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WANTED - Julian Assange, ein Leben
Folge 23: "FREIHEIT AUF KAUTION" (2011-2012)
Von Delphine Noels (Belgium4Assange) in Zusammenarbeit mit Marc Molitor, Pascale Vielle und Bogdan Zamfir - ins Deutsche übersetzt von Claudia Daseking

Ab Ende Oktober 2021 geht es in London wieder um den Antrag der USA auf Auslieferung von Wikileaks-Gründer Julian Assange. Am 27. Oktober 2021 wird das Berufungsgericht zum ersten Mal tagen. Die Zeit bis dahin begleitet die NRhZ mit einem CountDown von 34 Folgen über das Leben von Julian Assange. Sie wiederholt damit den Countdown von Belgium4Assange, der zum 4. Januar 2021 führte, als die britische Justiz ihr Urteil im Auslieferungsverfahren gegen Julian Assange in der ersten Instanz gesprochen hatte. Belgium4Assange schrieb dazu: "Was steht bei diesem Prozess auf dem Spiel? Inwiefern betrifft uns das persönlich? Schwierig, hierzu klare Vorstellungen zu haben, da so viele Falschmeldungen und Desinformationen kursieren... Tag für Tag zeichnen wir seinen Weg voller Überraschungen und Enthüllungen nach und richten den Blick auf die näheren Umstände einer der fundamentalsten Kämpfe unserer Zeit." (Auf der website pour.press auf Französisch nachzulesen). Hier jetzt Folge 23:


Julian Assange tauchte sofort unter, als Schweden am 18. November 2010 einen internationalen Haftbefehl erließ ... Er hatte Cablegate gestartet von dem Ort aus, wo er Zuflucht gefunden hatte. Er war so gestresst, dass er nicht mehr schlafen konnte: Einerseits brachte ihn Cablegate in den Rang eines Weltstars des Journalismus, andererseits stand sein Name in Interpols Akten und die Polizei suchte ihn. Anfang Dezember beschloss er, sich zu stellen und schlief laut seinen Mitarbeitern daraufhin sofort ein.

Am frühen Morgen des 7. Dezember 2010 geht Julian in Begleitung von Jennifer Robinson und Mark Stephens, seinen Anwälten, zu einer Londoner Polizeistation. Er wird verhaftet: Das Gericht soll am Nachmittag über sein Schicksal entscheiden. Julian und seine Anwälte sind zuversichtlich. Sie erwarten eine Entlassung auf Kaution und Julian hat noch nicht einmal seine Zahnbürste mitgenommen. Aber Richter Riddl entscheidet anders. Die Gefängnisentscheidung trifft ihn wie ein Hammerschlag ... und Julian wird im Gefängnis von Wandsworth eingesperrt.

In der Anhörung vom 16. Dezember bürgt Vaughan Smith, Freund von Julian, Gründer des Journalistenclubs "Frontline Club" und Nachkomme einer Reihe von Soldaten im Dienste der englischen Monarchie, für seine Freilassung gegen Kaution. Er bietet an, Julian auf seinem großen Anwesen in der Ellingham Hall Villa, 200 km nördlich von London, aufzunehmen. Weitere prominente Persönlichkeiten waren Ken Loach, Jemima Goldsmith und Julians unerschütterlicher Freund John Pilger. Sie würden zur Zahlung der Kaution in Höhe von 283.000 Euro beitragen. Nach 9 Tagen Haft wird er schließlich gegen Kaution freigelassen. Julian wird aus dem Gefängnis entlassen. In London schneite es an diesem Tag. Und als er sah, wie der Schnee fiel, beruhigte ihn das.

Julian wird also im Herrenhaus von Ellingham Hall aufgenommen, einem kleinen Schloss mit herrschaftlichen Möbeln, das zehn Schlafzimmer und einen Salon mit bequemen Sesseln beherbergt. Letzterer überblickt einen umgitterten Park, in dem eine blaue Zeder thront. Aber Julian ist es verboten, das Anwesen zu verlassen. Er muss eine elektronische Fußfessel tragen und eine Ausgangssperre einhalten. Jeden Tag zwischen 14 und 17 Uhr muss er sich bei der Polizeistation von Beccles melden. Dieser Hausarrest wird für Julian der Beginn langer Jahre des Freiheitsentzugs sein. Später wird die UN-Arbeitsgruppe für Willkürliche Inhaftierungen all diese Jahre als eben solche einstufen.

