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Arbeit und Soziales
FahrradwerkerInnen produzieren im besetzten Betrieb trotz Schließung weiter
Bike Strike
Von Peter Kleinert

Seit dem 10.Juli halten 135 FahrradwerkerInnen im thüringischen Nordhausen ihren Betrieb Bike Systems im 3-Schichtbetrieb besetzt. Nachdem der Finanzinvestor Lone Star die Firma vor anderthalb Jahren aufgekauft und im Juni 2007 die Schließung verkündet hatte, beschloss nun die Belegschaft, die Produktion von Fahrrädern in Selbstverwaltung wieder aufzunehmen. Dafür müssen bis zum 2. Oktober verbindlich 1.800 Bestellungen für Fahrräder eingehen. Wie man bestellen kann, sehen Sie am Ende des Artikels.
„Wenn es tatsächlich klappen sollte, 1.800 Vorbestellungen für die in Eigenregie produzierten Fahrräder zu sammeln, verbreiten wir solidarische Ideen und machen den Kolleginnen und Kollegen in ähnlichen Situationen Mut, sich nicht einfach platt-sanieren zu lassen. Von wem auch immer!“ heißt es in einer Erklärung der BesetzerInnen.

Solidaritäts-Fahrräder aus Nordhausen!

In der Zeit der Besetzung und durch Gespräche während der Besuche von solidarischen Menschen entwickelten die Kolleginnen und Kollegen im südlichen Harz die Idee, erst einmal für kurze Zeit die Produktion in Selbstverwaltung wieder aufzunehmen.


Bestellt Strike-Bikes!
Die Firma ist zwar weitgehend ausgeschlachtet, die Halle bis auf die Lackierstraße leer geräumt. Doch die Belegschaft erhält Arbeitslosengeld. Weil es ihr aber nicht nur darum geht, den Abtransport der letzten Maschinen zu verhindern und auf einen neuen Investor zu warten, stieß die Idee, ein eigenes »Strike-Bike« herzustellen, auf immer größere Resonanz. Dadurch biete sich die Chance, es allen zu zeigen, ein eigenes Konzept zu entwickeln und die Produktion und den Vertrieb allein wieder auf die Beine stellen.

Beim Vertrieb arbeiten die Kollegen und Kolleginnen mit der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft FAU zusammen (Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union). Für die Kampagne ist die Homepage www.strike-bike.de freigeschaltet. Zu einem „Besuch“ bei dem offenbar für die Betriebsschließung verantwortlichen Investor in Frankfurt am 6. September wurden die „Bike Striker“ auch von Frankfurter IGM-KollegInnen erwartet, die die Demo für sie angemeldet hatten.


Demo gegen „Fürsten und Magnaten“ in Frankfurt

Solidarität und Hoffnung!

Nachdem sich alle mit IGM-"Streiktüten" oder Heuschreckenkostümen ausstaffiert hatten, zog eine lautstarke Demo zur Hamburger Allee 14, dem Sitz der texanischen US-Investmentgesellschaft Lone Star. Deren Herren scheinen Angst vor der Öffentlichkeit zu haben: Nur ein winziges Papierschildchen am Briefkasten deutet darauf hin, dass in dem Glaspalast Lone Star sitzt. Die KollegInnen bauten sich zunächst vor dem Gebäude auf und sangen ihr Protestlied "Fürsten und Magnaten" zum Rhythmus der Trommeln, die sie aus Lacktonnen und anderen Materialien aus ihrem Betrieb gebastelt hatten. Die Sprechchöre "Rauskommen!" zeigten keine Wirkung, also versuchten einige KollegInnen, zu Lone Star vorzudringen. Schließlich wurde eine dreiköpfige Verhandlungsdelegation zugelassen.


„Wir arbeiten weiter!“
Fotos: Alix
Die dabei an Lone Star vorgetragenen Forderungen der FahrradwerkerInnen:

> Rücknahme des Gesellschafterbeschlusses vom Juni 2007 über die Abwicklung der Fabrik,
> Weiterführung der Produktion oder Verkauf an einen strategischen Investor, > Rücknahme des Insolvenzbeschlusses vom 10.8.2007.

