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Aktueller Online-Flyer vom 15. Mai 2024  

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Globales
Gespräch mit dem Autor von Fidel Castros politischem Testament
„Biographie der zwei Stimmen“
Von Martin Schwander

Ende Januar ist in Paris die französische Übersetzung eines Buches erschienen, das auf Spanisch bereits 2006 Furore gemacht hatte und auf Kuba in einer von Fidel Castro praktisch noch auf dem Operationstisch überarbeiteten Version Ende 2006 in einer Massenauflage verbreitet worden ist: Fidel Castros „Biographie der zwei Stimmen“
Es ist das Resultat eines über hundert Stunden dauernden Gesprächs des kuba­ni­schen Revolutionsführers mit Ignacio Ramonet, dem spanisch-französischen Buchautor und Direktor des «Monde diplo­ma­tique». Martin Schwander hat mit ihm über Castros „politisches Testament“ gesprochen. – Die Redaktion

Ramonet und Castro
Hundert Stunden Gespräche von 2002 bis 2005


Die Idee zum Buch sei eher zufällig entstanden, sagt uns Ignacio Ramonet während eines Interviews, das wir mit ihm am Sitz seiner Zeitung in Paris führen konnten. Er habe im Januar 2002 als Gast der französischen Botschaft an der Buchmesse von Havanna teilgenommen und sei dabei auch mit Fidel Castro ins Gespräch gekommen.

„Wenn Sie Ihre Zeit vergeuden wollen…“

«Wir sprachen über die Globa­li­sie­rung und ich erwähnte, dass einer der ersten, der die Globalisierung sehr ernsthaft kritisiert hatte, der erste, der das verstanden hatte, Sub-Coman­dante Marcos gewesen sei. Und Fidel sagte, er habe mein kurz vorher erschienenes Buch über Marcos gelesen. So haben wir begonnen, über den Sub-Comandante zu sprechen, und Fidel meinte, er habe grossen Respekt vor ihm, es sei außerordentlich, was er gemacht habe etc., überhaupt sei das Buch sehr interessant. Und da sagte ich ihm, das sei ja alles gut und recht, aber eigentlich würde ich so ein Buch gerne auch mit ihm machen, worauf er erwiderte, ich würde doch sicher meine Zeit nicht mit ihm vergeuden wollen...»

Jetzt erst recht

Zurück in Frankreich sah sich der prominente Zeitungsmacher Ramonet einer regelrechten Hetz-Kam­pagne ausgesetzt, weil er an der Buchmesse teilgenommen hatte. «Man hat mich medial sozusagen gelyncht. Man klagte mich an, dass ‹Propagandes silen­cieuses› in Kuba herausgekommen ist, während es den Kubanern doch an allem mangle. Die Presse hat natürlich weder über das Buch selbst gesprochen noch über die kubakritischen Passagen, die es enthält und die in ‚Kuba tel quel’ publiziert worden sind.»

Ende 2002 hätten dann die langen Gespräche mit Castro begonnen, im Januar und Februar 2003 wurden sie weitergeführt. Gearbeitet wurde einerseits mit Mikrophon, in Büroräumen, andererseits wollte Ramonet Fidel auch im öffentlichen politischen Alltag kennen lernen. «Er hat das ohne weiteres akzeptiert und ich reiste mit ihm in seinem Auto, vom Morgen bis am Abend, während mehrerer Tage, in diesem sehr alten Mercedes aus den achtziger Jahren, die Füße auf einem Maschinengewehr. Ich habe mit ihm gefrühstückt, ich habe mit ihm gegessen am Mittag, am Abend, wir sind sogar ins Ausland geflogen zusammen, in dieser alten Iljuschin-18, die man seit 1970 nicht mehr produziert und in der alle Angst haben!» Was auf diesen Reisen und Touren von Fidel gesagt wurde, brachte Ra­monet am Abend jeweils aus dem Gedächtnis aufs Papier. «So sind viele Elemente in diesem Buch entstanden. Alles in allem haben wir im Januar und Februar etwa um die 30 Stunden Gespräche geführt.»

Im September 2004, im Mai 2005 und zum letzten Mal schließlich im Dezember 2005 fanden weitere Treffen mit Fidel statt. «Im Dezember 2005 hatte Fidel bereits die berühmte Rede an der Universität von Havanna gehalten, eine enorm wichtige Rede. Er sagte mir, ich solle doch einige Stellen aus dieser Rede zitieren, er habe nicht Lust, zu gewissen Themen alles wieder zu käuen. Also habe ich einige Stellen aus seiner Rede integriert. Castro hatte schon an andern Stellen immer wieder darauf hingewiesen, er habe dieses und jenes schon in dieser und jener Rede angesprochen, das sei dort viel besser gesagt, ich solle es dort entnehmen.»

