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Arbeit und Soziales
Ergebnisse der DGB-Arbeitsstudie niederschmetternd
Schlechte Leistung
Von Hans-Dieter Hey

„Die Absicht, dass der Mensch glücklich sei, ist im Plan der Schöpfung nicht enthalten", sagte einmal der berühmte Psychotherapeut Sigmund Freud. Es könnte sich dabei auch um das zusammengefasste Ergebnis der Gewerkschaftsstudie  „Gute Arbeit" über die Arbeitszufriedenheit in deutschen Betrieben handeln, die in diesem Jahr erstmals vorgestellt wurde. Allerdings macht es Sinn, nach anderen Zusammenhängen als der Schöpfung zu suchen.
Der Versuch einer Zustandsbeschreibung


Die DGB-Studie bringt es nun ans Licht, dass außer werbewirksamen Sprüchen deutscher Unternehmen nichts übrigbleibt vom schönen Schein. Nur jeder achte Beschäftigte der repräsentativen Umfrage des DGB für das Jahr 2007 ist mit dem Arbeitsplatz rundum zufrieden, über die Hälfte bewerten Arbeit und Arbeitsumfeld lediglich mittelmäßig. Für die deutsche Wirtschaft ein niederschmetterndes Ergebnis, unterlässt man auf deren Seite doch nichts, Arbeitsklima, soziales Engagement oder die eigenen „Codes of Ethics" und Bossing- und Mobbing-Beratungsstellen werbewirksam unter die Leute zu tragen.


„Gute Arbeit"-Index des DGB – schlecht ausgefallen
Quelle: DGB-„Gute-Arbeit-Index"


Der weitaus größte Teil der Beschäftigten klagt über fehlende Beteiligungsmöglichkeiten, körperlich stark belastende Arbeiten und hohe emotionale Anforderungen. Nur wenige fühlen sich in ihrer beruflichen Entwicklung unterstützt, oder der Mangel an persönlichem Respekt wird beklagt. Am meisten aber werden Einkommensentwicklung und Ungewissheit über die berufliche Zukunft als Gründe genannt. Mit am wenigsten zufrieden sind die Beschäftigten in Leiharbeitsfirmen, und zwar in elf von zwölf befragten Dimensionen. Dort arbeiten immerhin 600.000 Beschäftigte. Allein bei AIRBUS gibt es 7.000 von ihnen, und damit arbeiten gut ein Drittel der Beschäftigten in Leiharbeit. Nur zwei Prozent vergeben für ihre Arbeit ein „Gut". Ver.di-Chef Frank Bsirske fordert deshalb eine Gleichstellung zwischen „normalen" Beschäftigten und Leiharbeitnehmern, wie dies zur Zeit auf europäischer Ebene diskutiert wird.

Doch es kann noch schlimmer kommen, wenn man im wachsenden Niedriglohn-Sektor beschäftigt ist. Dort sind die körperlichen und seelischen Belastungen noch höher. DGB-Chef Michael Sommer forderte deshalb noch einmal eine deutliche Verbesserung der Arbeits- und Entgeltbedingungen sowie einen gesetzlichen Mindestlohn, den die CDU ablehnt. Eine herbe Niederlage für die Bürgerinnen und Bürger ist auch die durch die Schwarz-Rote Regierung eingeführte Rente mit 67, denn nur die Hälfte aller Beschäftigten rechnet überhaupt damit, die Arbeit wegen der starken Belastungen bis zum 65. Lebensjahr ausüben zu können. Insgesamt stellt die Studie ein gewaltiges Spektrum belastender Arbeitsbedingungen heraus. Die Gewerkschaftsstudie ist nicht mehr – aber auch nicht weniger – als eine kurze Zustandsbeschreibung. Doch nicht alles daran ist neu.

