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Lokales
ARTE-Doku über deutsche Schriftsteller im Geheimdienstgestrüpp
CIA-gesteuert: Heinrich Böll 
Von Hans Georg

Hans-Rüdiger Minow hervor, die am Mittwoch, 29. November, ab 20.40 Uhr bei ARTE gezeigt wird. "Wir alle haben für die CIA gearbeitet", bekennt darin die ehemalige Geschäftsführerin des Kölner CIA-Kulturstützpunktes Kiepenheuer und Witsch, der gleichzeitig Bölls Verlag war. Man habe aber diese Hintergründe nicht gekannt, sondern an eine Finanzierung durch die Ford-Stiftung (USA) geglaubt. Auch der im Film interviewte Günter Grass hält eine wissentliche CIA-Tätigkeit Bölls für unwahrscheinlich. Wie Dokumente im Film belegen, bezahlte die CIA Reisekosten von Böll und bezuschusste auch andere Schriftsteller bei Auftritten in der internationalen Kulturszene. Böll "war ein Diamant in der Sammlung der CIA", sagt der Filmemacher im Interview.

CIA-Kulturstützpunkt Kiepenheuer und Witsch

Eine Rekonstruktion der CIA-Beziehungen des späteren Nobelpreisträgers und Namensgebers der Parteistiftung von Bündnis 90/Die Grünen [1] führt in den Beginn der 1950er Jahre. Damals wurde der noch wenig bekannte Böll zu Lesungen nach Westberlin eingeladen und geriet in das Milieu (west-)"deutscher Frontorganisationen (...) im Kampf der Kulturen".[2] Sie sollen von der CIA gesteuert worden sein. Wie es in dem Film weiter heißt, verdichteten sich diese Kontakte zu einer regulären Mitgliedschaft Bölls in einer CIA-Tarnorganisation. Ihre Kuriere sprachen Intellektuelle in Polen, in der damaligen Sowjetunion und in der DDR an und belieferten sie mit Materialien aus dem Westen. Auf diese Weise seien Dissidenten herangezogen und bei anschließenden Ostblock-Reisen Bölls der internationalen Öffentlichkeit präsentiert worden. Böll habe über diese Reisen Berichte angefertigt, die auf dem Schreibtisch des Kölner Kultur-Stützpunktes der CIA landeten - im damaligen Verlag Kiepenheuer und Witsch, einer angesehenen Adresse für deutsche und internationale Literatur.

Vor diesem geheimdienstlichen Hintergrund, so der Film, erscheine auch die Ausweisung des sowjetischen Schriftstellers und Dissidenten Solschenizyn in einem neuen Licht. Solschenizyn war 1974 in Moskau kurzfristig verhaftet, nach Köln ausgeflogen und dort von Heinrich Böll betreut worden. Das Arrangement kam unter Einschaltung des Auswärtigen Amtes (AA) zustande. Böll engagierte sich ebenso für jugoslawische Dissidenten und nutzte dabei seine Stellung im internationalen PEN-Club. Dort galt er als unbestechlicher Demokrat und staatsferner Schriftsteller. Tatsächlich sei Böll für die staatlichen Ziele der USA und ihrer Partner in der Bundesrepublik tätig geworden, heißt es in der Dokumentation. Im Kreis um den Kölner CIA-Kulturstützpunkt wurde Böll als so wichtig angesehen, dass man ihm den Vorsitz antrug.

Böll-Denkmal in Berlin
Böll-Denkmal in Berlin
Foto: wikipedia



V-Leute vor Mikrofonen und Kameras der Sender

Im Kölner Kreis kamen die "wichtigsten Vertreter des westdeutschen Journalismus und der Verlagswelt" zusammen, heißt es in einem Programm-Info von ARTE.[3] Internes Ziel sei es gewesen, vor allem linke Intellektuelle vor "marxistische(n) Versuchungen" [4] zu bewahren und deren publizistischen Einfluss zu neutralisieren. "(H)ochrangige(...) Beziehungen (...) in die Redaktionen sämtlicher großer Fernsehanstalten" hätten den deutschen CIA-Einflussagenten Zugang zu einem Millionenpublikum verschafft.[5] "Hervorragend" sei es den V-Leuten der CIA gelungen, "vor die Mikrofone und Kameras der öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten zu kommen und die sozialdemokratische Bildungspresse zu dominieren."[6]

