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Aktueller Online-Flyer vom 27. April 2024  

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Globales
Peruanische Heimarbeiterinnen werden von der Textilbranche ausgebeutet
Unsichtbare Fabriken
Von Steffi Holz

Maria Teresa kneift die Augen zusammen, um den Faden durch das Nadelöhr zu bekommen. Vor ihr auf dem Tisch liegen stapelweise T-Shirts in verschiedenen Farben, die sie alle mit silbernen Perlen besticken soll. Die stehen in kleinen Plastikschächtelchen und mit den passenden Rollen Garn bereit. Das Material und die Oberteile hat sie von einer Nachbarin bekommen, die „Kontakt zu einer Firma hat“ und die Aufträge an sie weiter gibt.
Maria Teresa ist eine Heimarbeiterin, die bei sich zuhause Textilien
  bearbeitet, die später in den Läden großer Modeketten in Peru, südamerikanischen Nachbarländern, in den USA oder in Europa hängen. Für welche Firma sie eigentlich arbeitet, weiß sie nicht. Für das glitzernd bestickte Oberteil geben Kundinnen leicht 20 Dollar und mehr aus. Kaum jemand weiß, unter welchen Arbeitsbedingungen es hergestellt wurde und was eine Heimarbeiterin dafür bekommt, dass sie die Pailletten und Perlen von Hand aufnäht, Applikationen bestickt, Details häkelt oder die Nähte säubert.


Arbeitsbedingungen

Die Auftraggeber sind Textilwerkstätten und größere Firmen, die verschiedene Produktionsschritte in den informellen Bereich auslagern, um Lohnkosten zu sparen. Sie beauftragen Werkstätten oder Zwischenhändler, die die Arbeit weitergeben und daran verdienen. Die Heimarbeiterinnen sind oft die letzten Glieder der Produktionskette, in der die Bezahlung immer weiter sinkt. Maria Teresa erzählt: „Uns haben sie drei Soles bezahlt. Aber als wir dem nachgingen und uns nach und nach erkundigen konnten, fanden wir heraus, dass das Unternehmen sechs Soles pro T-Shirt bezahlte. Das ist ungerecht!“

Heimarbeit wird, wie der Begriff schon vermuten lässt, zuhause ausgeführt. Das bedeutet nicht nur Unsichtbarkeit, sondern auch eine fehlende Trennung von Arbeits- und Wohnraum. Charakteristisch sind zudem überlange Arbeitszeiten. Heimarbeit wird in der Mehrheit von Frauen verrichtet. Viele von ihnen sitzen nächtelang an der Arbeit, um Aufträge fertig zu stellen. Dabei ist die Entlohnung sehr gering. Die Heimarbeiterinnen werden nach gefertigten Teilen bezahlt; pro Stück erhalten sie zwischen 10 Centimos und 3,50 Soles peruanischer Währung. Bei einem Umrechnungskurs von 1:4 entspricht dieser Lohn umgerechnet nicht einmal einem Euro pro Kleidungsstück. Der peruanische Verein für gemeinschaftliche Entwicklung (ADC) hat aus den stark schwankenden Stücklöhnen und dem Arbeitsaufwand der Frauen sogar einen durchschnittlichen Stundenlohn von 2,5 Eurocent errechnet.

Die Bezahlung ist unsicher, denn als informelle Arbeiterinnen haben die Frauen keine Handhabe ihren Lohn einzufordern. Es gibt keine schriftlichen Verträge. Die Heimarbeiterinnen sind von den Auftraggebern abhängig. Dass diese versuchen; den Lohn gar nicht zu zahlen oder noch weiter zu drücken, ist keine Seltenheit: „Manchmal sagen sie, `nein, das ist schlecht gemacht´. Das stimmt nicht, aber sie machen das, um dich nicht zu bezahlen oder nur die Hälfte“, berichtet Maria Teresa.


Im ärmsten Bezirk Limas: San Juan de Lurigancho

Alltag einer Heimarbeiterin

Maria Teresa sitzt im Eingangsbereich ihres Hauses, der ihr als Wohn- Arbeits- und Esszimmer dient, auf der Couch und stickt. Der Raum ist gefliest und spärlich mit Tisch und Stühlen, einem Schrank mit Fernseher und ein paar Madonnenbildern möbliert. Ein überdachter Innenhof, ein fensterloses Bad und ein Schlafzimmer gehen von ihm ab. Es ist dunkel im Zimmer, und die Arbeitshaltung auf Dauer unbequem. Maria Teresa sagt, dass sie diese Arbeit gerne macht, ihr aber Augen und Kopf oft weh tun. „Manche Perlen sind kaum zu sehen.“ Wenn sie sich über Rückenschmerzen beklagt, hält ihr Mann ihr oft vor: „Warum arbeitest Du Dich auch kaputt! Und verdienen tust Du auch nichts damit!“

Maria Teresa erhält für ein fertig besticktes T-Shirt umgerechnet 30 Eurocent. Klar, es wäre schön mehr dafür zu bekommen; immerhin sitzt sie an einem Stück über eine Stunde. Aber sie ist froh, überhaupt etwas verdienen zu können. Sich zu beschweren bringe nichts, sagt sie, denn dann bekomme sie gar keine Aufträge mehr. Doch auch wenn sie still hält, ist kein sicheres Einkommen zu erwarten, denn Heimarbeit ist temporär, richtet sich nach dem Bedarf der Firmen. Deshalb gehen die Frauen gleichzeitig unterschiedlichen Erwerbstätigkeiten nach. So knüpft Maria Teresa mit ihren noch schulpflichtigen Töchtern zusätzlich Armbänder im Akkord oder stellt Ketten her.

