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Aktueller Online-Flyer vom 20. April 2024  

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Arbeit und Soziales
Wie die ARGEn Arbeitslose durch „Wundermittel" glücklich machen
Laborversuche (letzter Teil)
Von Prof. Dr. Helga Spindler

Im dritten und letzten Teil der Veröffentlichung von Professor Dr. Helga Spindler zu den Experimenten der Bundesagentur für Arbeit geht es im wesentlichen um das angebliche „Wundermittel" Bürgerarbeit. Die Redaktion.
Wunder gibt es immer wieder – die Bürgerarbeit

Ab 2005 wurde Rainer Bomba „Geschäftsführer operativ“ und anschließend Geschäftsführer Grundsicherung in der Regionaldirektion Sachsen-Anhalt-Thüringen und gilt dort als  Erfinder“ des mit noch mehr Medienpräsenz beworbenen Modells „Bürgerarbeit“, das zu den  Vorzeigeprojekten des dortigen Wirtschaftsministers Haseloff (CDU) gehört. Der erste – in  den Materialien der Regionaldirektion so bezeichnete – „Laborversuch“ dazu wurde  zusammen mit der Lebenshilfe und dem Paritätischen Wohlfahrtsverband in Magdeburg  durchgeführt. Der erste „Flächentest“ begann November 2006 in Bad Schmiedeberg und  wurde schon ca. 2 Monate später als „Wunder von Bad Schmiedeberg“ oder sogar als  „Bomba Projekt“ in diversen Medien gefeiert. Im von Arbeitslosigkeit schwer getroffenen Land scheint das nach einigen Exzessen bei der Einrichtung von Ein- Euro-Jobs ein zunächst sympathisch erscheinender Weg, Menschen in sozialversicherungspflichtige Arbeit zu  bringen, notwendige Gemeindearbeit zu erledigen und ganz nebenbei die Arbeitslosigkeit im  Armenhaus Deutschlands auf bayrische Verhältnisse zu drücken, konkret von 15,6 Prozent auf 6,3  Prozent nach den Eigenangaben der Regionaldirektion, auf 5 Prozent nach den späteren Angaben von Herrn Bomba. Sein zweiter Versuchsort, Barleben, wird wegen der Senkung von 8,6 Prozent auf 3 Prozent von ihm als „Freising des Ostens“ bezeichnet. (in der FAZ vom 30.6.07 S. 14 noch  zusätzlich als “kleine Oase auf Zeit“).

Inzwischen sind die Gemeinden Gerbstedt, Kelbra und  Hecklingen im Flächentest dazugekommen. Das überzeugt auch Andere: Oberbürgermeister Michael Wolf (SPD) der Stadt Altenburg will mit diesem „neuen kreativen Modell“ Beschäftigung statt Arbeitslosigkeit finanzieren. Die SPD Landesgruppe Sachsen Anhalt lobt  zusammen mit SPD Bundestagsabgeordneten das Projekt Bürgerarbeit als „bundesweites  Vorbild“, mit dem das Land „auch mal ganz vorne in der Champions League der Ideen mitspielen könne“. Der DGB lädt Herrn Bomba anlässlich einer Fachtagung im März 2007 in  Berlin als Plenumsteilnehmer zum Thema: „Fair statt prekär- verantwortlich handeln.“ Das  Fachforum Zukunft der Arbeit/Berlin 21 lädt ihn als Referenten zum Oberthema: „Praktische  Baustellen für die Tätigkeitsgesellschaft der Zukunft“ im Juni 2007. Die Zeitung der Linken in  Sachsen beschäftigt sich wohlwollend mit den Möglichkeiten der „Bürgerarbeit“. Die Idee  gabe „das Potential, den Mief des Arbeitszwangs und der Almosen, wie sie die Ein Euro Jobs  an sich hatten, zu überwinden.“ Man sieht in der Bürgerarbeit immerhin den Einstieg in den  öffentlichen Beschäftigungssektor (ÖBS), wenngleich noch die arbeitsrechtliche Gleichstellung fehle. Arbeitnehmerfreundlichere Bedingungen und Freiwilligkeit wollen auch  die großen kirchlichen Wohlfahrtsverbände mit entsprechenden Modellen erreichen; was  nicht daran hindert, sich vor Ort auch vorläufig auf andere Projekte einzulassen. Aber die  Bürgerarbeit wäre kein Bomba-Projekt, wenn das vorgesehen wäre. Irgendwie unklar bleibt  deshalb in allen Berichten die Lohnhöhe, die ausgehend von der Regelsatzhöhe irgendwo zwischen 675 bis 975 Euro brutto bei 30 Stunden liegen soll.


