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Lokales
"Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker"
INTI RUNA
Von Georg Giesing
Im Frühsommer 2005 war im GULLIVER, der Überlebensstation für Obdachlose in Köln, eine Ausstellung von Grafiken des Malerpoeten Fritz Grasshoff zu sehen. Bei dieser Ausstellung lernte ich Ludwig März kennen. März ist Fotograf. März hatte vor vielen Jahren Grasshoff portraitiert und war nun auf die im GULLIVER ausgestellten Grafiken gespannt. Nach einem kurzen Gespräch erfolgte eine Einladung nach Zwingenberg an der Bergstraße.
Nun ist Dezember und ich sitze im Studio von Ludwig März in Zwingenberg. Der Fotograf erzählt. "2006 wird es keinen Kalender geben. Leider! Ich war wieder in Bolivien. Unsere Arbeit zur Unterstützung für Bedürftige lebt hauptsächlich vom Verkauf unseres Kalenders. Es ist ein hochwertiges Produkt. Die komplette Arbeit an dem Kunstwerk ist ehrenamtlich. Die Fotos, die Grafik, der Druck und die Arbeit. Es entstehen keine Verwaltungskosten. Auch meine Reisen zahle ich selbst."

Foto: Ludwig März
Ich frage ihn nach den Gründen. Warum gibt es für 2006 keinen Kalender? März berichtet, nüchtern. Er ist schon oft in Bolivien gewesen. "Es sind immer lange Flüge. Mehrmals muss man umsteigen. Dann gibt es noch Inlandflüge. Da sind verschiedene Klimazonen in Bolivien. Das Hochland ist trocken, Savanne, die Winter streng. Innerhalb eines Tages fallen die Temperaturen von über 20° bis unter den Gefrierpunkt. Im Flachland gibt es Regenwälder. Da ist es tropisch. Die Kontrollen an den Flughäfen sind sehr anstrengend. Das Gepäck musste wieder durch elektronische Schleusen. Da hat es wohl einen defekten Detektor gegeben. Als ich hier ankam, waren von den circa 800 Fotos keine brauchbaren mehr übrig geblieben."
Vor mehr als 20 Jahren bereiste der gelernte Maler das erste Mal Südamerika. Mit dem Motorrad. März blickt zurück: "Seitdem habe ich auf vielen Reisen durch Lateinamerika immer wieder Lebensfreude, zugleich aber auch das Elend der Menschen dort erlebt."
Als März von seiner langen Motorradreise zurückkam, hatte er Hunderte von Fotos im Gepäck. Er hatte die Gegensätze zwischen arm und reich erlebt. In Zwingenberg angekommen, kamen ihm Zweifel an seiner, durch das Elternhaus vorgegebenen, Berufswahl. Der Vater besaß eine Malerfirma in zweiter Generation. Mit dieser Tradition brach nun der Sohn, es war für Vater und Sohn eine schwierige Entscheidung. Dann folgte eine Berufsausbildung zum Fotografen. Nach seiner Neuorientierung entwickelte sich eine Fotografie mit zwei Schwerpunkten. Fotografie zum Broterwerb und Fotografie als sozialpolitisches Engagement.
1993 gründete März mit Freunden den Verein "INTI RUNA". Das Ziel des Zusammenschlusses ist einfach und klar: Hilfe für die Kinder Boliviens, dem ärmsten Land Lateinamerikas. Der Vereinsname INTI RUNA entstammt der Ketchua-Sprache der indianischen Hochlandbewohner in den Anden und heißt: "Kinder der Sonne".
Die zwölf Jahre, die zwischen der Vereinsgründung und heute liegen, weisen eine erstaunliche Erfolgsbilanz auf. Der Verein vergrößerte sich. In der Region Bensheim-Zwingenberg flossen Spendengelder, der alljährliche Fotokalender wurde gut verkauft, Kooperationspartner in Deutschland und in Bolivien wurden gefunden, und die Ausdauer und Initiativen starker Persönlichkeiten in beiden Ländern ergaben als Summe den Erfolg.
So entstand in Sucre, der Landeshauptstadt Boliviens, eine Nähwerkstatt für Behinderte, die Escuela Taller de Intergracion, mit Geldern von INTI RUNA, zur gesellschaftlichen Reintegration von körperlich und geistig Behinderten. Zu dieser Nähwerkstatt sind mittlerweile noch eine Schreinerei, ein Kindergarten und eine Kantine gekommen. Die Vereinigung "Ärzte für die 3. Welt" unterstützte das Projekt mit 500 000 Euro.
