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Wirtschaft und Umwelt
Zur Bedeutung der Hitler-Rede am 27. 1. 1932 im Düsseldorfer Industrieclub heute
Generalangriff des Kapitals
Von Manfred Demmer

Vor 75 Jahren fand ein Ereignis statt, das heute noch Bedeutung für die demokratische und Arbeiterbewegung besitzt. Ende Januar 1932 wurde die Schlussphase der Weimarer Republik eingeläutet. Eingeläutet von jenen Kreisen, denen die wenigen Errungenschaften, welche die Novemberrevolution dem Volk gebracht hatte, schon lange ein Dorn im Auge waren. Eingeläutet von jenen Kräften, die einen „starken Staat“ forderten, um die kapitalistischen Verwertungsbedingungen gegen zunehmende Aktionen der Arbeiterbewegung zu sichern. In einer Zeit, in der mehr als sechs Millionen Menschen erwerbslos waren und in erbärmlichen Verhältnissen lebten, begann der Generalangriff des Kapitals auf die Lebensgrundlagen der Arbeiterklasse.
Die Geschäftsführer des Kapitals hatten nicht nur klammheimlich mit reaktionären Kreisen sympathisiert, sondern auch öffentlich deutlich gemacht, dass die Lage der Bevölkerung sie nicht, ihre Profite hingegen umso mehr interessierten. Bereits auf einer Tagung vom 23. bis 25. Juni 1925 hatte in Köln der Boss der Farbenfabriken Bayer, Carl Duisberg - der zur gleichen Zeit an dem größten Firmenzusammenschluss der Chemieindustrie, der IG Farben, „bastelte“ - über die Lage referiert und eine rigorose Rationalisierung sowie die Senkung der Kapitalsteuern verlangt. Im Dezember wurde eine Denkschrift des Reichsverbandes der Deutschen Industrie (RDI) veröffentlicht, die die Duisbergs Forderungen verstärkte. Am 3. und 4. September 1926 setzte sich Duisberg in Dresden erneut für die Verwirklichung dieser Denkschrift und für eine „starke und autoritative“ Regierung ein. Und auf der Mitgliederversammlung des RDI am 20. September 1929 in Düsseldorf - an der neben Duisberg auch Vertreter des Reichswehrministeriums teilnehmen - wurden erneut eine stärkere Beachtung der Kapitalinteressen und „durchgreifende Maßnahmen“ gefordert. Diese Forderungen sahen Teile des Kapitals, darunter auch Duisberg, damals im sozialreaktionären Programm der neuen Regierung des Reichskanzlers Heinrich Brüning von der Zentrumspartei verwirklicht, wie auf der Hauptausschusssitzung des RDI am 27. November 1930 erklärt wurde.

Treffen des Hugenberg-Hitler-Blocks in Bad Harzburg 1931
Treffen des Hugenberg-Hitler-Blocks in Bad Harzburg 1931
Foto: NRhZ-Archiv


Andere Industriebosse, wie Fritz Thyssen, traten dagegen offen für die Unterstützung des Hugenberg-Hitler-Blocks ein, der sich als „Nationale Opposition“ nach einem Treffen in Bad Harzburg im Oktober 1931 auch „Harzburger Front“ nannte. Aber auch der IG-Farben-Aufsichtsratsvorsitzende Duisberg abonnierte eine von dem Nazi Walter Funk herausgegebene Zeitschrift und ließ - entsprechend seinem „System Duisberg“ - neben den bürgerlichen Parteien und der SPD auch den Nazis Zuwendungen zukommen. Gegen diese Phalanx und die ständigen Versuche des Kapitals, die Lebensbedingungen der Arbeiterschaft weiter zu verschlechtern, wehrten sich Arbeiter und Gewerkschaften in vielfältigen Aktionen, in denen 55 Arbeiter Opfer staatlichen Polizei-Terrors und 49 von den Nazis ermordet wurden. In dieser Situation fand am 27. Januar 1932 ein Treffen in Düsseldorf statt, auf dem führende Großbankiers und Industrielle die demokratische Maske fallen ließen und sich bereit erklärten, den Mann zu unterstützen, der sich anbot, die störenden Arbeiterorganisationen zu liquidieren und ungehindertes Profitstreben zu ermöglichen.

