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Lokales
Köln soll auch ein „Haus des Jugendrechts“ kriegen
Ziel: „Hand in Hand“ schneller bestrafen
Von Klaus Jünschke
Die Kölner Jugendlichen und Heranwachsenden, die heute in Folge dieser Betreuung in der Untersuchungshaft in Ossendorf oder in den Jugendstrafanstalten Heinsberg und Siegburg sitzen, waren 1998 Kinder, vielleicht teilweise schwierige Kinder, aber jedenfalls Kinder, die für pädagogische Förderung und Hilfen zugänglich gewesen wären – wenn es denn die von Christian Lüders geforderten Maßnahmen und Projekte in angemessenem Umfang und mit der notwendigen Qualität gegeben hätte.
Nur noch ein Sozialarbeiter statt früher vier
Stattdessen wurde in der Kinder- und Jugendhilfe gespart. Zum Beispiel in der Gernsheimer Straße in Ostheim: als dort die Offene Kinder- und Jugendarbeit begann, gab es vier Sozialarbeiterstellen. Heute ist einer, Günter Schmitz, übrig geblieben. Und was das bedeutet, formulierte er in einem Interview mit der Kölnischen Rundschau sehr anschaulich: „Und wenn ich mal krank bin… Ich meine, was passiert dann? Dann ist da keiner.“ Über diese Kürzungen liegt kein umfassender Bericht vor, dazu wird keine Studie in Auftrag gegeben. Es gibt keine Berichterstattung über die dafür Zuständigen und folglich auch kein öffentliches Bewusstsein ihrer Verantwortung für die Entwicklung der Delinquenz von Kindern und Jugendlichen in der Stadt. Sie scheinen gar nicht zu existieren. Umso drastischer fallen die Namen für die Jugendlichen aus, die durch diese von „der Stadt“ zu verantwortenden Verwahrlosungsprozesse auf der Straße zu blindwütigen Schlägern wurden: Brutalo-Kids, Monster-Kids, Koma-Schläger. Und folgerichtig wird die Diskussion nicht von der Frage beherrscht, wie sie eine Gefahr für andere werden konnten, wer sie dazu gemacht hat, sondern davon, wie man sie am besten bekämpfen oder loswerden kann.
Knast in Köln Ossendorf
Foto: H.-D. Hey, arbeiterfotografie.com
„Möglichst zügig zur Verantwortung ziehen“
Die darin zum Ausdruck kommende Relativierung der Jugendhilfe und des Erziehungsgedankens und ihre Zurückgewichtung gegenüber dem Strafgedanken zeigt sich im Beschluss des Rates der Stadt, in Köln ein „Haus des Jugendrechts“ nach Stuttgarter Vorbild einzuführen. So heißt es auf www.koeln.de unter der Schlagzeile: „ Jugendliche Kriminelle sollen schneller verurteilt werden“:
„Zukünftig sollen jugendliche Straftäter schneller als bisher ihrer gerechten Strafe zugeführt werden – das sieht ein ganzes Bündel von Maßnahmen vor, das der Rat der Stadt Köln beschlossen hat. Das wichtigste Element im gemeinsamen Kampf der Jugendhilfe, Polizei und Staatsanwaltschaft gegen die zunehmende Jugendkriminalität in der Domstadt soll das ‚Haus des Jugendrechts’ sein. Dort sollen die drei genannten Beteiligten unter einem Dach Hand in Hand zusammenarbeiten, um strafrechtliche Verfahren zu beschleunigen und straffällig gewordene Jugendliche möglichst zügig zur Verantwortung zu ziehen. Ganz nach dem erfolgreichen Vorbild aus Stuttgart, wo die jugendlichen Straftäter zeitnah für ihr strafbares Handeln zur Rechenschaft gezogen werden, will man das oft monatelange Warten auf den Richterspruch verkürzen.“
Unkenntnis auch beim Stadt-Anzeiger
Dass es im Umgang mit straffällig gewordenen Jugendlichen nach dem Jugendgerichtsgesetz zuallererst um Erziehung zu gehen hat, wird in dieser Sorte Berichterstattung völlig ignoriert. Kein Wort darüber, dass die Rückfallquote bei den zu einer Haftstrafe ohne Bewährung verurteilten oder zu Jugendarrest verdonnerten Jugendlichen bei 80 Prozent liegt. Diese Unkenntnis kommt mit einer erstaunlichen Selbstsicherheit daher, so zum Beispiel im Kölner Stadt-Anzeiger-Kommentar von Beatrix Lampe: „Es kommt aufs Tempo an, wenn man der Jugenddelinquenz erfolgreich begegnen will.“ Am Schluss ihres Kommentars spricht sie über Vorbeugung als wirksamste Hilfe: „An Schulsozialarbeitern und Streetworkern, die beispielsweise Jugendlichen bei Besuchen im Knast sehr krass zeigen, wo die Zukunft Krimineller liegt, sollte die Stadt auf keinen Fall sparen.“ Wenn man die Rückfallforschung nicht zur Kenntnis nimmt und im Tempo der Maßnahmen von Polizei und Justiz schon eine Hilfe zur Erziehung sieht, ist man offensichtlich bestens qualifiziert, um für das „Haus des Jugendrechts“ zu werben.
