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Lokales
Nachlese - Betrachtungen - Aspekte - zum CSD in Köln
Fest der Toleranz
Von Elmar Klevers

Das jährliche Kölner Fest von Schwulen, Lesben, Bi-Sexuellen und Heteros hatte das Motto "100 % NRW nur mit uns". Es war ein friedliches, gewaltfreies und von großer Toleranz geprägtes Treffen von über 600.000 Menschen. Gewaltlosigkeit und traumhaft schöne und tolerante Begegnungen wie diese müssten eigentlich für die angstgeplagten Innen- und JustizpolitikerInnen unserer Scheindemokratie ein Beweis dafür sein, dass die Terrorismusgesetze nicht erweitert, sondern aufgehoben werden müßten.


Mehr als ein Drittel Heteros

Die LeserInnen werden sich fragen, wieso waren Heteros dabei und wie viele? Die Zahlen lassen sich nur schätzen. Sowohl bei den vielfältigen Kulturprogrammen als auch bei der Parade waren schätzungsweise ein Drittel bis 40 Prozent heterosexuelle Einzelpersonen, Paare und ganze Familien begeistert dabei. Schwule und Lesben dürften im Verhältnis zwei zu eins vertreten gewesen sein.

Viele schwule und lesbische RednerInnen bezeichneten Köln als "Insel der schwul-lesbischen Glückseligkeit" und betonten immer wieder, wie wohl sie sich hier fühlen. Ein Kompliment, das im Wesentlichen auf die Innenstadt zutrifft, während man in den Vororten eine solche Toleranz gegen Andere, Andersartige und selbst unter den sogenannten Deutschen nicht immer findet.

Anerkennung und Gleichberechtigung
 
Was am 27. Juni 1969 mit einer gewaltsamen Niederschlagung von Schwulen, Lesben, Bi-Sexuellen und Transgender in New York begann und damit die Unterdrückung ihrer Forderungen nach gleichen Rechten und deren staatliche und gesellschaftliche Anerkennung bewirken sollte, hat sich inzwischen weltweit zu einer machtvollen Bewegung entwickelt. Manchmal hat man zwar den Eindruck, dass das Fest, die Parade und der sich immer stärker entwickelnde Kommerz die Forderungen der schwul-lesbischen Bewegung in den Hintergrund treten lassen. Der Eindruck kann aber auch täuschen.

Im Gegensatz zu den braven Demonstrationen der Arbeiterbewegung mit vielen Fahnen und Transparenten tragen die Schwulen, Lesben und Bi-Sexuellen ihre Proteste einerseits schrill und krass, andererseits auf hohem künstlerischen Niveau auf ihren Körpern vor und bringen so ihre Forderungen, ihre Kritik an der Gesellschaft und ihre Verachtung der Intoleranz wirksam zum Ausdruck.


Foto: Rita Grünewald


Wenn man sich die Erfolge dieser Strategie in den 37 Jahren weltweit und besonders in diesem unserem ultra-konservativen Land vor Augen hält, dessen zugelassene Staatsbürger in ihren Ausweisen und Pässen als Staatsangehörigkeit "deutsch" stehen haben, dann ist man versucht, anderen gesellschaftlichen Gruppen zu empfehlen, über die Formen ihrer Protestdemonstrationen einmal nachzudenken - wenn man noch kann.

Warum verweigert diese Gesellschaft so vielen Menschen die Anerkennung ihrer Gleichwertigkeit und daraus abgeleitet ihrer Gleichberechtigung? Oder anders herum gefragt: Begründet sich diese gesellschaftliche Ablehnung auf dem Wort "deutsch" im Pass, auf religiösen Vorstellungen und ihren bürgerlichen Ausläufern?  Das Wort "deutsch" im Pass hatten die friedlich Feiernden sicher zu 98 Prozent auch. Es ist doch lächerlich und überheblich, Menschen nach ihrer sexuellen Orientierung zu beurteilen und dann nach religiösen, bürgerlichen und zumeist heuchlerischen "Auffassungen" zu verurteilen. Mir ist jedenfalls keine Religion bekannt, die nicht auf die eine oder  andere Weise ihren Gläubigen  mit ihren "Glaubenswahrheiten"  in die Hose greift und damit ihre Anhängerinnen unterdrückt und die männlichen Anhänger manipuliert. Hierfür gab es auch beim diesjährigen CSD ein anschauliches Beispiel. Das katholisch-lesbische Netzwerk musste - um überhaupt auftreten zu können - Unterschlupf  im Stand der evangelischen Schwulen und Lesben suchen.

