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Inland
Deutsche mit Privilegien in Polen - Polen hier laufen vor die Wand
Ohne Ansprechpartner
Von Hans Georg

Deutschland verweigert den in der Bundesrepublik lebenden Staatsbürgern polnischer Herkunft und Sprache die ihnen zustehenden Minderheitenrechte. "Wir stoßen immer wieder auf eine Wand", beklagt der "Bundesverband Polnischer Rat in Deutschland" auf Anfrage dieser Redaktion. Wegen der Berliner Diskriminierungen haben polnische Politiker gedroht, im Gegenzug Minderheitenprivilegien der deutschsprachigen Bevölkerung in Polen zu überprüfen, sollte Berlin die Erfüllung seiner vertraglichen Verpflichtungen weiterhin nicht ernst nehmen.

Blutsherkunft

Seit der Einwanderung großer Kontingente polnischer Arbeiter in das damalige Kaiserreich ignoriert die deutsche Politik den besonderen Rechtsstatus der früheren Migranten und enthält ihren Nachkommen kulturelle wie politische Einflussmöglichkeiten vor. Gleichzeitig verlangt Berlin den Schutz seines vorgeblichen "Deutschtums" in sämtlichen Fremdstaaten, so auch in Polen. Der polnische Wunsch nach Gleichbehandlung wird von der deutschen Außenpolitik mit Hinweisen auf fragwürdige Praktiken der Warschauer Beschwerdeführer erwidert. Die polnische Regierung spiele sich bei ihren östlichen Nachbarn ähnlich auf wie die deutsche in Polen und setze dabei ihre Sprachminderheit ein, heißt es in Berlin. Der Konflikt aktualisiert das Drohpotential einer auf Blutsherkunft fußenden Minderheitenpolitik, die zu den beliebtesten Mitteln der weltweiten deutschen Expansion gehört.

Karikatur: Kostas Koufogiorgos
Karikatur: Kostas Koufogiorgos
www.koufogiorgos.de


Wie der "Bundesverband Polnischer Rat in Deutschland" erläutert, müssen die in der Bundesrepublik lebenden Staatsbürger polnischer Herkunft und Sprache immer noch um Gewährung grundlegender Minderheitenrechte kämpfen. Entsprechende Bestimmungen enthält der deutsch-polnische Nachbarschaftsvertrag. Das Abkommen aus dem Jahr 1991 regelt den Schutz der jeweiligen Minderheit [1], aber kommt in vollem Umfang nur der deutschen Seite zugute. So ist es deutschen Schulkindern bislang nur in Ausnahmefällen möglich, Unterricht in Polnisch als Muttersprache zu erhalten; Sendeplätze für polnischsprachige Rundfunksendungen fehlen ebenso wie die staatliche Förderung einer polnischsprachigen deutschen Presse. Sämtliche der genannten Privilegien kommen umgekehrt der deutschsprachigen Minderheit in Polen ohne Abstriche zugute; ihr gelingt es auf diese Weise, ihren gesellschaftlichen Einfluss kontinuierlich auszubauen.

Nicht gesprächsbereit

Vertreter der polnischsprachigen Minderheit bemühen sich seit Vertragsbeginn um die Einlösung der Rechte, werden aber von der Bundesregierung systematisch hingehalten. In den 1990er Jahren erklärte das zuständige Bundesinnenministerium zunächst, man könne den Forderungen nicht nachkommen, da die in Deutschland ansässigen Minderheitenorganisationen nicht über einen gemeinsamen Dachverband verfügten. Nach Gründung der verlangten Interessenvertretung (1998) legte Berlin neue Anforderungen nach. 1999 beklagte der "Bundesverband Polnischer Rat in Deutschland", ihm seien durch fragwürdige Finanzierungsauflagen der Berliner Behörden umfangreiche Gelder verloren gegangen. Zudem zeichne sich in der Kulturabteilung des Kanzleramts, die für die Förderung der polnischsprachigen Minderheit zuständig ist, selbst nach Einschaltung des polnischen Botschafters keinerlei Gesprächsbereitschaft ab. "Wir protestieren kategorisch", erklärte der Verband, ohne in der deutschen Öffentlichkeit Unterstützung zu finden.[2] Das damalige Kanzleramt wurde von Sozialdemokraten geleitet, die sich ihrer multikulturellen Offenheit rühmten.

Ins Leere laufen lassen

Die Lage habe sich in den vergangenen Jahren kaum verändert, heißt es beim "Bundesverband Polnischer Rat in Deutschland" gegenüber german-foreign-policy.com. Vertraglich garantierte Rechte würden nur selektiv erfüllt, staatliche Apparate ließen die Minderheitenvertreter ins Leere laufen. So verweist etwa im Falle des fehlenden muttersprachlichen Unterrichts die Kulturabteilung im Kanzleramt auf ihre Unzuständigkeit, während die Bundesländer Finanzmangel geltend machen. Bis heute finde er in den Berliner Behörden keinen direkten Ansprechpartner, teilt der "Bundesverband" mit: "Wir stoßen immer wieder auf eine Wand."