Auf dem 12. Deutschen Präventionstag, der am 18. und 19. Juni in Wiesbaden stattfand, wurde hervorgehoben, dass auf das Fehlverhalten von Kindern und Jugendlichen nicht unbedingt strafrechtlich reagiert werden muss. Denn: „Informelle Reaktionen – durch Eltern, Lehrkräfte, Freunde und andere Bezugspersonen – haben sich als sehr wirkungsvoll erwiesen.“
Knastgrafitti
Foto: NRhZ-Archiv
Wissenschaftliches Gutachten fordert das Gegenteil
Dass es in diesem Sinne darauf ankommt, die Familien zu unterstützen, die Schulen mit mehr LehrerInnen und SchulsozialarbeiterInnen auszustatten, „soziale Brennpunkte“ gar nicht erst zuzulassen und den Jugendlichen zu ermöglichen, legal Geld zu verdienen, das weiß man natürlich auch bei der SPD und den Grünen. Und diejenigen, die sich etwas gründlicher mit der Thematik befassen, konnten am 18.6.2007 sogar im „Focus“ lesen: „Mangelnde Integration, fehlende Sprachkompetenz und soziale Randständigkeit sind Faktoren, die Gewalttätigkeit fördern können. Hier anzusetzen ist die vermutlich einfachste Art, Kriminalität zu verhindern.“
Knastgrafitty
Foto: NRhZ-Archiv
Das sagte die Kriminologin und Soziologin Wiebke Steffen, langjährige Leiterin des Dezernats Forschung, Statistik und Prävention beim Landeskriminalamt in München. Sie hat das Gutachten zum diesjährigen Deutschen Präventionstag verfasst und darin festgehalten, dass es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Jugend in Deutschland dramatisch gewalttätiger und brutaler als früher geworden ist.
Populisten aller Couleur
In Stuttgart war Ende der 90er Jahre das befürchtete Ansteigen der Jugendkriminalität und die mangelhafte Kommunikation zwischen Polizei, Staatsanwaltschaft, Jugendrichtern und Jugendgerichtshilfe Anlass in einem „Haus des Jugendrechts“ in einem Stadtteil, nämlich Bad Cannstatt, nach neuen Wegen im „Kampf gegen Jugendkriminalität“ zu suchen. Da steckt so viel heiße Luft drin, dass man selbst in Stuttgart keine Veranlassung sieht, dieses Modell flächendeckend auch in den anderen Stadtteilen zu installieren. Bundesweit ist die Jugendkriminalität seit Jahren rückläufig, und dort wo es steigende Anzeigen gibt, handelt es sich um Resultate polizeilicher Animation. Die damals in Stuttgart beklagten Kommunikationsmängel werden in Köln von Staatsanwaltschaft und Polizei einvernehmlich bestritten. Man kennt sich und man hilft sich.
