NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 26. April 2024  

zurück  
Druckversion

Inland
Verfassungsänderung für Einsatz der Bundeswehr im Inneren empfohlen
Krisenreaktionskonzept
Von Hans Georg

Aktuelle Strategiepapiere aus dem Umfeld des Bundesverteidigungsministeriums erweitern die Forderung der deutschen Kanzlerin nach Inlandseinsätzen der Bundeswehr. Die Dokumente zielen auf die weitgehende Unterordnung des gesellschaftlichen Lebens unter Erfordernisse der deutschen Hegemonialpolitik. Wirtschaft und NGOs (Nicht-Regierungsorganisationen) müssten sich stärker am globalen „Krisenmanagement" beteiligen, die Bevölkerung müsse „mehr Verantwortung" für den Schutz des Landes vor Gegenschlägen übernehmen, heißt es in einem Berliner „Rahmenkonzept für eine ressortübergreifende Sicherheitspolitik".
Das Papier ist in einem Seminar der Bundesakademie für Sicherheitspolitik von leitenden Mitarbeitern der deutschen Ministerialbürokratien erstellt worden. und gibt Zielvorstellungen wieder, die aus einer selbst ernannten „Strategic Community" in die Beamtenapparate hineintransportiert werden. Die Bundesregierung werde „die Verfassung (...) in wesentlichen Teilen (...) überarbeiten müssen", urteilt der Präsident der Bundesakademie über die rechtlichen Konsequenzen der Vorschläge seines Instituts.
 
Führungskräfte der Exekutive  

Das Berliner Strategiepapier ist im Rahmen des diesjährigen „Seminars für Sicherheitspolitik" erstellt worden, das vor wenigen Tagen zu Ende gegangen ist. Die Veranstalterin, die Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS), ist die „höchstrangige, ressortübergreifende Fortbildungsstätte des Bundes im Bereich der Sicherheitspolitik", sie arbeitet unmittelbar im Auftrag der Bundesregierung. Ihr Präsident und der Chef des Bundeskanzleramts behalten sich die Auswahl der Seminarteilnehmer persönlich vor. Zu den Veranstaltungen, die sich über sechs Monate erstrecken und nur einmal im Jahr stattfinden, werden vor allem „Führungskräfte der Exekutive" eingeladen, „idealtypisch auf der Verantwortungsebene eines Referatsleiters".[1]
 
Wenige handverlesene Seminarteilnehmer „aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Gewerkschaft und Gesellschaft" sichern Kontakte in wichtige nichtstaatliche Milieus. Die "Seminare für Sicherheitspolitik" etablieren „langfristige Beziehungen zwischen Entscheidungsträgern aus Bundes- und Landesministerien in herausgehobener Verantwortung und maßgeblichen Vertretern der Wirtschaft und des öffentlichen Lebens", schreibt die BAKS. Die „gezielt aufgebauten Kontakte" werden sorgfältig gepflegt und sichern so die dauerhafte Einbindung ehemaliger Seminarteilnehmer in die selbst ernannte „Strategic Community" Berlins.
 


Nationaler Sicherheitsrat
 

Die Teilnehmer des jetzt zu Ende gegangenen „Seminars für Sicherheitspolitik" haben zum Abschluss der Veranstaltung ein "Rahmenkonzept" [2] erstellt, das am Beispiel des sogenannten Anti-Terror-Kampfs weitreichende Forderungen entwickelt. Kern ist der Vorschlag, die Autonomie der einzelnen Ministerialressorts einzuschränken und ein Gremium zu schaffen, in dem „ressortübergreifend in strategischer Perspektive konzeptionelle Grundlagen und Strategien sowie politische Leitlinien entwickelt werden". Sie betreffen vor allem Maßnahmen der deutschen Expansion. Das Gremium soll zudem im Spannungsfall „mit der Erarbeitung eines ressortgemeinsamen Krisenreaktionskonzepts betraut werden". Es könne aus dem Bundessicherheitsrat [3] entwickelt oder aber im Kanzleramt angesiedelt werden, heißt es im „Rahmenkonzept". BAKS-Präsident Rudolf Adam bringt die Bezeichnung „Nationaler Sicherheitsrat" ins Spiel.[4]