Ein-Euro-Jobs und Bürgerarbeit als trauriger Rest
Arbeitsmarktförderung


Eine Bürgerarbeiterin aus Barleben berichtet, ihr verbiete der Arbeitsvertrag über die Lohnhöhe Angaben zu machen (FAZ 30.6.07 S. 14). Nach der Eigendarstellung der Regionaldirektion soll Entlohnung nach  Pauschalen entsprechend den Qualifikationsanforderungen „im Durchschnitt“ bei 800-820 Euro brutto bei max. 30 Stunden liegen. Entscheidend für Herrn Bomba ist nicht die  erbrachte Arbeitsleistung, sondern“ dass die Menschen von der Straße sind und dass sie die Gemeinschaft nicht mehr kosten als vorher“ (FAZ 30.6.07 S. 14) . Darin soll auch der  Hauptunterschied zu den als wirkungslos kritisierten ABM-Maßnahmen liegen: ABM kostete  30 Prozent mehr, weil den Leuten noch leistungsbezogene Löhne gezahlt wurden. Warum der Lohn nicht höher werden kann, sondern im Einzelfall eher niedriger ausfällt, wird deutlicher, wenn Minister Haseloff ausführt: „Bei der Bürgerarbeit soll ein Nettoverdienst  herauskommen, den ich auch bekommen hätte, wenn ich zu Hause geblieben wäre. Das  Nettoentgelt entspricht der passiven Alimentation – ich will für das Arbeitslosengeld arbeiten  lassen.“ (FAZ 28.1.2007 „Sie nennen es Bürgerarbeit“) Als psychologisch wichtig wird von  den Initiatoren herausgestellt, dass trotz dieses Minilohns die Bürgerarbeiter davon noch  „ihre Sozialabgaben selbst zahlen“. Außer den Abgaben zur Arbeitslosenversicherung - die  dürfen sie nicht zahlen, damit sie bei der offenbar anschließend erwarteten Arbeitslosigkeit  nicht wieder in die Arbeitslosenversicherung kommen. Den Arbeitgeberanteil zur  Sozialversicherung übernimmt gegenwärtig das Land, indem es großzügig EU-Fördergelder  einsetzt. Und um wen geht es eigentlich bei Bürgerarbeit? Bomba: Bei ABM ging es noch um  Das Ziel, Arbeitslose wieder in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Dieser Anspruch wird  bei der Bürgerarbeit gar nicht mehr erhoben. „Wir haben hier ein Instrument, das endlich  was bringt“. Tatsächlich wird diese Arbeit wieder nach einem typischen Selektionsverfahren  angeboten, das für alle Arbeitslosen aus der Arbeitslosenversicherung (SGB III) genauso wie  für SGB II-Bezieher gilt. Erst werden diverse Vermittlungsversuche, Aktivierungs-, Qualifizierungs- und Trainingsmaßnahmen durchlaufen - bis nichts mehr hilft oder die Leute  sich abmelden (was dann in der oben geschilderten Schwarzarbeiterkampagne verwertet wird). Dieses 3-stufige Selektionsverfahren wird neuerdings sogar mit einem  selbstgeschaffenen Qualitätssiegel geschützt, das Nachnutzer in die Schranken weisen soll  (Pressemitteilung Nr. 056/07 Staatskanzlei Sachsen-Anhalt). Nur bei wem Beratung und  geförderte und ungeförderte Maßnahmen – mit welchen Inhalten und Zumutungen auch  immer – nicht zum Ziel führen, dem wird in der 4.Stufe die Bürgerarbeit „angeboten“.

