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Lokales
Zweieinhalb Jahre „Anfangsschwierigkeiten“ in der ARGE Köln
Die Ahnungslosen
Von Heinz Peter Fischer

Im Jahr 2004 gingen die Menschen in Deutschland zu tausenden auf die Straße, um gegen die Agenda 2010 und damit gegen Hartz IV zu protestieren. Auch in Köln wurde und wird seither intensiv und eindringlich vor den Folgen gewarnt. Doch niemand will den Experten Glauben schenken.






Auch als einige Kölner Erwerbsloseninitiativen und das Erwerbslosenforum Deutschland vor Roland Berger warnten, wollte man ihnen kein Gehör schenken. Nichts hat sich seither an der Propaganda der Verantwortlichen geändert. Wurden damals beruhigende Worte gesprochen, wie "Niemand muss aus seiner Wohnung raus", so hören wir nun seit zweieinhalb Jahren etwas von Anfangsschwierigkeiten, Umstellungsproblemen und nicht ausreichender Qualifizierung der Mitarbeiter. Gebetsmühlenartig wird der Satz wiederholt: „Wenn erstmal alles bei uns umgestellt ist, läuft es viel schneller" (Josef Ludwig, Geschäftsführer der ARGE in BILD Köln vom 11. Mai)

Barbara Moritz: „Anfangsschwierigkeiten überwunden“
 
Konkrete Anfragen oder Nachfragen bezüglich der Situation in Köln werden fast regelmäßig mit dem Satz beantwortet: "Das gibt die Software nicht her", oder man erfährt nur, dass dazu keine Daten vorliegen. Selbst bundesweite Studien oder Antworten der Bundesregierung auf große und kleine Anfragen enthalten oftmals den Hinweis, dass aus Köln kein geeignetes Datenmaterial zur Verfügung stünde. Nun ist es allgemein bekannt, dass die Kölner Sozialdezernentin zu den Grünen gehört und während sie jetzt im Mai da steht und nach zweieinhalb Jahren noch von Anfangsschwierigkeiten spricht, stellt sich ihre Fraktionsvorsitzende Barbara Moritz im Kölner Rat ans Rednerpult und verkündet: "Die Neuausrichtung der Sozialgesetzgebung im vorletzten Jahr, die in Köln zur Zusammenarbeit von Arbeitsagentur und Stadt in der ARGE führte, hatte durch die Umstellung und Umorganisation eine Reihe von Anfangsschwierigkeiten. Diese sind jetzt überwunden." (13. Februar 2007) Immerhin bilden die Grünen in Köln zusammen mit der SPD in Köln das so genannte Kernbündnis, das sich auf die Fahne geschrieben hat, die Politik in Köln zu bestimmen. Aber Ahnung braucht man dafür wohl nicht.
 
Peter Welters: Mittwochs keine Schlange
 
Auch Josef Ludwig, Geschäftsführer der Kölner ARGE, spielt oft den  Ahnungslosen, der von bestimmten Vorgängen nichts weiß. Mehrfach erhielt er Hinweise auf Abläufe in seiner Behörde, die so nicht sein dürfen. Anfang November überreichte ihm die Fraktion Die Linke.Köln eine Liste mit 38 Punkten und dem Titel "ARGE Mängel". Darin enthalten sind keine Einzelfälle, sondern allgemeine unzumutbare oder ungesetzliche Vorgehensweisen in den Kölner ARGEn. Im Dezember 2006 wies der KEA e.V. (Kölner Erwerbslose in Aktion) Herrn Ludwig und Frau Bredehorst darauf hin, dass sie bitte nicht mehr auf der Unterzeichnung einer Einzugsermächtigung für zuviel gezahlte Leistungen bestehen möchten, da diese nicht rechtmäßig sei. Während Ludwig im Kölner Stadt-Anzeiger antwortete, dass man das ändern werde, verwies Dezernentin Bredehorst in einem Brief darauf, dass es sich doch um eine freiwillige Vereinbarung zwischen Kunden und ARGE handele. In der Kölnischen Rundschau vom Donnerstag, 10.05.07, wird Peter Welters (Agentur für Arbeit) mit den Worten zitiert: „Gestern haben mich Besucher wegen des Rundschau-Berichts gefragt, wo denn die Schlange sei."  Man wundert sich gewaltig, denn mittwochs hat die ARGE Köln gar keine Öffnungszeiten.
 