Wie die Dokumentation zeigt, wurden die CIA-Kulturstützpunkte in Köln, (West-)Berlin, München und Hamburg von US-Agenten angeleitet, die sich als Mitarbeiter des Pariser "Kongresses für kulturelle Freiheit" tarnten. Diese bisher undementierte Behauptung hatte bereits die Londoner Autorin Frances Stonor Saunders in ihrem Buch "Wer die Zeche zahlt" [7] verbreitet und entsprechende Dokumente aus US-Archiven vorgelegt. Demnach gehörten zum Personal dieser Organisation international bekannte Schriftsteller, Künstler und Intellektuelle. Das Organisationsnetz reichte nach Österreich, in die Schweiz und nach Italien. In diesen Ländern wurden CIA-finanzierte Kulturzeitschriften herausgegeben, ohne dass die Öffentlichkeit die tatsächlichen Urheber kannte. Auch in der arabischsprachigen Welt und in Afrika baute die CIA Filialen auf, um unter den Intellektuellen Perspektivagenten zu suchen. Aussichtsreiche Kandidaten wurden mit Stipendien und anderen Vergünstigungen an die Pariser CIA-Zentrale herangeführt.

"Die deutsche, die europäische und die internationale Öffentlichkeit, sie alle sind über Jahrzehnte getäuscht worden. Was wie der staatsferne Streit um Politik und Kultur aussah, war staatlich gesteuert", sagte Filmautor am Donnerstag, 23. November, bei einer Pressekonferenz in Berlin. "Schriftsteller wie Böll wurden von der CIA planmäßig eingesetzt." In den Medien wurde über diese Pressekonferenz allerdings so gut wie nicht berichtet.

Auch vom BDI finanziell unterstützt

Dr. Joseph C. Witsch - Schlüsselfigur - www.kiwi-koeln.deDie europaweite Tätigkeit der CIA-Tarnorganisation im Umfeld von Böll wurde auch vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) mit bedeutenden Beträgen unterstützt. Dies ergaben Recherchen von german-foreign-policy.com (gfp). Aufgabe der Organisation war es, osteuropäische Intellektuelle mit offenen und geschmuggelten Druckerzeugnissen zu versehen und sie als Dissidenten zu gewinnen. Als deutsche Mitglieder des geheimdienstlich organisierten CIA-Ablegers fungierten neben Böll die Verleger Klaus Piper ("Piper Verlag") sowie Joseph C. Witsch ("Kiepenheuer und Witsch"). Im Kölner Witsch-Verlag, der auch Bölls Werke betreute, arbeitete die frühere US-Agentin Carola Stern als Lektorin. Im Dünndruck hergestellte Verlagsprodukte wurden nach Ostdeutschland oder nach Polen geschleust, osteuropäische Künstler an die CIA-Kulturzentrale in Paris herangeführt. Geldtransfers für eine Nachfolgeorganisation liefen ab 1967 unter anderem über die sozialdemokratische Friedrich-Ebert-Stiftung.

Heinrich Böll taucht in den internen Papieren des Tarnapparates als ordentliches Mitglied auf. Unter dem irreführenden Namen "The Writers' and Publishers' Committee for European Cooperation" war der CIA-Ableger 1956/57 gegründet worden, um "die Sowjets kulturell in die Defensive zu drängen".[8] Die Steuerung oblag mehreren CIA-Agenten, die sich als Mitarbeiter einer angeblichen Kulturorganisation mit Sitz in Paris ausgaben.[9] Ein ehemals führender CIA-Agent bekennt in der ARTE-Dokumentation diese Hintergründe.

Böll-Komitee beschreibt "klandestines" Vorgehen

In einem Tätigkeitsbericht, der gfp vorliegt, heißt es über die Arbeit der CIA-Tarnorganisation, man habe im Mai 1958 eine Spende vom Bundesverband der Deutschen Industrie erhalten und davon 16.000,- DM für "deutsche Bücher" ausgegeben, "die in osteuropäische Länder versandt wurden".[10] Wie eine Zielübersicht zeigt, ging der Großteil der Druckerzeugnisse nach Polen, wo im Berichtszeitraum 350 Publizisten angesprochen werden konnten und die Kontaktaufnahme mit 105 Institutionen gelang ("The Catholic Scientific Institute Cracow" und andere).

Das angeblich unabhängige "Komitee", das mit Bölls Namen um Glaubwürdigkeit warb und Staatsferne vortäuschte, vertrieb in Osteuropa nicht nur Printerzeugnisse, sondern kümmerte sich ebenso um Werke der Bildenden Kunst. So sollten für das "Museum für Moderne Kunst" in Łódź Werke "westlicher Gegenwartsmaler" beschafft werden. Für diesen Zweck hielten die CIA-Organisatoren Gaben amerikanischer Künstler bereit, die sich dem abstrakten Expressionismus verschrieben hatten. Auch wurden polnische Künstler mit Stipendien gefördert, sofern sie abstrakte Stilrichtungen vertraten. Die Ausstellung ihrer Bilder übernahm eine CIA-Kontrakt-Galerie in Paris. Mit dieser Galerie als Absender habe man 1964 "eintausend Kataloge" [11] über abstrakte Malerei "an Künstler und Intellektuelle nach ganz Osteuropa verschickt", fasst ein Jahresbericht des Böll-Komitees die geheimdienstlich organisierten Aktivitäten zusammen. Bei der Arbeit mit einem Künstler aus der damaligen UdSSR sei man "klandestin" vorgegangen.

