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Aktueller Online-Flyer vom 20. April 2024  

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Ein Tag in Kölle unterwegs: auf besondere ART
The Art of Encountering II – Die Kunst der Begegnung
Ein Erlebnisbericht von Carola Willbrand

Samstag, der 14. Juli war in Köln der performativen Erkundung des städtischen Raums gewidmet. Startpunkt war das Autobahnkreuz Messe-Kreisel in Köln Deutz unterhalb der Zoobrücke, das Ende der Performanceaktion in der Stadt bildete Groß St. Martin. Sieben Künstler aus Japan trafen sieben Künstler aus Köln. Das war schon eine Herausforderung! Abgesehen von der plötzlich hereinbrechenden Hitze hatte die vergnügungssüchtige Stadt diesen Tag als „Lichterfest“ erkoren.
Obwohl das sogenannte Lichterfest erst nachts mit einem Feuerwerk über dem Rhein gefeiert wurde, tummelten sich schon früh die Horden in der Stadt – hauptsächlich auf der Suche nach einer Tränke. Die Pilsbrauereien allerdings hatten die Rheinpromenaden für sich gepachtet. Und das in der einzigen Stadt Deutschlands, in der man auch das spricht, was man trinkt!

Aber das waren nur Nebensächlichkeiten angesichts der forschenden Künstler, die sich gemeinsam mit Besuchern und zufälligen Passanten dem künstlerischen Handeln vor Ort widmeten: Nicht ein Ausstellungsraum für alle Künstler diente der künstlerischen Erkundung und temporären Installation, sondern jeder Künstler fand einen vorher speziell ausgesuchten Ort im städtischen Raum. Nicht glanzvolle architektonische Highlights wurden bespielt, sondern in erster Linie Orte, die in ihrer beliebigen Ödnis überall „Stadt“ ausmachen.

„Site-specific Action“ (The Art of Encountering I) in Yokohama war im Jahre 2006 diesem Projekt vorausgegangen. Der in Köln lebende Performer, Organisator, Netzwerker Boris Nieslony war dazu eingeladen gewesen. Als Rattenläufer (mit Quietscheratten unter den Schuhsohlen) durchforstete er mit Führstöcken in den Händen, die die Richtung anwiesen, die Stadt, und die japanischen Kollegen brachte er nun nach Deutschland mit.

Allerdings ist es für Tomomi Adachi, Shin-Ichi Arai, Kaori Haba, Yoshinori Niwa, Hiromi Shirai, Machiko Tagami, Sakiko Yamaoka eine besondere Anstrengung, da sie innerhalb Deutschlands durch verschiedene Städte ziehen und am jeweiligen Ort immer wieder auf andere ansässige Künstler treffen: in Essen - Düsseldorf - Hildesheim - Hannover. Siehe auch www.asa.de

Selbstverständlich kann ich als beteiligte und „befangene“ Kollegin nur für die Kölner Erfahrungen sprechen. In einer Dauerperformance begleitete ich die performenden Kollegen. Ich verwandelte mich als Pilgerin in die wahre Gestalt der Hl. Ursula – unserer Stadtpatronin – verwandelte mich zur Bärin (Ursula – lat. von ursus „der Bär“) und hieß so die Japaner in Köln willkommen. Dabei wurde die CarolaUrsulaBärin durch den emphatisch fähnchenschwingenden „Rosa Funkemariechen“ Mark Met unterstützt. Der Fotograf Pietro Pellini, der seit vielen Jahren Performances dokumentiert, hat seine Fotos des Performance-Samstags in Köln ins Netz gestellt.



Die Reihe beginnt mit einer Plakatbeschlagung des Kölner Künstlers Parzival am Pfälzischen Ring in Deutz. Seit einer Brasilienreise vor einigen Jahren beschlägt er in Erinnerung an die Bauten der „Favelas“ Plakate – aber keine politisch korrekten. Siehe auch
www.plakat-pirat.de

Machiko Tagami erklomm eine Erdaufschüttung unweit Parzivals erster „Aktionsart“. In sportivem Schwimmsport-Outfit unternahm sie, begleitet von allerlei Hilfsmitteln, diverse Übungen. Auch hatte sie den Ort im weiteren Umfeld gestaltet. Diverse Kleidungsstücke schwebten wie Trophäen zur Markierung einer Bergbesteigung an Holzstöckchen auf Erderhebungen.