Ein weiteres Projekt von INTI RUNA ist Oqharikuna, ein Tagesheim für Straßenkinder, ebenfalls in Sucre, zu dem auch ein Bauernhof gehört. Hier wird Gemüse angebaut, das die Kinder auf dem Markt verkaufen. Zum Hof gehört auch eine kleine Molkerei, deren Produkte ebenfalls verkauft werden.
Seit September 2001 besteht eine enge Kooperation zwischen INTI RUNA und der Jugendabteilung der FSG Bensheim, die gemeinsam eine Fußballschule für Straßenkinder in Sucre, die "FSG Oqharikuna", unterstützen. In diese Fußballschule kommen die Kinder der Straßenkinderheime Sucres. Nach jedem Training erhalten die Kinder ein Glas Milch und ein Brot.

Foto: Ludwig März
Ludwig März betont in unserem Gespräch: "Jeder Spender ist daran interessiert, dass seine Spende auch ankommt. Unsere Gelder fließen zu 100% in die Hilfsprojekte. Wir haben Vertrauenspersonen vor Ort. Alle arbeiten ehrenamtlich. Die Beiträge und die Spenden sind einsehbar und öffentlich. Nur das schafft Vertrauen. Wir unterstützen seit 1997 auch ein Aufforstungsprojekt im Hochtal von Cajamarca und die "Musikschule Vicente Vargas."
Wir gehen mit Ludwig März in seine Wohnung zurück, dort erzählt er weiter seinen vielen Reisen nach Bolivien. "Die Armut ist für uns unvorstellbar. Jahrelang gab es Militärregierungen. Misswirtschaft und Korruption. Die Arbeitslosigkeit ist in Zahlen nicht zu fassen. Es wird geschmuggelt, der Drogenhandel ist überall. Die aktuelle Regierung ist gegenüber der Inflationsrate machtlos. Wir helfen konkret. Wir können von hier aus die Not nicht ändern, nur ein wenig mildern. Die "Kinder der Sonne" stehen im wahrsten Sinne des Wortes vor den Scherben einer zerstörten Kultur."
Zweimal ist Ludwig März auf seinen Reisen überfallen worden. Auch diese Geschichten erzählt er völlig unaufgeregt. "Da stand eine Gruppe Jugendlicher vor mir. Einer hielt mir eine dicke Pistole vor die Brust. Das Anliegen war unmissverständlich. Ich hatte aber kein Geld. Das sagte ich denen. Dann gab es zwischen den Burschen eine Debatte. Man war zu der Überzeugung gekommen, dass es doch noch reichere Leute als mich gab und verschwand.
Ein anderes Mal stand ein kleiner Knirps vor mir. Halb so groß wie ich. Auch er hatte einen Revolver, den er auf mich richtete. Ich zuckte nur mit den Schultern. Zeigte meine leeren Hände. Das hatte ihn überzeugt. Weg war er. Mit solchen Geschichten muss man rechnen. Es hätte auch anders ausgehen können. Auf seine Sachen sollte man schon gut aufpassen. Die Not macht aus den Verzweifelten Diebe. Ich hatte eine Jeans, und die musste irgendwann mal gereinigt werden. Ich gab sie in eine Wäscherei. Innen hatte ich als eine Art Notgeld 100 Dollar eingenäht. Ich holte die gereinigte Hose ab, zahlte. Erst viel später bemerkte ich, dass das Geld verschwunden war."

Foto: Ludwig März
Das sind einige seiner Erinnerungen. Er hat sich aber davon nicht abschrecken lassen. Seine Fotos sind mehr als Dokumente. Da sind Kindergesichter. Immer wieder Kindergesichter. Jungen, Mädchen, das kleine Glück, die große Last, Trauer und Hoffnung, sensible Bilder, empathische Fotografie. Ludwig März hat keinen Zweifel an der Richtigkeit seines Handelns, für ihn ist das mehr als der Tropfen auf dem berüchtigten, heißen Stein. Sein Abschlusskommentar spricht für sich:
"Jahrhunderte lang wurden sie ausgebeutet und unterdrückt. Die Abhängigkeit von den Weltmächten ist enorm. Die Situation ist kaum zu ertragen. Unterernährung, Krankheiten, Analphabetismus, schwache Infrastrukturen. Doch INTI RUNA fängt dort an, wo andere schon längst aufgehört haben."
