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Aktueller Online-Flyer vom 26. April 2024  

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Fotogalerien
Fotogalerie über Ursula, das Bärchen, in einer Ausstellung in Ahrenshoop
Als kölsche Pilgerin nach „Meck-Pomm“
Von Carola Willbrand

Vom Neuen Kunsthaus Ahrenshoop an der Ostseeküste Mecklenburg- Vorpommerns wurde ich Ende Juli zur Ausstellung „Künstlerbuch IV“ eingeladen. Diese Reihe wird alle zwei Jahre ausgerichtet. Jede/r beteiligte Künstler/in erhält einen Katalog, und zusammen entwickelt man mit den KollegInnen eine Edition, die in diesem Jahr den Titel „Abwesenheit“ erhielt. Ich versuche mich hier in einem höchst unobjektiven Erlebnisbericht über meinen Beitrag zum Projekt.



Für die Ausstellung hat jede/r Künstler/in in einem durchsichtigen Plexiglas-Schuber ein kleines Postpaket Größe XS mit Inhalt gefüllt – zum Beispiel mit einer CD, einem Büchlein oder imaginär wie in meinem Fall. Denn ich beschäftigte mich mit einer in der Vergangenheit Abwesenden, mit der heiligen Ursula. Mein Postpaketchen erhielt eine goldene Außenhaut – unterbrochen von reliquiarähnlichen Aussparungen, durch die der Betrachter ins Nichts schauen kann. Ein Verweis auf die durchbrochenen fensterartigen Öffnungen in Reliquiarbüsten.


Stadtpatronin von Köln

Angeregt durch die katholische Geschichte meiner Vaterstadt Köln beschäftige ich mich schon seit den 80er Jahren immer wieder mit den Reliquiarbüsten im Schnütgenmuseum, vor allem mit denen in der Goldenen Kammer von St. Ursula. Ich finde sie einfach wunderschön, diese Porträts schon lange Abwesender. Die heilige Ursula, Stadtpatronin von Köln, verließ England im Jahr 340 mit ihren Gefährtinnen, wie es heißt auf eine göttliche Offenbarung hin, um eine wahnsinnig lange Reise zu unternehmen, die ihnen schließlich in Köln den Märtyrertod gebracht haben soll.

Ursula (lateinisch „Bärchen“) trug ihren Namen sicher nicht ohne Grund. Als christianisierte Keltin kannte sie natürlich die keltischen Bräuche, also auch den Bärenkult, denn die Kelten verehrten „Artio“, die Bärengöttin. Art heißt keltisch der Bär. Und Ursula selbst muss „Bärenkräfte“ gehabt haben, um den Anforderungen, die während ihres Lebens und dieser langen Reise auf sie zukamen, trotzen zu können.

Die heute sichtbare Kölner Kirche St. Ursula wurde 1135 als romanische Emporenbasilika errichtet – auf den Mauern eines Isis-Tempels – aber bereits im 4. Jahrhundert existierte hier eine Basilika, die den „heiligen Jungfrauen“ und ihrem Martyrium gewidmet war. Der ägyptische Isis-Kult, den die Römer nach Köln gebracht hatten, war auch in christlicher Zeit noch so lebendig, dass die Ikonographie früher Bildnisse der stillenden Maria mit dem Jesusknaben an Isis mit dem Horus-Knaben erinnert.

Spurensuche nach Bärenabdrücken

Um es kurz zu machen: Ich begab mich eines Tages auf Spurensuche nach Bärenabdrücken, um das Bären-Selbst (der Ursula? – die Wilde Frau) zu finden und nannte diese Arbeit, diesen Reisebericht einer Wanderung in die Geschichte „Der Pilgerinnen Codex – Zeit ist nur eine Angewohnheit“. Wie es für eine Reise üblich ist, hat mir auch die Vorbereitung auf diese viele Andenken beschert. Nach Kölner Brauch mussten es elf Mementos (Erinnerungen) sein, eben wegen der 11 Jungfrauen, die Ursula begleiteten.