Da Maria Teresa bald ihr viertes Kind bekommt, ist es besonders wichtig, Geld zu verdienen „für Sachen, die anliegen“, sagt sie. „Was mein Mann verdient in der Woche, 90 Soles, reicht manchmal nicht. Meine Töchter verdienen etwas für Fahrtkosten oder ein T-Shirt. In der Woche z.B., in der wir für die Armbänder bezahlt wurden, haben wir Schuhe für sie gekauft. So helfen wir uns. Und mein Mann bezahlt für den Wocheneinkauf, bezahlt Strom und Gas. Wie sagt man? Das Leben ist nicht zum Leben, sondern zum Überleben.“

Seit ein paar Jahren hat ein extremer Preisverfall eingesetzt: „Früher haben sie gut bezahlt, aber sie wissen, dass es jede Menge Frauen gibt, die das machen, und deshalb bezahlen sie nicht mehr gut.“ In ihrer Nachbarschaft verdienen fast alle Frauen mit Heimarbeit etwas dazu. „Früher haben sie z.B. für jeden gestickten Buchstaben einen Sol bezahlt, für ein T-Shirt 2 Soles oder 2,50.“ Um heute auf einen guten Tageslohn zu kommen, „musst du den ganzen Tag arbeiten und darfst keine Zeit verlieren, weil du sonst nicht vorankommst. Wenn du wirklich den ganzen Tag arbeitest, verdienst du auch was. Wenn nicht, verdienst du nur fünf oder sechs Soles am Tag.“

„Typisch“ weiblich

Maria Teresa ist stolz auf ihre Arbeit. Sie sagt, nicht alle könnten so akkurat sticken wie sie und dass sie schon als Kind gerne Handarbeiten gemacht hat. Anerkennung bekommt sie dafür aber weder von ihrer Familie, noch von der Firma. Denn zum Einen gilt ihre Arbeit als „typische“ Frauenarbeit, die ihr ganz selbstverständlich in den Fingern steckt, und zum Anderen ist die Arbeit unsichtbar, da sie zuhause näht.


„Kiezküche" – von
Frauen betrieben
Fähigkeiten wie Fingerfertigkeit, Genauigkeit und Geduld werden Frauen als selbstverständliche Eigenschaften zugeschrieben, die daher auch nicht teuer entlohnt werden müssen.
Die Firmen profitieren davon, dass Frauen die notwendigen Kenntnisse für die Handarbeiten schon in der Kindheit lernen. Auch Heimarbeiterinnen sehen ihre Tätigkeiten aus diesen Gründen oft nicht als Lohnarbeit an, sondern als Beschäftigung nebenbei, als Zeitvertreib oder Hobby, bei dem sie ihre Mutter- und Haushaltspflichten mit einem kleinen Nebenverdienst verbinden können. Faktisch arbeiten die Frauen mit Kochen, Putzen, Waschen und der Betreuung anderer Familienmitglieder fast rund um die Uhr, doch diese traditionellen Aufgaben werden erst recht nicht als Arbeit gewertet.

Änderungen nicht in Sicht?

Die meisten Heimarbeiterinnen wirtschaften für sich allein und unregelmäßig. Zudem sind sie aus dem öffentlichen Bewusstsein ausgeblendet. „Alles das sind Gründe, die eine Organisierung und damit eine Verbesserung ihrer Situation erschweren“ bestätigt auch Magaly Solis Ruiz, Sozialarbeiterin bei der lokalen Organisation ADC, die Arbeiterinnen in der Informellen Ökonomie unterstützt. Sie sieht ihren Zusammenschluss als wesentliche Voraussetzung für den Kampf um gerechtere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen. Das ist noch ein langer Weg.

In unserer globalisierten Welt lassen sich aber auch von der Verbraucherseite Veränderungen beginnen. Was in deutschen Kleiderschränken hängt, wird in tausenden Wohnzimmern Limas, Perus und ganz Lateinamerikas, aber auch in Asien produziert. Es lohnt sich hinzuschauen und nachzufragen, unter welchen Bedingungen die Textilien hergestellt werden. (YH)

Wie die Arbeits- und Lebens- situation von Heimarbeiterinnen konkret aussieht, war Anliegen eines Forschungsprojekts, das Steffi Holz, Sandra Dietzel und Ursina Roder von Juli bis November 2006 realisierten. Sie führten Interviews und verteilten Einweg- kameras an Heimarbeiterinnen, die ihren Alltag ablichteten. Daraus entstand eine Wanderausstellung, die durch Deutschland und die Schweiz tourt. Die nächste Eröffnung findet am 03. Oktober 2007, 19:00 auf dem Solar Campus der Fachhochschule Jülich im „Rundling“ statt, die Finissage am 27. Oktober 2007. Wer die Ausstellung in seiner Stadt zeigen möchte, kann sie bei der Autorin anfragen. (Kontakt über NRhZ)Alle Fotos: (c) Steffi Holz

Online-Flyer Nr. 114  vom 26.09.2007

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