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Aktueller Online-Flyer vom 24. April 2024  

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Globales
Militärischer Neoliberalismus und das geplante irakische Ölgesetz
Irak – Akkumulation durch Enteignung
Von Jürgen Wagner

Bezeichnenderweise stimmen rechte und linke Beobachter darin überein, dass der Krieg gegen den Irak und die nunmehr vier Jahre andauernde Besatzung ein grundlegend neues Kapitel US-amerikanischer Außenpolitik eingeläutet haben. Aus Sicht der außenpolitischen Eliten in den Vereinigten Staaten markiert der Angriffskrieg gegen den Irak den Wendepunkt, der deutlich macht, dass Washington nunmehr bereit ist, gegen jedwede Bedrohung mittels militärischer Präventivschläge vorzugehen.
Während sie als Motivation zumeist defensive Sicherheits- interessen anführen, herrschen in kritischen Analysen vor allem zwei Interpretationen vor, um den US-amerikanischen Amoklauf im Irak zu erklären: Öl und die militärische Reaktion auf die Krisentendenzen der neoliberalen Weltwirtschaftsordnung.

Neoliberale Zurichtung

Bereits im Juni 2003 kündigte der damalige US-Verwalter des Irak, Paul Bremer, eine „Schocktherapie" an, in deren Folge die irakische Wirtschaft entlang neoliberaler Vorgaben umgekrempelt werden sollte. Mit seiner rechtsverbindlichen „Order 39" verfügte er im September 2003, dass von nun an ausländische Konzerne irakische Betriebe komplett übernehmen und die aus ihren Geschäften resultierenden Gewinne zu ebenfalls hundert Prozent aus dem Land transferieren dürften. Parallel wurden die Einfuhrzölle herabgesetzt und staatliche Subventionen gestrichen, womit der Schutz der irakischen Wirtschaft vor – häufig hoch subventionierten – westlichen Produkten praktisch wegfiel. Mit Direktive 49 wurden die Steuern von ursprünglich vierzig auf fünfzehn Prozent begrenzt und mit Order 54 dann die Einfuhrzölle gänzlich abgeschafft. Darüber hinaus eröffnete Order 40 erstmals die Möglichkeit, das Bankenwesen zu übernehmen. Erlass Nr. 81 regelte das Urheberrecht neu. Es erlaubte Agrarkonzernen nunmehr, sich Patente auf traditionelle Saatgut-Arten zu sichern. Damit wird die komplette Landwirtschaft in die Abhängigkeit westlicher Agrokonzerne (Monsanto, Syngenta, Bayer, etc.) getrieben, denen sie das Saatgut abkaufen muss. Damit war der Irak zu einem "kapitalistischen Traum" geworden.

Während der ursprüngliche irakische Verfassungsentwurf noch das Recht auf Arbeit und den Vorrang sozialer Gerechtigkeit beim Wiederaufbau vorsah, waren solche und ähnlich progressive Passagen in der am 15. Oktober in einem Referendum angenommenen Endfassung nicht mehr enthalten. Berichten zufolge hatte hierauf vor allem US-Botschafter Zalmay Khalilzad gedrängt. Darüber hinaus führte die Abschaffung staatlicher Subventionen für lebensnotwendige Güter zu einer drastischen Erhöhung der Lebenshaltungskosten.


Irak Souveränität Condoleezza Rice
Quelle: wikipedia

Militärischer Neoliberalismus

Die Ähnlichkeit mit den „strukturellen Anpassungsprogrammen“ von IWF und Weltbank ist auffallend, doch gibt es einen entscheidenden Unterschied: Diese „Wirtschaftsreformen" wurden indirekt über IWF und Weltbank durchgesetzt. Hier scheint sich ein grundlegender Wandel anzubahnen. Mittlerweile erfolgt die Durchsetzung der neoliberalen Weltwirtschaftsordnung immer direkter im Rahmen militärisch abgesicherter quasi-kolonialer Besatzungsregime.


