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Wirtschaft und Umwelt
Die Stifter der "Bewegungsstiftung" unterstützen "Bewegungsarbeiter"
Papa ist Castor-Gegner von Beruf
Von Ulla Lessmann
"47 Quadratmeter im Hinterhaus für Zwei" lacht sie auf die Frage nach ihren Wohnverhältnissen. Ein 400-Euro-Job und ein Lehrauftrag, davon lebt die reiche Erbin derzeit. An der Universität darf von ihrem Hintergrund "niemand wissen, dann hat man keine Chance auf eine wissenschaftliche Karriere". Und die soll es werden. Denn Susanne S., sehr klar in Gestik und Ausdruck, weiß genau, was sie will: Mit dem geerbten Unternehmensanteil, der ihr mit 25 überschrieben wurde, etwas bewegen und beeinflussen, was ihr politisch und sozial wichtig ist. Deshalb hat sie mit neun anderen Menschen im März 2002 und 240.000 Euro Gründungskapital die "Bewegungsstiftung" gegründet. Eine Stiftung, die soziale, ökologische, basisdemokratische Projekte, Kampagnen, Netzwerke und Initiativen unterstützt, die anderswo keine Finanzierung bekommen.
Die Geldanlagen der "Bewegungsstiftung" sind der Stiftungspolitik gemäß ausschließlich ethisch und ökologisch unbedenklich. Für Susannes Engagement war entscheidend: "Ich will persönlich involviert sein in die Dinge, die ich finanziere und in dieser Stiftung bestimmen die Stifter über die Mittelvergabe mit." Ab 5000 Euro sind Stifter/innen stimmberechtigt, 58 stimmberechtigte Stifter/innen gibt es derzeit. Für 2007 sind 5 Millionen Stiftungskapital als Ziel ausgegeben, dann wären jährlich 100.000 Euro aus der Rendite zu verteilen. Die Aktivisten/innen der sozialen Bewegungen sind über die Versammlung der geförderten Projekte im Stiftungsrat vertreten. Susanne S., die "hier und da auch kleinere Beträge woanders spendet", engagierte sich als Jugendliche im interkulturellen Jugendaustausch und antirassistischen Initiativen, dieses Interesse ist geblieben, beispielsweise für Projekte wie die Flüchtlingskarawane "No Lager", die sich gegen die Residenzpflicht, gegen Essensgutscheine, gegen die Politik der Lager richtet und für die Selbstorganisation von Flüchtlingen eintritt.
In der Familie der Stifterin war "Geld kein Thema. Wir trugen Secondhand-Klamotten und hatten Möbel vom Sperrmüll, es war eine eher konsumfeindliche Athmosphäre". Bis vor sechs Jahren hat sie kaum gewußt, dass so viel Geld auf sie zukommt, die Eltern haben das Studium "im normalen Rahmen" finanziert, sie hat hinzu verdient als studentische Hilfskraft. Als es dann um Geldanlagen ging, hat der Bruder mit seinem Interesse an ökologischem und ethischem Investment geholfen, dass sie sich Gedanken machte: Was will ich mit dem Geld, was kann ich durchsetzen. Das Erbe der jungen Frau, das sie sich mit etlichen Familienmitgliedern, darunter zwei Schwestern und einem Bruder, teilt, stammt aus einer Chemiefabrik, die der Großvater in den 30er Jahren gründete. Die Historikerin ist aktiv in der Firmenpolitik, fühlt sich "den Arbeitnehmern verpflichtet", ist Sprecherin der "dritten Generation" der Erben/innen, berät den Vater, "es gibt die ungeschriebene Regel, dass ich bei Entscheidungen kontaktiert werde". Die Eltern waren politisch aktiv. Das Kind hat im Buggy mit ihnen in Gorleben protestiert, erinnert sich vage an Wasserwerfer, jedenfalls an die Wut des Vaters. Aber: "Ökologie und Anti-Atomkraft sind nicht mehr mein Thema. Aktionen sind nicht mein Ding", sagt sie, "mein Zugang ist Aufklärung und Bildungsarbeit."
