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Aktueller Online-Flyer vom 20. April 2024  

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Globales
Interview mit einem namibischen Gewerkschafter
Unser Prinzip: „Wohlstand für alle“
Von Kaspar von Loeben

Alfred Angula ist Generalsekretär der Namibian Farm Workers Union (NaFWU). Kaspar v. Loeben hat mit ihm über die Schwierigkeiten, gesprochen, die die Organisierung der besonders rechtlosen Landarbeiter in Namibia siebzehn Jahre nach der Unabhängigkeit bedeutet. Die Gewerkschaft zählt ca. 12.000 Mitglieder, darunter ein hoher Anteil von Saisonarbeitern aus den Weinanbaugebieten Namibias.

Die verstreut lebenden Landarbeiter zu organisieren, dürfte sehr aufwändig sein. Was bedeutet die Mitgliedschaft in der NaFWU?
 

Das ist schwierig. Die meisten, die wir erreicht haben, haben Beitrittserklärungen unterzeichnet, aber die Beitragszahlungen sind ein Problem. Wenn wir guten Kontakt zu den Arbeitgebern haben, führen die die Beiträge ab und schicken sie an die Gewerkschaft. Aber in der Mehrzahl der Fälle zahlen die Mitglieder aufgrund der technischen Probleme nicht.

Namibia Landschaft Landarbeiter
Unterwegs in Namibia
Foto: S. Bugow | Quelle: pixelio


Aber wie können Sie Ihren Apparat dann finanzieren?
 
Das ist es ja: Wir können unsere Aktivitäten nicht finanzieren, obwohl die Mitglieder bereit sind, die Beiträge zu bezahlen. In den Weinanbaugebieten sind in der Saison immer viele Arbeiter auf einmal. Da können wir entsprechende Strukturen aufbauen. Die Farmarbeiter leben über weit auseinander liegende Farmen verstreut, manchmal Hunderte von Kilometern von der nächsten Stadt entfernt. Die Leute würden für die Fahrt von der Farm zum Gewerkschaftsbüro mehr ausgeben als sie dann bezahlen: vierzehn, fünfzehn Euro Fahrtkosten – bei einem Euro Monatsbeitrag. Wir arbeiten an einer gesetzlichen Verpflichtung für die Arbeitgeber, die Gewerkschaftsarbeit zu erleichtern. Es profitieren beide Seiten davon, wenn wir die Arbeiter darüber aufklären, was ihre Rechte und was ihre Pflichten sind und was das Gesetz besagt.
 
Mit welchen Problemfeldern sind Sie bei den Landarbeitern in erster Linie konfrontiert?
 
Gesundheit und Arbeitssicherheit z.B.. Die Leute werden krank und wissen nicht, warum. Die Arbeitgeber kümmern sich nicht. Oft haben wir es auch mit HIV/AIDS zu tun. Gesundheitsfürsorge ist ein grundsätzliches Problem, Kliniken sind weit weg von den Arbeitsstellen. Kinder haben keinen Zugang zur Schule. Und in den Fällen, wo es Schulen gibt, können die Eltern oft nicht für die Schulgebühren aufkommen. Dann ist da das Problem des Wohnens, der Unterkünfte. Oft herrschen unakzeptable, unhygienische Zustände.
 
Außerdem stellt sich die Frage des Reisens in die Städte, eine Voraussetzung, um an Informationen zu kommen. Was hilft es, in einem demokratischen Land zu leben, wenn es keinen Zugang zu Informationen gibt? Die einzige Zeit, in der die Informationen zu den Landarbeitern kommen, ist kurz vor Wahlen. Dann kommen die Parteien und sagen: „Wählt mich!“

Die Menschen auf dem Land denken oft nicht eigenständig. Daher wird die partizipatorische Demokratie auf dem Land fragwürdig.

Namibia Landarbeiter Trans-Kalahari-Highway
Landarbeitersiedlung entlang des Trans-Kalahari-Highways
Foto: Gabi Pehle
 
Ist es für Sie schwierig, die Farmen zu betreten?
 
In etlichen Fällen ja. Du kannst nicht einfach auf irgendjemandes Farm gehen. Du musst Vorabsprachen treffen und manchmal, so ist unsere Erfahrung, machst du die Verabredungen und wenn du ankommst, ist alles verschlossen. Du hast dann Zeit verschwendet und Geld. Das ist dann eine frustrierende und teure Übung.
 
Die großen Farmen scheinen exterritoriale Gebiete zu sein? Welche Rolle übernimmt die Regierung zum Beispiel bei der Umsetzung der Schulpflicht auf dem Land?
 
Die Regierung engagiert sich da nicht sehr, weil es Privatland, Privatbesitz ist – obwohl die Regierungspolitik besagt, dass Kinder bis zu einem Alter von sechzehn Jahren zur Schule gehen sollen. Aber in der Praxis sieht das anders aus, es gibt Straßenkinder, es gibt die Kinder im Agrarsektor, über die nicht gewacht wird.
 
Wieviel Personen leben auf solch einer Farm – die Kinder und Familien mitgerechnet?
 
Wenn man von einerr Gesamtzahl von vielleicht 130.000 ausgeht, hat man die beträchtliche Zahl von dreißig- bis vierzigtausend Kindern im Schulalter. Das sind Schätzungen, uns liegen keine eindeutigen Angaben vor.
 
Und auf einer einzelnen Farm?
 
Auf der letzten Farm, die ich besucht habe, leben zweihundert Menschen. Damit hätten sie eigentlich Anrecht auf einen Kindergarten, eine Grundschule und eine Klinik. Aber wen schert das letztlich?

