NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

zurück  
Druckversion

Medien
Fernsehgerichte: Recht ist, was der Quote nützt
Urteil: Schuldig der fortgesetzten Verblödung
Von Hans-Detlev v. Kirchbach

"Im Namen des Wahnsinns: Alle anwesenden Laiendarsteller werden wegen unverschämt schlechten Schauspiels zu einer Fernsehsperre von fünf Jahren ohne Bewährung verurteilt und dürfen auf der Straße von jedem Passanten laut ausgelacht werden. Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass die gesamte  Schmierentheateraufführung in höchstem Maße lächerlich war und somit vorsätzlich peinliches Unterhaltungprogramm der übelsten Sorte darstellte." So urteilte Deutschlands „Fernseh-Richter“, der Mediensatiriker Oliver Kalkofe, über die Sat1-Gerichtsserie "Richterin Barbara Salesch". Auch unser Autor kann leider keine Strafmilderung gewähren. - Die Redaktion.



Richterdarsteller für eine Million im Jahr? - Frank Egeland
Richterdarsteller für eine Million im Jahr? - Frank Egeland
Foto: „Das Familiengericht“-Website



Aus der Steinzeit des Fernsehgerichts

Kennen Sie noch den berühmten Fernsehmoderator G. Jauch? Vielleicht erkennen Sie ihn ja wieder: G. Jauch war ein älterer Herr fülliger Statur mit strenger, dicker Hornbrille. Der konnte mit schleppend eintöniger Sprechweise Tausende Paragraphen herunterleiern, bis der Arzt kam oder der Kollege Mohl mit seinem ZDF-"Gesundheitsmagazin Praxis". Allerdings hieß er Gerd mit Vornamen und moderierte auch nicht die Pisa-Show "Wer wird Millionär?", sondern die ZDF-Justizreihe "Wie würden Sie entscheiden?"

Ja, das waren noch Zeiten, damals so in den siebziger Jahren. Zwar provozierte Gerd Jauchs betuliche Rechtsreihe die sarkastische Kritik "Öffentlich-Schläfriges Fernsehen". Doch wenn man sich an die gravitätische Art des Moderators sowie an die staubtrockenen Urteilsverlesungen der dort auftretenden echten Richter gewöhnt hatte, konnte man aus der Sendung wirklich etwas über das sogenannte Rechtswesen lernen. Ebenso wie aus Ruprecht Essbergers Serie "Das Fernsehgericht tagt", der Urmutter aller Gerichtsshows, die seit 1961 in der ARD lief. 

Allerdings: Mit den heutigen  auf sex & crime getrimmten Sensationsformaten hatte auch das "Fernsehgericht" im Ersten nicht viel zu tun. Nicht wirr erfundene, sondern authentische Gerichtsverhandlungen wurden ansatzweise juristisch exakt nachgespielt. Freilich nicht immer zum Ergötzen der Zuschauer: „Der Zuschauer  langeweilt sich" - so beschwerte sich  bei Serienstart im März 1961 der Fern-Seher „P. K., Hameln“ in einer Programmillustrierten.
In den biederen Gerichtsserien des kreuzbraven Schwarzweißfernsehens war die Justizwelt, wie in Wirklichkeit auch, noch halbwegs in einer "Ordnung", in der sich der deutsche Rechtswahrer heimisch fühlen konnte. Von unter den Teppich gekehrten NS-Verfahren zum Beispiel war jedenfalls, soweit sich das aus den Quellen ergibt, weder bei Ruprecht Essberger noch bei Gerd Jauch je die Rede. Obwohl es damals noch brandaktuell gewesen wäre. Trotzdem waren diese soliden Formate Gold - verglichen mit dem grellbunt angestrichenen Blech, das die beiden führenden  Kommerzsender RTL und vor allem Sat 1 als "Gerichtsfernsehen" auswalzen. Die alten Schinken waren, nur leicht zugespitzt formuliert, fast so reaktionär wie ihr Gegenstand, aber boten noch seriöse Information. Die neuen Heuler hingegen bieten Infotainment der zweituntersten Schublade und treiben den reaktionären Rollback voran.

Gericht zum Nachtisch

Von Montag bis Samstag regiert im Fernsehzimmer gnadenlos Justitias Keule. Das Schwert hat sie nämlich eingebüßt, seit RTL und Sat 1 Tag für Tag mit der Gerichtsshow den Äther kontaminieren.  Dabei handelt es sich um ein mit Richterkostüm "seriös" verkapptes Ersatzformat der weitgehend ausgedienten Brülltalkshow.