Von Beruf Castor-Gegner - das wäre kein Leben für die Stifterin, das ist es aber für den "Bewegungsarbeiter" Jochen Stay. Jedenfalls hat seine jüngste Tochter neulich so die Frage nach dem Beruf des Vaters beantwortet. Der 40jährige ist "Bewegungsarbeiter" in der "Bewegungsstiftung", noch etwas Besonderes in diesem Projekt, das Susanne S. mit erfunden hat. Ein Mensch wie Jochen Stay, der sich nahezu lebenslang in ökologischen und pazifistischen Netzwerken bewegt und keinem anderen Beruf nachgeht, braucht Geld zum Leben. Das "Bewegungsarbeiterprojekt", das zur Zeit sechs Menschen wie Jochen Stay finanziert, funktioniert so: Stifter/innen überweisen als Paten/innen einen monatlichen Betrag an die Stiftung, die wiederum das Geld an die "Bewegungsarbeiter" weitergibt.
Jochen Stay wird noch von Freunden unterstützt, seit einem Jahr arbeitet er zusätzlich ein paar Stunden wöchentlich in der Stiftung und berät die geförderten Projekte. Er wohnt mit Frau und zwei Töchtern im Wendland, auch seine politische Heimat, denn dem Protest gegen die Nutzung der Atomkraft gilt seit langem hauptsächlich sein aktiver Widerstand, bis heute ist die Organisation zivilen Ungehorsams gegen die Castor-Transporte sein Lebensmittelpunkt. Seit zehn Jahren ist er Sprecher der Anti-Atom-Kampagne "X-tausendmal quer" gegen die Atommüll-Transporte nach Gorleben, mit Robin Wood und attac hat er gearbeitet, in Gruppen für die Solidarität für Nicaragua oder Südafrika mitgemacht, zwei Jahre in der "Pressehütte" vor den Toren des Pershing-Atomraketen-Depots in Mutlangen gelebt. "Mutlangen war entscheidend." Aber für ihn keine Niederlage: "Die Räumung einer Blockade macht den Konflikt sichtbar, sie ist einfach ein Teil der Auseinandersetzung. Die Blockade sagt: Hier bin ich und ich weiß, warum." Er kann mit Hilfe dieses ruhigen, selbstgewissen Trotzes und jahrelangen Trainings auch gut mit Resignation umgehen.
"Ich freue mich ganz oft, wenn es gelingt, Menschen zu begeistern, wenn sich Jemand engagiert, sich bewegt, wenigstens den Versuch unternimmt, zu protestieren, das ist immer schön." Dieses Gefühl hat sich entwickelt. "Mit 15 war ich überzeugt, die Welt stehe unmittelbar vor einem Atomkrieg und wollte sie retten. Dieser Alarmismus ist vorbei, ich bin etwas entspannter." Der "Bewegungsarbeiter" Stay konzentriert sich darauf, anderen, seine Kompetenz und Erfahrung mit Aktionen zivilen Ungehorsams, mit Kampagnen und Vernetzungen weiterzugeben, er berät, er organisiert, er schaut, wo er gebraucht und gefragt wird und ist immer mittendrin. Er wird oft eingeladen, beispielsweise zu den Vorbereitungstreffen gegen den G-8-Gipfel im nächsten Sommer in Heiligendamm. Oder er berät zunehmend Gentechnikgegner bei ihren Aktionen und Kampagnen. Der "Bewegungsarbeiter" lebt und arbeitet für Bewegungen und von Menschen, die wollen, dass er davon leben kann.
Susanne S. hat, obwohl ihre bescheidene studentische Lebensführung so wirkt, ihr Vermögen keineswegs vollständig gestiftet. "Es gibt mein Bedürfnis nach Sicherheit." Ein einjähriger Lateinamerikaaufenthalt nach dem Abitur war nur der erste von vielen Reisen, die sich Jemand mit Bafög oder Promotionsstipendium nicht leisten kann. Die Liebe zu Afrika und Lateinamerika kostet Geld, vor Ort allerdings wohnt sie mit ihrem Lebensgefährten nicht im Luxushotel, sondern im Zelt oder im Stall.