Ethik und Freiheit

Eine Kölner Zeitung titelte ihren Artikel über die Vorbereitungsarbeiten zur CSD-Parade mit  der Zeile "Schweinerei mit Ansage". - Leider hält man es heute für notwendig, Überschriften reißerisch zu formulieren, um Aufmerksamkeit zu erreichen. Hinter dieser Überschrift steht aber gleichzeitig die christliche Moralvorstellung von der Verwerflichkeit des nackten menschlichen Körpers. Der nackte, wenig oder obszön bekleidete Körper lenkt nach christlicher "Glaubensweisheit" von der Vergeistigung des Menschen und dem treuen dreifaltigen Gottesdienen ab. Andererseits zeigt das christlichste aller christlichen Symbole, das Kreuz, einen nackten Männerkörper, dem dann im Laufe der Geschichte eine Schamschleife umgelegt wurde, damit niemand sehen konnte, ob er beschnitten, also jüdisch oder unbeschnitten, also römisch war. Dies war auch deshalb nötig, weil hin und wieder davon gesprochen wird, dass es eine oder mehrere Reliquien der "Vorhaut Jesu" geben soll. Und im Schöpfungsmärchen heißt es, dass Gott Adam und Eva im Paradies hergestellt und Leben eingehaucht hat. Von C&A war da keine Rede.

Also wäre doch der nackte Körper das Ursprünglichste, Vollendetste und Makelloseste. Logische Schlussfolgerung: Was Gott schuf, soll der Mensch nicht entehren oder unnötigerweise verhüllen. Trotzdem versuchen die Religionen mit allen Mitteln - zuletzt der Hitlerjunge Ratzinger auf dem katholischen "Weltfamilientag" in Spanien -, die Sexualität ihren Vergeistigungszielen zu unterwerfen und zu begrenzen: auf die Reproduktionsfähigen im Ehestand und zur Zeugung von Kindern, besonders  von männlichen als Kanonenfutter, von weiblichen als Sanitäterinnen  und Krankenschwestern an der Front, danach als Mütter an den Herden, zur Füllung der Kirchen und für die rechtgläubige Erziehung der Kinder.

Einer solchen Ethik setzt die CSD-Bewegung ihre freiheitliche Lebensauffassung entgegen, zeigt den Heteros, dass Sexualität ein Grundbedürfnis aller Lebewesen ist und daß mit ihrer lustvollen Ausübung ein freiheitliches und menschenwürdiges Leben auch anders möglich ist.

Sexualität in Freiheit und Gefahr

Die freiheitliche Andersartigkeit in der Sexualität der Schwulen, Lesben und Bi-Sexuellen wird von diesen nicht als Aufruf zur Zügellosigkeit verstanden. Die überwiegende Mehrheit lebt in Paar-Beziehungen, die genau so eng und durch gegenseitige Zuneigung geprägt sind wie die heterogener Ehepaare. Bei Trennungen gestalten sich die Begleitumstände genau so dramatisch wie bei der Scheidung von Heteros. Allerdings sind bei schwul-lesbischen Paar-Beziehungen Seitensprünge seltener als bei Ehepaaren. Deshalb trifft die Gefahr der Ansteckung mit Geschlechtskrankheiten wie AIDS, Syphilis, Schanker u.a. Paare weitaus weniger als ungebundene Homosexelle und Heteros.


Foto: Rita Grünewald


Wer bei Prof. Segal Biologie studiert hat, weiß das AIDS die Folge eines Fehlversuchs der US-Army ist, eine biologische Bombe zu bauen. Die Anwendung dieser Bombe sollte dort, wo sie eingesetzt worden wäre, das Immunsystem der Bevölkerung außer Funktion setzen. Tests mit Kriminellen brachten nach vier bis sechs Monaten keinen Erfolg, weil die Inkubationszeit mindestens ein Jahr dauert. Deshalb mussten die Testpersonen freigelassen werden. Sie verschwanden in ihren Slums und infizierten dort die Anderen. Von den USA aus verbreitete sich AIDS seit Anfang der achtziger Jahre explosionsartig über die Welt. Dass Millionen von Menschen seitdem elendiglich verrecken, haben die USA auch ohne den Einsatz der Bombe erreicht.

Durch die freiheitliche Sexualität ungebundener Homo- und Heterogener trifft diese AIDS besonders häufig. Organisationen der Schwulen, Lesben und Bi-Sexuellen arbeiten, auch im eigenen Interesse, vorbildlich mit staatlichen AIDS-Hilfen zusammen. Sie führen Beratungen für AIDS-Infizierte durch, helfen ihnen bei Unterbringung und Versorgung, begleiten sie bei Behördengängen, vermitteln Anwälte und gute Ärzte; sie begleiten diese Menschen bis zum Ende.

Die Forschung nach wirksameren AIDS-Medikamenten hat in den letzten Jahren Fortschritte gemacht. Dadurch müssen Infizierte oder Erkrankte bei einer Früherkennung nicht mehr zwangsläufig früh sterben. Das Fortschreiten der Krankheit kann gestoppt werden, aber ein Heilmittel ist noch nicht verfügbar.

Die oben angesprochenen Organisationen verfahren auch mit Behinderten in ihren Reihen vorbildlich. So werden bei Bühnenveranstaltungen Gehörlosen-Übersetzer eingesetzt, ein Service, den ich sonst noch nicht beobachtet habe.

Die schwul-lesbische Bewegung versteht sich als umfassende Lebens- und Kulturgemeinschaft mit Freizeitangeboten in Sport- und Spielvereinen, mit einer Versorgungskasse, mit Bildungseinrichtungen wie z. B. die Akademie Waldschlösschen, die 2006 ihr 25-jähriges Bestehen feiert.

