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Aktueller Online-Flyer vom 24. April 2024  

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Inland
Warum Fremdenfeindlichkeit und Rassismus geschürt werden
Zur Kriminalisierung der "Illegalen" 
Von Klaus Jünschke

Die extreme globale Ungleichverteilung materieller und sozialer Ressourcen hat Menschen in Bewegung gesetzt, die selbst die Todesgefahr nicht scheuen, um in einem der reichen Staaten Arbeit und Einkommen zu finden. Diese Staaten reagieren in der Regel mehr mit Repression als mit Integration. Wer die Auseinandersetzung mit dieser Repression nicht scheut, kann lernen, wie Fremdenfeindlichkeit und Rassismus geschürt werden.

Zum Begriff des "Illegalen"

Menschen, die ohne staatliche Erlaubnis in die Bundesrepublik einreisen oder in Deutschland ihren Aufenthaltsstatus verloren haben, werden als "Illegale" bezeichnet.  Ihr bloßer Aufenthalt stellt schon einen Rechtsbruch dar. In Frankreich heißen sie "sans papiers", in Spanien "sin papeles". In Deutschland hat sich das Synonym "Papierlose" nicht durchsetzen können.  Auch nicht der Vorschlag von Frank Düvell, statt von "illegaler Migration" von "irregulärer Migration" zu sprechen, da damit weniger auf Ungesetzlichkeit und Kriminalität verwiesen würde: "Das Konzept "illegale Migration" wird häufig mit Flüchtlingen und Asylsuchenden gleichgesetzt, beziehungsweise verwechselt. Zudem ist der Begriff hochgradig politisch aufgeladen und ideologisiert und hat eine stigmatisierende Funktion." (Frank Düvell)

Zur Geschichte

Im 16. Jahrhundert entstanden die Personalpapiere, um Kontrolle über die Bettler zu gewinnen. 1527 in der Schweiz, 1528 in Spanien, aber auch anderswo bestimmten Erlasse, dass nur registrierte Arme um Almosen bitten dürfen. Dabei ging es um den Aufenthalt in Städten.  Staats- und Landesgrenzen wurden erst Jahrhunderte später bedeutsam, als es um die zwischenstaatliche Koordination der Verteilung und Zuweisung von Armen, Heimatlosen und Vagabunden ging. In Preußen beispielsweise wurden 1813 Pässe ausgegeben. Für viele Staaten  wurden damals erstmals allgemeine, völkerrechtserhebliche Angehörigkeitskriterien entwickelt. Dies geschieht nach dem Ende der napoleonischen Ära  und verstärkt in den 20er Jahren. 

Aber vor  den 1930er Jahren sprach man nicht von "illegaler Migration", stattdessen war von unerwünschter Migration oder von lästigen AusländerInnen die Rede. Erstmalig lässt sich die systematische Verwendung des Begriffs "illegale Migration"  für die jüdische Einwanderung nach Palästina durch die britische Regierung nachweisen.

Da bei der Anwerbung von "Gastarbeitern" seit Dezember 1955 nicht jede/r genommen wurde, gab es gleichzeitig seither auch immer  Arbeiterinnen und Arbeiter ohne Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis. Da Arbeitskräftemangel bestand, wurde das jedoch nicht problematisiert. In der Bundesrepublik wurde die "illegalen Migration"  erstmals in den 1970er Jahren öffentlich thematisiert, und zwar zur Zeit der Einführung des Anwerbestopps von damals noch so genannten "Gastarbeitern". 

Seit der Verfassungsänderung von 1993 mit der das Grundrecht auf Asyl durch die Drittstaatenregelung praktisch  aufgehoben worden ist, spielt in der bundesdeutschen Innenpolitik das Thema der sog. "Illegalen" eine zunehmende Rolle in der Migrationssozialberatung der Kirchen und der Wohlfahrtsverbände. 1993 stellte der Bundesgrenzschutz über 50.000 unerlaubt eingereiste Personen fest.  In den folgenden Jahren stieg diese Zahl Jahr für Jahr. Trotzdem wurde das in der politischen Öffentlichkeit nicht thematisiert. Durch die Gründung und Aktionen von "kein mensch ist illegal", durch Erklärungen der Kirchen und Wohlfahrtsverbände, durch Proteste von Menschenrechtsorganisationen wie Pro Asyl und durch eine wachsende Zahl von Stadt-Studien und anderen Untersuchungen hat sich das inzwischen geändert. Aber die Solidarität mit den "Illegalen" ist in der Bundesrepublik immer noch so schwach, dass es nicht zu vergleichbar starken Selbstorganisationen der "Papierlosen" gekommen ist, wie z.B. in Frankreich.