Die Hausaufgaben nicht gemacht

Vereinbart war, dass Fidel das Buch vor der Drucklegung durchlesen würde. Anfangs 2006 schickte Ramonet das Manuskript nach Havanna. «Danach habe ich gewartet, einen Monat, zwei Monate. Schließlich sagte ich mir, also gut, ich habe einen Vertrag mit einem Verleger, wenn kein Einwand kommt, muss das Buch raus. Ein Mitarbeiter von Fidels Stab sagte mir, sie selbst sähen kein Hindernis, das Buch herauszugeben, aber er könne mir nicht garantieren, dass Fidel das Buch wirklich durchgesehen habe. Sie hätten Fidel gesagt, das Buch sei druckbereit und er habe nur erwidert, Ok, soll es erscheinen.»

Obwohl Ramonet sehr darüber erstaunt war, dass Fidel keine Anmerkungen zu machen hatte, erschien die «Biografia a dos voces» im April in Madrid und als «Cien horas con Fidel» im Mai 2006 auch auf Kuba. «Man lud mich ein, das Buch zusammen mit Fidel in Havanna zu präsentieren. Fidel meinte einleitend, er wolle alle warnen, ich sei kein schmeichelnder Fragesteller gewesen, ich hätte ihn gezwungen, die un­mög­lichsten Fragen zu beantworten.» Zu diesem Zeitpunkt, so fand Ramonet schließlich heraus, hatte Fidel das Buch noch gar nicht gelesen. «Erst nach der Präsentation warf er einen Blick hinein – und rief mich gleich am nächsten Tag an, er habe einige Anmerkungen zu machen und ob man die in einer zweiten Auflage berücksichtigen könnte… Ich sagte ihm, ‹Sie haben Ihre Hausaufgaben nicht gemacht, Comandante›. Aber wenn er nun meine, er könne den Text verbessern, Dinge hinzufügen, dann ok. Aber nicht Sachen entfernen. Nein nein, er wolle nichts streichen, er wolle es einfach ergänzen und präzisieren. Also hat er sich wie besessen in diese Arbeit gestürzt.»

Alle Mitarbeiter und Freunde, die Fidel in den Monaten Juni und Juli gesehen haben, bestätigen, er habe kaum mehr geschlafen, er habe immer an diesem Buch gearbeitet. Und andere zu Rate gezogen. «Zu einigen Passagen im ersten Kapitel bat er beispielsweise Hugo Chavez um gewisse Präzisierungen über die Feldzüge von Simon Bolivar. Chavez, der damals auf Staatsvisite in Moskau war, machte dann einige Vorschläge, die Fidel offenbar wörtlich übernahm.» Auch kleinste Details wurden neu überprüft. Beispielsweise die Passage, wo Fidel über das denkwürdige Essen sprach nach Ches Rückkehr aus Afrika. Fidel sagte gegenüber Ra­monet, der Che habe sich so gut verkleidet, dass während des Diners nicht einmal Raul Castro gemerkt habe, was für ein besonderer Gast mit ihnen am Tisch gesessen sei. «Als Raul im Buch diese Stelle las, ist er offenbar an die Decke gegangen, das sei absolut falsch, er hätte den Che auf alle Fälle erkannt. Und tatsächlich: Raul hat dann nachgeforscht und beweisen können, dass er in diesen Tagen zu einem offiziellen Besuch in Moskau weilte und an besagtem Essen gar nicht teilnehmen konnte.»

Der grüne Fidel

Insgesamt vier Kapitel sind seit der erstmaligen Publikation des Buches von Fidel stark ausgeweitet worden. Die neue kubanische Version, die dort im Dezember 2006 erschienen ist, hat an die hundert Seiten mehr als die ursprüngliche Fassung, wie sie seit einigen Wochen nun auch auf Französisch vorliegt. «Es ist jetzt tatsächlich eine Art politisches Testament geworden, um hundert Seiten stärker, die aus Fidels eigener Hand stammen. Im einzigen Interview, das er seit seiner Erkrankung bisher gegeben hat, sagte Fidel dem argentinischen Journalisten Miguel Bonasso, das erste, was er nach der Operation getan habe, sei, sich wieder mit den Ergänzungen zum Buch zu beschäftigen, weil er nicht gewusst habe, wie viel Zeit ihm noch bleibe. Die Ergänzungen hat er also sozusagen im Gedanken geschrieben, dass er nächstens sterben würde. Das heißt nicht, dass es sich um die historische Wahrheit handelt, aber es handelt sich um seine Wahrheit, seine Interpretation, und das gibt dem Buch einen besonderen historischen Aspekt.»

