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Aktueller Online-Flyer vom 19. August 2025  

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Initiativen
Offener Brief an die Mitglieder des Möbelverbundes und anderer Selbsthilfegruppen
Was haben wir erreicht?
Von Rainer Kippe, SSM

Der vergangene Montag hätte eine besondere Stunde für den Möbelverbund werden können.

Durch unseren entschiedenen Kampf ist es uns gelungen, den Möbelverbund im Hartz IV Bereich so zu positionieren, dass er die volle Förderung erhält. Mit der Zusage der Förderung für 120 Arbeitsplätze beim Möbelverbund und seinen Trägern lagen, wenn man ein Fördervolumen von 685 Euro pro Arbeitsplatz und Monat zugrunde legt, annähernd 1 Million Euro Fördermittel auf dem Tisch - für den Dachverband und die einzelnen Träger. Eine erstaunliche Summe, wenn man bedenkt, dass im März vorigen Jahres noch alle mit dem Aus rechneten (Ich erinnere mich noch sehr gut des anrührenden Beitrages unseres Vorstandsmitgliedes Christoph Franzen von der "Mütze", der sich schon mit dem Ende abgefunden zu haben schien).

SSM-Secondhandladen
SSM-Secondhandladen - Foto: SSM


Noch erstaunlicher wird dieser Erfolg, wenn man bedenkt, dass mit den 120 Arbeitskräften zusätzlich zu der Million für "Betreuungsaufwand" ein Wertschöpfungspotential von mehreren Millionen Euro von Staat finanziert dem Verbund und seinen Mitgliedern kostenlos zur Verfügung gestellt wird. Immerhin handelt es sich bei vielen Mitgliedern - beileibe nicht bei allen - um bettelarme Selbsthilfegruppen, die bisher von der Hand in den Mund gelebt und sich von Bewilligung zu Bewilligung gehangelt haben, stets die Schließung vor den Augen, und die nun zum ersten Male eine sichere Perspektive für ihre Arbeit haben.

Wofür haben wir gekämpft- wieso hatten wir Erfolg?

Wir haben diese Auseinandersetzung geführt, weil wir der Meinung sind, dass mit diesen Mitteln und mit diesen Arbeitskräften nicht nur der seit Jahren übliche Beschäftigungszirkus zur Vernebelung der Massenarbeitslosigkeit betrieben werden darf, sondern dass zukunftsweisende Projekte für die Menschen und für die Gesellschaft in Angriff genommen werden sollen, welche den Menschen Hoffnung geben und die Aussicht auf einen Arbeitsplatz. Dafür haben wir, gemeinsam mit dem Möbelverbund, aber auch mit den Mülheimer Initiativen in der "Mülheimer Erklärung" beispielhaft Projekte benannt und angegangen.

Zu nennen ist da die "Industriebrache Alter Güterbahnhof Mülheim" als Zukunftsprojekt, und das Recyclingprojekt, welches erstmals in Köln Ziele des Umweltschutzes (weniger Sperrmüll) und soziale Ziele (Arbeitsplätze im Recyclingbereich) so verbindet, dass die Finanzierung nicht mehr ausschließlich aus dem Sozialetat, sondern überwiegend aus dem normalen Gebührenhaushalt kommen kann. Hier wird, statt Elend zu verwalten und die Ausgesonderten von einer Warteschleife in die nächste zu schieben bis zur endgültigen Verrentung, eine Perspektive eröffnet, und zwar sowohl für den einzelnen als auch für die Gesellschaft.

Diese Zukunftsfähigkeit des Möbelverbundes, seiner Mitglieder und seiner Mitarbeiter war es, die durch ihre Projektideen nicht nur die Sozialverwaltung, sondern auch - schon schwieriger - die Leute von der ARGE überzeugt hat, diesem Projekt Stellen und Mittel anzuvertrauen. Diese Ziele gilt es im Auge zu behalten und weiterzuverfolgen.