Ein Plakat mit einer Abbildung des Gesichts von Sakiko Yamaoka klebt plötzlich an einer Wand. Sie wird vermisst! Neben der Abbildung ihres Gesichts ist eine Auflistung ihrer besonderen Kennzeichen zu lesen. Wer Sakiko gesehen hat, soll an eine bestimmte Email-Adresse schreiben. Ich verstehe auf dem weiteren städtischen Fußmarsch, dass immer, bevor die Stadtwanderer an den einzelnen Orten auftauchen, ein Plakat der verschwundenen Sakiko schon da ist. Wo ist aber sie?



Während ich darüber nachgrübele, lässt Jens Brand auf der neuen eleganten Treppe zur Messe einen weißen, sehr großen Ballon fliegen. Diesen Ballon führte er einige Zeit vorher schon mit sich. Nun hängt an der Schnur dieses Ballons nicht der Künstler sondern ein Handy. Nach einer Weile wählt der Künstler die Nummer des Handys an dem Ballon. Der Künstler versicherte mir, er habe das Klingeln des Ballon-Handys gehört!



Im Eingang eines kleinen Tunnels zu einem Seiteneingang des Deutzer Bahnhofs wickelte Hiromi Shirai mit ihren Füßen eine Fax-Papierrolle ab, die sie  danach ordentlich mit den Händen wieder zu einer Rolle, die ein dickes Etwas wurde, aufrollte. Das Etwas stopfte sie mit Wucht in den nächsten Papierkorb.



Kaori Haba behängte sich am selben Ort mit Plastikteilen: durchsichtige kleine Schachteln mit nicht näher definiertem Inhalt – wohl etwas Elektronisches? Sensoren klemmten auf seinen Fingern, und es erklangen zwitschernde, gurrende, brummende Töne, zu denen er lautmalerisch sprach, sang, rief und sich mit tänzerischer Leichtigkeit bewegte. Plötzlich stopfte er alle Teile, die vorher noch an ihm baumelten, in seinen Rucksack, verschloss den Rucksack, und während es in seinem Rucksack noch so vor sich hingurrte und zirpte, rannte er davon.



Auf dem weiteren Weg zur Hohenzollern-Brücke buddelte Elke Mark mit ihrem Baby auf dem Rücken eine Distel aus, die sie in ein Papier tat und vorsichtig vor sich hintrug. Aber was machte sie damit? Ich weiß es nicht. Nach einer Weile sah ich sie überhaupt nicht mehr.



Die Pilgerin CarolaUrsula ging in Begleitung ihres Funkemariechens über die Eisenbahnbrücke auf den Kölner Dom zu. Plötzlich lief Hiromi Shirai, ein Plastikauto mit großem Mercedesstern hinter sich herziehend, auch auf der Nordseite der Hohenzollernbrücke. Im Angesicht des Doms ließ Yoshinori Niwa seinen Drachen steigen. Der Drache aus kölschen Plastikeinkaufstüten wollte allerdings nicht so richtig fliegen. War es ihnen angesichts der großen Schwüle zu heiß? Es gab auch etwas wenig Wind!



Auf der Domplatte, dem Bahnhofsvorplatz, inmitten zahlloser Touristen, fuhr ein eigentümliches Gefährt. Eine Art Schiff auf Rädern, ein abgewracktes Schiff – eher ein Gefährt für mobile Stadtstreicher. Grünliche Plastikplanen verdeckten das Innenleben. Ein Stock ragte wie ein Mast daraus hervor. Ein ferngesteuertes hasenartiges Stofftier auf Rädern irrte durch die Menschen auf der Domplatte. Gehörte das puschelige Kleingefährt zum „großen“ rollenden Wanderzelt? Aus dem Gefährt sickerte eine Lache Wasser. Später, nachdem der Künstler Rolf Hinterecker verschwitzt sein Gefährt, das ihn übrigens den ganzen Tag begleitete, mit Hilfe eines Zuschauers die Treppen zum Dom hochgehievt hatte, schenkte er das laufende Häschen einem Kind.