Was hat Ignacio Ramonet in den langen Gesprächen mit Fidel be­son­ders beeindruckt? «Ich werde Ihnen drei Beispiele geben. Erstens habe ich entdeckt, dass Fidel Castro ein Umweltschützer ist, den die Probleme der Ökologie im Allgemeinen, die Erhaltung der Umwelt, das ökologische Gleichgewicht etc. stark beschäftigten. Kürzlich habe ich in ‹El Pais› einen Artikel gesehen, in welchem groß über eine Ini­tiative der australischen Regierung berichtet wird, gewöhnliche Glühbirnen durch Sparlampen zu ersetzen. Australien sei das erste Land, das sich von Thomas Edison’s Birne verabschiedet. Das ist komplett falsch. Das erste Land  war Kuba, das zweite Venezuela. Zudem handelt es sich in Australien um ein Projekt. Das heißt, sie setzen sich 2010 als Ziel. In Kuba ist das alles bereits passiert. Es gibt keine einzige Glühbirne mehr im Verkauf, ihr Verkauf ist verboten. Aber hier wird das von niemandem erwähnt. ‹El Pais› spricht jeden Tag von Kuba, kritisiert Kuba jeden Tag, und jetzt loben sie Australien für etwas, das Kuba schon seit über einem Jahr realisiert hat.»

Die Rassendiskriminierung

«Die zweite Entdeckung: Ich dachte nicht, dass sich Fidel dermaßen bewusst ist über die Probleme der Rassendiskriminierung in Kuba. Die Art und Weise, wie er über das Fortdauern von ethnischen Spannungen spricht, ist intelligent, umfassend, differenziert. Er redet nicht wie ein Militanter, der sagt, wir haben die Revolution gemacht und haben ein Gesetz gegen Rassendiskriminierung verabschiedet, und deshalb gibt es keine Probleme mehr. Vielmehr spricht er davon, dieses Problem sei nicht während nur einer Generation zu lösen und schon gar nicht allein per Dekret. Er nimmt sogar die Idee der positiven Diskriminierung auf, das heißt, Gesetze und Erlasse zu begünstigen und verabschieden, die es erlauben würden, den historischen Rückstand aufzuholen. Rassismus in Kuba ist ein Aspekt, den Fidel sonst offenbar nie anspricht, und hier im Buch kommt er immer wieder darauf zurück. Über die Situation in den Gefängnissen, selbst über die Darstellung des Schwarzen im Kino, in erster Linie in den Kriminalfilmen. Er hat also eine Sicht der Gesellschaft, die sehr differenziert ist, die nicht an der Oberfläche bleibt.»

Die Prinzipien leben

«Was mich schließlich drittens beeindruckt hat, ist seine Verbundenheit mit dem, was er Ethik nennt und was wir vielleicht mit moralischen Prinzipien beschreiben würden. Man kann von ihm denken was man will, aber ich glaube er ist jemand der sehr ehrlich versucht, ein Verhalten an den Tag zu legen, das im Einklang mit diesen Prinzipien steht. Fidel lebt das Leben eines Soldaten, eines Mönchs, eines Spartaners. Er ißt makrobiotische Sachen, Müsli, Yoghurt, Kräuter etc. Sein einziger Luxus ist ein Glas Rotwein am Abend. Das ist alles. Um ihn herum muss alles funktionell sein, nüchtern. Oder: Fidel lügt nicht. Da kannst du sämtliche Biographen fragen: Er lügt nicht. Er hat sich schon geirrt, was er auch immer anerkennt, aber eine bewusste Lüge konnte ihm bisher niemand nachweisen. Das gehört nicht zu ihm. Da ist er sehr sensibel und reagiert auch heftig. Etwa wenn jemand behauptet, es werde gefoltert oder es sei gefoltert worden auf Kuba.»