Betroffene: „Verwaltung des alltäglichen Chaos“
 
Frau Bredehorst weist darauf hin, dass es nicht einfach sei, qualifiziertes Personal zu finden, welches sich in größerer Anzahl in der Schlange VOR der ARGE befindet, und Winrich Granitzka von der CDU verkündet: "Zusätzliches Personal für die ARGE wurde und wird noch immer eingestellt. Hierdurch werden wir in der Lage sein, die Beratungsleistungen für die Leistungsempfänger entscheidend zu verbessern und damit den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt zu beschleunigen." (13. Februar 2007 im Kölner Rat.) In einem Blog kann man dazu den folgenden Satz lesen: Liebe ARGE-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ihr verwaltet nur noch das alltägliche Chaos und seid einem unerträglichen Druck ausgesetzt und der Kopf vom Fisch weiß von nichts..."

Personaldefizit – Krämer: 222, Bredehorst: 50
 
Der Personalratsvorsitzende Franz-Albert Krämer schätzt, dass die ARGE mindestens 1400 Mitarbeiter brauche. Sie hat aber nur 1178. Das macht ein Defizit von 222. Was sagt die Sozialdezernentin dazu? Ich weiß aber sehr wohl, dass noch 50 Mitarbeiter fehlen und die Hälfte des Bestands nicht erfahren genug ist." (Kölnische Rundschau 10.05.07). Das heißt also: Nicht erfahren genug zweieinhalb Jahre nach der Einführung von Hartz IV! Dabei müsste die gebürtige Hamburgerin Bredehorst mit ihrer langjährigen Verwaltungserfahrung wissen, dass es zahlreiche Berufsausbildungen gibt, die nach dieser Zeit abgeschlossen sind.

Josef Ludwig: „Dann klagen Sie doch!“
 
Warum lernen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der ARGE-Köln  denn so langsam? In der letzten Woche verging kaum ein Tag, an dem nicht in einer der Kölner Zeitungen von der ARGE oder der Kölner Agentur für Arbeit berichtet wurde. Endlich hatten sich dort Beschäftigte an die Öffentlichkeit gewandt. Auszubildende der Stadtverwaltung erzählen unumwunden, dass die 3 Monate in der ARGE die schlimmsten in der ganzen Ausbildung waren und dass sie im Falle einer Übernahme nicht dort hin wollten. Fallmanager und persönliche Ansprechpartner haben keine Zeit zum Pinkeln gehen, und fast täglich flattert eine neue Durchführungsverordnung auf den digitalen Schreibtisch. Die bundesweiten Gesetze werden so schnell geändert, dass die juristischen Verlage mit den Neuauflagen kaum hinter her kommen. Selbst die Verantwortlichen in Köln können einem nicht erklären, welche Vorteile eine Entgeltvariante gegenüber einem 1-Euro-"Job" hat. Es werden versuchsweise neue Verfahren und Formulare eingeführt, deren Rechtmäßigkeit ungeprüft bleibt. Der Geschäftsführer der Kölner ARGE, Josef Ludwig, hat den Satz geprägt: "Dann klagen Sie doch, dann haben wir Rechtssicherheit." – Erwerbslose und Mitarbeiter als Versuchskaninchen.

Als Ausweg Disziplinierungsmaßnahmen
 
Um über die eigenen Unzulänglichkeiten hinwegzutäuschen und den Betroffenen den schwarzen Peter in die Schuhe zu schieben, setzt man in Köln auf Disziplierungsmaßnahmen von Erwerbslosen, eigenen Mitarbeitern und zukünftigen Erwerbslosen. So werden nach einem Artikel im Kölner Stadt-Anzeiger vom 12.05.07 Menschen mit über 55 Jahren auf ihre ständige Verfügbarkeit überprüft, in Qualifizierungsmaßnahmen gesteckt und mit Sanktionen bedroht, obwohl sie mit ihrem ehemaligen Arbeitgeber eine Vorruhestandsregelung getroffen haben, die hinfällig wird, wenn sie einen neuen Job erhalten sollten.


Karikatur: Kostas Koufogiorgos
Karikatur: Kostas Koufogiorgos
www.koufogiorgos.de


 
Die Erwerblosen, die staatliche Leistungen in Anspruch nehmen, werden verfolgt, bespitzelt und unter Generalverdacht gestellt. In einem großen Kölner Boulevardblatt werden Nachbarn, Freunde und Verwandte indirekt zu Denunzierung aufgerufen. Der angebliche Schaden, den die überführten Leistungserschleicher verursacht haben sollen, liegt danach bei rund 1,8 Millionen Euro. Wie hoch der Schaden ist, den Kommunalpolitik, Dezernenten, Arbeitsagentur und ARGE anrichten, lässt sich dagegen kaum beziffern.

 



Online-Flyer Nr. 95  vom 16.05.2007

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