Kein Mensch ist illegal
Foto: arbeiterfotografie.com


Die Regierung reagiert...

In der Erklärung der Bundesregierung zum sog. Integrationsgipfel am 14. 07. 2006 hieß es unmissverständlich unter der Zwischenüberschrift "Zuwanderung der Besten":
"Die Zuwanderung, insbesondere der Gastarbeiter in den fünfziger und sechziger
Jahren des letzten Jahrhunderts, war dadurch gekennzeichnet, dass in erster Linie
Menschen mit einem geringen Bildungsgrad nach Deutschland kamen, die überwiegend
einfache Tätigkeiten ausübten.
Viele Migrantinnen und Migranten sind in der Zwischenzeit zu Aufsteigern in
unserer Gesellschaft geworden. Andere sind vom Wandel am Arbeitsmarkt betroffen,
der mehr und mehr qualifizierte Arbeitskräfte verlangt. Dem muss neben der
Integrations- auch die Zuwanderungspolitik gerecht werden: Zuwanderung der Besten
und jedenfalls derjenigen, die für ihren Unterhalt sorgen können."

Damit auch wirklich nur "die Besten" kommen, wird die Abwehr aller anderen immer perfekter organisiert. In der Presseerklärung des Bundesinnenministeriums vom 17. Juli 2006 heißt es:
"Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, Dr. August Hanning, hat heute in Berlin das Gemeinsame Analyse- und Strategiezentrum illegale Migration (GASIM) vorgestellt. Das GASIM soll auf der Grundlage einer institutionalisierten Kooperation fachliche Kompetenzen aller beteiligten Behörden und Stellen bei der Bekämpfung der illegalen Migration bündeln."

Staatssekretär Dr. August Hanning: "Die illegale Migration mit ihren Auswirkungen auf die Kriminalitätslage, den Arbeitsmarkt und die Sozialsysteme in Deutschland ist eine der gegenwärtig größten Herausforderungen für unsere Gesellschaft. Sie muss umfassend und wirkungsvoll verhindert werden. Nur durch eine aufeinander abgestimmte Vorgehensweise aller betroffenen Behörden und Stellen ist dieses Ziel erreichbar. Das Gemeinsame Analyse- und Strategiezentrum
illegale Migration wird hierzu einen wichtigen Beitrag leisten... Die illegale Migration und die damit verbundene Kriminalität ist eine zentrale Herausforderung. Deutschland ist in beachtlichem Umfang von illegaler Migration betroffen. Die illegale Einreise nach Deutschland erfolgt auf vielfältige Weise, über die `grüne Grenze´, versteckt in verschiedenen Verkehrsmitteln sowie scheinlegal durch Beschaffung oder Fälschung der notwendigen Reisedokumente (Visa, Reisepässe)."