Bürgerarbeiter können alle Arbeitslosen sein „bei denen wir früher aufgegeben haben“. Also  alle Chancenlosen, die als nicht marktgängig gelten. Wer meint, das seien Menschen mit ganz schlechter Qualifikation, der irrt sich. Heinz Stegert (52), das berühmteste „Versuchsobjekt“ (FTD) aus Bad Schmiedeberg, das der Presse vorgestellt wird, war  Elektromeister und wirkt nun als vielfältig einsetzbarer und unentbehrlicher Hausmeister bei der evangelischen Kirchengemeinde. Und er schafft sogar das Wunder, dadurch keinen  regulären Arbeitsplatz zu verdrängen, wie die Initiatoren immer wieder betonen, so als habe  es niemals bisher einen Hausmeister in einer Kirchengemeinde gegeben. Rainer Kaspar (48),  ein gelernter Landmaschinenschlosser, hält nach einem Bericht im Naumburger Tageblatt die Ausrüstung der freiwilligen Feuerwehr in Ordnung und richtet die historischen  Feuerwehrautos fachmännisch fürs Museum her. Nach einem Bericht von Sabine Krebs im  WDR hat sogar Frau Bürgermeister, eine gelernte Bibliothekarin und wegen des Einkommens ihres Mann nicht hilfebedürftig, sofort zugegriffen und arbeitet jetzt bei der Kirche. Für andere ist es weniger lohnend, so für ehemals festangestellte Gärtner und Forstarbeiter, die ganz schlicht dem Personalabbau zum Opfer gefallen sind, oder eine gelernte Einzelhandelskauffrau mit Kleinkind. Aus Barleben wird eine 40 jährige Facharbeiterin für  Anlagetechnik mit einem behinderten Kind vorgestellt. Die „multiplen  Vermittlungshemmnisse“ der erstaunlich vielen qualifizierten Bürgerarbeiter auch aus der Arbeitslosenversicherung scheinen eher im Alter oder der Familienbindung zu liegen.  Deshalb soll die Bürgerarbeit diese angeblich „chancenlosen“ Erwerbslose dann doch  motivieren, sich selbst wieder um einen Job in der freien Wirtschaft zu bewerben. „Entsprechende Aktivitäten“ werden nach dem Konzept der Regionaldirektion laufend  „eingefordert“. Ein eher freiwilliges Ehrenamt, wie der Name „Bürgerarbeit“ suggeriert, ist das Angebot auch nicht (obwohl man wie der Pressespiegel zeigt, doch stolz darauf zu sein  scheint, dass „BILD“ vom 19.12.2006 titelt: “Nachdem in Bad Schmiedeberg ein Projekt  Vollbeschäftigung schafft: Herr Minister, kriegen jetzt alle Bürger Arbeit?“). Rainer Bomba im  MDR: „Jeder Arbeitslose bekommt ein Job Angebot. Wenn er das Angebot ablehnt ist Schicht“ “Wer was haben will, soll auch was leisten“. Und in den Materialien der  Regionaldirektion: „Es wird möglich zu lokalisieren, wer wirklich arbeitslos ist; Schwarzarbeit  wird eingeschränkt.“ Oder wie Minister Haseloff knapper formuliert: „Keine Leistung ohne  Gegenleistung, das ist die Philosophie“ (FAZ 28.1.2007)