Infos: www.bewegungsstiftung.de
*Name von der Autorin geändert
Online-Flyer Nr. 61 vom 12.09.2006
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Wirtschaft und Umwelt
Die Stifter der "Bewegungsstiftung" unterstützen "Bewegungsarbeiter"
Papa ist Castor-Gegner von Beruf
Von Ulla Lessmann
"47 Quadratmeter im Hinterhaus für Zwei" lacht sie auf die Frage nach ihren Wohnverhältnissen. Ein 400-Euro-Job und ein Lehrauftrag, davon lebt die reiche Erbin derzeit. An der Universität darf von ihrem Hintergrund "niemand wissen, dann hat man keine Chance auf eine wissenschaftliche Karriere". Und die soll es werden. Denn Susanne S., sehr klar in Gestik und Ausdruck, weiß genau, was sie will: Mit dem geerbten Unternehmensanteil, der ihr mit 25 überschrieben wurde, etwas bewegen und beeinflussen, was ihr politisch und sozial wichtig ist. Deshalb hat sie mit neun anderen Menschen im März 2002 und 240.000 Euro Gründungskapital die "Bewegungsstiftung" gegründet. Eine Stiftung, die soziale, ökologische, basisdemokratische Projekte, Kampagnen, Netzwerke und Initiativen unterstützt, die anderswo keine Finanzierung bekommen.
Die Geldanlagen der "Bewegungsstiftung" sind der Stiftungspolitik gemäß ausschließlich ethisch und ökologisch unbedenklich. Für Susannes Engagement war entscheidend: "Ich will persönlich involviert sein in die Dinge, die ich finanziere und in dieser Stiftung bestimmen die Stifter über die Mittelvergabe mit." Ab 5000 Euro sind Stifter/innen stimmberechtigt, 58 stimmberechtigte Stifter/innen gibt es derzeit. Für 2007 sind 5 Millionen Stiftungskapital als Ziel ausgegeben, dann wären jährlich 100.000 Euro aus der Rendite zu verteilen. Die Aktivisten/innen der sozialen Bewegungen sind über die Versammlung der geförderten Projekte im Stiftungsrat vertreten. Susanne S., die "hier und da auch kleinere Beträge woanders spendet", engagierte sich als Jugendliche im interkulturellen Jugendaustausch und antirassistischen Initiativen, dieses Interesse ist geblieben, beispielsweise für Projekte wie die Flüchtlingskarawane "No Lager", die sich gegen die Residenzpflicht, gegen Essensgutscheine, gegen die Politik der Lager richtet und für die Selbstorganisation von Flüchtlingen eintritt.
In der Familie der Stifterin war "Geld kein Thema. Wir trugen Secondhand-Klamotten und hatten Möbel vom Sperrmüll, es war eine eher konsumfeindliche Athmosphäre". Bis vor sechs Jahren hat sie kaum gewußt, dass so viel Geld auf sie zukommt, die Eltern haben das Studium "im normalen Rahmen" finanziert, sie hat hinzu verdient als studentische Hilfskraft. Als es dann um Geldanlagen ging, hat der Bruder mit seinem Interesse an ökologischem und ethischem Investment geholfen, dass sie sich Gedanken machte: Was will ich mit dem Geld, was kann ich durchsetzen. Das Erbe der jungen Frau, das sie sich mit etlichen Familienmitgliedern, darunter zwei Schwestern und einem Bruder, teilt, stammt aus einer Chemiefabrik, die der Großvater in den 30er Jahren gründete. Die Historikerin ist aktiv in der Firmenpolitik, fühlt sich "den Arbeitnehmern verpflichtet", ist Sprecherin der "dritten Generation" der Erben/innen, berät den Vater, "es gibt die ungeschriebene Regel, dass ich bei Entscheidungen kontaktiert werde". Die Eltern waren politisch aktiv. Das Kind hat im Buggy mit ihnen in Gorleben protestiert, erinnert sich vage an Wasserwerfer, jedenfalls an die Wut des Vaters. Aber: "Ökologie und Anti-Atomkraft sind nicht mehr mein Thema. Aktionen sind nicht mein Ding", sagt sie, "mein Zugang ist Aufklärung und Bildungsarbeit."