Aber Populisten aller Couleur greifen halt danach: Je weiter von Stuttgart entfernt, desto energischer. Die Homepage der Kölner FDP mit den entsprechenden Äußerungen von Herrn Breite sprechen für sich. Die Bekämpfung der Armen kommt mit Tempo und in Zeitgeistkostümen daher: Haus des Jugendrechts, Boot-Camp, Teen Court, Wiedereinführung der geschlossenen Heimunterbringung für Kinder. (PK)
Online-Flyer Nr. 102 vom 04.07.2007
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Köln soll auch ein „Haus des Jugendrechts“ kriegen
Ziel: „Hand in Hand“ schneller bestrafen
Von Klaus Jünschke
Die Kölner Jugendlichen und Heranwachsenden, die heute in Folge dieser Betreuung in der Untersuchungshaft in Ossendorf oder in den Jugendstrafanstalten Heinsberg und Siegburg sitzen, waren 1998 Kinder, vielleicht teilweise schwierige Kinder, aber jedenfalls Kinder, die für pädagogische Förderung und Hilfen zugänglich gewesen wären – wenn es denn die von Christian Lüders geforderten Maßnahmen und Projekte in angemessenem Umfang und mit der notwendigen Qualität gegeben hätte.
Nur noch ein Sozialarbeiter statt früher vier
Stattdessen wurde in der Kinder- und Jugendhilfe gespart. Zum Beispiel in der Gernsheimer Straße in Ostheim: als dort die Offene Kinder- und Jugendarbeit begann, gab es vier Sozialarbeiterstellen. Heute ist einer, Günter Schmitz, übrig geblieben. Und was das bedeutet, formulierte er in einem Interview mit der Kölnischen Rundschau sehr anschaulich: „Und wenn ich mal krank bin… Ich meine, was passiert dann? Dann ist da keiner.“ Über diese Kürzungen liegt kein umfassender Bericht vor, dazu wird keine Studie in Auftrag gegeben. Es gibt keine Berichterstattung über die dafür Zuständigen und folglich auch kein öffentliches Bewusstsein ihrer Verantwortung für die Entwicklung der Delinquenz von Kindern und Jugendlichen in der Stadt. Sie scheinen gar nicht zu existieren. Umso drastischer fallen die Namen für die Jugendlichen aus, die durch diese von „der Stadt“ zu verantwortenden Verwahrlosungsprozesse auf der Straße zu blindwütigen Schlägern wurden: Brutalo-Kids, Monster-Kids, Koma-Schläger. Und folgerichtig wird die Diskussion nicht von der Frage beherrscht, wie sie eine Gefahr für andere werden konnten, wer sie dazu gemacht hat, sondern davon, wie man sie am besten bekämpfen oder loswerden kann.
Knast in Köln Ossendorf
Foto: H.-D. Hey, arbeiterfotografie.com
„Möglichst zügig zur Verantwortung ziehen“
Die darin zum Ausdruck kommende Relativierung der Jugendhilfe und des Erziehungsgedankens und ihre Zurückgewichtung gegenüber dem Strafgedanken zeigt sich im Beschluss des Rates der Stadt, in Köln ein „Haus des Jugendrechts“ nach Stuttgarter Vorbild einzuführen. So heißt es auf www.koeln.de unter der Schlagzeile: „ Jugendliche Kriminelle sollen schneller verurteilt werden“:
„Zukünftig sollen jugendliche Straftäter schneller als bisher ihrer gerechten Strafe zugeführt werden – das sieht ein ganzes Bündel von Maßnahmen vor, das der Rat der Stadt Köln beschlossen hat. Das wichtigste Element im gemeinsamen Kampf der Jugendhilfe, Polizei und Staatsanwaltschaft gegen die zunehmende Jugendkriminalität in der Domstadt soll das ‚Haus des Jugendrechts’ sein. Dort sollen die drei genannten Beteiligten unter einem Dach Hand in Hand zusammenarbeiten, um strafrechtliche Verfahren zu beschleunigen und straffällig gewordene Jugendliche möglichst zügig zur Verantwortung zu ziehen. Ganz nach dem erfolgreichen Vorbild aus Stuttgart, wo die jugendlichen Straftäter zeitnah für ihr strafbares Handeln zur Rechenschaft gezogen werden, will man das oft monatelange Warten auf den Richterspruch verkürzen.“
Unkenntnis auch beim Stadt-Anzeiger
Dass es im Umgang mit straffällig gewordenen Jugendlichen nach dem Jugendgerichtsgesetz zuallererst um Erziehung zu gehen hat, wird in dieser Sorte Berichterstattung völlig ignoriert. Kein Wort darüber, dass die Rückfallquote bei den zu einer Haftstrafe ohne Bewährung verurteilten oder zu Jugendarrest verdonnerten Jugendlichen bei 80 Prozent liegt. Diese Unkenntnis kommt mit einer erstaunlichen Selbstsicherheit daher, so zum Beispiel im Kölner Stadt-Anzeiger-Kommentar von Beatrix Lampe: „Es kommt aufs Tempo an, wenn man der Jugenddelinquenz erfolgreich begegnen will.“ Am Schluss ihres Kommentars spricht sie über Vorbeugung als wirksamste Hilfe: „An Schulsozialarbeitern und Streetworkern, die beispielsweise Jugendlichen bei Besuchen im Knast sehr krass zeigen, wo die Zukunft Krimineller liegt, sollte die Stadt auf keinen Fall sparen.“ Wenn man die Rückfallforschung nicht zur Kenntnis nimmt und im Tempo der Maßnahmen von Polizei und Justiz schon eine Hilfe zur Erziehung sieht, ist man offensichtlich bestens qualifiziert, um für das „Haus des Jugendrechts“ zu werben.
