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Aktueller Online-Flyer vom 20. April 2024  

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Kultur und Wissen
Die Leipziger Fotografin Karin Wieckhorst
„…dass da vorher eine Beziehung entsteht“
Von Karin Wieckhorst (Fotos) und Peter Kleinert (Text)

„Sensibilität und Provokation“ – heißt es im Text eines Katalogs – „kennzeichnen die Projekte und Ausstellungen der Leipziger Fotografin Karin Wieckhorst“. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit steht die Begegnung mit Menschen aller Kulturen und Lebenssituationen. Unsere Fotogalerie versucht, einen Einblick in ihr umfangreiches Schaffen zu geben.
1942 in Holzhausen bei Leipzig geboren, verdiente Karin Wieckhorst seit 1965 ihren Lebensunterhalt als Fotografin im Museum für Völkerkunde in Leipzig und studierte nebenher von 1969 bis 1973 Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst. 1985 wurde sie Mitglied im Verband bildender Künstler, weil sie - neben der Sachfotografie von Exponaten im Museum - inzwischen die Fotografie als künstlerisches Medium entdeckt hatte. Im Museum zeigte man Verständnis dafür und genehmigte ihr eine Halbtagsstelle.

Neugier auf Menschen und ihr soziales Umfeld

Ihre freie fotografische Arbeit hat sie von Anfang an in größere Projekte eingebunden. Ihre Neugier auf Menschen und ihr soziales Umfeld ließ sie ungewöhnliche Vorhaben angehen, wie "körperbehindert" (1980-1985) oder das bissige Stadtporträt OSTBERLIN (1984-1986). Ab 1984 nahm sie an inoffiziellen Künstlerveranstaltungen in der DDR teil: dem "Leipziger Herbstsalon" und an Aktionen der illegalen Leipziger Galerie Eigen+Art. Aus Atelierbesuchen bei wenig geschätzten Künstlern des offiziellen DDR-Kulturbetriebs entstand die umfangreiche Arbeit "Begegnungen in Ateliers", die im September 1989 in der Kölner KAOS Galerie ausgestellt wurde.

Der KStA schrieb dazu: „Mit scharfer, nie beschönigender Linse hält die Fotografin die Maler und Bildhauer fest. Diese Selbstdarstellung im Atelier wird um Porträtfotos erweitert, die Karin Wieckhorst den Künstlern zur weiteren Gestaltung zur Verfügung stellte... Das Ergebnis ist in seiner Vielfalt verblüffend. Lyrische Farbmalerei von Gerd Sonntag und figurative Kolorierungen Otto Möhwalds stehen abstrakten Verfremdungen der Künstler Klaus Hähner-Springmühl und Max Uhlig gegenüber. Hartwig Ebersbach aus Leipzig umgibt sich in seinem Atelier mit riesigen Leinwänden, der Raum als solcher ist nicht mehr erkennbar. Ebenso verschwindet sein Porträt unter der aufgetragenen Farbe...“

Und in der "UZ" konnte man lesen: „So verschieden die künstlerischen Handschriften der vorgestellten Malerinnen und Maler aus der DDR sein mögen - eines ist ihnen allen gemeinsam: Etwas Anarchisches, Subversives, Grenzüberschreitendes; und das ist nun einmal ein konstitutives Element jeder Kunst, die sich der Wahrhaftigkeit, dem Experiment und der Erregung aller Nerven und Sinne verschrieben hat.“

„Wir - die mit den wilden Gärten“

Ein paar Monate nach der "Wende" erkannte Karin Wieckhorst bestürzt, "dass wir - die mit den wilden Gärten - wieder als Störenfriede gelten, während die mit kurz geschorenen Rasen heute wie früher mit den HERRschenden Verhältnissen zufrieden sind." - Dies Zitat stammt aus einem dokumentarischen Filmporträt der Künstlerin, die unter dem Motto "Wir sind das Volk!" zunächst mit für Veränderung in der DDR demonstriert hatte, aber bald etwas ratlos Menschenmassen fotografierte, die "Wir sind ein Volk!" brüllten. (Einen Ausschnitt aus dem Filmporträt gibt es in dieser NRhZ-Ausgabe.)

