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Medien
Propaganda der Privatmedien wird in USA und Europa übernommen
Tunnelblick auf Venezuela
Von Harald Neubert

Venezuela kommt nicht zur Ruhe. Nachdem die staatliche Sendelizenz für den Privatsender RCTV am 27. Mai ausgelaufen und nicht verlängert worden war, gehen in wohlhabenden Vierteln von Caracas und anderen Städten Gegner der Regierung täglich auf die Straße. Zu den Protesten Studierender an den etablierten Akademien teilnahmen, kamen auch Hochschüler der von der Regierung gegründeten neuen bolivarischen Universitäten. Ein Indiz dafür, daß im Medienstreit die Kluft zwischen der reichen Elite des Landes und der ärmeren Mehrheit verläuft.

RCTV unterstützte 2002 den Putschversuch

RCTV, der bis dahin größte Privatsender des Landes, hatte die Sendungen auf dem zweiten staatlichen Kanal einstellen müssen, nachdem die Nutzungsrechte von der Telekommunikationsbehörde CONATEL nach 20 Jahren nicht verlängert worden waren. Die Entscheidung wurde mit der aktiven politischen Rolle des Senders begründet. RCTV hatte seit dem Amtsantritt der Regierung Anfang 1999 gegen deren sozialreformerischen Kurs Stimmung gemacht. Die offen politische Rolle des Privatsenders und der übrigen Presseunternehmen des Medienriesen »1 Broadcasting Company« war besonders während des Putschversuches im April 2002 evident geworden. Damals hatte der Sender wie alle privaten TV-Stationen die rechten Militärs und Unternehmer bei ihrem blutigen Putschversuch unterstützt.

RCTV
„Weil wir anders denken, will die Regierung uns zum Schweigen bringen“
Foto: RCTV


Die Kritik an den Privatmedien beschränkt sich aber nicht nur auf das Regierungslager in Venezuela. Intellektuelle und Künstler aus mehreren Ländern unterstützen die Medienpolitik der Staatsführung in Caracas. So kritisierten argentinische Prominente in einem offenen Brief die Berichterstattung über Venezuela. Sie suggeriere, daß in Venezuela ein Medium zu Unrecht geschlossen worden sei, heißt es in dem Manifest, das unter anderem von dem Friedensnobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel und dem Filmemacher Pino Solanas unterzeichnet wurde. Sogar die britische Tageszeitung The Guardian wies auf die Rolle von RCTV und anderen privaten Medien während des Putsches hin. Was wäre wohl die Konsequenz, wenn sich die BBC oder der Sender ITV an einem Putschversuch gegen die Regierung in London beteiligten, heißt es in dem Dokument, das unter anderem vom Literaturnobelpreisträger Harold Pinter und den Schriftstellern John Pilger und Tariq Ali unterzeichnet wurde. In den meisten deutschen Medien werden dagegen die Proteste mit dem hier üblichen Tunnelblick auf das „Chavez-Regime“ unterstützt.

Ziel: Destabilisierung des Landes

Die UKW-Frequenz von RCTV wird seither von dem neuen öffentlichen »Sozialen Venezolanischen Fernsehen« (TVes) genutzt. Mit dem Auslaufen der Lizenz für RCTV macht nun der Privatkanal Globovisión Stimmung gegen die Regierung. In den vergangenen Tagen wurden die Demonstrationen meist jüngerer Regierungsgegner permanent live übertragen. Moderatoren kommentierten das Geschehen als »Widerstand gegen Totalitarismus und diktatorische Praktiken«. Die Proteste seien die legitime Antwort auf die »Tyrannei«, die staatlichen Sender seien »kommunistische« Propagandamedien, hieß es in den Non-Stop-Sondersendungen.

Während diese Sichtweise der großen Privatmedien im europäischen Ausland und den USA weitgehend übernommen wird - natürlich auch im Kölner Stadt-Anzeiger vom 30. Mai, wo Markus Schwering Hugo Chavez auf dem Weg „in eine sozialistische Diktatur“ sieht - wächst in Venezuela und Lateinamerika der Unmut über diese Form von Berichterstattung. »Globovisión berichtet als einziges Medium dauerhaft über die Proteste«, sagt der venezolanische Soziologe Tulio Hernández. Offenbar wolle der Sender die Aktionen unterstützen. Zugleich erkennt Hernández an, daß Globovisión nicht mehr wie in der Vergangenheit offen zur Teilnahme an Demonstrationen gegen die Regierung aufruft. Trotzdem hätten die Sendungen eine mobilisierende Wirkung. Zugleich werde auf internationaler Ebene der Eindruck befördert, daß in Venezuela ein Klima der Gewalt und Unterdrückung herrsche. Die Proteste der Gegenseite hätten zum Ziel, das Land zu destabilisieren, sagte der Organisator und Lehrbeauftragte der Universität, Nickmer Evans, bei einer Kundgebung vor dem Präsidentenpalast Miraflores.