Richterdarsteller für eine Million im Jahr? - Frank Egeland
Nationalmatriarchin - Barbara Salesch
Foto: www.sat1.de


Dieses kann sich aber auch nur dank der Popularität der neo-autoritären Richterfiguren halten, die mittlerweile schon zu regelrechten Publikumsstars geworden sind. Richterin
Barbara Salesch etwa, die mit Familienrichter Frank Engeland um den ersten Platz in der Beliebtheitsskala konkurriert (Quoten jeweils um 21 Prozent), läßt sich ohne Unbehagen als hausangestellter Sat-1-Supersympathieknaller vermarkten. Als Nationalmatriarchin reicht sie Umfragen zufolge an Mutter Beimer oder Inge Meysel heran.

Zurück ins autoritäre Zeitalter

Die Fernsehrichter sind es vor allem, die den ungeschlacht zusammengeschriebenen und zu 90 Prozent dilletantisch gespielten Gerichtsdramoletten stabile Quoten garantieren. Damit schaffen sie den Kommerzsendern ein verläßliches Umfeld für ihren eigentlichen Geschäftszweck: die Werbung.

Ausschlaggebend für den Erfolg dieser Symbolfiguren ist wahrscheinlich vor allem ihr unverhüllter, wenn auch gemäßigt, autoritärer Gestus. Da weiß man, wo es langgeht, da werden wieder Anweisungen gegeben: Propaganda-Pioniere der autoritären Re-Formierung.
Vielleicht ist auch genau dies neben Gelddrucken eine zentrale "Aufgabe" dieser Formate. Der autoritären Renaissance verleihen sie nette Gesichter und freundliche, aber energische Stimmen - Obrigkeitsstaat light. Sie treffen damit einen Ton, den der Mainstream derzeit  wieder einmal gerne hört und verstärken ihn. Mehr als jedes Argument wirkt eben das, wie auch immer suggestiv erschlichene, persönliche Vertrauen.

Instant-Gericht

Ansonsten ist eigentlich schleierhaft, was die Attraktivität oder auch nur die Unterhaltungsqualitäten dieser täglichen Justizpassionsspiele ausmacht. Es sei denn, man folgt der Feststellung des Medienwissenschaftlers Stefan Ulbrich von der Universität Bochum: „Es stellte sich heraus, dass hohe Quoten bei Gerichtsshows nur erzielt werden können, wenn es um Strafprozesse, vornehmlich um Körperverletzungs- und Sexualdelikte, geht.“

Die Herstellungsbedingungen scheinen wirklich guter TV-Dramaturgie allerdings nicht gerade förderlich zu sein. Aussagen von KleindarstellerInnen zufolge sei bei der Produktion dieser Gerichtsshows von "kreativer Atmosphäre" keine Spur, vielmehr werde am Fließband "verhandelt" und die Umgangsweise sei, so die Aussage eines Beteiligten, mit der einer Drückerkolonne vergleichbar. Das für um die 80 Euro Tagesgage. Den Schotter für richtige Schauspieler wollen sich die Gelddruckmaschinen RTL und Sat 1 aber ersparen, und so basiert das Konzept auf Laien-Castings. „Laien pflastern ihren Weg“, spottete 2004 der Medien-Fachjournalist Stefan Niggemeier denn auch über Gisela Marx, die Produzentin der Salesch-Serie. Hauptsache, billig.

Welche Qualitäten dabei herauskommen, kann man täglich betrachten; richtig Kohle sehen bei den Akteuren eben nur die Anwalts- und vor allem Richter-DarstellerInnen. Frank Engeland, dem "Familienrichter" von RTL, werden Jahreseinnahmen um einer Million Euro nachgesagt.  Womit wohl vor allem seine Sympathiewerte honoriert werden und weniger die juristischen Informationen, die er in Nebensätzen vermittelt oder seine schauspielerische Brillanz.  Und leider ist das Millionenspiel informatorisch und "künstlerisch" eben kaum einen Pfifferling wert.

