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Inland
Interview: Klaus Jünschke zum Gesetzentwurf Sicherheitsverwahrung Jugendlicher
„Von den Nazis eingeführte Sanktion für Erwachsene“
Von Markus Bernhardt

Nach Ansicht von Hessens Justizminister Banzer (CDU) geht der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur geplanten Sicherungsverwahrung von verurteilten Jugendlichen nicht weit genug. Die Deutsche Vereinigung für Jugendgericht und Jugendgerichtshilfen (DVJJ) lehnt eine Ausweitung der Sicherungsverwahrung kategorisch ab. Hier ein Interview mit dem Kölner Sozialwissenschaftler, Buchautor und Journalisten Klaus Jünschke. Er gehört seit zehn Jahren dem Gefängnisbeirat der JVA Köln-Ossendorf an. - Die Redaktion.
Markus Bernhardt: Die Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf beschlossen, der die Sicherungsverwahrung für Jugendliche mit "besonderer Gefährlichkeit" vorsieht. Wie bewerten Sie diesen Vorstoß?
 
Klaus Jünschke: Gegen Missverständnisse: der Gesetzentwurf sieht vor, dass junge Menschen, die nach dem Jugendstrafrecht zu einer Strafe von mindestens sieben Jahren verurteilt worden sind, nach der Strafverbüßung in Sicherungsverwahrung genommen werden können, wenn zwei Gutachter ihre andauernde Gefährlichkeit feststellen. Sie sind dann keine Jugendlichen mehr, sondern junge Erwachsene. Wenn zum Beispiel ein 14jähriger zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt worden war, dann ist er nach der Strafverbüßung 21 Jahre alt. 
Zu fragen ist, wieso eine Regierung, die verbal so häufig zum Kampf gegen den Rechtsextremismus aufruft, in der Auseinandersetzung mit der Jugenddelinquenz auf eine Sanktion setzt, die von den Nationalsozialisten 1933 für Erwachsene eingeführt wurde, ohne diesen historischen Kontext zu diskutieren. 


Klaus Jünschke
Foto: Christiane Ensslin


Diese ignorante Selbstgerechtigkeit wird schon im ersten Satz des Gesetzentwurfs deutlich. Er lautet: „Beispiele der jüngeren Vergangenheit haben gezeigt, dass auch junge Straftäter trotz Verbüßung einer mehrjährigen Jugendstrafe wegen schwerer Verbrechen weiterhin in hohem Maße für andere Menschen gefährlich werden können.“ Das muss man wirklich genau lesen: „trotz Verbüßung einer mehrjährigen Jugendstrafe“. Dabei weiß man seit 100 Jahren, dass die Rückfallquote im Jugendstrafvollzug bei 80% liegt. Daher forderte der sozialdemokratische Justizminister Radbruch in der Weimarer Zeit, dass wir keine besseren Gefängnisse brauchen, sondern etwas Besseres als das Gefängnis.“

Wird der ursprüngliche Gedanke einer Resozialisierung von Straftätern mit der Sicherungsverwahrung nicht ad absurdum geführt?

Das Komitee des Europarates zur Verhinderung der Folter und unmenschlicher und entwürdigender Behandlung hat vor zwei Jahren die Jugendanstalten Hameln und Weimar-Ichtershausen besucht und durch Gespräche festgestellt, dass Gewalt und sexuelle Nötigungen unter den Gefangenen keine Einzelfälle sind. Nach der Tötung eines jungen Gefangen in der JVA Siegburg hat die Öffentlichkeit ein paar Wochen erschrocken über die Zustände in den Jugendgefängnissen reagiert, die von Überbelegung und Personalmangel geprägt sind. Diese elenden Zustände endlich abzuschaffen, würde tatsächlich etwas für den im Regierungsentwurf behaupteten Schutz potenzieller Opfer bringen. 

Sehen Sie überhaupt realistische Möglichkeiten, die "Gefährlichkeit" eines Jugendlichen, der sich  mitten in seiner Entwicklung befindet, zu bewerten?
Ich habe in den letzten Jahren einige Jugendliche und Heranwachende im Gefängnis kennengelernt, die andere schwer verletzt haben. Sie sind sich in der Regel selbst bewusst, dass sie in bestimmten Situationen für andere wieder gefährlich werden können. Wie wenig Hilfe sie in den Jugendgefängnissen finden, belegen wie gesagt die Rückfallquoten. Und dabei vermitteln die bloßen Zahlen nicht, wie sehr einzelne durch die Haft zusätzlich brutalisiert werden.

Bei vielen der von den jungen Menschen verübten Straftaten handelt es sich um Delikte, die ihren Ursprung in der zunehmenden gesellschaftlichen Ausgrenzung und den Folgen von Armut finden. Entledigt sich der Staat durch die geplante „Sicherungserwahrung" nicht seiner Fürsorgepflicht und umgeht so zudem soziales Konfliktpotential?
Der Staat umgeht kein soziales Konfliktpotential, er schafft es. Der frühere Kölner Gefängnischef Jörn Foegen hat immer wieder betont, dass er ein Drittel aller Zellen dicht machen könnte, wenn es eine an Leidminderung orientierte Drogenpolitik geben würde. Aber gegen die Sucht und die durch den illegalen Markt produzierte Gewalt wird immer weiter auf Repression gesetzt, während die Bundeswehr in Afghanistan die größten Mohnfelder aller Zeiten bewacht. 


Fotos: meaning media

In dieser Republik wird nicht einmal mehr über Alternativen zu Jugendhaftstrafen diskutiert. Hätten Sie Vorschläge?
Doch, es wird über Alternativen zu Jugendhaftstrafen diskutiert. Zum Beispiel auf dem Jugendgerichtstag, der Mitte September in Freiburg stattfinden wird. Sein Motto lautet „Fördern, fordern, fallen lassen!“ Jean Ziegler wird in seinem Eröffnungsvortrag erklären, „warum es so schwer (geworden) ist, jung zu sein.“ Und Micha Brumlik widmet sich zum Abschluss dem Thema „Der Wunsch nach Unterwerfung – Die Wiederkehr des reaktionären Denkens in der Bildungs-, Familien- und Rechtspolitik“. Und einmal mehr wird dieser 27. Jugendgerichtstag fordern, dass der Offene Vollzug zum Regelvollzug werden soll.
Wir müssen uns keine Gedanken über Alternativen machen, die liegen seit Jahrzehnten vor, sondern diejenigen offensiv kritisieren, die jugendliche Kriminelle brauchen und mit dem Ruf nach immer mehr Härte die nötige Gesellschaftsveränderung verhindern wollen. (PK)
 
Siehe auch: „Tod in Siegburg“ (NRhZ 71 und 88) und „Das Kölner Intensivtäterprogramm“ (NRhZ 96) und www.jugendliche-in-haft.de und www.klausjuenschke.de

Online-Flyer Nr. 106  vom 01.08.2007

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