Kein Mensch ist illegal
Foto: arbeiterfotografie.com


...selbst wirtschaftlich ignorant

Die politische Ökonomie der irregulären Migration ist ein komplexes Feld voller empirisch nicht bewiesener Annahmen. So ist nicht verifiziert, dass die irreguläre Migration eine lohndrückerische Funktion habe. Tatsächlich überwiegen die positiven Auswirkungen auf die Wirtschaft. Was so bei Frank Düvell nachgelesen und von ihm belegt wird, fand sich auch am 10. 07. 2006 in einem Interview mit Mike Davis in der Süddeutschen Zeitung:"Europa errichtet eine Große Mauer, um Flüchtlinge abzuwehren. Amerika veranstaltet an der Grenze ein politisches Theater, aber jeder weiß, dass deren Hauptvorteil gerade in ihrer Durchlässigkeit liegt. Immigranten, legal oder illegal, bleiben der Motor der amerikanischen Wirtschaft. Und sie sind der Hauptgrund dafür, dass die USA als einziges der reichen Länder eine demographische Dynamik besitzen. Meine größte Angst ist, dass die humanen Errungenschaften der europäischen Sozialdemokratie durch eine irrationale und intolerante Politik gegenüber Immigranten und Muslimen gefährdet werden. Das `Bollwerk Europa´ schützt keine einzigartige Zivilisation oder einen großartigen Lebensstandard. Es ist, im Gegenteil, ein Rezept für den wirtschaftlichen und kulturellen Niedergang. Es gibt nicht zu viel Migration in der heutigen globalen Wirtschaft, sondern zu wenig."

Zahlen/Schätzungen

In fast jeder Veröffentlichung zum Thema "Illegale" findet man den Satz, dass Experten die Zahl der "Illegalen" in Deutschland auf rund eine Million schätzen. Manchmal liest man auch, dass es sich um 500.000 bis 1,5 Millionen oder von 100.000 bis eine Million Menschen handelt.  Tatsächlich gibt es keine seriösen Angaben. Schliesslich wollen die "Illegalen" auch unerkannt und unerfasst bleiben. 

Ein aktuelles Beispiel für den problematischen und interessegeleiteten Umgang mit Daten im Bereich der "illegalen Migration" hat die Fußballweltmeisterschaft geboten. Wie aus dem Nichts war von 40.000 Zwangsprostituierten die Rede, alle Medien haben darüber und von den vorgeblich notwendigen Kontrollen berichtet. Eine willkürliche Zahl, die nie belegt wurde.

Kein Mensch ist illegal
Foto: arbeiterfotografie.com


Kriminalität

Entsprechende Vorsicht ist geboten, wenn es um Zahlen und Statistiken im Zusammenhang mit Kriminalität geht. Das Verblüffende gerade hier ist, dass sich selbst in den Statistiken des Bundeskriminalamtes (BKA) keine Zahlen finden lassen, die den Alarmismus der deutschen Regierung belegen. Zu über 90% werden vom BKA den  als "illegale" Tatverdächtige aufgeführten Personen Straftaten gegen das Aufenthaltsgesetz und das Asylverfahrensgesetz vorgeworfen: Unerlaubte Einreise, Einschleusen, Erschleichen der Aufenthaltserlaubnis durch Scheinehe, mißbräuchliche Asylantragstellung und Straftaten wie die Missachtung der Beschränkung des Aufenthalts im Bezirk der zuständigen Ausländerbehörde und das Verbot der Erwerbstätigkeit. Das sind alles Delikte, die man - wie z.B. die frühere Strafbarkeit von Homosexualität -  entkriminalisieren könnte. Es sind Delikte ohne Opfer. 
   
Im Bereich der allgemeinen Straffälligkeit vom einfachen Diebstahl bis hin zu den Tötungsdelikten sind die "Illegalen" unterrepräsentiert. Sie bemühen sich,  wie niemand sonst,  nicht aufzufallen.

Wie die Kriminalisierung benutzt wird, um soziale Konflikte in Probleme der Überwachung und Kontrolle zu transformieren, um sie für ganz andere (Herrschafts-) Zwecke zu instrumentalisieren, lässt sich exemplarisch an der Figur des inzwischen zum Monster stilisierten "kriminellen Schleusers" zeigen.

"Schleusertum"

Fast jede/r von uns kennt in seinem Bekanntenkreis jemanden, der/die "Illegale" beschäftigt oder vermitteln kann - als Putzfrau, als Renovierer, als Pflegehilfe usw. Diese Nachfrage wird selten zumThema gemacht. Dagegen werden der Weg und die Hilfe, die die Migranten und Migrantinnen in Anspruch nehmen, um in ihr Zielland zu gelangen, skandalisiert.  "Kriminelle Schlepper" als Verkörperung der Organisierten Kriminalität, die sich an dem Elend der Menschen bereichern und deren Opfer eine ohnmächtige gesichtslose Masse darstellt, die mit falschen Versprechungen zur Reise geködert wurde, bestimmen das Bild. Diese - nicht nur den Strafverfolgungsbehörden eigene - Sicht (auch Hilfsorganisationen bedienen sich teilweise dieser Feindbild-Argumentation) vernachlässigt sowohl die Nachfrage und damit die Subjektseite der "geschleusten" Personen wie auch die historische Kontextualisierung des "Schleuser"-Begriffs.