An solchen Stellen wird doch wieder  klar, was die Bürgerarbeit ist: ein verschwiemeltes Workfare- und Kontrollkonzept in den  gleichen Bereichen und mit den ungefähr gleichen Nettolöhnen wie bei den bisherigen Ein Euro Jobs - nur wieder neu getüncht. Die noch etwas radikaleren Ökonomen Schoeb und  Thum loben in einen Kurzbericht des ifo-Instituts Dresden denn auch den konsequenten Workfare-Charakter des Modells, kritisieren allerdings den in ihren Augen noch zu hohen  Lohn. Aber da wird man sich, wenn erst einmal die EU Mittel wegfallen und die Öffentlichkeit entsprechend abgestumpft ist, rasch einigen können. Ganz legal funktioniert dieses  Modellprojekt natürlich auch diesmal nicht. Denn bei der flächendeckenden Einführung müssten die kommunalen Unterkunftskosten, das Arbeitslosengeld I und II und Gelder aus  dem Eingliederungstitel, auch solche für Fort- und Weiterbildung, Förderung der Arbeitsaufnahme und ABM in einen Topf fließen, so wie das offenbar schon bei der  kommunalen Beschäftigungsgesellschaft in Bad Schmiedeberg geschieht, die die  Bürgerarbeiter einstellt und dann weiter verleiht. Über diese Gesellschaft, in der unauffällig die gescheiterte Personalserviceagentur (PSA) der Hartz- Kommission wiederauflebt, ihr  Geschäftsgebaren und die von ihr verursachten Kosten kann man leider überhaupt nichts  erfahren. (Das gilt auch für den Paritätischen in Magdeburg , der als Arbeitsverleiher  gegenüber der Lebenshilfe fungiert.) Die Zusammenführung der verschiedenen Haushaltstitel im SGB II, ist aber rechtlich aus gutem Grund nicht erlaubt und bedürfte einer  Gesetzesänderung, die von den Akteuren auch vorbereitet wird. Herr Bomba möchte als  Fernziel offenbar sogar das Arbeitslosengeld I aus der Arbeitslosenversicherung für diese  Zwecke umwidmen können. Dabei kann er auf große parlamentarische Unterstützung hoffen, etwa auch durch die Partei der Grünen, die bereits die Initiative ergriffen hat,  vermutlich ohne alle Folgen zu überblicken. Beim Fachgespräch der Grünen zum Thema  „Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren“ am 1.3.2007 war Rainer Bomba neben anderen  Vertretern von sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsmodellen eingeladen. Einig  waren sich alle, dass die Finanzierung geändert werden müsse und dass die  Arbeitsgemeinschaften bei der Verwendung dieser Gelder noch mehr Autonomie benötigten,  obwohl die jetzt schon groß ist und bisher die Eingliederungsmittel kaum ausgeschöpft werden können. Das nennt sich im Fachjargon: „Aktivierung passiver Mittel, insbesondere   der Wohnkosten“. Bereits am 20.September 2006 hatten die Grünen einen Antrag mit der  sympathischen Überschrift: „Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren“ eingebracht. Weniger  sympathisch  ist die Begründung: den meisten von geschätzt 400.000 Arbeitslosen, die in  Deutschland dauerhaft vom Arbeitsleben ausgeschlossen seien, ginge es nicht nur darum  Geld zu verdienen, sondern eine sinnstiftende Aufgabe zu haben. Dafür müsste ihnen  ermöglicht werden, ihre gesamten Transferleistungen nach SGB II in ein  sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis einzubringen, damit durch ihre Beschäftigung der Haushalt nicht zusätzlich belastet werde.


Der „vorsorgende Sozialstaat": Am besten aus der Statistik „entsorgt" ?

Diese Vorstellung deckt sich voll  mit dem Konzept der Bürgerarbeit. Das Problem dabei: Beschäftigungsförderung zu  finanzieren ist bisher – mit der Hartz-Gesetzgebung selbst gewählte – Aufgabe des Bundes  und wenn das durch Vertragsverhältnisse geschieht, werden damit die Kommunen auch von  den Unterkunftskosten entlastet. Deswegen fördert der Bund ja - anders als früher für  Arbeitslosengeld- und Arbeitslosenhilfebezieher - praktisch keine sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen mehr, obwohl die gesetzlichen  Voraussetzungen im SGB III und SGB II nach wie vor bestehen. Mit der „Aktivierung passiver Mittel“ würden dann wieder die Kommunen mit dem Unterkunftskostenanteil an  diesen Kosten beteiligt, und das wird ihnen vermutlich auffallen. Manche Kommunen  verschließen allerdings davor die Augen. Entweder sie erkennen das nicht oder sie erwarten  sich von dem dann zur Verfügung stehenden und voraussichtlich wachsenden Heer von  Bürgerarbeitern“ eine im Endeffekt größere Entlastung und Profilierungschance. Die  Arbeitsplätze, die man vorher durch Stellenabbau, Zuwendungskürzungen und stümperhafte Vergabeverfahren bei öffentlichen und sozialen Diensten gestrichen hat, könnten dann als  soziale Vorzeigeprojekte, zu schlechteren Konditionen und sozusagen „selbst finanziert“ von den „chancenlosen“, freigesetzten Leistungsbeziehern wieder eingerichtet werden. Die  eschäftigungsfelder für Bürgerarbeit, die ebenfalls Bestandteil des Qualitätssiegels sind und selbstverständlich nach „strengsten Maßstäben ausgewählt“ wurden, entsprechen denen der  bisherigen Ein-Euro Jobs: Ordnung und Sauberkeit im öffentliche Raum, Unterstützung von  örtlicher Vereins- und Kirchenarbeit, Sicherung und Erweiterung des Betriebs kommunaler  Einrichtungen, Tätigkeiten in der offenen Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit, Kindergärten und Schulen und vor allem Betreuung und Assistenz bei Alten, Pflegebedürftigen und  Behinderten in Einrichtungen. – Kurz überall wo in der letzten Zeit wegen der unterbliebenen Neuordnung der Gemeindefinanzierung oder Unterfinanzierung von sozialen Einrichtungen  zu viele Stellen eingespart oder nicht bedarfsgerecht ausgebaut wurden. Immer wieder werden die Öffentlichkeit und besonders auch sozialdemokratische und grüne Politiker/innen  eruhigt, auf keinen Fall würden Arbeitsplätze im Handwerk, in der Industrie oder im  Dienstleistungsgewerbe gefährdet, denn es entstünden „nur“ Jobs im „Non- Profit-Bereich“ -  so als gäbe es im Non- Profit- Bereich keine regulären Arbeitsplätze. Der Einstieg über die  Lebenshilfe deutet auch daraufhin, dass man darauf zu hoffen scheint, dass sich die unter  Druck stehenden Behinderten und Pflegebedürftigen mit dem listig als Freiheitsgewinn  angepriesenen „Persönlichen Budget“ aus dieser Menge preisgünstig bedienen und damit  Kostentlastung erwirtschaften.