Hugo Chavez
Hugo Chavez - für den Kölner Stadt-Anzeiger auf dem Weg in eine Diktatur 
Quelle: Wikipedia


Ein Dilemma der Regierung ist, daß sie der Medienmacht auch nach dem Senderwechsel noch wenig entgegenzusetzen hat. Der neue Kanal TVes soll unabhängige Produktionen fördern und ein öffentlich-rechtliches Fernsehen nach dem Vorbild europäischer Sendeanstalten entwickeln helfen. Doch die privaten und nun noch entschiedener regierungsfeindlichen Konzerne haben auch ohne Sendelizenz einen Großteil der Produktion in der Hand – und damit einen direkten Einfluß auf die Meinungsbildung. So sind während der Proteste in der Hauptstadt nicht nur die Feuerwerksraketen der Befürworter des RCTV-Lizenzentzugs zu hören, sondern auch das Geklapper der Kochtöpfe als Zeichen des Protests. Und das auch in den Barrios - von jeher Hochburgen des Linksreformers Chávez.

Erklärung aus Berlin, Wien, Zürich vom 1. Juni 2007

Für Freiheit der Presse – nicht der Konzerne

Wir respektieren die Entscheidung der venezolanischen Telekommunikationsbehörde CONATEL, dem privaten Fernsehkanal Radio Caracas TV (RCTV) die Lizenz zur Nutzung des zweiten staatlichen Kanals nicht zu verlängern. Die Entscheidung entspricht der international üblichen Medienpolitik und steht zudem im Einklang mit nationalen Gesetzen und internationalen Richtlinien.

Wir respektieren die alternierende Vergabe von staatlichen Sendelizenzen. Sie dient dem Zweck, neuen Medien den Zugang zum staatlichen Rundfunk zu geben. Das Argument, RCTV sei seit 53 Jahren auf Sendung gewesen, spricht daher für und nicht gegen die Entscheidung des venezolanischen Staates.

Wir erkennen das Recht der Regierung Venezuelas an, über die Rundfunkressource frei zu verfügen. Im Fall von RCTV wurde auch vertragsgemäß auf der Basis eines Dekrets von 1987 gehandelt. Der Sender wurde nicht geschlossen, die Lizenz nicht entzogen. Die Nutzungsfrist für die terrestrische Übertragung ist lediglich ausgelaufen. RCTV hat weiterhin die Möglichkeit, per Kabel und Satellit zu senden.

Wir beobachten zugleich mit Sorge die Berichterstattung über den Fall. Der Sender RCTV wird international als Opfer einer angeblich repressiven Medienpolitik dargestellt. Tatsache ist, dass die Senderleitung, die sich nun als Vorkämpfer der Pressefreiheit inszeniert, im April 2002 aktiv an einem Putschversuch gegen die demokratisch gewählte Regierung von Präsident Hugo Chávez teilgenommen hat, indem die Aufrührer unterstützt und die Regierung zensiert wurde. Bei dem versuchten Staatsstreich wurden 13 Menschen getötet. Der selbsternannte Übergangspräsident ließ alle Verfassungsorgane auflösen, gewählte Politiker und bekannte Journalisten gezielt verfolgen sowie Medien schließen. Mit großem Unverständnis nehmen wir Stellungnahmen wie die der Presseorganisation Reporter ohne Grenzen zur Kenntnis, die dies in einem Interview mit der Deutschen Welle als “Recht auf Kritik” banalisiert.

Wir sehen in Anbetracht der Berichterstattung die Notwendigkeit einer Debatte über die Demokratisierung der Medien - nicht nur in Venezuela. Nach Angaben der Telekommunikationsbehörde CONATEL werden 80 Prozent der Information in dem Land nach wie vor von den privaten Medienkonzernen produziert. Der Blick des Auslands auf Venezuela entspricht demnach weitestgehend dem Blick der Großkonzerne auf die sozialreformerische Regierung Chávez. Wenn Pressefreiheit aber mit der Freiheit vom Medienkonzernen verwechselt wird, ist das Recht auf unabhängige und wahrhaftige Informationen bedroht.

Erstunterzeichner

Rolf Becker, Hamburg, Schauspieler
Arnold Bruns, Bonn, Pahl-Rugenstein Verlag
Sevim Dagdelen, MdB, Fraktion Die Linke
Dieter Drüssel, Zürich, Zentralamerika-Sekretariat.
Peter Fleissner, Wien, Professor für Informatik
Jürgen Harrer, Köln, Papyrossa-Verlag
Nele Hirsch, MdB, Fraktion Die Linke
Kai Homilius, Berlin, Kai-Homilius-Verlag.
Ulla Jelpke, MdB, Fraktion Die Linke
Peter Kleinert, Köln, Redakteur www.nrhz.de
Dietmar Koschmieder, Berlin, Geschäftsführer Verlag 8. Mai
Ralf Leonhard, Wien, Journalist
Helmut Lorscheid, Bonn, Journalist und Autor
Kornelia Möller, MdB, Fraktion Die Linke
Harald Neuber, Berlin, Journalist
Ingo Niebel, Köln, Journalist und Buchautor
Matthias Oehme, Berlin, Eulenspiegel-Verlagsgruppe
Michael Opperskalski, Köln, Journalist, Buchautor
Ekkehard Sieker, Bad Hönningen, Fernsehjournalist
Christoph Twickel, Hamburg, Journalist und Buchautor
Erich Wartecker, Wien, Jurist
Jean Ziegler, Zürich, UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung.

Wer diese Erklärung unterschreiben will, kann das dem Kollegen Ingo Niebel mitteilen: ingo.niebel@berriak-news.de

Online-Flyer Nr. 98  vom 06.06.2007

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