Kennzeichnend für dieses "Genre": an den Haaren herbeigezogene Fälle, krampfig konstruierte Plots mit Unwahrscheinlichkeitsfaktoren am Rande des Deliriums. Das klobige Amateurtheater allerdings kann bei Zuschauern, die ihren kritischen Verstand in der schläfrigen Mittagszeit nicht völlig abgeschaltet haben, bestenfalls als unfreiwillige Komik wirken. Doch nach einer Phase der Abstumpfung ist das Fernsehopfer irgendwann so weit, daß die reaktionäre Infiltration auf keinen mentalen Widerstand mehr stößt.

Delirium statt Phantasie

Selbst der größte Blödsinn wird vom geistig narkotisierten Unterhaltungs- und Werbekonsumenten beschwerdefrei geschluckt. Jeden Tag stürmt irgendwer atemlos in den „Sitzungssaal“ und verkündet überraschende Wendungen. Oder irgendeiner der Anwaltsdarsteller erhält über sein ordnungswidrig piepsendes Handy eine sensationelle Nachricht. Dabei erlebt man in zwanzig Jahren Gerichtsberichterstattung weniger "Überraschungen" dieser Art als in den Court-Shows von RTL und SAT 1 in einer Woche.
Neuerdings macht es sich, Hollywood fest im Blick, manch ein Staatsanwalts-Darsteller und Show-Verteidiger zur Angewohnheit, melodramatisch wie Matlock oder Perry Mason von seinem Sitz aufzustehen, im Saal herumzuwandern, unvermittelt auf die Zeugen zuzuschießen, sich über sie zu beugen und sie schärfsten Kreuzverhören zu unterziehen, als wollte er den Klassikern des US-Gerichtsfilms den Rang ablaufen. Aber ebenso könnte ein Haselmäuschen versuchen, den König der Löwen zu toppen.

Wirklichkeitsferne "Reality"

Rechts- Themen, in denen sich die realen Konflikte in dieser Klassengesellschaft widerspiegeln würden, und die in Wirklichkeit täglich vor Gericht abgehandelt werden, finden in diesen Robenoperetten – fast – gar nicht statt oder nur in grotesker Veralberung. Kein Thema sind z.B. Massentlassungen; das immer wichtigere Arbeitsgericht wird sowieso völlig ausgeblendet. Auch Staatswillkür gegen Flüchtlinge oder sozial Benachteiligte stehen nicht auf dem Nachmittagsplan. Polizeischikane oder Übergriffe bei Demonstrationen passen gleich gar nicht ins Drehbuch. Und auch auf die Nachdramatisierung des Ackermann-Prozesses werden wir vergebens warten. Meist geht es, selbst beim Familiengericht, nur um Pseudo-Kriminalfälle, die sich um armseligen Sex und/oder ein paar Kröten drehen - schwerpunktmäßig im eher "prekären" Milieu angesiedelt.

Damit ist dann die Voraussetzung geschaffen, dass im TV-Gericht, ersatzweise für die zu ausgelaufenen Schreitalkshows, herumgebrüllt werden kann, dass Begrifflichkeiten aus dem Genital- und Verdauungssektor durch den "Verhandlungssaal" schwirren.

Aus dramaturgischen Gründen lassen die TV-Richter das Gekreisch erst einmal gewähren, das sie in ihrem einstigen richtigen Justizjob sofort unterbunden hätten.  Immerhin ergab eine Untersuchung im Jahre 2002, dass 46 Prozent der Hauptzielgruppe bis 29 Jahren bei Gerichtsshows genau an dieser Art Schreierei und an voyeuristischen Details interessiert seien. Dieses Marktsegment diktiert denn auch die Art von „Kunst“, die im TV-Gerichtstheater produziert wird.

Wenn dann aber doch ausnahmsweise ein "Fall" mit scheinbar gesellschaftlichem oder politischem Hintergrund zur "Verhandlung" kommt, dann schreiben die Drehbuchautoren unfehlbar haarscharf am Problem vorbei. Vielleicht aber ist hier bewußt das Gegenteil von Aufklärung kalkuliert,  schlimmstenfalls dampft  reaktionärster Dumpfsinn auf.

Den zweiten Teil dieser Abrechnung mit den TV-Gerichten finden Sie in der nächsten NRhZ.


Online-Flyer Nr. 86  vom 14.03.2007

Druckversion     



Startseite           nach oben

KÖLNER KLAGEMAUER


Für Frieden und Völkerverständigung
FOTOGALERIE