Treffen des Hugenberg-Hitler-Blocks in Bad Harzburg 1931
Betriebsversammlung im BAYER-Werk nach dem 30.1.33
Foto: NRhZ-Archiv


Plattform dieses Schulterschlusses zwischen Nationalsozialisten und Unternehmertum war der Industrieclub in Düsseldorf, der „Treffpunkt der Eliten“, wie der Titel einer vom Industrieclub herausgegebenen Veröffentlichung lautete. Einflussreichstes Mitglied im Industrieclub war Fritz Thyssen, der schon seit 1928 enge Kontakte zur NSDAP hatte. Wie der DDR-Historiker Kurt Gossweiler in seinen Untersuchungen nachwies, die später auch von bundesdeutschen Wissenschaftlern bestätigt wurden, pflegten außer ihm aber auch andere dieser „Eliten“ nicht nur informelle Kontakte zu den deutschen Faschisten, sondern gewährten ihnen darüber hinaus handfeste finanzielle Förderungen.

Industrieclub-Veranstaltung - zehn Jahre vor der Hitler-Rede
Industrieclub-Veranstaltung - zehn Jahre vor der Hitler-Rede
Foto:  www.industrie-club.de


Entgegen der bis dahin vertretenen Position des Industrieclubs, keine Politiker bei seinen Treffen auftreten zu lassen, wurde für den 27. Januar 1932 „Herr Adolf Hitler“ ins Parkhotel nach Düsseldorf eingeladen, wo er seine Vorstellungen erläutern sollte. Begründung: Man habe sich ja kurz zuvor auch von dem rechten Sozialdemokraten Max Cohn-Reuss, Mitglied des Reichswirtschaftsrates, orientieren lassen.

Jupp Angenfort - vor dem Düsseldorfer Industrieclub
Jupp Angenfort - vor dem Düsseldorfer Industrieclub
Foto:  VVN-BdA


Hitler konnte sich über die Einladung freuen. Mehrere hundert - nach einigen Quellen mindestens siebenhundert - Kapitalvertreter hörten ihm zu. Ein Teilnehmer, der Krefelder Unternehmer Paul Kleinewefers, hat Ende der fünfziger Jahre in einem Buch die Atmosphäre dargestellt. Danach schmolzen die „Eliten“ nach anfänglicher Zurückhaltung regelrecht dahin, besonders als der „Führer der Nationalsozialisten“ auf die Gefahren zu sprechen kam, die dem „Privateigentum“ drohten. In einem Buch zur Düsseldorfer Stadtgeschichte heißt es, dass er aber „sofort beruhigend sagte, Privateigentum sei moralisch und ethisch zu rechtfertigen“, und dass es „zweckmäßig wäre“, auch die „Verwaltung der Ergebnisse“ den Eigentümern zu überlassen und dies nicht, „Minderbefähigten oder einer Gesamtheit“ zu übertragen. „Damit“, so heißt es in dieser Darstellung weiter, „signalisierte er seine Ablehnung jeder Form staatlicher Planwirtschaft oder Gemeinwirtschaft und erhob das Leistungsprinzip zur ethischen Grundlage des Privateigentums, eine Auffassung, der jeder im Raum zustimmte.“

Über seine weiteren Ausführungen, die immer wieder starken Beifall der versammelten „Eliten“ erhielten, hier ein Zitat aus der Düsseldorfer Buch zur Stadtgeschichte: „Schließlich entwarf Hitler das düstere Gemälde vom Aufstieg der bolschewistischen Herrschaft; Bolschewismus sei nicht nur‚ ‚eine auf einigen Straßen herumtobende Rotte‘, wohl in Anspielung der vor dem Parkhotel lärmenden Kommunisten, ja die in Düsseldorf überhaupt starke KPD, sondern er sei ‚im Begriff, den asiatischen Kontinent zu unterwerfen‘, das heißt, die Weltherrschaft zu erobern. Assoziativ mischt sich hierbei erneut das Bild von der ‚gelben Gefahr‘ mit dem des ‚sowjetischen Bolschewismus‘. ‚Aber es ist undenkbar‘, fuhr Hitler fort, ‚ein starkes und gesundes Deutschland zu schaffen, wenn 50 Prozent seiner Angehörigen bolschewistisch und 50 Prozent national orientiert‘ seien. ‚Um die Lösung dieser Frage kommen wir nicht herum!‘ (Lebhafter Beifall).“

