NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

zurück  
Druckversion

Literatur
Dieter Schenk: Auf dem rechten Auge blind
Die braunen Wurzeln des BKA
Von Hans Georg

Er sei auf „Interesse und Offenheit“ bei den Mitarbeitern des Bundeskriminal- amts (BKA) gestoßen, als er angeregt habe, sich mit dem nationalsozia- listischen Erbe der höchsten deutschen Polizeibehörde zu befassen, erklärte unlängst BKA-Präsident Jörg Ziercke. Ein erstaunlicher Wandel: Noch vor kurzem war es mit der beschworenen Offenheit nicht weit her. „Trotz eines Vorlaufes von über einem Jahr“ habe er „kein Blatt Papier aus dem Bundeskriminalamt“ zur Auswertung erhalten, schreibt Dieter Schenk im Vorwort zu seinem Buch über die „braunen Wurzeln des BKA“.

Schenk, selbst von 1980 bis 1989 als Kriminaldirektor in der Behörde tätig, gelang dennoch der Nachweis, dass das BKA im Jahr 1951 als „organisatorische(r) Abklatsch des Reichskriminalpolizeiamtes“ gegründet wurde. Das verwundert nicht: Fast das gesamte Führungspersonal der ersten Jahre hatte seine beruflichen Erfahrungen in der Sicherheitspolizei des Reichsführers SS, Heinrich Himmler, erworben.

Dieter Schenk
Dieter Schenk – erhielt den von der
Humanistischen Union gestifteten
„Fritz Bauer Preis" 

www.fritz-bauer-institut.de
Viele leitende BKA-Beamte waren zur NS-Zeit an schweren Verbrechen bis hin zum Völkermord beteiligt. Sie jagten als „asozial“ diffamierte Sinti und Roma, sorgten für den reibungslosen Ablauf der Deportation jüdischer Menschen in Konzentrations- und Vernichtungslager und verfolgten entflohene Zwangsarbeiter, die nach den militärischen Überfällen auf Polen (1939) und die Sowjetunion (1941) ins Deutsche Reich verschleppt worden waren. In den von Deutschland während des Zweiten Weltkriegs besetzten Gebieten ermordeten sie unter dem Vorwand der „Partisanenbekämpfung“ unzählige Zivilisten und beteiligten sich an Massenexekutionen von Juden und Kommunisten.


Unter der schützenden Hand des CIA


Einer dieser Kriegsverbrecher war Dr. Bernhard Niggemeyer, neben dem ehemaligen Abwehroffizier der Wehrmacht, Paul Dickopf, einer der „Architekten des BKA“ und bis zu seiner Pensionierung 1968 Leiter des „Kriminalistischen Instituts“ der Behörde. Niggemeyer, Jahrgang 1908, ging 1936 zur Kriminalpolizei, trat 1937 der NSDAP bei und wurde 1943 zum SS-Sturmbannführer ernannt.


GFP: bekannt für ver-
schlungene Wege
In dieser Funktion übernahm er die Leitung der „Geheimen Feldpolizei“ (GFP) im Bereich der Heeresgruppe Mitte im von deutschen Truppen besetzten Weißrussland. Allein die Niggemeyer unterstellte GFP-Gruppe 723 ermordete bis September 1943 insgesamt 3.137 Menschen, denen willkürlich, etwa wegen „jüdischen Aussehens“, Partisanentätigkeit vorgeworfen wurde. Während Paul Dickopf, der 1965 zum BKA-Präsidenten avancierte, die vormaligen NS-Kriminalisten aus dem Reichskriminalpolizeiamt um sich scharte, betätigte sich Niggemeyer laut Schenk als „pater familias für die Ehemaligen der Geheimen Feldpolizei“. Deren Angehörige wurden bevorzugt im „Kriminalistischen Institut“ des BKA untergebracht.

Es ist beinahe müßig zu erwähnen, dass kaum einer der leitenden BKA-Beamten für seine zwischen 1933 und 1945 begangenen Verbrechen zur Rechenschaft gezogen wurde. Dies lag, wie Schenk nachweist, zum einen daran, dass der US-Geheimdienst CIA seine schützende Hand über die „Alt-Kriminalisten“ hielt. Auch hatte die westdeutsche Justiz keinerlei Interesse an einer Strafverfolgung von NS-Tätern, da sie selbst von ehemaligen Nationalsozialisten durchsetzt war. Kam dennoch ein Verfahren in Gang, sah sich das BKA in der vorteilhaften Position, „gegen sich selbst“ zu ermitteln.

Nazi-Konzepte bruchlos übernommen

Schenk zeigt nicht nur, dass die Kriminalisten des BKA nahtlos an ihre NS-Karrieren anknüpfen konnten, sondern auch, dass sie die nationalsozialistischen Konzepte der „Kriminalitätsbekämpfung“ bruchlos übernahmen. So erlebte beispielsweise die rassistische Verfolgung der Sinti und Roma in den 1950er Jahren unter der Leitung der Landeskriminalämter und des BKA eine Neuauflage.



Bollwerk des Kriminalamtes in Wiesbaden
Quelle: (Ausschnitt) BKA


Dr. Josef Ochs, Leiter des „Ermittlungsdienstes“ der vom BKA für den Schutz westdeutscher Politiker aufgestellten „Sicherungsgruppe Bonn“, sprach analog der NS-Diktion von einer „Landfahrerplage“, die es nach lückenloser Erfassung der inkriminierten Menschen zu „bekämpfen“ gelte, denn es handele sich um einen „notorischen Verbrechertyp“. Ochs verfügte über einschlägige Erfahrungen: 1941 war der Kommissar zur Düsseldorfer Kripo versetzt worden, wo er für die Bereiche „Erkennungsdienst“, „Meldedienst“ und „Vorbeugung“ zuständig war. Ein britisches Militärgericht klagte ihn nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wegen der Ermordung von Zwangsarbeitern an; er verteidigte sich mit dem Argument, bei den Opfern habe es sich um „plündernde Fremdarbeiter“ gehandelt.

Folgt man Schenk, sind NS-Traditionen bis heute im BKA lebendig. Zu nennen wären der tief verwurzelte Antikommunismus, der das Amt rechtsextremistische Verbrechen wie Kavaliersdelikte behandeln lässt, und die Bereitschaft zur Kooperation mit Rechtsbrechern, die sich in einer intensiven polizeilichen Zusammenarbeit mit zahlreichen „Folterregimes“ weltweit ausdrückt. Den zuletzt genannten Punkt – wegen der so genannten Anti-Terror-Kooperation des BKA mit mehreren Folterbehörden im Nahen Osten besonders aktuell - hat Präsident Ziercke bei seiner Ankündigung, die „braunen Wurzeln“ seiner Behörde erforschen zu wollen, nicht einmal erwähnt. (CH)









Dieter Schenk:
„Auf dem rechten Auge blind

Die braunen Wurzeln des BKA

Köln 2001
Kiepenheuer und Witsch
372 Seiten
22,90 Euro
ISBN 3-462-03034-5

Online-Flyer Nr. 113  vom 19.09.2007

Druckversion     



Startseite           nach oben

KÖLNER KLAGEMAUER


Für Frieden und Völkerverständigung
FOTOGALERIE