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Globales
"Der Funke, der den diplomatischen Prozess in Gang setzen könnte"
Israel und Palästina vor Verhandlungen?
Von Hildegard Miensopust

Nachdem die Kämpfe zwischen Hizb´ollah und Israel am 14. August eingestellt wurden, erreichten sie in Gaza einen neuen Höhepunkt. Zwar haben sich Regierung und Armee sowohl für die zivilen Opfer des verheerenden Artillerieangriffs auf Beit Hanoun wie auch  für Scheinangriffe auf deutsche und französische Friedenstruppen entschuldigt, und zwei Generäle mussten inzwischen zurücktreten - gleichzeitig aber drohte Israels stellvertretender Verteidigungsminister dem Iran wegen seiner Nuklearanlagen mit einem Militärschlag - kurz bevor Ministerpräsident Olmert sich am Sonntag auf den Weg in die USA zu einem Besuch bei Präsident Bush machte. - Kommt es trotzdem zu Friedensverhandlungen?

Während im Libanon wegen der Zerstörungen durch den israelischen Einmarsch die Menschen - mehr oder weniger unbeachtet von der Weltöffentlichkeit - daran gingen, ihre Häuser und ihr Leben wieder aufzubauen, verfehlten in Gaza am 8. November bei einem Angriff auf Beit Hanoun zwölf Artilleriegranaten ihr eigentliches Ziel um 500 Meter, töteten 18 Menschen und verwundeten weitere 55. Siebzehn Mitglieder einer einzigen Familie kamen dabei ums Leben. Die meisten Opfer wurden im Schlaf getroffen.

Hier wie beim Libanon-Einsatz wurden die Entführungen israelischer Soldaten und Raketen-Einschläge in israelischen Städten und Siedlungen als Gründe für die Angriffe der Armee genannt. Ergebnis der nicht nur in der arabischen Welt Empörung auslösenden zivilen Opfer von Beit Hanoun: Israels Bevölkerung wird erneut mit Selbstmordanschlägen aller militanten Palästinensergruppen gedroht. Yacov Ben Efrat von der linken israelischen Zeitschrift CHALLENGE kommentiert in deren jüngster Ausgabe diese Entwicklung: "Einst als sicherer Hafen geplant, hat Israel sich zum weltweit gefährlichsten Platz für Juden entwickelt." 

Schon vor dem folgenreichen Angriff auf Beit Hanoun waren nach Angaben der European Jews for a Just Peace in Gaza 335 Palästinenser getötet worden, 85 von ihnen waren jünger als 17 Jahre, 30 von ihnen waren Frauen. 252 der Getöteten waren Zivilisten. Hinzu kamen Hunderte von Verwundeten und Verstümmelten. Im gleichen Zeitraum hatten bewaffnete palästinensische Gruppen 480 Qassam-Raketen auf israelische Städte und Siedlungen abgefeuert und dabei 17 Israelis verletzt. Fünf israelische Soldaten kamen ums Leben, weitere 22 wurden verletzt.

Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas hat sich inzwischen mäßigend geäußert und die palästinensischen Gruppen vor Racheaktionen wie weiteren Raketenabschüssen oder gar Selbstmordanschlägen gewarnt, weil diese den palästinensischen Interessen schaden würden. Ob er sich durchsetzen wird, ist ungewiss. Allerdings sind seit vergangenem Freitag keine Qassam-Raketen mehr auf Israel gefallen, und Abbas und Premierminister Haniyeh haben ihre Gespräche über die Bildung einer neuen Regierung wieder aufgenommen. Dieser sollen nur noch Technokraten angehören, Führer der Hamas werden nicht mehr dabei sein, und Haniyeh hat sogar einen Rücktritt nicht ausgeschlossen. In der israelischen liberalen Tageszeitung Ha´aretz vom 12. November spekuliert der Journalist Avi Assacharoff, es gebe einen Deal mit Israel, zu dem ein Gefangenenaustausch gehöre. Der im Juni entführte Soldat Gilad Shalit solle gegen palästinensische Gefangene, unter ihnen auch die der Hamas angehörenden Minister, ausgetauscht werden. Zudem solle die Aufhebung der Wirtschaftsblockade gegenüber der palästinensischen Autonomiebehörde erreicht werden.