Spendenkonto INTI RUNA
Sparkasse Bensheim (BLZ 509 500 68)
Konto-Nr. 101 31 35
Online-Flyer Nr. 23 vom 20.12.2005
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Lokales
"Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker"
INTI RUNA
Von Georg Giesing
Im Frühsommer 2005 war im GULLIVER, der Überlebensstation für Obdachlose in Köln, eine Ausstellung von Grafiken des Malerpoeten Fritz Grasshoff zu sehen. Bei dieser Ausstellung lernte ich Ludwig März kennen. März ist Fotograf. März hatte vor vielen Jahren Grasshoff portraitiert und war nun auf die im GULLIVER ausgestellten Grafiken gespannt. Nach einem kurzen Gespräch erfolgte eine Einladung nach Zwingenberg an der Bergstraße.
Nun ist Dezember und ich sitze im Studio von Ludwig März in Zwingenberg. Der Fotograf erzählt. "2006 wird es keinen Kalender geben. Leider! Ich war wieder in Bolivien. Unsere Arbeit zur Unterstützung für Bedürftige lebt hauptsächlich vom Verkauf unseres Kalenders. Es ist ein hochwertiges Produkt. Die komplette Arbeit an dem Kunstwerk ist ehrenamtlich. Die Fotos, die Grafik, der Druck und die Arbeit. Es entstehen keine Verwaltungskosten. Auch meine Reisen zahle ich selbst."

Foto: Ludwig März
Ich frage ihn nach den Gründen. Warum gibt es für 2006 keinen Kalender? März berichtet, nüchtern. Er ist schon oft in Bolivien gewesen. "Es sind immer lange Flüge. Mehrmals muss man umsteigen. Dann gibt es noch Inlandflüge. Da sind verschiedene Klimazonen in Bolivien. Das Hochland ist trocken, Savanne, die Winter streng. Innerhalb eines Tages fallen die Temperaturen von über 20° bis unter den Gefrierpunkt. Im Flachland gibt es Regenwälder. Da ist es tropisch. Die Kontrollen an den Flughäfen sind sehr anstrengend. Das Gepäck musste wieder durch elektronische Schleusen. Da hat es wohl einen defekten Detektor gegeben. Als ich hier ankam, waren von den circa 800 Fotos keine brauchbaren mehr übrig geblieben."
Vor mehr als 20 Jahren bereiste der gelernte Maler das erste Mal Südamerika. Mit dem Motorrad. März blickt zurück: "Seitdem habe ich auf vielen Reisen durch Lateinamerika immer wieder Lebensfreude, zugleich aber auch das Elend der Menschen dort erlebt."
Als März von seiner langen Motorradreise zurückkam, hatte er Hunderte von Fotos im Gepäck. Er hatte die Gegensätze zwischen arm und reich erlebt. In Zwingenberg angekommen, kamen ihm Zweifel an seiner, durch das Elternhaus vorgegebenen, Berufswahl. Der Vater besaß eine Malerfirma in zweiter Generation. Mit dieser Tradition brach nun der Sohn, es war für Vater und Sohn eine schwierige Entscheidung. Dann folgte eine Berufsausbildung zum Fotografen. Nach seiner Neuorientierung entwickelte sich eine Fotografie mit zwei Schwerpunkten. Fotografie zum Broterwerb und Fotografie als sozialpolitisches Engagement.
1993 gründete März mit Freunden den Verein "INTI RUNA". Das Ziel des Zusammenschlusses ist einfach und klar: Hilfe für die Kinder Boliviens, dem ärmsten Land Lateinamerikas. Der Vereinsname INTI RUNA entstammt der Ketchua-Sprache der indianischen Hochlandbewohner in den Anden und heißt: "Kinder der Sonne".
Die zwölf Jahre, die zwischen der Vereinsgründung und heute liegen, weisen eine erstaunliche Erfolgsbilanz auf. Der Verein vergrößerte sich. In der Region Bensheim-Zwingenberg flossen Spendengelder, der alljährliche Fotokalender wurde gut verkauft, Kooperationspartner in Deutschland und in Bolivien wurden gefunden, und die Ausdauer und Initiativen starker Persönlichkeiten in beiden Ländern ergaben als Summe den Erfolg.
So entstand in Sucre, der Landeshauptstadt Boliviens, eine Nähwerkstatt für Behinderte, die Escuela Taller de Intergracion, mit Geldern von INTI RUNA, zur gesellschaftlichen Reintegration von körperlich und geistig Behinderten. Zu dieser Nähwerkstatt sind mittlerweile noch eine Schreinerei, ein Kindergarten und eine Kantine gekommen. Die Vereinigung "Ärzte für die 3. Welt" unterstützte das Projekt mit 500 000 Euro.