Die Anhörung zum schwedischen Auslieferungsersuchen findet am 7. Februar 2011 statt. Obwohl Julian befürchtet, dass die englischen Gerichte einer Auslieferung zustimmen werden - und dass Schweden der erste Schritt seiner Auslieferung an die Vereinigten Staaten sein wird – deuten doch viele Elemente in seinem Fall darauf hin, dass das Auslieferungsersuchen missbräuchlich und unverhältnismäßig ist. In der Tat muss die schwedische Justiz ihn nicht ausgeliefert bekommen, um ihn anzuhören: Ein einfacher Verhörantrag an die britische Justiz wäre ausreichend gewesen. Zumal Julian mehrmals angeboten hat, ein Videokonferenzinterview mit der schwedischen Staatsanwältin Marianne Ny zu organisieren - ein triviales Verfahren ... Doch die britische Justiz beschließt, ihn an Schweden auszuliefern. Es ist ein sehr schwerer Schlag für ihn.

Julian beschließt, mit starken Argumenten gegen diese Entscheidung Berufung einzulegen. Erstens scheint der europäische Haftbefehl nicht ordnungsgemäß ausgestellt worden zu sein - insbesondere ist Julian in Schweden noch nicht angeklagt worden. Dann stellen die ihm vorgeworfenen Tatsachen - insbesondere die berühmte "Vergewaltigung durch Überraschung" - keine Straftaten nach britischem Recht dar - eine notwendige Voraussetzung für die Verfügung der Auslieferung ... Und dann kann man argumentieren, dass ein Prozess in Schweden nicht fair wäre: Das Verfahren würde hinter verschlossenen Türen stattfinden - wie es bei Moralfällen in Schweden immer der Fall ist. Darüber hinaus wurde Julian bereits durch zweifelhafte Leaks aus der Staatsanwaltschaft und aus dem politischen Milieu an die Presse in seinem Ansehen beschmutzt. Schließlich glaubt die Verteidigung von Julian Assange, dass es ein "reales Risiko" gibt, dass der Gründer von Wikileaks nach seiner Auslieferung an Schweden in die USA geschickt wird, wo er eine sehr schwere Strafe, sogar die Todesstrafe, riskiert.

Bis zum Ausgang der Klage und für die Dauer von Julians Aufenthalt in der Villa veröffentlicht Wikileaks weiterhin Cablegate, das eine planetare Schockwelle verursacht (siehe die letzten Folgen von WANTED). Da er nicht mehr reisen kann, kreiert Julian eine politische TV-Show - eine Gelegenheit, Persönlichkeiten einzubeziehen, die ihn interessieren. "The World Tomorrow" ist eine Fernsehserie aus 26-minütigen Sendungen, in der bahnbrechende Ideen diskutiert werden, die die Welt verändern können. Unter den Gästen sind Noam Chomsky, der ecuadorianische Präsident Rafael Correa, der ehemalige Guantanamo-Gefangene Moazzam Begg, der Generalsekretär der Hisbollah, Hassan Nazrallah,… Google-Direktor Eric Schmidt wird die Initiative für ein „Gipfel“treffen im Herrenhaus ergreifen mit Julian Assange und Jared Cohen, dem Direktor von Google Ideas – dem Think Tank von Google- unter dem Vorwand eines Buches, das er gerade schreibt. Julian wiederum wird im Anschluss an dieses Interview ein Buch schreiben, in dem er die Absprachen zwischen Google und der US-Regierung ausführlich analysiert. Wir empfehlen Ihnen inständig, es zu lesen.