Unmittelbar nach Ende der Operation Herbstwolken hatte Ha´aretz in ihrem Editorial vom 8. November zu Waffenstillstand und Verhandlungen aufgefordert: "(...) Einsätze dieser Art steigern nur den Hass und den Rachedurst der gesamten palästinensischen Bevölkerung, dem wahren Opfer solcher Einsätze." Israel solle für eine bestimmte Zeit einen Waffenstillstand verkünden und die Palästinenser ebenfalls zu dessen Einhaltung aufrufen. "Die Etablierung einer palästinensischen Regierung der Nationalen Einheit könne in der Atmosphäre eines Waffenstillstands der Funke sein, der den diplomatischen Prozess in Gang setzt." Mit den Vertretern dieser Regierung müsse sich die israelische Regierung ohne Vorbedingungen an einen Tisch setzen. Dem könne dann die Aufhebung der Wirtschaftssanktionen folgen.

Karikatur: Kostas Koufogiorgos
Karikatur: Kostas Koufogiorgos
www.koufogiorgos.de



Doch auf welcher Grundlage würden die Palästinenser in solche Gespräche eintreten? Auch nach seinem Rückzug aus dem Gaza-Streifen im Sommer 2005 hat Israel dessen Grenzen zu Wasser, zu Lande und in der Luft weiterhin vollständig unter Kontrolle. Alle Grenzübergangsstellen, gleich ob für Waren oder Menschen, stehen unter israelischer Regie.
Seit dem 12. März 2006 ist es palästinensischen Arbeitern aus Gaza nicht mehr erlaubt, zur Arbeit nach Israel zu fahren. Auch diese Einnahmequelle ist damit entfallen. Bis Anfang Mai 2006 war der wichtigste Kontrollpunkt für Wirtschaftsgüter, Karni, bereits zu 47 Prozent des Jahres geschlossen gewesen; die der Palästinensischen Autonomiebehörde, der PA, dadurch entstandenen Verluste werden auf 5- bis 600.000 US-Dollar pro Tag geschätzt. Seit dem 25. Juni 2006, dem Tag des Beginns der Gaza-Militäroperation mit dem zynischen Namen "Sommerregen", die dann gleich in die "Operation Herbstwolken" überging, sind die Kontrollstellen für Waren und Personen nahezu völlig dicht

Gemäß dem Abkommen von Oslo kontrolliert Israel auch große Teile des palästinensischen Steuerwesens; es zieht Zölle und Steuern für die PA ein und ist verpflichtet, die entsprechenden Beträge monatlich an diese weiterzuleiten. Diese Zahlungen von etwa 55 Millionen US-Dollar monatlich hat die israelische Regierung seit der Regierungsübernahme durch die Hamas aber eingefroren. Der unter Bruch des Osloer Abkommens einbehaltene Betrag wird inzwischen auf etwa eine halbe Milliarde Dollar geschätzt. Die Bevölkerung von Gaza hätte das Geld bitter nötig.

Nötig hätte sie auch die als Reaktion auf den Wahlsieg der Hamas gestoppten Hilfszahlungen westlicher Geberländer von etwa einer Milliarde US-Dollar jährlich. Im Verein mit den von Israel verhängten Restriktionen haben die internationalen Sanktionen der ohnehin maroden palästinensischen Wirtschaft einen vernichtenden Schlag versetzt. Etwa 40 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung sind heute erwerbslos, Hunderttausende mehr sind ohne Einkommen, weil die PA aufgrund der ausbleibenden Zahlungen nicht mehr in der Lage ist, ihren Beschäftigten Lohn zu zahlen. Schon im April 2006 lebten nach Angaben der Weltbank 79 Prozent aller Haushalte in Gaza unter der Armutsgrenze; diese Zahl dürfte in den letzten Monaten noch gestiegen sein. 75 Prozent der Einwohner Gazas leiden unter Lebensmittelknappheit.

Wenn also jetzt - wie am Sonntag von der Arabischen Liga in Kairo gefordert und hoffentlich von Bush gegenüber Olmert unterstützt - eine Friedenskonferenz mit Israel zustande kommt,   wird ein für beide Seiten befriedigendes und vor allen Dingen haltbares Ergebnis nur dann zu erwarten sein, wenn die israelische Regierung den Palästinensern nicht nur das nackte Überleben, sondern auch die Besitzstände und Rechte überträgt, die sie angesichts der derzeitigen Machtverhältnisse selbst nicht durchsetzen können. Die Israelis ihrerseits könnten dann endlich auf Sicherheit und Frieden hoffen - wenn sie, wie in Kairo gefordert, in dieser Friedenskonferenz auch gegenüber dem Iran eine neue Politik einleiten, den der Jüdische Weltkongress wegen seines Atomprogramms am Sonntag als "die größte Bedrohung seit dem Holocaust" bezeichnet hat.

Online-Flyer Nr. 70  vom 14.11.2006

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