Quo vadis Bundesagentur?

Wo ist die Verbindung zwischen allen diesen Projekten: Leiharbeit, Kundenstrommanagement, Bürgerarbeit und Freizeitentzugsmaßnahmen? Es ist die  gewandelte Einstellung zum sozialen Auftrag und das neue Menschenbild. Die  sozialstaatliche Zielsetzung, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, einen ausgeglichenen  Arbeitsmarkt und auskömmliche Arbeitsbedingungen zu fördern, den Erwerb des  Lebensunterhalts durch eine frei gewählte Tätigkeit zu ermöglichen - das war gestern, auch  wenn es teilweise noch in § 1 SGB I steht. In persönlichen Krisensituationen noch  fachkundige Ansprechpartner zu haben, sich an eine Behörde wenden zu können, die unmittelbar notwendige Bedarfe deckt, wie in der ehemaligen Sozialhilfe - auch das ist von  gestern. Heute wird das Gegenteil angestrebt. Mitarbeiter werden hinter einem Schutzwall  von Callcentern und Eingangsbarrieren versteckt. Von Franz Jürgen Weise, dem in der Sache  offenbar voll übereinstimmenden, aber im Habitus in Arbeitsteilung zu Rainer Bomba  „geräuschlosen Sanierer“, wird berichtet, er kenne „das Beharrungsvermögen seiner  Mannschaft. Er weiß: jetzt wo organisatorisch alle Umbauten gemacht sind, kommt es auf  den Mentalitätswechsel an. Viele Mitarbeiter verstehen sich immer noch eher als  Sozialarbeiter. Da fällt es schwer, wenn Werte wie Kundenzufriedenheit, Integrationszahlen  und wirtschaftliches Handeln groß geschrieben werden (Kölnische Rundschau 6.7.2007 ). Mit Kundenzufriedenheit ist da nicht die der Arbeitslosen gemeint und schon gar nicht derer, die  Ansprüche an verlässliche oder gar qualifizierte, behördliche Leistung stellen.

Im Gegenteil,  bei ehemals als staatliche Hilfen konzipierten Maßnahmen geht es nicht mehr um die Inhalte  und Bedürfnisse, sondern sie sollen zum flächendeckenden System werden, das „für keinen  einzigen Arbeitslosen ein Schlupfloch“ mehr lässt (DIE Zeit 14.6.2007) Der Bürger, der schon in Betrieben dem modernen Management vornehmlich Kostenfaktor ist oder einer hemmungslosen Altersdiskriminierung zum Opfer fällt, wird auch in seiner Arbeitslosigkeit  rechtlose Verfügungsmasse einer sozialpolitisch umerzogenen Behörde, die kontrolliert und  in jeder Phase selektiert nach Brauchbarkeit und Restleistungsvermögen, effizient und  kostensparend entweder in Niedrigstlohnverhältnisse ohne Perspektive oder in Leiharbeit ohne Gestaltungsmöglichkeiten oder in beides gleichzeitig gezwungen wird. Mit dem Einzug  privater Leiharbeitsfirmen in die Arbeitsbehörde wird der Markt nicht nur zwischen den  Unternehmen, sondern auch gegenüber den zukünftigen Arbeitnehmern verzerrt, die dank  der Zumutbarkeitsanforderungen durch staatlichen Zwang den Leiharbeitsfirmen den  erwünschten steigenden Umsatz garantieren müssen. Gleichzeitig wird der Grundstein für die Privatisierung der Arbeitsvermittlung in Deutschland gelegt. Trotzdem weiß jeder, dass  die gewinnorientierte Leiharbeit nur einen Teil der Arbeitslosen abschöpfen wird.  Für den  Rest benötigt man andere Instrumente. Da mag es hundertfach Kritik an der  Wirkungslosigkeit und den Verdrängungseffekten massenhaft eingesetzter ABM Maßnahmen, Ein Euro Jobs und immer wieder neuen Kombilohnmodellen geben: wenn ein Modell nur billig  genug ist, da ist es plötzlich ein Wunder, eine Vision, eine noch nie da gewesene Innovation oder ein „völlig neuer Denkansatz in der Arbeitsmarktpolitik“ (Pressemitteilung Nr. 114/07  Staatskanzlei Sachsen-Anhalt) Wir leben in einer sozialtechnokratischen Welt, die den  sozialen Rechtsstaat und klingende Worthülsen wie „Bürgerarbeit“ nur noch für eine  Übergangszeit als Hülle oder Marketingkonzept benötigt.