Dass Personen für ihre irreguläre Migration auf professionelle (oder auch kommerzielle) Fluchthilfe angewiesen sind, wird mit der zunehmenden Schliessung der Grenzen immer notwendiger, da nicht die Gründe der Reise obsolet werden, sondern nur der Weg beschwerlicher und gefährlicher. Ob ein Dienstleister dafür in Anspruch genommen wird, hängt dabei stark vom Ausgangsland ab. Je weiter der Weg zum Zielland ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass Hilfe in Anspruch genommen werden muss. Um ein Beispiel zu nennen:  30.000 Doller kostete Ende der 90er Jahre das Einschleusen eines Chinesen von China in die USA. Die Dienstleistungsanbieter und ihre Geschäftspraktiken sind dabei so vielfältig wie jene in anderen Branchen auch. Mit dem Nachteil, dass die Illegalität der Unternehmung eine juristische Konfliktschlichtung bzw. ein Einklagen einer Leistung nicht zulässt.

Die Forschungs­gesellschaft Flucht und Migration (FFM), die sich für die Verwendung des Begriffs der "kommerziellen Fluchthilfe" anstelle der "Schleuser"-Terminologie ausspricht, betont die parallel zu praktizierende Sicht auf die Objekte der Reise als Subjekte - als Menschen, die aufgrund eigener (unterschiedlicher) Motivation den Weg in ein anderes Land suchen, allein, mit befreundeter oder kommerzieller Hilfe. Die im öffentlichen Diskurs ausbleibende historische Kontextu­alisierung dieser Thematik kann zudem aufzeigen, dass die Verachtung der Fluchthilfe, Schleuserunternehmung etc. eine neuartige Betrachtungsweise ist, die  im deutschsprachigen Raum erst seit Ende der 1980er Jahre auftaucht und dann  Eingang in die Strafgesetze gefunden hat. Vorher wurde einvernehmlich von Fluchthilfe gesprochen, war die Wanderungsbewegung unter Zuhilfenahme professioneller Hilfe legitim, z.B. zur Überwindung der Grenze der ehemaligen DDR. Selbst das heute kaum vorstellbare gerichtliche Einklagen des Preises für eine Schleusungsleistung war in der Ära des Kalten Krieges möglich.
 
Die wahre Mauer einreißen

Solange es in armen Ländern zwingende Gründe gibt, ein Familienmitglied zum Geldverdienen ins Ausland zu schicken und solange in den Metropolen der westlichen Welt eine Nachfrage nach rechtlich schutzlosen und deshalb billigen Arbeitskräften besteht, bleiben Kontroll- und Repressionsmaßnahmen wirkungslos.  Zuallerst wäre folglich  Öffentlichkeit darüber herzustellen, dass dieses Problem "illegale Migration" nicht repressiv gelöst werden kann, sondern geradezu die Probleme vermehrt - nicht nur für die MigrantInnen, sondern auch für die Demokratie.

Daher muss die Solidarität mit den "Illegalen" weiter reichen als bis zu den Mauern, die sie von Europa fernhalten sollen: "Die einzig echte Lösung ist, die wahre Mauer einzureißen, nämlich die sozioökonomische: das heißt die Gesellschaft verändern, so dass die Menschen nicht länger verzweifelt versuchen ihrer Welt zu entfliehen." (Slavoj Zizek)

Weitere Veröffentlichungen des Autors finden sich unter www.klausjuenschke.de

Lesen Sie zum Thema auch den Offenen Brief der hessischen Pfarrer an den Wiesbadener Innenminister Bouffier.


Online-Flyer Nr. 57  vom 15.08.2006

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