Während hier dem Bolschewismus - gemeint waren damit auch die Kommunisten in Deutschland - der Kampf angesagt wurde, enthielt sich Hitler vor diesem elitären Kreis jeglicher Angriffe gegen jüdische Menschen, die ja damals in vielen Unternehmen und Verbände führende Positionen innehatten. In der schon zitierten Veröffentlichung heißt dazu: „Er sprach lediglich in wiederholt vorgetragenen Variationen von der ‚Regeneration des Volkskörpers‘, sagte aber nicht, daß er diese Regeneration durch die Vernichtung der Juden, der Zigeuner und des sogenannten unwerten Lebens zu erreichen gedachte. Insgesamt bediente er sich überwiegend rhetorischer Floskeln, wie sie schon seit langem in der Düsseldorfer Gesellschaft, zum Beispiel im Kolonialverein, dem Alldeutschen Verband, auch in der Vereinigung der Mittelparteien und der Vaterlandspartei, gängig und gewohnt waren.“

Gegenüber der Behauptung des Industrieclubs selbst, der zwischen dieser Rede und der Machtübernahme 1933 und ihren Folgen keinen Zusammenhang sieht, sprechen auch folgende Zahlen: Nach seiner eigenen Darstellung gehörten dem Vorstand damals sechs Personen an. Bei vieren könne nichts mehr zur Mitgliedschaft in der NSDAP gesagt werden, weil keine Entnazifizierungsakten vorhanden seien, die beiden anderen seien nur nationalsozialistische Aufpasser gewesen (!). Und zum damaligen Beirat heißt es: „42 Prozent der 26 Mitglieder waren in der NSDAP; mithin weniger als die Hälfte“. Möglicherweise sind ja weitere Beiratsmitglieder und Zuhörer erst danach eingetreten, denn mit dieser zweieinhalbstündigen Rede hatte sich Hitler den Unternehmern als zuverlässiger und leistungsfähiger Partner empfohlen. Mit lang anhaltendem Beifall stimmten ihm seine Zuhörer zu. Der oben zitierte Text zur Stadtgeschichte erwähnt jedenfalls keine einzige kritische Stimme.

Umso mehr hatten Teile der Düsseldorfer Arbeiterschaft begriffen, was der Hitler-Auftritt für sie bedeutete. Schon bei Bekanntwerden der Einladung hatte sich die kommunistische und die sozialdemokratische Arbeiterpresse damit befasst und zum Protest aufgerufen. Am Nachmittag des 27. Januar war eine große Menschenmenge vor dem Hotel versammelt. Den Protestierenden - vor allem Kommunisten, aber auch Sozialdemokraten und Gewerkschafter - wandten sich mit Flugblättern, Sprechchören und Liedern gegen das sich anbahnende Bündnis von Nazis und Großindustrie und dessen deutlich werdende Folgen. Die Polizei schritt mehrmals gegen die Demonstranten ein.

Trotzdem war es Hitler gelungen - begleitet von Hermann Göring und Ernst Röhm -, gegen 18 Uhr durch einen Seiteneingang den Ballsaal zu betreten. Dort hatten die führenden Kapitalvertreter Fritz Thyssen, Albert Vögler, Karl Haniel und Ernst Poensgen die Naziführer empfangen. Die Einführungsrede hielt Oberbürgermeister Robert Lehr, der deswegen nach 1945 von kommunistischen Bundestagsabgeordneten als „Türöffner der Reaktion“ bezeichnet wurde und wohl nicht zuletzt deshalb als CDU-Demokrat und Bundesinnenminister 19 Jahre später den Verbotsprozess gegen die KPD einleitete. Die wurde dann 1956 verboten, während sich Nazigruppen und -parteien in der Bundesrepublik weiter versammeln konnten.

Am 28. Januar 1932 kam es zu Besprechungen zwischen Hitler, Göring und Röhm auf der einen und Poensgen, Thyssen und Vögler auf der anderen Seite. Es ging um die weitere Hofierung der Nazis, es ging um die Bildung und Zusammensetzung einer Regierung unter ihrem Einschluss. Diese Entwicklung - auch gefördert von der Haltung der Sozialdemokratischen Partei, bei der anstehenden Reichstagswahl für den Reaktionär Hindenburg zu stimmen - führte zur KPD-Losung: „Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler - wer Hitler wählt, wählt den Krieg!“
Immer weniger behindert konnten die Nazis offenen Terror gegen Arbeiter ausführen: So wurden am 13. März in Hückeswagen bei Leverkusen drei Arbeiter von Nazis ermordet.