Karikatur: Kostas Koufogiorgos
Karikatur: Kostas Koufogiorgos
www.koufogiorgos.de



Böll-Reiseberichte ans Außenministerium

Dass Böll dem "Writers' and Publishers' Committee for European Cooperation" wissentlich angehörte und dafür auch seinen Namen gab, ist bis heute unbestritten. Ob er die Hintergründe kannte, bleibt offen. Böll unterhielt freundschaftliche Beziehungen zu seinem Kölner Verleger Joseph C. Witsch, der als Schlüsselfigur geheimdienstlicher Kultur-Operationen in der Bundesrepublik gilt. Witsch stand mit der Pariser CIA-Kulturzentrale in regem Kontakt und sorgte für die Ankoppelung des von ihm betreuten Kreises deutscher Intellektueller an das Bonner Bundesministerium des Innern (BMI) und an andere Stellen. Durch Vermittlung von Witsch landeten Berichte, die Heinrich Böll über seine Reisen nach Polen angefertigt hatte, im westdeutschen Außenministerium. Ob Böll ein völlig argloser Zulieferer war, der sowohl seinen Namen als auch seine Reiseinterna aus politischer Naivität zur Verfügung stellte, ist Gegenstand einer beginnenden Kontroverse.

Nach Erkenntnissen von gfp entschieden die Pariser CIA-Strukturen 1966, die Tätigkeit das "Writers' and Publishers' Committee for European Cooperation" auszuweiten und die Steuerung der Aktivitäten zusätzlich zu verschleiern. Die CIA-Anbindung war ruchbar geworden. Unter dem Namen "Stiftung des Europäischen Hilfswerks für Intellektuelle" wurden deswegen in Genf neue Strukturen geschaffen. Unverändertes Ziel blieb die subversive Tätigkeit in Osteuropa. Zwar wird Böll anlässlich der Namensumwidmung in den internen Papieren weiter als "Ehrenmitglied" geführt, scheint jedoch anschließend für die geheimdienstlichen Ziele ("aus Sicherheitsgründen") [12] nicht länger nützlich gewesen zu sein.

Ab 1967 auch die Bundesbank dabei
 
Dafür tauchen ab 1967 andere deutsche Namen auf. So teilt das Direktorium der Deutschen Bundesbank der angeblichen "Stiftung" per Schweizer Adresse mit, man werde dem "Hilfswerk für Intellektuelle" eine "einmalige finanzielle Unterstützung" [13] zukommen lassen. Auch die damals gewerkschaftseigene "Bank für Gemeinwirtschaft" hielt die uneigennützigen Ziele der Tarnorganisation in Osteuropa für förderungswürdig - mit einem Geldtransfer in Höhe von 10.000,- DM. "Wir werden diesen Spendenbetrag wie seither über die Friedrich-Ebert-Stiftung (...) überweisen".[14]

Mehr unter www.german-foreign-policy.com

[1] s. dazu Ökologisch veredeltDummy Foundations und Härtere Gangart
[2] Benutzt und gesteuert. Künstler im Netz der CIA; Film von Hans-Rüdiger Minow, ARTE, 29.11.2006, 20.40 Uhr
[3] ARTE Programminfo, 29.11.2006
[4] Diamant in der Sammlung; Interview mit Hans-Rüdiger Minow, 23.11.2006
[5] ARTE Programminfo, 29.11.2006
[6] Frances Stonor Saunders: Wer die Zeche zahlt. Berlin 2001
[7] Michael Hochgeschwender: Freiheit in der Offensive? Dissertation. Würzburg 1996
[8] Congrès pour la Liberté de la Culture/Kongress für kulturelle Freiheit
 [9] Report on Activities, Paris 1959
[10] Schreiben ohne Datum
[11] Mémo Josselson 1968
[12] Deutsche Bundesbank. Direktorium. Schreiben vom 31.01.1968
[13] Bank für Gemeinwirtschaft. Schreiben vom 19.12.1967

Lesen Sie auch das Interview mit Hans-Rüdiger Minow

Online-Flyer Nr. 72  vom 28.11.2006

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