Der Versuch, Zusammenhänge aufzudecken

Bereits Anfang der 60er Jahre wurde das Thema „Humanisierung der Arbeitswelt" entdeckt und untersucht. Damals wollte man viel verbessern, vor allem auch die Mitbestimmung. Schnell war allerdings klar, dass die Wirtschaft alles daran setzen würde, dass Demokratie hinter den Betriebstoren nichts zu suchen hat. Und am 21. September 2007 haben wir erlebt, wie die CDU-FDP-Regierung von Rüttgers in NRW unter dem Totschlagwort „Modernisierung" den Vorreiter beim Kahlschlag von Mitbestimmung im öffentlichen Dienst spielt. Ähnliches wird nun die Wirtschaft versuchen. Sie fordert schon lange das Zerschlagen weiterer Mitbestimmungsrechte, weil die angeblich den Wettbewerb behindern.

Teamorientierung, Partizipation und Mitsprache sollen bald der Vergangenheit angehören. Arbeitenden Menschen sollen auf das preußische Beamtenethos von Selbstlosigkeit, Loyalität, Korrektheit, Sparsamkeit, Gründlichkeit und Pünktlichkeit reduziert werden. Diese so genannten Tugenden, ergänzt durch enormen Leistungs- und Termindruck, sollen die arbeitenden Menschen auf das Verwertbare reduzieren. Respekt, Wertschätzung und Würde sollen der besinnungslosen Raserei eines rücksichtslosen Shareholder-Value-Systems weichen. Das System will einen Wettbewerb der Barbarei, einen Kampf von Jedem gegen Jeden, in dem immer mehr Menschen auf der Strecke bleiben.    


Ein glücklicher Arbeiter ...
Foto: arbeiterfotografie.com

Und was die Stimmung in den Betrieben besonders niederschmettert, ist das „Geiz ist Geil" der Wirtschaft bei Aufstiegs- und Verdienstmöglichkeiten. Am 24. September meldet die „Bild"-Zeitung, das sich unsere Löhne auf dem Stand von vor 20 Jahren befinden. Am 17. September meldet das Karriere-Portal Jobpilot, dass inzwischen mehr als 25 Prozent aller Beschäftigten überhaupt keine festen Bezüge mehr haben, sondern ihren Lohn in Abhängigkeit von Zielvereinbarungen erhalten. Der Lohndruck auf die Beschäftigten durch ca. acht Millionen Arbeitsuchende wird immer größer.
Die Zahl derer, die für Hungerlöhne bereit sind zu arbeiten, wächst.

Im Internet-Blog taucht der Erwerbslose Ludwig auf: „Mein Glück beginnt, wenn ich wieder eine Arbeit finde", sagt er in seiner Not. Dass die Schwarz-Rote Regierung bei Hartz IV nicht einmal die horrenden Preissteigerungen der letzten Zeit ausgleichen will, macht seine Verzweiflung und den Druck nur noch größer – wie bei vielen anderen auch. Die geringe Zunahme der Beschäftigung um einige Hunderttausend wird als Erfolg verkauft, der sich jedoch im wesentlichen im Niedriglohnsektor und Leiharbeitsmarkt auswirkt.

Auch die Zunahme flexibler Beschäftigungsverhältnisse und die Ausweitung der Arbeitszeiten  – mehr und mehr ohne Lohnausgleich – machen die Beschäftigten unzufrieden: „Je länger und je unregelmäßiger die Arbeitszeit ist, desto eher sind die Arbeitnehmer unzufrieden", so Willy Buschak, stellvertretender Direktor der European Foundation in Dublin. Gerade mit der Rot-Grünen Regierung hat eine „Entfesselung" der Leiharbeit stattgefunden, die die Rechte der LeiharbeitnehmerInnen eingeschränkt hat. Inzwischen fliegen 33 Prozent nach kurzer Zeit wieder raus.Hinzu kommen acht Millionen Menschen in Deutschland, die jährlich ihren Arbeitsplatz wechseln.