Erwartungsgemäß kam bei dieser Verhandlung nichts heraus. Nach mehr als zwei Stunden Belagerung zogen die KollegInnen wieder zu ihren Bussen, um nach Nordhausen zurückzufahren. - Nicht ohne vorher noch mal zu bekräftigen, dass der Kampf weiter gehen wird, wie sie es auch in ihrem Flugblatt mit Clara Zetkin gesagt hatten: "Lassen wir uns nicht schrecken durch die Ungunst äußerer Umstände, haben wir für alle Schwierigkeiten nur eine Antwort: Erst recht!"

Hintergrund-Story

Die Geschichte der Ausschlachtung der Nordhausener Fahrradfabrik ist ein Skandal: Der interessierten Öffentlichkeit wird bisher allein die Lone Star als Besitzerin vorgeführt, die dieses Werk genauso "platt-saniert" habe, wie auch ein weiteres Fahrradwerk der Biria AG im sächsischen Neukirch, das weniger Fahrräder als erwartet verkauft hätte. Hinter der Zerschlagung der Biria-Gruppe steckt aber neben Lone Star offenbar auch der Konkurrent MIFA, die Mitteldeutsche Fahrradwerke AG im sachsen-anhaltinischen Sangerhausen. Die MIFA kaufte im Dezember 2006 die gatus 233. GmbH in Berlin, die wohl zu dem einzigen Zweck gegründet wurde, die Vermögenswerte der Biria-Gruppe - ihr gehörten die Werke in Neukirch und Nordhausen - zu erwerben. Die Verschmelzung der Tochtergesellschaft gatus 233. GmbH mit der MIFA soll demnächst rückwirkend zum 1.1.2007 erfolgen.

Geht es um eine Marktbereinigung oder wird auch die Übernahme der MIFA bereits organisiert, um sie nur noch als Mantelgesellschaft zu nutzen? Jedenfalls erhielt die Lone Star als Dank für dieses Spiel ein 25%-Aktienpaket an der börsennotierten MIFA. Sämtliche Aufträge wanderten von Neukirch und Nordhausen nach Sangerhausen. Die platt gemachte Biria-Gruppe soll nun 5,2 Millionen Euro öffentliche Subventionen zurückzahlen, nicht aber deren ehemalige Besitzerin, Lone Star.

Was wollen Lone Star, Wicht, Brüning und Lehmann?

Wer hat all dies eingefädelt? Nach Ansicht der BesetzerInnen in Nordhausen könnte dies vor allem MIFA-Vorstand Peter Wicht - ehemaliger Kombinats-Direktor von Robotron sein. Zusammen mit seinem Kompagnon Michael Lehmann gehört ihm auch ein Aktienpaket an der Hyrican Informationssysteme AG (Ex-Lehmann & Partner), Massenproduzent billiger Computer für Kaufhausketten. Ausserdem Marcus Brüning, der ab April 2007 „für seine treuen Dienste“ in den MIFA-Vorstand berufen wurde, nachdem er von 2006 bis 2007 als Geschäftsführer bei der Biria-Gruppe erfolglos tätig gewesen war. Seine „Kernkompetenzen“  Interimsmanagement, Sanierungs- und Restrukturierungsberatung erlernte Brüning u.a. als Prokurist der Dresdner Bank AG, München. Heute ist er nebenbei Gesellschafter bei Günther & Partner: "Kauf und Verkauf von Unternehmen, Finanzierung und Restrukturierung" in München.


Was plant Peter Wicht?
Quelle: www.mifa-shop

FAU vermutet, dass nun - zusammen mit der Lone Star - Wicht, Lehmann und Brüning ihre Firmen für die Einführung fertig produzierter und billiger Computer und Fahrräder aus Korea (Samsung ist der Hauptlieferant) „sturmreif schießen“ wollen. Diesem „abgekarteten Spiel“ könne nur durch internationale Solidarität begegnet werden. Die FAU werde ihre
internationalen Schwester-Gewerkschaften in der IAA um Solidarität bitten, um dem Arbeitsplatz fressenden Durchmarsch der Wicht-Brüning-Lehmann-Gruppe und der Lone Star auf dem europäischen Computer- und Fahrrad-Markt Widerstand entgegen zu setzen. (HDH)

Kontakt zur Belegschaft und zum Betriebsrat:
Bike-Systems GmbH
Freiherr vom Stein-Straße 31 - 99734 Nordhausen
Telefon: 03631 - 622 131 - Fax: 03631 - 622 146
fahrradwerk@gmx.de
http://www.strike-bike.de

Online-Flyer Nr. 114  vom 26.09.2007

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