Alfred Angula Namibia Gewerkschaft
Alfred Angula im Gespräch
Foto: Kaspar von Loeben


Welches Ziel haben die Farmarbeiter? Geht es ihnen um einen besseren Lebensstandard oder wollen sie selbst Farmer werden?
 
Das wesentliche Ziel ist ein Zuhause, das Recht, ein Dach über dem Kopf zu haben und nicht einfach davon gejagt werden zu können, weil man nur Gast auf der Farm seines Arbeitgebers ist.
 
Dann gibt es Leute, die selber farmen und in den kommerziellen Agrarsektor gehen wollen. Aber diese Gelegenheit haben sie nicht. Sie haben ihr ganzes Leben lang nicht die Möglichkeit, das zu tun, was sie wollen. Sie stehen unter ständiger Kontrolle.
 
Spielt die Tatsache, dass das Land vor hundert Jahren von den Kolonialisten geraubt wurde, noch eine Rolle?
 
Ich denke, es spielt die größte Rolle. Die Leute machen sich Sorgen über die Entwicklung. Nach Erringung der Unabhängigkeit ist das Land noch immer nicht in unseren Händen. Uns wird gesagt, dass das Land von der Regierung zur Verteilung gekauft worden und deshalb nicht umsonst zu haben sei. Jedoch stellt sich die Frage, wie viele neue Farmen es gibt. Wie viele Menschen sind denn im Laufe der Jahre wieder angesiedelt worden?
 
Das bestehende Regierungsprogramm löst das Problem nicht, es ist zu schwerfällig, es ist frustrierend langsam. Alle möglichen bürokratischen Prozesse müssen durchlaufen werden, das kostet Zeit. Wenn wir diesen Weg weiter gehen, werden wir wahrscheinlich zweihundert Jahre brauchen.
 
Dann haben wir das Problem, dass Leute verzweifeln und wütend werden, weil wir nicht den Kern des Problems treffen und nicht die Ungerechtigkeit der Vergangenheit schleunigst zu lösen versuchen. Wir sagen: „Na gut, das ist eine Ungerechtigkeit der Vergangenheit, na gut, wir müssen mal gucken, was wir machen können“. Jedes Mal heißt es „Wir müssen mal gucken“. Man kann die Leute einige Male beruhigen, aber wenn es explodiert, explodiert es.

Wahlen Namibia Katatura 1989
Anstehen bei den ersten freien Wahlen in Namibia, Katatura/Windhoek, 1989
Foto: Kaspar von Loeben


Hat Ihre Gewerkschaft konkrete Forderungen zur Landreform?
 
Es gibt ein Machtgefälle und ein Ungleichgewicht an Landbesitz. Es darf nur einen Farmer, eine Familie pro Farm geben, „one farmer – one farm“ heißt der Slogan. Wenn es dann immer noch genug Land gibt – okay, dann können es auch mehr sein.
 
Land darf nicht in ausländischem Besitz sein. Ausländer sollen pachten und Landwirtschaft betreiben können, aber nicht besitzen.
 
Zudem muss es eine Größenbegrenzung für Farmen geben. Ein Teil der Farmen muss festgelegte Ergebnisse erzielen. Du kannst nicht einfach Land besitzen und nichts produzieren. Die Ernährung des Landes muss gewährleistet sein, es muss für das Land und den Export produziert werden.
 
Das Land sollte zunächst dem Staat gehören und die Regierung sollte es an die verteilen, die es brauchen. Und wenn die Regierung Land an Arme vergibt, dann sollte sie die Armen technisch, finanziell und mit Wissen unterstützen und damit sicher stellen, dass das Land zur Abschaffung der Armut dient.
 
Welche Ziele haben Sie für die nächste Zukunft?
 
Uns geht es darum, eine starke Gewerkschaft aufzubauen und dabei gerade junge Leute zu gewinnen und in die Arbeit einzubeziehen. In Namibia müssen wir ein klares gewerkschaftliches Bewusstsein schaffen, unser Prinzip heißt: „Wohlstand für alle“. Es muss ein Grundeinkommen geben, mit dem sich jede und jeder als menschliches Wesen empfinden kann und nicht schutzlos anderen ausgeliefert ist. Es gibt einige Leute, die gar nichts zu essen haben, und andere, die einfach zu viel haben. Das ist nicht fair.

Namibia Landarbeiter
Wohnen in Namibia
Foto: Gabi Pehle


Vor einigen Tagen sprachen Sie auf einer Veranstaltung des AK Internationalismus im IG Metall-Haus in Berlin, auf dem Poduim saß auch der Berliner Vorsitzende der IG BAU. Was erwarten Sie von der Kooperation mit deutschen Gewerkschaften?
 
Die deutschen Gewerkschaften verfügen über eine mehr als hundertjährige Tradition und sicherlich über die entsprechenden Erfahrungen und Fähigkeiten. In Gefolge von Globalisierung und Neoliberalismus müssen wir zusammenarbeiten und herausfinden, wie wir dagegen vorgehen können: gegen die Politik von IWF und Weltbank, deren Strategien zu Landwirtschaft, zur Ökonomie generell.
 
Die IG BAU könnte uns möglicherweise beim Aufbau der Organisation unterstützen, so dass wir zu einer der stärkeren Gewerkschaften im Südlichen Afrika werden. Das ist unsere Hoffnung, dann wären wir ein gutes Beispiel dafür, was im Agrarsektor getan werden kann, und könnten wiederum andere unterstützen. (YH)

Online-Flyer Nr. 116  vom 10.10.2007

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