Hintergrund dürften die wachsenden Krisentendenzen des neoliberalen Weltwirtschaftsmodells sein: „Krieg ist zweifellos die brutalste Form, um Enteignungsprozesse durchzusetzen. Und es ist denkbar, dass die anhaltende Besetzung des Irak den Durchbruch zu einer neuen Phase imperialistischer Herrschaft und neokolonialer Unterwerfungsbestrebungen darstellt. Die Privatisierung und Aneignung öffentlicher Dienste durch transnationale Konzerne, die Auseinandersetzungen über intellektuelle Eigentumsrechte und natürliche Ressourcen sowie vor allem die US-Strategie des ,Krieges ohne Grenzen' und des Präventivkrieges und die kriegerische Aneignung der irakischen Ressourcen durch die USA werfen grundsätzliche Fragen über das Funktionieren des Kapitalismus [auf]. Insbesondere stellt sich die Frage, inwiefern als Antwort auf und Ergänzung zur krisengeschüttelten erweiterten Reproduktion Akkumulationsprozesse durch Enteignung die aktuelle Phase des Kapitalismus kennzeichnen."[1]
 
Bagdad Irak Öl
Foto: Peter Rimar | wikipedia
Ausgeheckt hat die neoliberale Zurichtung des Irak die US-Beratungsfirma Bearing Point, die über beste Kontakte zur Bush-Administration verfügt. Sie schloss einen Vertrag mit USAID, der US-Agentur für Entwicklungs- zusammenarbeit, und erklärte sich, für $250 Mio. dazu bereit, „den grundlegenden juristischen Rahmen für eine funktionierende Marktwirtschaft zu schaffen, indem aus der einzigartigen Möglichkeit, die die gegenwärtigen politischen Umstände für einen raschen Fortschritt in diesem Bereich bieten, angemessen Kapital geschlagen wird.“


Das irakische Ölgesetz

Obwohl Bagdad während des US-Angriffskrieges 2003 großflächig bombardiert wurde, vermied es die US-Armee tunlichst, das irakische Ölministerium zu beschädigen, denn dort lagen die Explorationskarten der Ölfelder, die Pipelinedaten und Verträge.

 
Schon im Frühling 2003 hatte die Gruppe ,Öl und Energie’ des US-Außenministeriums erklärt, es sei notwendig, den Irak nach Kriegsende durch eine Re-Privatisierung für internationale Ölfirmen zu öffnen. Hierfür wurde sogar ein eigener Paragraf (Nr. 110) in die irakische Verfassung eingeschleust, der fordert, im Ölsektor „Strategien anzuwenden", die auf den „modernsten Techniken der Marktprinzipien beruhen und Investitionen begünstigen." Mit der Detailgestaltung der „Investitionsbegünstigung“ beauftragte die US-Regierung Bearing Point. Die Firma legte ihre Vorschläge in Form eines „Ölgesetzes" vor, dem die irakische Regierung Anfang 2007 zustimmte. Allerdings sah sie sich bisher außerstande, das Gesetz endgültig durchzudrücken. Denn sowohl in der Bevölkerung als auch im Parlament, dessen notwendige Billigung weiterhin aussteht, wächst der Widerstand.
 
Das Gesetz sieht die Neuordnung des Ölministeriums und der Nationalen Irakischen Ölgesellschaft vor. Kernpunkt ist die faktische Beendigung der staatlichen Kontrolle über den Großteil der irakischen Öl- und Gasvorkommen. Die siebzehn derzeit produzierenden Felder sollen unter irakischer Kontrolle bleiben. Auf die übrigen 63 derzeit bekannten Ölfelder sollen multinationale Konzerne für mindestens dreißig Jahre den Zugriff erhalten. Darüber hinaus räumt das Gesetz den Ölkonzernen auch noch den Zugriff auf sämtliche Ölfelder ein, die künftig im Irak entdeckt werden. Zwar gehen die Schätzungen über die zusätzlichen Reserven weit auseinander, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kommen aber mindestens weitere 100 Mrd. Barrel hinzu.
 
Krieg lohnt sich
 
Wird das Ölgesetz verabschiedet, sichern sich die Ölkonzerne die Profite an

Quelle: NRhZ-Archiv
Bild: Endy Hagen
70% von mindestens 200 Mrd. Barrel irakischen Öls, was bei einem Ölpreis von ca. 80$ pro Barrel (Stand Mitte September), einen Gesamtprofit von etwa 11 Billionen Dollar ergeben würde. In diesem Zusammenhang legt die Tatsache, dass die bisherigen Kosten des Irak-Kriegs im Juli 2007 mit $450 Mrd. angegeben wurden, die zynische Feststellung nahe, dass sich Krieg offensichtlich doch lohnt, zumal diese Kosten über Steuern von der US-Bevölkerung getragen werden, während die Profite aus dem irakischen Ölgeschäft direkt in die Taschen der mit Bush eng verbandelten Ölmultis wandern.