Machtzentrum Kanzleramt  

Adam empfiehlt, eine „Verfassungsänderung bzw. Neuinterpretation des Grundgesetzes" in Betracht zu ziehen: „Wir werden die Verfassung ohnehin in wesentlichen Teilen, soweit sie Streitkräfte und sicherheitspolitische Vorsorge betreffen, überarbeiten müssen." Adam zufolge „sollten die Grundfragen der nationalen Existenz, die Frage über Krieg und Frieden, die Bestimmung, was in letzter Konsequenz im deutschen Interesse liegt und welche Opfer dafür geboten sind", nicht mehr vom Parlament, sondern vom Bundeskanzler entschieden werden.[5]
 
„Es würde damit im Kanzleramt tatsächlich ein eigenes Machtzentrum heranwachsen", räumt der BAKS-Präsident ein und empfiehlt Kompensationsleistungen an das Auswärtige Amt (AA). Demnach könne etwa „der BND aus dem Kanzleramt aus- und dem AA angegliedert" werden. "Dafür sprächen auch operative Erwägungen", behauptet Adam: „Die Erkenntnisse des BND würden noch enger mit den operativen Ansätzen des AA verwoben. Die Legendierung von BND-Mitarbeitern würde endlich glaubhaft."



Erste-Hilfe-Kurse
 
Neben Strukturvorschlägen, die eine Straffung der Exekutive anvisieren, enthält das „Rahmenkonzept" aus dem „Seminar für Sicherheitspolitik" eine Reihe von Forderungen, die auf eine weitere Militarisierung der gesamten deutschen Gesellschaft hinauslaufen. Demnach muss der Wissenschaftsbetrieb enger an die Repressionsbehörden angekoppelt werden, etwa mit „Forschungsstellen für Terrorismus/Extremismus".[6] Wirtschaftsvertreter sollen sich „zu einem größeren Engagement im internationalen Krisenmanagement" bereitfinden, NGOs „zu einer freiwilligen Selbstbindung an Standards und einer größeren Bereitschaft zur praktischen Abstimmung". Zudem habe man „das entwicklungspolitische Instrumentarium konsequenter (...) in der Terrorismusbekämpfung" zu nutzen.

Die Vorgaben aus der „Strategic Community" deuten die Möglichkeit feindlicher Gegenschläge im Inland an. So soll eine „Intensivierung der Ausbildung in erster Hilfe z.B. im Rahmen des Schulunterrichts" vorgenommen werden. Auch müssten „Empfehlungen über eine Bevorratung lebenswichtiger Güter für eine begrenzte Zeit (...) im Vordergrund stehen".
 
Inlandseinsätze unverzichtbar
 
Das „Rahmenkonzept" empfiehlt ausdrücklich, Reibungsverluste wegen möglicher Unruhen in der Bevölkerung zu vermeiden.[7] „Gesetze und Maßnahmen, die die staatlichen Strafverfolgungs- und Schutzkapazitäten gegenüber terroristischen Bedrohungen erhöhen, müssen (...) auf einem gesellschaftlichen Konsens fußen", heißt es in dem Papier. Es sei daher sorgfältig abzuwägen, „inwieweit Gesetzesänderungen und Maßnahmen (...) bürgerliche Rechte und Freiheiten zugunsten höherer Sicherheit einschränken dürfen". Für in jedem Falle unverzichtbar halten die Autoren Inlandseinsätze der Bundeswehr, für die „klare grundgesetzliche Regelungen (...) geschaffen werden" sollen. In denjenigen Fällen, in denen die Armee bereits jetzt im Inland eingesetzt werden darf („Amtshilfe"), empfehlen sie „ein bundesweites Übungsprogramm (...), um die Abstimmung von Ländern, Bund und Bundeswehr (...) zu erproben".