Springer-Verlag musste Schadenersatz leisten

Bald nach der „Wiedervereinigung“ machten Freunde sie darauf aufmerksam, dass sich die BILD-Zeitung mit einigen ihrer Fotos geschmückt hatte. 1968 hatte Karin Wieckhorst erfahren, dass die Leipziger Uni-Kirche aus „städtebaulichen Gründen“ gesprengt werden sollte, worüber sie als engagierte evangelische Christin tief betroffen war. Sie wehrte sich, indem sie die Sprengung am 30. Mai heimlich fotografierte: "Ich hab’ mit der Verbreitung der Fotos meine Wut, meine Empörung anderen mitgeteilt." Entdeckt wurde die Urheberin dieser im „underground“ verteilten Protestfotos von den Behörden nicht. Doch nach der „Wende“ entdeckten sie BILD und andere Blätter aus dem Springer-Verlag und veröffentlichten ihre Fotos ohne die Fotografin zu fragen, ohne ihren Namen zu nennen und - natürlich - auch ohne dafür zu bezahlen. Der Verlag musste für diesen Verstoß gegen das Urheberrecht am Ende kräftig Schadenersatz leisten.

In der Regel fotografiert Karin Wieckhorst lieber Menschen. "Ich fand es immer wichtig", sagt sie, "dass da vorher eine Beziehung entsteht, dass da ein Raum entsteht, in dem wir uns treffen." Deshalb braucht sie für eine Fotoserie wie die über zwei Rollstuhlfahrer fünf Jahre, weiß dann aber auch, "dass da jede Scheu gewichen ist, dass da sogar ein Halbakt im Rollstuhl möglich geworden ist", von dem die Rollstuhlfahrerin Regina Reichert im oben erwähnten Filmporträt sagt: "Ich hab mich natürlich schon vorher im Spiegel gesehen. Aber es jetzt so manifestiert zu haben - also ich war auch erschrocken: Das bist Du..."

Reisen zu anderen Völkern

Anfang der neunziger Jahre fotografierte Karin Wieckhorst Roma in Asylbewerberlagern in Leipzig-Heiterblick und in Lippendorf südlich von Leipzig neben einem Braunkohlekraftwerk. Um den kulturellen und sozialen Hintergründen anderer Völker nachzugehen, begleitete sie Ethnologen des Völkerkundemuseums auf Reisen in den Iran, mehrmals nach Tunesien, nach Syrien, zu den Sami auf die Kola-Halbinsel und nach China. Nach Nepal reiste sie zum ersten Mal allein, später auch nach Anatolien, nach Armenien, in die marokkanische Sahara und in die Mongolei. 2006 schloss sich eine Reise nach Belarus an, im November desselben Jahres an den Niger. In die dabei entstandenen Fotoserien ist ihr durch die langjährige Fotoarbeit für das Völkerkundemuseum trainierter Blick für andere Kulturen eingegangen.

Karin Wieckhorsts Arbeiten haben in vielen Ausstellungen im In- und Ausland ein großes Publikum gefunden, auch in einigen Buchpublikationen. Sie erhielt eine Reihe Preise, darunter den „Preis der 3. Porträtfotoschau der DDR“. Fotografien von ihr befinden sich im Lindenau Museum Altenburg, in der Fotosammlung Cottbus und in der Moritzburg in Halle. Zurzeit widmet ihr das Völkerkundemuseum eine Ausstellung. Anlass ist ihr 65ster Geburtstag, und dass sie nun nach 42 Berufsjahren in Rente geht. Aber nur als Museumsfotografin. (CH)

Unikirche
30. Mai 1968 – Zerstörung der Uni-Kirche in Leipzig

Regina 1985
Regina Reichert – Mitbegründerin des Berliner Zentrums für  selbstbestimmtes Leben (1985)

Fritz Rudolf Fries
Schriftsteller Fritz Rudolf Fries – lebt in Petershagen bei Berlin (1990)

Asyl in Sachsen
Roma in einem Asylbewerberlager in Sachsen

Cina im Jahr
China im Jahr des Pferdes

Karin Wieckhorst New-York 1991
Besuch in New York 1991

Niger 2006
Menschen am Niger (2006)
Fotos: Karin Wieckhorst


Online-Flyer Nr. 114  vom 26.09.2007

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