Auf dem 12. Deutschen Präventionstag, der am 18. und 19. Juni in Wiesbaden stattfand, wurde hervorgehoben, dass auf das Fehlverhalten von Kindern und Jugendlichen nicht unbedingt strafrechtlich reagiert werden muss. Denn: „Informelle Reaktionen – durch Eltern, Lehrkräfte, Freunde und andere Bezugspersonen – haben sich als sehr wirkungsvoll erwiesen.“
Knastgrafitti
Foto: NRhZ-Archiv
Wissenschaftliches Gutachten fordert das Gegenteil
Dass es in diesem Sinne darauf ankommt, die Familien zu unterstützen, die Schulen mit mehr LehrerInnen und SchulsozialarbeiterInnen auszustatten, „soziale Brennpunkte“ gar nicht erst zuzulassen und den Jugendlichen zu ermöglichen, legal Geld zu verdienen, das weiß man natürlich auch bei der SPD und den Grünen. Und diejenigen, die sich etwas gründlicher mit der Thematik befassen, konnten am 18.6.2007 sogar im „Focus“ lesen: „Mangelnde Integration, fehlende Sprachkompetenz und soziale Randständigkeit sind Faktoren, die Gewalttätigkeit fördern können. Hier anzusetzen ist die vermutlich einfachste Art, Kriminalität zu verhindern.“
Knastgrafitty
Foto: NRhZ-Archiv
Das sagte die Kriminologin und Soziologin Wiebke Steffen, langjährige Leiterin des Dezernats Forschung, Statistik und Prävention beim Landeskriminalamt in München. Sie hat das Gutachten zum diesjährigen Deutschen Präventionstag verfasst und darin festgehalten, dass es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Jugend in Deutschland dramatisch gewalttätiger und brutaler als früher geworden ist.
Populisten aller Couleur
In Stuttgart war Ende der 90er Jahre das befürchtete Ansteigen der Jugendkriminalität und die mangelhafte Kommunikation zwischen Polizei, Staatsanwaltschaft, Jugendrichtern und Jugendgerichtshilfe Anlass in einem „Haus des Jugendrechts“ in einem Stadtteil, nämlich Bad Cannstatt, nach neuen Wegen im „Kampf gegen Jugendkriminalität“ zu suchen. Da steckt so viel heiße Luft drin, dass man selbst in Stuttgart keine Veranlassung sieht, dieses Modell flächendeckend auch in den anderen Stadtteilen zu installieren. Bundesweit ist die Jugendkriminalität seit Jahren rückläufig, und dort wo es steigende Anzeigen gibt, handelt es sich um Resultate polizeilicher Animation. Die damals in Stuttgart beklagten Kommunikationsmängel werden in Köln von Staatsanwaltschaft und Polizei einvernehmlich bestritten. Man kennt sich und man hilft sich.
Aber Populisten aller Couleur greifen halt danach: Je weiter von Stuttgart entfernt, desto energischer. Die Homepage der Kölner FDP mit den entsprechenden Äußerungen von Herrn Breite sprechen für sich. Die Bekämpfung der Armen kommt mit Tempo und in Zeitgeistkostümen daher: Haus des Jugendrechts, Boot-Camp, Teen Court, Wiedereinführung der geschlossenen Heimunterbringung für Kinder. (PK)
Online-Flyer Nr. 102 vom 04.07.2007
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