In einiger Entfernung, in der Nähe der Artothek, Ecke Am Hof/Unter Taschenmacher gegenüber dem Römisch-Germanischen Museum, wurden nochmals dem Hasen (diesmal ein Holzhäschen auf Rädern) die Bilder erklärt. Shin-Ichi Arai zelebrierte eine ausgiebige Beuys-Hommage, indem er Beuys-Sushi verzehrte. Fotokopien der Werke von Beuys beschmierte er mit Butter – oder ließ sie von hilfsbereiten Zuschauern schmieren, rollte sie ein und tunkte diese Kunst-Delikatesse in japanischen Saucen. Diese Eat-Art verschwand, zu dicken Klumpen werdend, im Munde des Künstlers. Das Publikum unterstützte ihn tatkräftig, insbesondere ein kleines Mädchen. Sie amüsierte sich sehr, während sich die meisten Erwachsenen ekelten.



Plötzlich erschien die verschwundene, vermisste Sakiko. Hinter einer großen Sonnenbrille abgeschirmt lehnte sie in einiger Entfernung an einer Hauswand und beobachtete das Geschehen.

Am historischen Rathaus las dann Kaori Haba Lautgedichte auf Japanisch vor. Sie erinnerten an den bekannten Lautdichter Hugo Ball. Im Februar 1916 gründete er mit Hans Arp, Tristan Tzara und Marcel Janco in Zürich das „Cabaret Voltaire“, die Wiege des Dadaismus. Kaori Haba sieht sich in seiner performativen Arbeit als Modernist – das ist ein sehr japanischer Ausdruck für einen Avantgardekünstler. Denn wir Europäer würden unter einem Modernisten eher einen Künstler der modernen Vergangenheit Anfang des 20. Jahrhunderts verstehen.



Vor Groß St. Martin legte Tomomi Adachi über die dort fest installierte Sitzbank gegenüber der „Schmitz-Säule“ drei Tücher in Schwarz-Rot-Gold wie eine Tischdecke über den Tisch. Sie schrieb mit weißer Kreide „Dear Children in 1945. Are you happy now?“ auf den Boden davor. In eine Schüssel tat sie Kartoffeln und an die Zuschauer verteilte sie Süßigkeiten. Die schwarz-rot-goldene Fahne wickelte sie wie ein Bündel in das Tischtuch, legte es sich wie ein Puppenbaby in den Arm, schmiss dazu Nüsse in die Luft, die auf den Boden knallten, warf sich dann unter dem vermeintlichen Beschuss auf den Boden, setzte sich auf die Bank und nährte das Baby mit der Wasserflasche. Doch das Tuchbündel konnte das Wasser nicht halten.



Ursula erschien in ihrer wahren Bärinnengestalt und bedankte sich bei den Kollegen und Gästen, dass sie alle gekommen waren. Zum Abschluss zeigte sie auch ihr wahres Gesicht.


Alle Fotos: © Pietro Pellini

Sehr spät abends gab es noch eine Vorstellung im städtischen Grünraum Innere Kanalstraße/Ecke Vogelsangerstraße von Veit Landwehr, die allerdings nicht fotografisch dokumentiert wurde. Eine Feuerschale brannte in rot-weiß abgesperrtem Wasserschutzraum unter sphärischen Klängen. Im letzten Jahr konnte der spazierende Kölner Bürger vermehrt merkwürdige Installationen in städtischen Grünanlagen sichten: um eine Wasserzufuhr herum Steinplatten, die mit einer rot-weißen Kettenanlage großräumig abgesperrt wurden. Köln ist schön!

Alle Fotos des Performancetages

Online-Flyer Nr. 106  vom 01.08.2007

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