1. Die Pilgerinnen-Kette (Muss eine Pilgerin nicht schön aussehen?)
2. Das Pilgerinnen-Hemd und -Höschen (Die richtige Reisekleidung ist das A und O!)
3. Der Pilgerinnen-Spiegel (Sieht die Pilgerin schon das wahre Selbst?)
4. Das Bärenhaar-Armband mit Augenbildnis (Schmuck schmeichelt auch Pilgerinnen!)
5. Das Pseudo-Aquamanile (Trinken ist wichtig! Wenn nötig aus einer Schüssel zum Händewaschen.)
6. Das Gefäß für alle Fälle (Auch die Pilgerin sollte sich nähren – zwischendurch.)
7. Der Pilgerinnen-Rucksack (Die Pilgerin muss ja ihre „Prüllen“ mitnehmen können!)
8. Die Pilgerinnen-Regenhaube (Leider scheint nicht immer die Sonne – auch nicht für Pilgerinnen.)
9. Die Pilgerinnen-Seife (Pilgerinnen müssen nicht stinken.)
10. Das Pilgerinnen-Schutzzeichen (Fass mich nicht an!)
11. Der Pilgerinnen-Anspitzer und -Bleistift (Der Pilgerbericht muss wahrheitsgetreu verfasst werden).

Das alles zusammen war in einer Reiseschachtel griffbereit für den nächsten Aufbruch untergebracht, und natürlich ging alles nun mit auf die Reise nach Mecklenburg-Vorpommern.

GoldGummiBärchen natürlich!

Zur Eröffnung der Ausstellung demonstrierte ich in einer Performance die Verwandlung zur Pilgerin. Als KölnerIn ist man dank der Ereignisse der jüngsten Vergangenheit ja bestens informiert: Wie hat man sich zu kleiden? Wie rüstet man sich aus? Der Weltjugendtag bescherte uns einheitliche Rücksäcke, die die jugendlichen Pilger sofort kenntlich machten. In meinem Fall wies mich als MeckPomm-Pilgerin eine puschelige Schürzentasche mit äußerer Bären-Haut aus. Das Klima ist ja rauh an der Küste, wie man weiß! (Siehe die Ereignisse um Heiligendamm herum!)



Der Deutsche Evangelische Kirchentag bescherte uns KölnerInnen entzückende Schals in leuchtend gelb/orange. Unweigerlich wurde man an die Zeiten erinnert, als Scharen singender, klingelnder Hare-Krischna-Jünger durch unsere Stadt zogen. Ein Schal kann im kühlen Norden auch hilfreich sein, ich aber bevorzugte ein kleidsames Bustier mit praktischen Brusttaschen, in denen ich die passende Wegzehrung aufbewahrte, denn Pilgern macht hungrig. Und außerdem ließ sich das fröhlich in die wartende Zuschauergemeinde werfen: Kammelle, Kammelle! GummiBärchen, GoldGummiBärchen natürlich!



Zum Schluss der Pilgermantel

Den Kopf schützte ich gegen den kalten Wind (oder vielleicht gegen Wurfgeschosse aus anderer Quelle?) mit der kleidsamen BärenKopfHaube und rezitierte dabei den verstorbenen „Schädelmagier“ Thomas Kling (1957-2005), der in den 90er Jahren eine Hommage an Oskar Pastior (1927-2006) schrieb. Oskar Pastior – auch ein Pilger durch die Sprachwelten – war Ahrenshoop durch viele literarische Arbeiten eng verbunden. Ahrenshoop ist ja seit Ende des 19. Jahrhunderts ein bedeutender Wanderort für zahllose Künstler und bot ihnen auch Raum in der DDR-Zeit.



Zum Schluss warf ich mir den Pilgermantel um – bereit zum Aufbruch für eine historische Pilgerreise nach Jerusalem um 1409, die Oswald von Wolkenstein beschrieben hat. Er wird oft als letzter Minnesänger gesehen, tatsächlich war er ein Spracherneuerer, da er die Alltagssprache, besonders die der Arbeitswelt, in seine Balladen einfließen ließ. Wolkensteins Pilgergesang wird durch die Fachausdrücke der damaligen Schifffahrt bereichert. Da Ahrenshoop an der Ostsee liegt, ist es ja mit der Schifffahrt lange vertraut, weil seine Bewohner damit dem Meer ihr täglich Brot abringen mussten. Auch heute noch bedeutet die Ostsee den AhrenshooperInnen ihre hauptsächliche Einnahmequelle: Sommertouristen schätzen Strand und Wasser und dazu noch den einen oder anderen Fisch.



Fazit: Ich kann nur sagen, Leute, auf nach MeckPomm! Es ist schön da! Und viele rheinische Autonummernschilder sieht man dort inzwischen auch! (CH)



Online-Flyer Nr. 107  vom 08.08.2007

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