...gehört nach dem Ende der Würde der Vergangeheit an
Quelle: DGB-Plakat zum 1. Mai 2006 (Deine Würde ist
unser Maß), der Realität angepasst durch arbeiterfotografie.com


Und während 5 bis 20 Prozent (letzte Zahl berücksichtigt Weltwirtschaftskrise und Nachkriegszeit) unserer Großeltern im Laufe ihres Berufslebens mehrmals arbeitslos wurden, waren es 1990 bereits 31 Prozent. Inzwischen ist die durchschnittliche Betriebszugehörigkeit in den Betrieben seit den 90er Jahren auf unter 5 Jahre gesunken. Im europäischen Durchschnitt liegt sie bei elf Jahren. Man fliegt raus, und irgendwann bleibt man spätestens ab 45 eben auf der Strecke, weil das Einstellungsalter gesunken ist. Dies muss als ungeheurer Druck empfunden werden. Die Folge sind verbissene Kämpfe um die Arbeitsplätze und Angst und Unsicherheit vor der Zukunft. Inzwischen glaubt die Hälfte aller Beschäftigten, dem Druck bis zum 65. Lebensjahr gar nicht mehr standzuhalten und lehnt die Rente mit 67 ab, die im Grunde eine Rentenkürzung bedeutet und den meisten Rentnern künftig nur eine Rente auf Sozialhilfeniveau beschert. Durch all das wird Erpressbarkeit zum Alltag für alle.

Dass die Krankenstände in deutschen Unternehmen in den letzten zehn Jahren um 20 Prozent gesunken sind, ist kein Hinweis auf eine verbesserte Volksgesundheit, sondern spiegelt genau diesen Druck wieder. Die Hans-Böckler-Stiftung hat ausgemacht, dass viele sich nicht krank melden, „damit nicht schlecht über sie geredet wird". Sie werden von ihren Chefs für diese „Arbeitsmoral" gelobt. Aus Angst wird ignoriert, das Krankheit ebenso zum Wesen des Menschen gehört. Der psychische Druck steigt, drei Millionen Tinnituspatienten und immer mehr Menschen müssen sich wegen „Burnout", Mobbing oder anderen arbeitsbedingten Stresssfaktoren in Behandlung begeben. Wir sind Inzwischen soweit, dass sich dieser Druck auf vernachlässigte Kinder auswirkt, von denen bereits ein Drittel psychisch behandelt werden muss. Man muss kein Hellseher sein, um festzustellen, dass dies auf Dauer nicht gut gehen kann.

Bei dieser von der Studie beschriebenen Gesamtsituation kann man sich nur noch wundern, dass SPD-Chef Kurt Beck am 10. September medienwirksam mitteilte, er wolle auf das Boot der Gewerkschaften aufspringen und „vor allen Dingen das Projekt 'Gute Arbeit' voranbringen". Denn gerade die Rot-Grüne Regierung unter Gerhard Schröders ist für den Zustand mitverantwortlich, weil sie rückgratlos vor den Forderungen von Lobby und Wirtschaft einknickte. Es sind auch die Folgen der „Agenda 2010", die zu diesem „inneren Zustand" der Menschen geführt hat. Arbeit als eine wichtige Bedingung für ein sinnvolles gesellschaftliches Miteinander müsste daher dringend neu bedacht werden.Dafür gibt es - angesichts unserer aktuellen politischen Vordenker in Bund und Land - allerdings wenig Hoffnung.
 
Was Glück für die meisten Menschen bedeutet, ist längst erwiesen. Im Gegensatz zu dem, was neoliberale Hirne den Menschen mit Hilfe der üblichen Medien vorzumachen versuchen, sind für diese von zentraler Bedeutung wirtschaftliche Sicherheit und sozialer Ausgleich und keineswegs Arbeit für weniger Lohn und mit weniger sozialer Kommunikation. Nachzulesen nicht nur in DGB-Studien, sondern beispielsweise auch in dem Buch „Happiness" des bekannten Ökonomen Richard Layard. Doch davon entfernen wir uns wohl immer weiter. Und weil man vielen Deutschen  nicht unbedingt Lernfähigkeit nachsagen kann, wird es für die arbeitenden Menschen wohl noch eine Weile so weiter gehen mit der beruflichen und damit persönlichen Unzufriedenheit.

Wenn unser erwerbsloser Blogger Ludwig das ähnlich sieht, erleichtert ihm vielleicht der Dichter Gottfried Benn das Herz, wenn er sagt: „Dumm sein und Arbeit haben, das ist das Glück." Genauer trifft den Punkt allerdings Karl Marx: „Jede Stunde Arbeit im Dienste des Kapitals ist eine verlorene Stunde". (HDH)

Online-Flyer Nr. 114  vom 26.09.2007

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