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Aktueller Online-Flyer vom 04. Mai 2024  

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Inland
Warum der Innenminister sich zu unrecht bestätigt fühlt
Schäubles Stunde
Von Rolf Gössner

Die Sicherheitsdebatte nach den spektakulären Festnahmen mutmaßlicher islamistischer Terroristen wird hitziger. In solchen Situationen schlägt regelmäßig die Stunde der Scharfmacher und der politische Druck wächst. Und auch Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble mit seinen staatsgewaltigen Fantasien und grundrechtssprengenden Denkanschlägen, die er fast täglich verübt, sieht sich offenkundig bestätigt. In der Bevölkerung und den Medien, die bislang Schäubles Aufrüstungspläne gar nicht so erstrebenswert fanden, wird die Kritik daran womöglich mehr und mehr verstummen.
Tatsächlich stellt sich für viele die Frage: Brauchen wir nicht doch noch weitergehende Eingriffsbefugnisse für Polizei und Geheimdienste, um den nun ausgemachten homegrown-Terroristen das blutige Handwerk zu legen? Jetzt, wo die Gefahr nicht mehr nur mit Mustafa und Mohammed in Zusammenhang gebracht wird, die längst unter Generalverdacht stehen, sondern eben auch von eingeborenen Islamkonvertiten droht, die auf die Namen Fritz und Daniel hören. Und so zeichnet sich auch schon ein neues Feindbild ab: der Konvertit – ein potentieller Terrorist.


Wolfgang Schäuble im Bundestag
Quelle: Deutscher Bundestag /
Lichtblick / Achim Melde
 Innenminister im Ausnahmezustand

Deutschland gilt schon seit Jahren als Teil eines globalen Gefahrenraums mit zunächst eher abstrakter Gefährdungslage. Doch spätestens nach den Kofferbombenfunden vom letzten Jahr und den neuesten Festnahmen hat der islamistische Terror nach herrschender Meinung Deutschland erreicht. Und diese neue Bedrohungslage könne, so die nicht ganz logische Schlussfolgerung, nur mit abermals neuen Befugnissen bewältigt werden. Doch lassen wir die Kirche, oder auch die Moschee, im Dorf. Der letzte Festnahmeerfolg nach einem monatelangen professionellen Großeinsatz der Polizei, mit dem mutmaßlich geplante Anschläge verhindert wurden, zeigt doch allem Anschein nach: Wir brauchen weder heimliche Trojanerfahndungen per online-Durchsuchung von Computern noch grundrechtswidrige Bundeswehreinsätze im Innern des Landes, wie sie Schäuble unablässig fordert. Aber auch keinen Umbau des Bundeskriminalamtes in ein deutsches FBI, geschweige denn die Internierung von „Gefährdern“, die Nutzung unter Folter erpresster Aussagen oder die Tötung von Topp-Terroristen – Denkansätze eines Sicherheitsministers im Ausnahmezustand, dem offenbar jegliches Verfassungsbewusstsein, aber auch der Realitätsbezug abhanden gekommen ist. Das zeigte sein kläglich gescheiterter Vorstoß, die Altersgrenze für großkalibrige Waffen von 21 auf 18 Jahre zu senken.

Mehr Sicherheit zu Lasten der Freiheit?

Formel für Sicherheit
Foto: NRhZ-Archiv
 Schon nach den Terroranschlägen in den USA vom 11.9.2001 übertrafen sich Parteien und Sicherheitspolitiker gegenseitig mit Gesetzesvorschlägen, die der Sicherheit der Bürger dienen sollen, aber mit Sicherheit ihre Freiheitsrechte einschränken. 2002 sind die umfangreichsten Sicherheitspakete der deutschen Rechtsgeschichte in Kraft getreten. Damit wurden etwa Polizei- und Geheimdienst-Befugnisse stark ausgeweitet, Sicherheitsüberprüfungen von Arbeitnehmern auf „lebens- und verteidigungswichtige Betriebe“ ausgedehnt, „biometrische Daten“ in Ausweispapieren erfasst und Migranten einer noch intensiveren Überwachung unterzogen.

Dennoch scheint es nicht genug: Prompt entbrennt nach jedem Anschlag oder Anschlagsversuch eine neue Debatte um angebliche Sicherheitslücken, in der es im Kern um einen fatalen Umbau der Sicherheitsarchitektur geht – mit dem Effekt einer zunehmenden Militarisierung der „Inneren Sicherheit“ und einer weiteren Zentralisierung und Vernetzung aller Sicherheitsbehörden. Eine Rüstungsspirale ohne Ende. Selbst die Gewerkschaft der Polizei fürchtete angesichts dieser überzogenen Sicherheitsgesetze schon um die „Bürgernähe“ der Polizei und um den „freiheitlichen Staat“. Statt der Polizei immer neue Befugnisse zuzumuten, die mit ihrer Personaldecke kaum zu bewältigen sind, sollte man sich lieber um die bestehenden Vollzugsdefizite kümmern – zumal die Polizei wegen der faktischen Allzuständigkeit, die ihr von der Sicherheitspolitik aufgebürdet wird, längst heillos überfordert ist.

Absoluten Schutz gibt es nicht


Auch (k)ein Sicherheitsversprechen
Quelle: NRhZ-Archiv
Für ein vages Sicherheitsversprechen bezahlt die Bevölkerung mit schweren Grundrechtsverlusten einen hohen Preis. Doch man kann es nicht oft genug sagen: Weder in einer hochtechnisierten Risikogesellschaft noch in einer liberalen, offenen Demokratie kann es einen absoluten Schutz vor Gefahren und Gewalt geben. Unhaltbare Sicherheitsversprechen und ein ausuferndes Sicherheitsdenken, wie wir es nicht nur hierzulande erleben, können zerstören, was sie zu schützen vorgeben: Freiheit und Bürgerrechte, die im Zuge des staatlichen Antiterrorkampfes ohnehin schon schweren Schaden erlitten haben. (PK)

Am Samstag, den 22. September 2007 findet in Berlin eine große Demonstration von Bürgerrechtsorganisationen unter dem Motto „Freiheit statt Angst – Stoppt den Überwachungswahn“ statt (www.freiheit-statt-angst.de). Eine Teilnahme ist in der gegenwärtig schwierigen Situation dringender denn je.

Rolf Gössner, Rechtsanwalt und Publizist, ist Präsident der „Internationalen Liga für Menschenrechte“ sowie Autor des vor Kurzem erschienenen Buches „Menschenrechte in Zeiten des Terrors – Kollateralschäden an der ‚Heimatfront’“ (Hamburg 2007). (288 Seiten, 17 Euro)

Online-Flyer Nr. 113  vom 19.09.2007

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