Ein weiteres Projekt von INTI RUNA ist Oqharikuna, ein Tagesheim für Straßenkinder, ebenfalls in Sucre, zu dem auch ein Bauernhof gehört. Hier wird Gemüse angebaut, das die Kinder auf dem Markt verkaufen. Zum Hof gehört auch eine kleine Molkerei, deren Produkte ebenfalls verkauft werden.
Seit September 2001 besteht eine enge Kooperation zwischen INTI RUNA und der Jugendabteilung der FSG Bensheim, die gemeinsam eine Fußballschule für Straßenkinder in Sucre, die "FSG Oqharikuna", unterstützen. In diese Fußballschule kommen die Kinder der Straßenkinderheime Sucres. Nach jedem Training erhalten die Kinder ein Glas Milch und ein Brot.

Foto: Ludwig März
Ludwig März betont in unserem Gespräch: "Jeder Spender ist daran interessiert, dass seine Spende auch ankommt. Unsere Gelder fließen zu 100% in die Hilfsprojekte. Wir haben Vertrauenspersonen vor Ort. Alle arbeiten ehrenamtlich. Die Beiträge und die Spenden sind einsehbar und öffentlich. Nur das schafft Vertrauen. Wir unterstützen seit 1997 auch ein Aufforstungsprojekt im Hochtal von Cajamarca und die "Musikschule Vicente Vargas."
Wir gehen mit Ludwig März in seine Wohnung zurück, dort erzählt er weiter seinen vielen Reisen nach Bolivien. "Die Armut ist für uns unvorstellbar. Jahrelang gab es Militärregierungen. Misswirtschaft und Korruption. Die Arbeitslosigkeit ist in Zahlen nicht zu fassen. Es wird geschmuggelt, der Drogenhandel ist überall. Die aktuelle Regierung ist gegenüber der Inflationsrate machtlos. Wir helfen konkret. Wir können von hier aus die Not nicht ändern, nur ein wenig mildern. Die "Kinder der Sonne" stehen im wahrsten Sinne des Wortes vor den Scherben einer zerstörten Kultur."
Zweimal ist Ludwig März auf seinen Reisen überfallen worden. Auch diese Geschichten erzählt er völlig unaufgeregt. "Da stand eine Gruppe Jugendlicher vor mir. Einer hielt mir eine dicke Pistole vor die Brust. Das Anliegen war unmissverständlich. Ich hatte aber kein Geld. Das sagte ich denen. Dann gab es zwischen den Burschen eine Debatte. Man war zu der Überzeugung gekommen, dass es doch noch reichere Leute als mich gab und verschwand.
Ein anderes Mal stand ein kleiner Knirps vor mir. Halb so groß wie ich. Auch er hatte einen Revolver, den er auf mich richtete. Ich zuckte nur mit den Schultern. Zeigte meine leeren Hände. Das hatte ihn überzeugt. Weg war er. Mit solchen Geschichten muss man rechnen. Es hätte auch anders ausgehen können. Auf seine Sachen sollte man schon gut aufpassen. Die Not macht aus den Verzweifelten Diebe. Ich hatte eine Jeans, und die musste irgendwann mal gereinigt werden. Ich gab sie in eine Wäscherei. Innen hatte ich als eine Art Notgeld 100 Dollar eingenäht. Ich holte die gereinigte Hose ab, zahlte. Erst viel später bemerkte ich, dass das Geld verschwunden war."

Foto: Ludwig März
Das sind einige seiner Erinnerungen. Er hat sich aber davon nicht abschrecken lassen. Seine Fotos sind mehr als Dokumente. Da sind Kindergesichter. Immer wieder Kindergesichter. Jungen, Mädchen, das kleine Glück, die große Last, Trauer und Hoffnung, sensible Bilder, empathische Fotografie. Ludwig März hat keinen Zweifel an der Richtigkeit seines Handelns, für ihn ist das mehr als der Tropfen auf dem berüchtigten, heißen Stein. Sein Abschlusskommentar spricht für sich:
"Jahrhunderte lang wurden sie ausgebeutet und unterdrückt. Die Abhängigkeit von den Weltmächten ist enorm. Die Situation ist kaum zu ertragen. Unterernährung, Krankheiten, Analphabetismus, schwache Infrastrukturen. Doch INTI RUNA fängt dort an, wo andere schon längst aufgehört haben."
Spendenkonto INTI RUNA
Sparkasse Bensheim (BLZ 509 500 68)
Konto-Nr. 101 31 35
Online-Flyer Nr. 23 vom 20.12.2005
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