Heimatboden

Die deutsche Regierung erklärt ihr Verhalten mit Hinweisen auf den deutschen Minderheitenbegriff, der die Bindung an einen blutlich definierten "Heimatboden" zum tragenden Element rechtlicher Sonderstellung macht. Demnach kommt der Status als "nationale Minderheit" nur einer Bevölkerungsgruppe zu, die eine "traditionelle" Bindung an das von ihr bewohnte Gebiet glaubhaft machen kann. Trotz pseudo-wissenschaftlicher Definitionen ("autochthone Minderheit") bleibt willkürlich, was unter traditionellen Bindungen zu verstehen ist und über welchen Zeitraum welche Personen ständig in einem ehemaligen Gaststaat gelebt haben müssen, um als "autochthon" zu gelten. Diese Unschärfe lässt den politischen Charakter der deutschen Minderheitenpolitik erkennen, die mit tribalen Elementen arbeitet ("Deutscher ist, wer von Deutschen abstammt") und sich auf Blutsverwandtschaft mittelalterlicher Prägung bezieht. Da die Mehrheit der heute in Deutschland lebenden Staatsbürger polnischer Herkunft und Sprache ihre Traditionen bis höchstens ins 19. Jahrhundert zurückführt, gilt sie als bodenfremd und nicht schutzberechtigt. Ähnliche Kriterien legen die deutschen Behörden bei den Arbeitsmigranten des 20. Jahrhunderts an, wodurch es gelingt, der nach Millionen zählenden türkischsprachigen Bevölkerung in der heutigen Bundesrepublik jedwede Minderheitenrechte zu verwehren ("nicht autochthon").

Willfährig

Nach deutscher Blutsdefinition übrig bleiben Personengruppen, die infolge von Grenzverschiebungen zu Staatsbürgern einer fremden Macht geworden sind und des besonderen Schutzes ihrer ehemaligen Heimat bedürfen. Idealerweise treffen diese Merkmale auf das "Deutschtum" in den verlorenen Territorialgebieten des Kaiserreiches und des NS-Staates zu, nicht jedoch auf in Deutschland lebende Bevölkerungsgruppen ähnlicher Herkunft. Damit verfügt die deutsche Außenpolitik in fast sämtlichen Staaten Ost- und Südosteuropas über die ihr gefälligen "nationalen Minderheiten" auf "traditionellem" Siedlungsgebiet und kann sie nach Bedarf instrumentalisieren [3] - auch in Polen. Die Durchsetzung der deutschen Minderheitendefinition im strittigen Nachbarschaftsvertrag mit Polen gelang 1991 und damit zum Zeitpunkt einer besonders willfährigen Phase der Warschauer Außenpolitik.

Ostgebiete

Inzwischen hat sich auch Warschau deutsche Schutzvorstellungen zueigen gemacht und setzt seinerseits eine "nationale Minderheit" ein - in Belarus, dessen Westgebiete vor dem Zweiten Weltkrieg Teil des polnischen Territoriums waren. In den vergangenen Jahren erwies sich die dortige polnischsprachige Bevölkerung bei Versuchen, die Regierung Lukaschenko zu schwächen, als hilfreich.[4] Wie es in Berlin heißt, werde Warschau diese Option nicht fallen lassen und bei der auswärtigen Einflussarbeit in Belarus auch in Zukunft seine "nationale" Minderheit benutzen; mit einer ernsthaften Abwehr gegen die deutsche Minderheitenpolitik sei daher nicht zu rechnen.

Hohe Frequenz

Die ungleiche Ausgangslage bei ähnlichen Zielsetzungen kommt der deutschsprachigen Minderheit in Polen zugute. Unabhängig vom jeweiligen Wahlergebnis entsendet sie Abgeordnete in das polnische Parlament. Ähnliche Privilegien werden keiner der in Deutschland lebenden Minoritäten eingeräumt. Die derzeitigen Parlamentarier der deutschsprachigen Minderheit im Sejm, Heinrich Kroll und Ryszard Galla, halten engen Kontakt nach Deutschland, unter anderem zu den "Vertriebenen"-Verbänden, und reisen nicht selten zu politischen Gesprächen nach Berlin. Zuletzt hielten sich diese polnischen Staatsbürger im März in der deutschen Hauptstadt auf und konferierten dort mit der "Gruppe der Vertriebenen, Flüchtlinge und Aussiedler" der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Auch die Bundeskanzlerin lässt sich die Sorgen der deutschsprachigen Parlamentarier angelegen sein - in auffällig hoher Frequenz. Kroll und Galla wurden schon zum zweiten Mal von Frau Merkel empfangen. Derweilen warten die Repräsentanten des Polnischen Rats in Deutschland noch immer auf behördliches Gehör - ohne Ansprechpartner.

[1] Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit vom 17. Juni 1991
[2] Konwent organizacji Polskich w Niemczech; www.polonia.org
[3] s. dazu Gen-Deutsche und Modernes Deutschlandbild
[4] s. dazu Frontalzusammenstoß

http://www.german-foreign-policy.com

Online-Flyer Nr. 62  vom 19.09.2006

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