Die linken Kritiker

Dass Fidel, der in Lateinamerika zu den Volkshelden gehört, in Europa in erster Linie als Diktator oder gar als Tyrann wahrgenommen wird, erklärt sich Ignacio Ramonet mit der Geistes-Haltung einer bestimmten sozialen Schicht, die sich in den Medien wiederfindet. «Es geht vorab um Leute der Linken, die ein schlechtes Gewissen haben wegen ihrer ehemals ‹verständnisvollen› Haltung gegenüber den sozialistischen Ländern Osteuropas. Sie machen sich heute selbst Vorwürfe, blind gewesen zu sein und setzen Kuba nun Osteuropa gleich. Viele der Journalisten, gerade jene, die gegenüber Kuba am aggressivsten auftreten, gehören zur Linken oder zur extremen Linken oder gehörten zumindest mal dazu. Ihr Irrtum ist nicht, dass sie sagen, man hätte kritischer sein sollen gegenüber den Ländern Osteuropas, wie wir es im ‹Monde diplomatique› immer waren, sondern dass sie Kuba nun in einen Topf werfen mit Osteuropa. Nur weil Kuba von der Sowjetunion unterstützt worden ist, oder Mitglied des RGW war, heißt das noch nicht, dass die Art von Sozialismus auf Kuba dieselbe ist wie in der Sowjetunion. Die Lateinamerikaner haben stets gewusst, dass der Sozialismus in Kuba anders ist, weil er immer alle progressiven Kräfte und alle einbezog, die irgendwo auf antiimperialistischen Positionen stehen. Selbst die Kommunistische Partei Kubas ist ja 1965 als Zusammenschluss aus drei verschiedenen politischen Strömungen entstanden. Das alles macht die Einzigartigkeit des ku­banischen Prozesses aus.» Para­do­xer­weise würden sich gerade jene, die Kuba mit Kritik überhäufen, nun für Venezuela begeistern. «Die Vorsitzende der Französischen KP etwa hat kürzlich verabscheuungswürdige Erklärungen zu Kuba abgegeben. An­dererseits lobt sie auf einem Wahlmeeting in Marseille Venezuela und Bolivien über den grünen Klee und ruft dazu auf, es den Lateinamerikanern nachzumachen. Dabei ist alles was heute in Lateinamerika geschieht ohne Kuba gar nicht denkbar!»

Für die USA ist Kuba Innenpolitik

Auch für die krankhafte Feindseligkeit der verschiedenen US-Adminis­trationen gegenüber Kuba hat der aufmerksame Beobachter aus Paris seine eigene Interpretation: «Man kann sich das nur erklären durch die Tatsache, dass Kuba für die USA zu einem innenpolitischen Problem geworden ist. Kuba ist nicht ein Element der US-Aussenpolitik. Warum? Erinnern wir uns beispielsweise an die Wahl von Bush, die sich in Florida entschieden hat, wo sein Bruder Gouverneur ist. Die Mehrheit in Florida wird entschieden durch die Präsenz von Kubanern, etwa einer Million Wählerstim­men. Ein veritabler diplomatischer Skandal ist die Gründung der ‚Kommission für den Übergang in Kuba’ innerhalb der US-Regierung. Stellen Sie sich einmal vor, die französische Regierung würde eine Kommission bilden zum politischen Übergang in Tunesien, weil Tunesien eine Diktatur ist. Stellen Sie sich den politischen Skandal vor: Frankreich finanziert tunesische Journalisten, gibt Millionen aus für die interne Opposition. Ja wo bliebe da die Souveränität der Völker? Aber gegenüber Kuba ist das offenbar möglich, das stellt keine Probleme. Ich habe keinen einzigen Artikel in der großen Presse gesehen, der dieses Vorgehen der USA in Frage gestellt hätte. Man findet das normal, man hilft ja der Freiheit.“

Ramonets „Biografia a dos voces» (Titel in Spanien), «Cien horas con Fidel» („Hundert Stunden mit Fidel“, Titel in Kuba) ist inzwischen zwar als „Biographie à deux voix“, auch in Frankreich erschienen, aber noch nicht in Deutschland. Wahrscheinlich wartet der Bertelsmann-Verlag erstmal die Kuba-Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung Ende April in Berlin ab (Siehe NRhZ 87).


Martin Schwander
Martin Schwander – UNSERE WELT

Martin Schwander, geboren 1949 in Bern, ist freier Journalist und Herausgeber der von der Schweizerischen Friedensbewegung 1949 gegründeten Zeitschrift UNSERE WELT, in der dieser Beitrag in einer längeren Fassung erscheint. Sein Buch „Paul Robeson. Eine Biographie“, ist im Neue Impulse Verlag, Essen, 1998 erschienen.



Online-Flyer Nr. 88  vom 28.03.2007

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