Am 18. Mai 1932 fand die erste Zusammenkunft des so genannten „Keppler-Kreises“ statt, aus dem später der „Freundeskreis Himmler“ hervorging und der mit seinen Spenden die Terrorherrschaft der Nazis mitfinanzierte. Der Kölner Bankier Kurt Freiherr von Schröder, der Großindustrielle Vögler und andere berieten mit Hitler wirtschaftliche Fragen für den Fall einer Naziregierung, wobei die Zerschlagung der Gewerkschaften eine wichtige Rolle spielte. Die aufgehende Saat wird deutlich bei den Maßnahmen, die die neue, auf Drängen des Kapitals ernannte Regierung Franz von Papen gegen die Bevölkerung erließ. Am 19. November 1932 richteten Bankiers, Großgrundbesitzer und Industriekapitäne eine Eingabe an Reichspräsident von Hindenburg, Hitler zum Reichskanzler zu berufen. Die Saat ging auf, - zunächst in vermehrten Angriffen der Faschisten auf die Arbeiterbewegung, was zur verstärkten Gegenwehr der Arbeiter führte.

Kommunisten und Reichsbannerangehörige schlugen gemeinsam einen Naziangriff auf das Parteihaus der KPD in Düsseldorf zurück. Nazis ermordeten in jenen Tagen in Duisburg-Hamborn den parteilosen Arbeiter J. Bischof. Das Gebäude des sozialdemokratischen „Vorwärts“ in Berlin wurde von Nazis überfallen, zwei Sozialdemokraten wurden schwer verletzt. In Hattingen (Ruhr) wurde der Kommunist H. Lubberich ermordet. In Köln erschoss die SA den Katholiken A. Wisnewsky. In Altona fand ein „Blutsonntag“ statt, an dem Nazis und Polizei gemeinsam 14 Arbeiter ermordeten. Einige Tage später unternahm die Papen-Regierung den Staatsstreich in Preußen, wobei die inkonsequente Haltung der sozialdemokratischen Preußenregierung mehr Fragen aufwirft als der Staatsstreich selber.

Am 4. Januar 1933 lud der Kölner Bankier Kurt Freiherr von Schröder Hitler und Franz von Papen zu einem Gespräch über die Installierung einer Regierung unter Einschluss der Nazis in seine Villa ein. Ergebnis: Ein Jahr nach dem Schulterschluss im Industrieclub kam Hitler am 30. Januar 1933 als Reichskanzler an die Macht. Seine Nazis terrorisierten zuerst die deutsche Arbeiterbewegung und kritische Intellektuelle. Dann folgten jüdische Menschen und all jene, die in Hitlers Vorstellungen vom „gesunden Deutschland“ nicht passten. Dann folgten ein verbrecherischer Weltkrieg entsprechend Hitlers Ankündigungen und die Riesengewinne, die die Finanziers der Nazis aus diesem Krieg zogen.

Der direkte Zusammenhang zwischen der Industrieclub-Rede und dem, was danach folgte, lässt sich also nicht leugnen. Und darum finden auch diesmal wieder - von heutigen und von überlebenden alten Antifaschisten wie Jupp Angenfort initiiert - Aktionen vor dem Parkhotel in Düsseldorf statt. Ihr Ziel: diese historischen Fakten einzubinden in aktuelle Kämpfe der Arbeiter. Wenn man sieht, wie die aktuellen Nachfolger jener Hitler zujubelnden Wirtschaftsbosse sich genau wie damals nur ihren Profiten verpflichtet fühlen, wenn man sieht, wie es zur Zeit bei Bayer, den ehemaligen IG Farben unter Carl Duisberg, zugeht, wie dreist dort heute nach „Gutsherrenart“ Vorstellungen des ehemaligen Generaldirektors und seiner Clique umgesetzt werden sollen, wird man begreifen: Der 27. Januar ist nicht nur ein historisches Datum.


Manfred Demmer ist aktiv bei der Kulturvereinigung Leverkusen e.V., die für Freitag, 26. Januar, 19.30 Uhr im Haus der Kulturvereinigung zu einem Filmabend ein lädt. Zum Thema läuft dort der Film „Das Geschäft“ mit anschließender Diskussion. Ort: Leverkusen, Am Stadtpark 68, Eintritt frei



Online-Flyer Nr. 79  vom 24.01.2007

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