Zukunftsperspektive: Neue Bereiche kreativ eröffnen

Dazu ist es erforderlich, dass die zusätzlichen Arbeitskräfte, die dem Verbund und seinen Mitgliedern zur Verfügung stehen, eingesetzt werden für neue, zukunftsträchtige Bereiche, wie Recycling, Aufarbeitung von Möbeln, Aufarbeitung von Küchen. Dazu gehört auch, dass neue kreative Bereiche erschlossen werden, wie sie zum Beispiel im Projekt "Industriebrache Alter Güterbahnhof Mülheim" mit der Idee eines Baurecyclinghofes und eines Weißmöbelprojektes angedacht sind.

Die Idee muss dabei immer sein, und das sehen wir als oberste Leitidee für das gesamte Unternehmen, mit diesen bezahlten Arbeitskräften Bereiche zu erschließen und zu entwickeln, auf denen neue, nachhaltige und zukunftsträchtige Arbeitsplätze entstehen. Wenn diese Richtschnur politisch und praktisch in der großen Line und in der täglichen Arbeit verfolgt wird, werden wir auch nicht das Problem haben, dass die bezahlten Arbeitskräfte und ihre bezahlten Anleiter vorhandene Arbeitsplätze in den Selbsthilfestrukuren vernichten.

SSM-Secondhandladen
SSM-Secondhandladen - Foto: SSM


Dies ist umso wichtiger, als das gesamte System der öffentlich finanzierten Beschäftigung dazu neigt, vorhandene Arbeitsplätze zu verdrängen und durch 1Euro-Jobs zu ersetzen. Diese Gefahr, die in der täglichen und öffentlichen Diskussion allgegenwärtig ist, sollten wir nicht nur mit ausgeklügelten Vorschriften und Genehmigungsverfahren bekämpfen, wie sie in der ARGE, wo die Vertreter der Handwerks- und Handelskammern und Gewerkschaften wachen, ausgeübt werden, sondern durch unsere praktische Herangehensweise, in dem wir uns auf unsere erfolgreichsten und zukunftsträchtigen Projekte besinnen und diese ausbauen und durch neue erweitern.

Von daher halten wir es für eine Selbstverständlichkeit, dass diejenigen Selbsthilfegruppen, die sich jetzt als nach eigenem Selbstverständnis und Bekunden als Beschäftigungsgesellschaften positionieren, diejenigen Erwerbszweige freimachen, auf denen die Initiativen ihr Brot verdienen. Ich denke dabei zuallererst an Umzüge und Wohnungsauflösungen. Auch im Bereich der Möbellager muss überlegt werden, wie diejenigen Arbeitskräfte, die Ihren Unterhalt selbst erwirtschaften müssen, vor dem Konkurrenzdruck bezahlter Arbeit geschützt werden.

Selbstverständnis und Satzung

Dies muss sich auch im Selbstverständnis und in der Satzung ausdrücken. Neben Betreuung und Umweltschutz, muss die Förderung der Selbsthilfe und die Schaffung von nachhaltigen Arbeitsplätzen gleichrangig und für alle wahrnehmbar als Ziel formuliert werden.

Auch im Vorstand und überhaupt in der Vertretung des Vereins muss die Selbsthilfe repräsentiert sein, damit der Möbelverbund nicht nur eine Ansammlung von Beschäftigungsgesellschaften wird, wie sie alle anderen Träger bereits bieten. Denn hiermit drohte er seine Daseinsberechtigung zu verlieren und durch die großen Träger ersetzbar und schließlich ersetzt zu werden, wenn diese irgendwann ein günstigeres Angebot machen.

SSM-Secondhandladen
SSM-Secondhandladen - Foto: SSM


Der auf der letzten Mitgliederversammlung sichtbar gewordene Mehrheitskonsens, sich auf den bewährten Bereichen: Möbel, Wohnungsauflösungen und Umzüge nun mit öffentlicher Hilfe konkurrenzlos bequem einzurichten, trägt insofern das Scheitern bereits in sich.

Von daher kann es auch nicht nur die Aufgabe einzelner Mitglieder sein, die zudem am wenigsten von den ausgeschütteten Millionen profitieren, die neuen Bereiche zu eröffnen. Hier müssen alle ihre Kräfte einsetzen und die Erfolge solidarisch allen zugänglich machen. Alle Träger müssen von dem Erreichten profitieren können, nicht nur diejenigen, die sich jetzt zu Beschäftigungsgesellschaften umorganisieren.