Von Beruf Castor-Gegner - das wäre kein Leben für die Stifterin, das ist es aber für den "Bewegungsarbeiter" Jochen Stay. Jedenfalls hat seine jüngste Tochter neulich so die Frage nach dem Beruf des Vaters beantwortet. Der 40jährige ist "Bewegungsarbeiter" in der "Bewegungsstiftung", noch etwas Besonderes in diesem Projekt, das Susanne S. mit erfunden hat. Ein Mensch wie Jochen Stay, der sich nahezu lebenslang in ökologischen und pazifistischen Netzwerken bewegt und keinem anderen Beruf nachgeht, braucht Geld zum Leben. Das "Bewegungsarbeiterprojekt", das zur Zeit sechs Menschen wie Jochen Stay finanziert, funktioniert so: Stifter/innen überweisen als Paten/innen einen monatlichen Betrag an die Stiftung, die wiederum das Geld an die "Bewegungsarbeiter" weitergibt.
Jochen Stay wird noch von Freunden unterstützt, seit einem Jahr arbeitet er zusätzlich ein paar Stunden wöchentlich in der Stiftung und berät die geförderten Projekte. Er wohnt mit Frau und zwei Töchtern im Wendland, auch seine politische Heimat, denn dem Protest gegen die Nutzung der Atomkraft gilt seit langem hauptsächlich sein aktiver Widerstand, bis heute ist die Organisation zivilen Ungehorsams gegen die Castor-Transporte sein Lebensmittelpunkt. Seit zehn Jahren ist er Sprecher der Anti-Atom-Kampagne "X-tausendmal quer" gegen die Atommüll-Transporte nach Gorleben, mit Robin Wood und attac hat er gearbeitet, in Gruppen für die Solidarität für Nicaragua oder Südafrika mitgemacht, zwei Jahre in der "Pressehütte" vor den Toren des Pershing-Atomraketen-Depots in Mutlangen gelebt. "Mutlangen war entscheidend." Aber für ihn keine Niederlage: "Die Räumung einer Blockade macht den Konflikt sichtbar, sie ist einfach ein Teil der Auseinandersetzung. Die Blockade sagt: Hier bin ich und ich weiß, warum." Er kann mit Hilfe dieses ruhigen, selbstgewissen Trotzes und jahrelangen Trainings auch gut mit Resignation umgehen.
"Ich freue mich ganz oft, wenn es gelingt, Menschen zu begeistern, wenn sich Jemand engagiert, sich bewegt, wenigstens den Versuch unternimmt, zu protestieren, das ist immer schön." Dieses Gefühl hat sich entwickelt. "Mit 15 war ich überzeugt, die Welt stehe unmittelbar vor einem Atomkrieg und wollte sie retten. Dieser Alarmismus ist vorbei, ich bin etwas entspannter." Der "Bewegungsarbeiter" Stay konzentriert sich darauf, anderen, seine Kompetenz und Erfahrung mit Aktionen zivilen Ungehorsams, mit Kampagnen und Vernetzungen weiterzugeben, er berät, er organisiert, er schaut, wo er gebraucht und gefragt wird und ist immer mittendrin. Er wird oft eingeladen, beispielsweise zu den Vorbereitungstreffen gegen den G-8-Gipfel im nächsten Sommer in Heiligendamm. Oder er berät zunehmend Gentechnikgegner bei ihren Aktionen und Kampagnen. Der "Bewegungsarbeiter" lebt und arbeitet für Bewegungen und von Menschen, die wollen, dass er davon leben kann.
Susanne S. hat, obwohl ihre bescheidene studentische Lebensführung so wirkt, ihr Vermögen keineswegs vollständig gestiftet. "Es gibt mein Bedürfnis nach Sicherheit." Ein einjähriger Lateinamerikaaufenthalt nach dem Abitur war nur der erste von vielen Reisen, die sich Jemand mit Bafög oder Promotionsstipendium nicht leisten kann. Die Liebe zu Afrika und Lateinamerika kostet Geld, vor Ort allerdings wohnt sie mit ihrem Lebensgefährten nicht im Luxushotel, sondern im Zelt oder im Stall.
Infos: www.bewegungsstiftung.de
*Name von der Autorin geändert
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