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WANTED - Julian Assange, ein Leben
Folge 20: CABLEGATE: DIE RACHE DER VEREINIGTEN STAATEN
Von Delphine Noels (Belgium4Assange) in Zusammenarbeit mit Marc Molitor, Pascale Vielle und Bogdan Zamfir - ins Deutsche übersetzt von Claudia Daseking

Ab Ende Oktober 2021 geht es in London wieder um den Antrag der USA auf Auslieferung von Wikileaks-Gründer Julian Assange. Am 27. Oktober 2021 wird das Berufungsgericht zum ersten Mal tagen. Die Zeit bis dahin begleitet die NRhZ mit einem CountDown von 34 Folgen über das Leben von Julian Assange. Sie wiederholt damit den Countdown von Belgium4Assange, der zum 4. Januar 2021 führte, als die britische Justiz ihr Urteil im Auslieferungsverfahren gegen Julian Assange in der ersten Instanz gesprochen hatte. Belgium4Assange schrieb dazu: "Was steht bei diesem Prozess auf dem Spiel? Inwiefern betrifft uns das persönlich? Schwierig, hierzu klare Vorstellungen zu haben, da so viele Falschmeldungen und Desinformationen kursieren... Tag für Tag zeichnen wir seinen Weg voller Überraschungen und Enthüllungen nach und richten den Blick auf die näheren Umstände einer der fundamentalsten Kämpfe unserer Zeit." (Auf der website pour.press auf Französisch nachzulesen). Hier jetzt Folge 20:


Kleine Erinnerung an Julian Assanges Standpunkt zum Journalismus und die Position der Vereinigten Staaten zur Pressefreiheit.

Für Julian sind Demokratie und Zugang zu Informationen untrennbar miteinander verbunden: „Man ist, was man weiß, und kein Staat hat das Recht, einen zu „reduzieren“, indem er einem Informationen vorenthält. Viele moderne Staaten vergessen, dass sie auf den Prinzipien der Aufklärung gegründet wurden, dass Wissen ein Garant für Freiheit und Demokratie ist. (...) … Aufzupassen, dass die Macht niemals absolut die Informationen kontrolliert, ist nichts anderes als auf die Demokratie aufzupassen. Es war einst das erste Prinzip des Journalismus in allen Ländern, in denen die Presse frei ist.“

Die Meinungsfreiheit - zu der auch die Pressefreiheit gehört - ist jedoch die Grundlage der amerikanischen Verfassung und Gegenstand ihres berühmten "Ersten Verfassungszusatz“ (First Amendment): "Der Kongress soll kein Gesetz erlassen, das eine Einrichtung einer Religion zum Gegenstand hat oder deren freie Ausübung beschränkt, oder eines, das Rede- und Pressefreiheit oder das Recht des Volkes, sich friedlich zu versammeln und an die Regierung eine Petition zur Abstellung von Missständen zu richten, einschränkt. “ Die Vereinigten Staaten erinnern gerne daran, dass „das First Amendment unsere Republik von allen anderen Ländern der Welt unterscheidet“. Also ... Wie werden die USA auf die Veröffentlichung von Cablegate reagieren?

Sie werden Julian Assange kriminalisieren. Nach dem "Blut an den Händen" (WANTED Folge 16) erscheinen neue Sprachregelungen: Julian ist jetzt derjenige, der "die Sicherheit des Staates gefährdet". Er wurde ein..."Terrorist". Hillary Clinton, damals Außenministerin, wird sagen: "Diese Enthüllung ist nicht nur ein Angriff auf die amerikanische Außenpolitik, sondern ein Angriff auf die internationale Gemeinschaft, Allianzen und Partnerschaften, Konventionen und Verhandlungen, die die globale Sicherheit gewährleisten und den wirtschaftlichen Wohlstand fördern." Joe Biden wird einen weiteren Schritt tun und Julian als "High-Tech-Terroristen" bezeichnen. Es wird zu seiner außergerichtlichen Ermordung aufgerufen. Wir erinnern uns an den Satz: "Können wir diesen Kerl nicht drohnen?" ausgesprochen von Hillary Clinton. Dieser Diskurs wird von vielen ausländischen Regierungen unterstützt. Beispielsweise erklärte der französische Regierungssprecher François Baroin, ein ehemaliger Journalist, schon am 29. November, dass, wenn eine Website wie Wikileaks in Frankreich auftauchen würde, der Staat unversöhnlich wäre und sie strafrechtlich verfolgen würde.

In der Praxis heißt das, sicherzustellen, dass "WikiLeaks so schnell wie möglich außer Gefecht gesetzt wird". Der Krieg wird an mehreren Fronten eröffnet:

"DNS" -Angriff: Am 28. November überlastet ein phänomenaler Computerangriff die Wikileaks-Site. Die Frequenz - 10 Gigabit pro Sekunde – weist auf einen Ursprung staatlicherseits hin.