Selbsthilfe fördern!

Die Förderung der Selbsthilfe und des Selbsthilfegedankens ist von daher nicht eine nützliche Konstruktion, die wir jetzt, nachdem wir in der Hartz IV-Förderung etabliert sind, getrost der Vergangenheit anheim fallen lassen können. Wir müssen sie weitertreiben, weil wir sonst ein Teil der "Arbeitslosenindustrie" (DER SPIEGEL) werden, die schon bei der ABM-Förderung vergangener Tage so grandios versagt hat und deshalb zu Recht beseitigt worden ist. Wir dürfen uns nicht damit zufrieden geben, uns auf unseren Fallzahlen auszuruhen, unsere Klienten durchzupumpen und die Beträge ordentlich abzurechnen; schon sehr bald wird nämlich die Gesellschaft fragen, was aus den Geförderten geworden ist und was diejenigen erreicht haben, die sich für die Förderung haben bezahlen lassen. Und dann werden diejenigen überleben, die nachweisen können, dass in ihren Projekten für diese Menschen eine Perspektive erarbeitet worden ist, und den anderen wird es gehen wie den zahllosen Trägern, die im letzten Jahr zusammen mit den alten Regelungen verschwunden sind und Konkurs anmelden mussten. Selbsthilfe und Selbsthilfeprojekte sind nun mal, wenn auch nicht die einzige, so doch eine wichtige Möglichkeit, die wir beherrschen und auf der viele von uns sich große Kompetenz erworben haben.

Müllrecycling - Arbeitsplätze der Zukunft

Mit dem Müllrecycling hat der Möbelverbund ein Zukunftsprojekt initiiert, das ihn weit aus dem Alltag der Hartz IV-Elendsverwaltung heraushebt. Hier ist ein Bereich eröffnet worden, der erstmals die Chance in sich trägt, nicht nur weiter öffentliche Subventionen abzugreifen und zu verbraten, ohne dass sich dadurch irgendeine Perspektive für den einzelnen Hilfeempfänger oder für die Gesellschaft ergäbe, sondern eine Arbeit zu leisten, welche den Anspruch auf Beteiligung an den öffentlichen Gebührenhaushalten beinhaltet, weil sie echte Arbeitsplätze schafft und die Unweltbilanz positiv verändert.

Es liegt auf der Hand, dass diese Arbeit nicht aus dem Gebührenaufkommen bezahlt werden kann, wenn sie lediglich in der Hand von Beschäftigungsgesellschaften ist - schließlich bieten auch die AWB Sperrgutabholungen an, allerdings mit Vollarbeitskräften. Deren drohende Verdrängung machte das Vorhaben von Anfang an unzulässig weil gesetzwidrig.

Es wird deshalb nötig sein,

- nachzuweisen, dass im Projekt Vollarbeitsplätze entstehen,
- nachzuweisen, dass nicht innerhalb aller Sperrgutabholer die Beschäftigungsgesellschaften mit bezahlten und betreuten Arbeitskräften die Gruppen, die ihr Geld am Markt verdienen müssen, verdrängen.

Nur so lässt sich m.E. der teilweise Einsatz von Beschäftigen des 2. Arbeitsmarktes rechtfertigen und legal gestalten. Dies ist umso wichtiger, als es starke Kräfte gibt, die nicht nur diesen Einsatz verhindern wollen, sondern das Recycling überhaupt, weil sie sich entweder für Müllverbrennung entschieden haben und/oder bereits mit großen Firmen liebäugeln, welche Recycling im großen Stil mit Großanlagen betreiben. Damit wäre eine nachhaltige Beschäftigung mit positivem Effekt für die Umwelt in Köln gestorben, bevor sie noch recht begonnen hat.

Sozialistische Selbsthilfe Mülheim SSM e.V.
Düsseldorfer Str. 74,
51063 Köln
www.ssm-koeln.org
info@ssm-koeln.org

Online-Flyer Nr. 06  vom 03.09.2005

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