Am 2. November 2011 bestätigte der High Court in London die Auslieferung an Schweden. Kurz gesagt, die britische Justiz folgt im Wesentlichen dem Ersuchen der schwedischen Staatsanwaltschaft. Er akzeptiert die Definition der von Schweden vorgebrachten Straftaten. Er glaubt, dass sich Julian Assange trotz der von der Verteidigung vorgebrachten Beweise einer Befragung in Schweden entzogen hat. Es bestätigt die Argumente der schwedischen Staatsanwaltschaft: Auch wenn es nur darum geht, Julian Assange zu verhören, ist seine physische Anwesenheit notwendig. Und dann akzeptiert das Gericht das Argument der schwedischen Staatsanwältin, dass man, auch wenn keine formelle Anklage erhoben wurde, über eine Voruntersuchung hinaus und auf dem besten Weg zu einer Anklage sei. Schließlich ist die Berufungsinstanz der Ansicht, dass es Sache der schwedischen Gerichte ist, über die Rechtmäßigkeit zu entscheiden, da es ein schwedischer Richter war, der den europäischen Haftbefehl validiert hat. Das Gericht äußert sich nicht über Julians mögliche Auslieferung an die Vereinigten Staaten.

Julian und seine Anwälte reichen eine letzte Berufung ein - vor dem Obersten Gerichtshof. Dieser erklärt sich aus "Gründen des allgemeinen Interesses" damit einverstanden, die von den Anwälten von Julian Assange aufgeworfene Grundsatzfrage zu prüfen, ob ein europäischer Haftbefehl, der von einem Staatsanwalt im Namen des schwedischen Staates und nicht von einem neutralen und unabhängigen Richter ausgestellt ist, rechtmäßig ist. Anschließend wird das Vereinigte Königreich seine Gesetzgebung anpassen, um solche rechtlichen Unklarheiten zu vermeiden. Diese Berufung an den Obersten Gerichtshof stellt Julian Assanges letzte Chance dar, eine Auslieferung zu vermeiden ... Sein Schicksal hängt an einem Faden ...

Das war die 23. Episode von WANTED, der Serie, die Sie zur Herzkammer unserer Welt führt, um Ihnen ihre Geheimnisse zu enthüllen ... Morgen wird WikiLeaks mit einer der heikelsten Episoden in seiner Geschichte konfrontiert sein: die Organisation, die sich darauf spezialisiert hat Leaks zu schützen, wird selbst Opfer von Leaks…!


Quellen:

The most dangerous man in the world, Andrew Fowler, Skyhorse Publishing, 2011
The unauthorized autobiography, Julian Assange, Canongate Books Ltd, 2011.
WikiLeaks, la fin du secret, David Leigh, Luke Harding, 2011.

Zur Begegnung von Julian mit dem Präsidenten von Google:
https://wikileaks.org/google-is-not-what-it-seems/
PDF des Buches auf Englisch:
https://challengepower.info/_media/books/julian-assange-when-google-met-wikileaks.pdf
Transkription Gespräch Schmidt - Julian Assange:
https://www.wikileaks.org/Transcript-Meeting-Assange-Schmidt.html
Google contre WikiLeaks, Julian Assange, RING EDITION, 2018
http://archive.vn/gHMzq
Über die Zusammenarbeit von Google und der US-Regierung bei der Jagd auf WikiLeaks:
https://www.mediapart.fr/journal/international/270115/contre-wikileaks-google-collabore-avec-la-justice-americaine
Zur Sendung “The World Tomorrow”:
Interview mit Julian Assange zur Entstehung von « The World Tomorrow »
https://www.google.be/.../456280-julian-assange-rt-show/amp/
“The World Tomorrow”, Julian Assanges Show:
https://www.youtube.com/watch?v=i85fX9-sKYo
Link zu den Folgen von World Tomorrow:
https://worldtomorrow.wikileaks.org
Ein Artikel über Vaughan Smith: https://www.edp24.co.uk/news/crime/ellingham-hall-s-vaughan-smith-delighted-julian-assange-given-political-asylum-and-speaks-of-life-living-with-him-1-1486580
Zu den Palestine Papers:
https://www.leparisien.fr/international/tout-comprendre-aux-palestine-papers-07-11-2017-7379004.php


Link zu Folge 22: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27685


Siehe auch:

In einer Zeit, in der unter dem Deckmantel der Gesundheitsvorsorge eine ungeahnte digitale Überwachungsstruktur etabliert wird, fehlt WikiLeaks
Julian Assange: dem kommenden Überwachungsregime trotzen!
Von Erich Sturm
NRhZ 777 vom 22.09.2021
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27648

Online-Flyer Nr. 777  vom 14.10.2021



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