Arbeitsmarktpolitik als Lohnsenkungsmittel
Bilder: arbeiterfotografie.com


Da mag noch so laut über die  mangelnde Qualifikation und Arbeitsmarktnähe vieler Menschen gejammert werden, als  billige Objekte für die Profilierung von Kommunal- und Landespolitikern sind sie offenbar  immer noch fähig genug und gut zu gebrauchen. Minister Haseloff aus Sachsen-Anhalt lobt in diesem Zusammenhang „das gemeinsame Aufbrechen von Tabus in der Arbeitsmarktpolitik“ (Pressemitteilung 114/07 Staatskanzlei Sachsen- Anhalt.) Welcher  Tabus? Etwa der, dass man Menschen für ihre Arbeit auch einen angemessenen Lohn zahlen muss oder dass für notwendige Dienste auch dauerhafte Arbeitsplätze eingerichtet und  finanziert werden müssen? Begleitend wird der fachliche Auftrag einer Behörde zu beraten,  nun qualifizieren und zu vermitteln umdefiniert, Hilfeangebote und Dienstleistungen. werden  zu pauschalen Schwarzarbeitererkennungstests, der Wunsch nach regulären  Arbeitsverhältnissen wird in entrechtete Niedrigstlohnverhältnisse umgelenkt. Reguläre und  der Eignung und Neigung entsprechende Vermittlung und Qualifikation findet nicht mehr  statt. Die Öffentlichkeit soll sich über gute Bilanzen der Arbeitsagenturen freuen, auch wenn  sie durch Kürzung von notwendigen Geldleistungen und Einstellung von notwendigen Dienstleistungen erwirtschaftet sind. Dazu kommt, dass vieles, womit hier experimentiert  wird, in der Tat private Firmen oder die favorisierte Leiharbeit ohne sozialen Anspruch und ohne rechtsstaatliche Kontrolle auch umsetzen könnten, vor allem wenn dabei noch  staatliche Fördergelder abgeschöpft werden können. Das führt im Endzustand zu dem heute schon von vielen geforderten Rückbau der BA mit ihrem sozialstaatlichen Auftrag. Zwar ist  das Vertrauen in diese Behörde durch viele zweifelhafte Experimente und einschlägig  inszenierte Skandale schon erschüttert, aber mit solchen Projekten wird es Schritt für Schritt  vor allem auch bei Arbeitslosen weiter zersetzt - und das sogar ohne weitere umstrittene  Berateraufträge an McKinsey und Roland Berger, wie sie etwa von Thomas Leif (Beraten und  verkauft – McKinsey & Co – der große Bluff der Unternehmensberater 2006) noch kritisiert werden. Wo das Denken dieser Firmen drin ist, braucht man es von außen nicht mehr einzukaufen.

Ausblick: Glückliche Arbeitslose in Bayern?

Rainer Bomba ist offenbar wegen seiner bisherigen Verdienste inzwischen eine Stufe weiter  auf der Karriereleiter gestiegen: Seit 1. August 2007 hat er den Vorsitz der  Geschäftsführung der Regionaldirektion Bayern übernommen. Seine Nachfolgerin in  Sachsen-Anhalt ist promovierte Verfahrenstechnikerin. (HDH)

Der Artikel erschien ebenfalls auf der Website der Arbeitnehmerkammer Bremen.

Online-Flyer Nr. 111  vom 05.09.2007

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