartei“ eine knallharte neoliberale Umverteilungspolitik zu Gunsten der Reichen durchzieht.


Selbstorganisierung – Initiative Barmer Viertel 
Foto: IBV
 
Selbstorganisierung und Aktivitäten von unten notwendig
 
In Köln ist der „Bürgerhaushalt“ in der jetzigen Form aber nicht einmal ein Mittel zum Demokratisierung, sondern lediglich ein weiteres Element unverbindlicher „Bürgerbeteiligung“, um Meinungen und Stimmungen abzufragen ohne die Dominanz der etablierten Parteien und der herrschenden neoliberalen Ideologien in Frage zu stellen. Von einem wirklichen Bürgerhaushalt könnte man erst sprechen, wenn die Bevölkerung auch die Möglichkeit hat, über die Einnahmeseite zu entscheiden, zuvor gefällte Entscheidungen zu korrigieren, Verträge zu kündigen, die Umsetzung von Beschlüssen zu begleiten und kontrollieren.
 
Würde sich die Bevölkerung wirklich in die kommunale Politik einmischen und mitbestimmen können, wären das Barmer-Viertel nicht abgerissen und die Messe-Hallen nicht durch den Oppenheim-Esch-Fonds gebaut worden.
 
Die Linke - sowohl die linke Bewegung im Ganzen als auch die Partei DIE LINKE.- sollte nicht davon träumen, mit dem „Bürgerhaushalt“ eine Abkürzung zur Erreichung von mehr demokratischen Rechten gefunden zu haben. Ohne stärkere Selbstaktivität und Selbstorganisierung von unten, ohne den Aufbau von breiten Protestbewegungen gegen Sozialkürzungen und Privatisierungen, ohne verstärkte Gegenwehr der Gewerkschaften, wird die Tendenz zum Abbau öffentlicher Dienstleistungen, zur weiteren Aushöhlung der kommunalen Demokratie und zur Plünderung öffentlicher Haushalte durch Konzerne und Banken nicht zu stoppen sein. (PK)
 
 
Claus Ludwig ist Mitglied der Kölner Ratsfraktion DIE LINKE./Gemeinsam gegen Sozialraub und Mitglied im Finanzausschuss.
 

Online-Flyer Nr. 117  vom 17.10.2007

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