 
Als Begründung, weshalb das Ölgesetz für den Irak unbedingt notwendig – und segensreich – sei, muss permanent das Argument herhalten, ohne ausländische Investitionen in die Infrastruktur könne die Produktion nicht in Gang kommen. Doch, wie Helmut Merklein, von 1984 bis 1990 US-Energieminister, ausführt: „Wenn es das Ziel ist, die Produktion auf die Quote von vor dem Golfkrieg (3.14 Mio. Barrel am Tag) zu heben, benötigt der Irak eine Kapitalzufuhr von weniger als 1 Mrd. Dollar. Und er benötigt ganz sicher nicht die multinationalen Konzerne, um Zugang zu diesen Investitionen zu erhalten."

Ganz offensichtlich geht es darum, den großen Vier – Exxon-Mobile, Chevron, BP-Amoco und Royal Dutch-Shell –, gigantische Profite zu garantieren. Damit das Geld auch in die richtigen Taschen wandert, verfügte Paul Bremer mit seiner Executive Order 13303 die Annullierung früherer Ölverträge, insbesondere Frankreich und Russland hatten mit Saddam Hussein umfangreiche Explorationsvereinbarungen unterzeichnet. Das neue Ölgesetz sieht vor, dass jeder Vertrag, der mit dem einstigen Regime und mit den Behörden der kurdischen Autonomie geschlossen wurde, revidiert und mit dem neuen Gesetz in Einklang gebracht werden muss.

Wachsender Widerstand und Druck der Besatzer


Heute hat al-Maliki Angst
Quelle: defense link
Die USA sind zunehmend darüber verärgert, dass die irakische Regierung
das Ölgesetz bislang nicht durchboxen konnte: "Entnervt erhöhte die US-Regierung den Druck auf die irakische Regierung. Am 26. Mai 2007 erklärte man, Irak erhalte keine weitere Wiederaufbauhilfe aus den USA, solange es nicht das neue Ölgesetz verabschie- det habe."[2]
Auch die zunehmenden Konflikte und die harsche Kritik der USA an Premierminister al-Maliki dürften nicht zuletzt der Tatsache geschuldet sein, dass er nicht in der Lage war, das Gesetz durchzudrücken: „Premierminister Nouri al-Maliki fürchtet, dass die Amerikaner ihre Unterstützung für seine Regierung zurückziehen – und ihn damit de facto feuern – werden, sollte das Parlament das Ölgesetz nicht verabschieden.“[3]
 
Doch „eine Umfrage in Irak ergab, dass Iraker aller religiösen und ethnischen Gruppierungen es mehrheitlich ablehnen, die nationalen Ölressourcen ausländischen Konzernen zu überlassen“[4] und „mehr und mehr Parlamentsabgeordnete rufen dazu auf, das Gesetz vor seiner Annahme sorgfältig zu studieren."[5] Auch der außerparlamentarische Druck nimmt zu, insbesondere durch die Gewerkschaften, allen voran von der irakischen Erdölarbeitergewerkschaft in Basra und der Dachorganisation der Ölgewerkschaften, die Streiks und Demonstrationen organisierten. „Ministerpräsident Nuri al-Maliki schickte Truppen gegen den Streik, das war selbst einigen Soldaten zu viel, der Befehl ließ sich nicht halten. Ölminister Hussein al-Scharistani verbot die Gewerkschaft schließlich auf Grundlage eines Gesetzes aus der Zeit Saddam Husseins."[6]
 
Der vollständige Artikel ist nachzulesen unter http://www.imi-online.de/download/IMI-Analyse2007-032-Ölgesetz.pdf

[1] Zeller, Christian: Die Eigentumsfrage ernst nehmen! Die Aktualität von Enteignung und Aneignung, in: Sand im Getriebe Nr. 31, März 2004
[2] Leukefeld, Karin: Neues Ölgesetz stößt auf Widerstand, Neues Deutschland, 20.08.2007
[3] Al-Maliki tells aides U.S. benchmark deadline is June 30 or his ouster possible, Associated Press, 13.03.2007
[4] Leukefeld aaO
[5] Chalabi, Muni: Was hält eigentlich die Ablieferung des lang erwarteten irakischen Ölgesetzes auf?, ZMag, 22.08.2007
[6] Leukefeld aaO


Online-Flyer Nr. 115  vom 03.10.2007

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