Löschung des Wikileaks-Domain-Namens: Am 23. Dezember beendeten die Anbieter von WikiLeaks - ihr Host Amazon am 1.12.und ihr Domain-Name-Anbieter EveryDNS am 02.12. - auf Zuruf von US-Senator Joe Lieberman ihre Beziehung zur Organisation. WikiLeaks erholte sich am selben Tag, richtete einen neuen Domainnamen in der Schweiz ein (wikileaks.ch) und nahm die Dienste von Octopuce in Anspruch, einem kleinen Hosting-Unternehmen mit Sitz in Paris, das von Benjamen Sonntag, dem Mitbegründer von La Quadrature du Net geleitet wurde… WikiLeaks wird dank Spiegelseiten und der Solidarität von Tausenden von Internetnutzern aufrechterhalten.

Kündigung der Online-Bezahldienstleistungen: Paypal, Visa und Mastercard kündigen einseitig die Beziehungen zu WikiLeaks auf und gefährden damit das Überleben der Organisation. Doch selbst das für Finanzblockaden zuständige US-Finanzministerium erklärt, dass es keine Rechtsgrundlage dafür gibt. Von allen Seiten regnet es Verurteilungen: in den Medien, bei Menschenrechts-NGOs, bei den Vereinten Nationen – in Gestalt von Nancy Pillay, der UN-Berichterstatterin für Menschenrechte. "Wir wissen jetzt, dass Visa, Mastercard und PayPal Instrumente der amerikanischen Außenpolitik sind", sagte Julian Assange. Wikileaks wird 2011 die Europäische Kommission erfassen, die sich die Hände waschen wird. Schließlich wird 2013 die isländische Justiz, in der das Unternehmen Datacell ansässig ist und die das technische Management von Transfers gewährleistet, Wikileaks Recht geben. MasterCard und Visa heben die Blockade auf. Aber es ist viel zu spät, der Schaden ist angerichtet. "Wikileaks wurden mit einem Schlag 95% ihres Einkommens entzogen", sagte Kristinn Hrafnsson, Sprecher der Organisation. „Wir sind nie wieder auf das vorherige Spendenniveau zurückgekehrt. Die Spenden sind immer am höchsten, wenn wir die meisten Enthüllungen veröffentlichen, und das war Ende 2010 der Fall. "

Anordnung an Twitter - und vermutlich auch an Facebook und Google -, die Daten aller WikiLeaks-Mitglieder an die US-Administration zu liefern. ... Twitter warnt WikiLeaks.

Warum die USA ohne Scham das First Amendment verletzen

Belgium4Assange bietet Euch zwei Möglichkeiten zum Nachdenken an: Für Geoffroy de Lagasnerie "manifestiert sich in den heutigen Staaten die Souveränität (...) nicht mehr in der Anwendung des Gesetzes. Im Gegenteil, sie drückt sich im Moment ihrer Suspendierung aus. Der Staat macht seine Souveränität geltend, indem er sein Recht geltend macht, dem Gesetz nicht zu gehorchen."

Aber Julian stellt eine andere Hypothese auf. Für ihn ist das Storytelling um den Ersten Verfassungszusatz und die Meinungsfreiheit ein Stück Sprachregelung, das die Vereinigten Staaten während des Kalten Krieges brauchten, um sich von der UdSSR abzuheben. Da die Mauer gefallen ist und sie keine Rivalen mehr haben, ist dieses Bedürfnis nicht mehr zu spüren. Die Masken fallen...

Am 7. Dezember 2010 begibt sich Julian Assange zur Londoner Polizei, um einem Vorladungsgesuch im Schwedenfall nachzukommen. Sobald er eintrifft, wird er verhaftet und im Gefängnis Wandsworth eingesperrt. Es sei daran erinnert, dass dieser Haftbefehl unter regelwidrigen Bedingungen ausgestellt wurde, dass niemand eine Beschwerde eingereicht hat, dass Schweden nur im Rahmen einer Voruntersuchung um ein Verhör bittet und dass keine Anklage gegen Julian erhoben wird (Wanted Folge 17).

Dies ist das erste Mal, dass Julian seiner Freiheit beraubt wird. Er denkt damals, dass es vorübergehend ist. Und tatsächlich wird er nach 10 Tagen gegen Kaution freigelassen. Aber Kaution und Hausarrest sind keine Freiheit.. eine Freiheit, die er auch nach 10 Jahren nicht wiedererlangt hat.

Bitteschön, das war die 20. Folge von Wanted, der Serie, die Sie zur Herzkammer unserer Welt führt. Es war Julians Journalismus, der euch dorthin gebracht hat und Julian ist jetzt im Gefängnis und WikiLeaks in Aufruhr. Morgen werden wir die Solidarität mit WikiLeaks entdecken…

Als traurigen Bonus fügen wir heute diesen kleinen Text von Julian bei, der von seinem ersten Tag der Inhaftierung zeugt:

„Ich habe viel über Bradley (Chelsea) Manning nachgedacht, die in einem amerikanischen Gefängnis unter strengen Haftbedingungen leidet und zu Unrecht wegen mutmaßlichem Whistleblowing über einen illegalen Krieg verurteilt wurde. In meiner Zelle eingesperrt, dachte ich an sie. Dann kommt das Auf- und Abgehen. Wie ein Panther im Käfig musste ich ein Ventil für all diese Aktionen finden, die ich machen wollte und nicht mehr konnte. Ich ging in meiner Zelle auf und ab, plante, was zu tun war, und versuchte mich physiologisch an diesen kleinen Raum anzupassen. Alles war hässlich und schrecklich da drin, aber es würde ja nicht für lange sein (…) Das sagst du dir und du versuchst dich zu konzentrieren. In der Außenwelt haben meine Anwälte Überstunden geleistet, um mich hier rauszuholen. Und diese Welt schien mir Lichtjahre entfernt ... Ich fühlte dort wie nie zuvor am eigenen Leib die Bedeutung des Wortes Einsamkeit. (...) Mir wurde klar, dass das Schlimmste war, dass man keine Kommunikation mehr hatte. Und ich, der ich mein Leben der Kunst des Vernetzens gewidmet habe, sah plötzlich, wie schwierig es für mich sein würde, nicht zu hören und nicht gehört zu werden. Die Position von Wikileaks war besonders heikel: Wir waren in einen Kommunikationskrieg mit einer Reihe von Gegnern verwickelt, und dies waren Situationen, die Reaktionsfähigkeit und stündliche Entscheidungsfindung erforderten. (...) Als der Tag anbrach und das Licht an war, musste ich als erstes herausfinden, wie man Anrufe tätigt. Sie würden sicherlich Toleranz für einen Mann wie mich zeigen und mir Internetzugang geben… nein?… Ja, ich weiß, nicht sehr wahrscheinlich (…) meine Position war immer zu denken, dass das Unmögliche solange unmöglich ist, bis einem die Vorstellungskraft das Gegenteil beweist“.


Quellen:

WikiLeaks Files, The World according to US Empire » éditions VERSO, 2016
The most dangerous man in the world, Andrew Fowler, Skyhorse Publishing, 2011
The unauthorized autobiography, Julian Assange, Canongate Books Ltd, 2011.
L’utopie déchue, une contre-histoire d’Internet, Felix Treguer, Fayard.
Google contre WikiLeaks, Julian Assange, éd RING. 2018
https://francais.rt.com/international/60923-pour-hillary-clinton-julian-assange-doit-repondre-actes

Reaktionen in anderen Ländern:
https://en.wikipedia.org/wiki/Reactions_to_the_United_States_diplomatic_cables_leak
https://www.leparisien.fr/international/wikileaks-la-colere-de-washington-l-embarras-des-dirigeants-mis-en-cause-29-11-2010-1170909.php

Die Grand Jury:
https://shadowproof.com/tag/wikileaks-grand-jury/
En kleiner Moment von Hillary Clinton, den man nicht verpassen sollte:
https://twitter.com/thehill/status/1116537592793767941?ref_src=twsrc%5Etfw%7Ctwcamp%5Etweetembed%7Ctwterm%5E1116537592793767941%7Ctwgr%5E%7Ctwcon%5Es1_&ref_url=https%3A%2F%2Ffrancais.rt.com%2Finternational%2F60923-pour-hillary-clinton-julian-assange-doit-repondre-actes
Die Nachrichten, die Assange schickte für den Aufbau von Spiegelseiten:
http://cryptome.org/0003/wikileaks-gest.htm
Solidaritätssbrief für Julian, unterzeichnet von John Pilger, Terry Jones, Miriam Margolyes AL Kennedy:
https://www.theguardian.com/media/2010/dec/10/support-for-julian-assange-wikileaks
Joe Biden, Julian Assange, wie ein High-Tech-Terrorrist:
https://www.theguardian.com/media/2010/dec/19/assange-high-tech-terrorist-biden
Zur Erklärung von Sarah Palin, 4. Dezember
https://www.thenation.com/article/archive/sarah-palin-vs-julian-assange/
Sarah Palin/ Ernsthafte Fragen zur Inkompetenz der Obama-Administration im Wikileaks-Fiasco:
https://www.facebook.com/notes/sarah-palin/serious-questions-about-the-obama-administrations-incompetence-in-the-wikileaks-/465212788434
Enthüllungen zu Russland:
https://www.france24.com/fr/20101122-wikileaks-revelation-internet-assange-suede-enquete-viol-irak-afghanistan-russie-chine-liban
Die Inhaftierung von Julian:
https://www.theguardian.com/media/2010/dec/09/julian-assange-wikileaks-wandsworth-segregation
https://www.20minutes.fr/monde/635007-20101207-monde-wikileaks-julian-assange-passe-premiere-nuit-prison
Ein Artikel zum First Amendment:
https://journals.openedition.org/transatlantica/545


Link zu Folge 19: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27682

Link zu Folge 21: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27684


Siehe auch:

In einer Zeit, in der unter dem Deckmantel der Gesundheitsvorsorge eine ungeahnte digitale Überwachungsstruktur etabliert wird, fehlt WikiLeaks
Julian Assange: dem kommenden Überwachungsregime trotzen!
Von Erich Sturm
NRhZ 777 vom 22.09.2021
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27648

Online-Flyer Nr. 777  vom 11.10.2021



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