     Alle Fotos: Arbeiterfotografie – www.arbeiterfotografie.de

Übungsprogramm G8-Gipfel
 
Ein entsprechendes „Übungsprogramm" ist offenbar während des G8-Gipfels in Heiligendamm durchgeführt worden. Der damalige Inlandseinsatz der Bundeswehr sei „über die Amtshilfe" [8] angefordert worden, heißt es in einem Bericht des Verteidigungsministeriums. Demnach sind zwei Tornados, vier Eurofighter und acht Phantom-Kampfflieger gestartet sowie neun Spähpanzer des Typs Fennek in Marsch gesetzt worden, um Demonstranten zu überwachen. Mit den Kriegsmaschinen wurden Foto- und Infrarotaufnahmen von den Globalisierungsgegnern angefertigt. Mindestens ein Pilot unterschritt die im Frieden geltende Mindestflughöhe von 150 Metern. Allein die Maschinen der Luftwaffe waren insgesamt 23 Stunden im Einsatz.
 
Inneren Unruhen militärisch begegnen
 
Wie der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle urteilt, wird der Inlandseinsatz der Bundeswehr "aus ideologischen Gründen und nicht aus Gründen der Inneren Sicherheit" auf die Tagesordnung gesetzt.[9] Tatsächlich bemühen sich einflussreiche Kräfte in Berlin um eine strategische Neujustierung des gesamten Repressionspotenzials, um befürchteten inneren Unruhen - etwa infolge kriegsbedingter Energieengpässe – militärisch begegnen zu können.

 
[1] Seminar für Sicherheitspolitik; www.baks.bundeswehr.de
[2] Seminar für Sicherheitspolitik 2007: Asymmetrien als Herausforderung. Rahmenkonzept für eine ressortübergreifende Sicherheitspolitik, Berlin, Juni 2007
[3] „Der Bundessicherheitsrat ist ein Ausschuss des Bundeskabinetts. Seine Sitzungen, die vom Bundeskanzler geleitet werden, sind geheim. Der Rat koordiniert die Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Bundesregierung und ist auch für die Rüstungsexporte der Bundesrepublik zuständig. Der Bundessicherheitsrat, der auf einen Kabinettsbeschluss von 1955 zurückgeht, hat neun Mitglieder: Der Bundeskanzler, der Chef des Kanzleramts, die Bundesministerinnen und -minister des Äußeren, der Verteidigung, der Finanzen, des Inneren, der Justiz, der Wirtschaft sowie der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Entwicklung." Der Bundessicherheitsrat; www.bmz.de
[4], [5] Rudolf Georg Adam, Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik: Fortentwicklung der deutschen Sicherheitsarchitektur. Ein nationaler Sicherheitsrat als strukturelle Lösung? Vortrag vor der Auftaktkonferenz der Veranstaltungsreihe „Gesamtstaatliche Sicherheit", Berliner Forum Zukunft (BFZ) der DGAP und Bundesakademie für Sicherheitspolitik, Berlin, 13. Januar 2006
[6], [7] Seminar für Sicherheitspolitik 2007: Asymmetrien als Herausforderung. Rahmenkonzept für eine ressortübergreifende Sicherheitspolitik, Berlin, Juni 2007
[8] Jung gerät wegen G8-Einsatz in Bedrängnis; Financial Times Deutschland 03.07.2007
[9] Westerwelle kritisiert Schäubles Sicherheitspläne; ddp 02.07.2007.(PK)
 
Mehr unter www.german-foreign-policy.com  

Online-Flyer Nr. 103  vom 11.07.2007

Druckversion     



Startseite           nach oben

KÖLNER KLAGEMAUER


Für Frieden und Völkerverständigung
FOTOGALERIE