Wegen der ständigen Verfolgung durch Religion und Staat (§ 175 StGB) und der daraus resultierenden Verachtung durch die Bevölkerung waren Schwule, Lesben und Bi-Sexuelle gezwungen, ihre eigenen Wohlfahrtsorganisationen zu etablieren.

Erinnert sei in diesem Zusammenhang daran, dass die Nazis trotz ihrer eigenen Schwulen wie Hitler, Röhm und andere, die Homosexuellen in die KZ´s gebracht haben. Sie waren keine kleine Gruppe, die mit dem rosa Winkel; sie waren Freiwild! Die wenigen überlebenden Schwulen wurden nicht entschädigt, sondern, kaum der Hölle der KZ´s entronnen, im Fegefeuer der "deutschen Demokratie" ab 1945 bis in die 80-ger Jahre mit dem § 175 StGB verfolgt und kriminalisiert. Leider wird der Opfer des Faschismus und der Demokratie von den heute Agierenden so gut wie nicht mehr gedacht. Es wäre durchaus eine Aufgabe, bei der CSD-Parade oder bei anderen Kulturveranstaltungen daran zu erinnern.

Alle vorgetragenen Gründe machen den CSD notwendig - auch um kleine Fortschritte wie eingetragene Lebenspartnerschaft u. a. zu sichern und weiter auszubauen.    

Kultur als Mittel zum Zweck
 
Die diesjährigen CSD-Veranstaltungen hielten sich gegenüber denen der Vorjahre in einem kleineren Rahmen. Vielleicht hatten die Veranstalter ja den Eindruck, nach der vierwöchigen WM-Fete sei die Luft aus den Geldbeuteln heraus oder die Lust aufs Feiern habe nachgelassen. Alles falsch: 600.000 Menschen plus X waren eine kulturhungrige, friedliche und aufnahmefähige Schar. Der Zuspruch an den drei Bühnen gestaltete sich an den Tagen drangvoll. Die dargebotenen Themen, Künstler, Musikgruppen und Redner erhielten starken Zuspruch von den Zuschauern. Auch für die Forderungen der schwul-lesbischen Bewegung an Politik und Gesellschaft gab es eine große Zustimmung.


Foto: Rita Grünewald


Bei der Parade am Sonntag zeigte sich, dass schwul-lesbischer Kommerz mehr und mehr Einfluss ausübt. Die sonst üblichen niedrigen Anhänger mit Traktoren, wo der Kontakt zwischen Gruppen und Zuschauern noch möglich war, mussten in diesem Jahr hohen, modernen Firmen-LKW´s mit hohen Bordwänden für deren Werbung weichen. Damit war der Abstand zwischen "oben" und "unten" unüberwindlich. Fußgruppen wurden zwischen den LKW-Riesen wie Freiwild gescheucht. Der Einsatz der Werbe-Fahrzeug-Kolosse beeinträchtigte das früher positive Klima am Paradeweg. Es wäre zu wünschen, wenn die Veranstalter daraus Konsequenzen zögen. Obwohl die Teilnehmerzahl auch diesmal wieder hoch eingeschätzt wurde, bleibt doch ein fahler Nachgeschmack.
 
Organisation
 
An vielen Stellen herrschte eine Diskrepanz zwischen Organisations-Gewaltigen und Standteilnehmern. Auch zeigte sich, dass Egoismen von Einzelgruppen trotz kleiner Fortschritte das Gesamtwohl gefährden. Dadurch besteht die Gefahr, dass das zerbrechliche Gebäude unterschiedlichster Interessen zum Einsturz gebracht werden könnte. Bezeichnend für die organisatorische Unfähigkeit war, dass die Akkreditierung der Journalisten wie eine geheime Staatsangelegenheit gehandhabt wurde und nach der Veranstaltung niemand zu einem Pressegespräch bereit war, weil der Pressesprecher irgendwo in der Südsee weilte. Erbärmlich!

Somit ...

Die Langzeitbeobachtung der Schwulen-, Lesben- und Bi-Sexuellen-Bewegung zeigt heute, dass die Geschlossenheit mit der früher kleine Erfolge erkämpft wurden, an den menschlichen Unzulänglichkeiten und Egoismen Einzelner zerbröselt und dass die Bewegung in der Auflösung begriffen ist. Das "Schulz" (Schwulen und Lesben Zentrum) am Karthäuser Wall 18 steht seit langem leer. Die Wohlfahrtskasse hat eine neue Anschrift. Die betroffenen Menschen sind noch da. Aber ...

Es bleibt abzuwarten und zu beobachten, wie sich der Erosionsprozess entwickelt, ob die erwähnten negativen Anzeichen einen Verfall dieser bedeutenden Bewegung signalisieren.

Die Folgen wären erheblich, weil die kleinen Erfolge dann durch die gesellschaftliche und politische Reaktion schnell wieder zunichte gemacht würden. Das aber würde einen Verlust an Freiheit und einen erheblichen Schaden für die Betroffenen bedeuten.

Dem CSD ist auch die aktuelle Fotogalerie gewidmet.  



Online-Flyer Nr. 55  vom 02.08.2006

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