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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Kultur und Wissen
Das Bedeutungsfeld der Bezeichnung des Virus SARS-CoV-2
"Corona" und die Kanzlerkrönung
Von Rudolph Bauer

„Corona“ ist ein Wort aus dem Lateinischen. Es bedeutet Krone. Die Krone symbolisiert die besondere gesellschaftliche Stellung ihres Trägers, des Herrschers. Dieser gilt als jemand, der allen anderen Menschen, seinen Untertanen, überlegen ist. Er verfügt über Einfluss. Ihm allein steht die Macht zu, über Leben und Tod zu bestimmen. Bekanntlich hat der deutsche Kaiser und König von Preußen, Wilhelm II., „sein“ Reich fluchtartig verlassen, als die Matrosen, Soldaten und Arbeiter am Ende des Ersten Weltkriegs 1918 „von der Fahne gingen“. Sie wagten die Revolution, aus der dann mit Hilfe der Reichswehr-Freikorps und der Sozialdemokraten-Führer die parlamentarische Demokratie der Weimarer Republik herbei geputscht wurde, welche – noch befangen in der obrigkeitsstaatlichen Tradition – den NS-Faschisten 1933 nichts entgegen zu setzen wusste. Nach dem Zweiten Weltkrieg 1945 fand die parlamentarische Demokratie ihre Fortsetzung in den Westzonen – und die regierenden Kanzler des Bundes teilten sich ihre Macht mit den meist farblosen Präsidenten des Bundes.

Gegenwärtig ist der Zeitpunkt für die Abdankung der Kanzlerfigur Merkel gekommen. Jedenfalls hat die Amtsinhaberin mitgeteilt, dass sie nicht mehr kandidieren wird und für ihre Person keine neue Amtsperiode anstrebt. Spätestens bei der kommenden Bundeswahl 2021 steht also die Kanzler-Neuwahl an. Die SPD hat ihren Anwärter bereits benannt: den gegenwärtigen Vizekanzler und Nicht-Parteivorsitzenden Olaf Scholz. Bei den C-Parteien (CDU und CSU) ist die Kandidatur noch offen. Die CDU muss sich zunächst noch für einen Parteivorsitzenden als Nachfolger von Annegret Kramp-Karrenbauer entscheiden (eine Parteivorsitzende steht nicht zur Wahl). Dieser wird dann um die Krönung als Kanzlerkandidat gegen den CSU-Vorsitzenden und Bayern-Ministerpräsidenten Markus Söder antreten. Es wird wohl darauf hinauslaufen, dass der nordrhein-westfälische Ministerpräsident (im Tandem mit dem aktuellen Bundes-Gesundheitsminister Jens Spahn) gegen den Ministerpräsidenten aus Bayern um die Kandidaten- bzw. Kanzlerkrone konkurriert. Beide wetteifern jetzt schon um die Gunst der Wählenden, indem sie sich mit Maßnahmen gegen das Corona-Virus gegenseitig überbieten.

Das semantische Bedeutungsfeld von „Corona“

Durch die (wohl eher zufällige, aber vielsagende) Bezeichnung des Virus mit dem Wort „Corona“ wird ein besonderes semantisches Bedeutungsfeld eröffnet. Dieses ist nicht zuletzt im Zusammenhang der Kanzlerfrage höchst aufschlussreich. Es verweist sowohl in sozialhistorischer Hinsicht als auch in der soziologischen Theoriebildung auf eine Gesellschaftsformation und eine Herrschaftsform, die dem Kapitalismus und der parlamentarischen Demokratie im Geschichtsverlauf voraus gegangen sind: der Feudalismus und der Absolutismus.

In den 1960er Jahren untersuchte der Philosoph und Gesellschaftstheoretiker Jürgen Habermas den sozialen Strukturwandel der Öffentlichkeit und ihren politischen Funktionswandel seit der Herausbildung des Bürgertums im 19. Jahrhundert. Für den Zeitraum seit Mitte des 20. Jahrhunderts analysierte er eine gesamtgesellschaftliche Entwicklungstendenz, die er als „Refeudalisierung“ bezeichnet. Eine solche stehe insofern auf der Tagesordnung, „als mit der Verschränkung von öffentlichem und privatem Bereich nicht nur politische Instanzen gewisse Funktionen in der Sphäre des Warenverkehrs und der gesellschaftlichen Arbeit, sondern auch umgekehrt gesellschaftliche Mächte politische Funktionen übernehmen“ (Strukturwandel der Öffentlichkeit, 1962, 251 f.

Laut Sighard Neckel, Gesellschaftswissenschaftler an der Universität Frankfurt/Main, nahm Habermas in seiner Analyse Bezug auf die Privatisierung gesellschaftlicher Bereiche. In seiner Antrittsvorlesung am 12. 12. 2011 beim Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Goethe-Universität führte Neckel aus, Habermas habe erkannt, dass die (vormals bürgerliche) Öffentlichkeit zunehmend unter den Druck von Kommerzialisierung und politischer Legitimitätsbeschaffung geraten sei. Sie sei zum Instrument ökonomischer Verwertungsinteressen und politischer Beeinflussungsmedien geworden.

Als Folge davon hebe sich die für die bürgerliche Gesellschaft konstitutive Sphärentrennung zwischen staatlich-öffentlichen Angelegenheiten und privaten Interessen auf: Aufgaben der staatlichen und kommunalen Daseinsvorsorge werden an private Investoren ausgelagert, etwa im Rahmen der Privatisierung von Kliniken. Privatwirtschaftliche Interessen beeinflussen auf vielfältige Weise das formal-demokratische Staatswesen sowie gesamtstaatliche und kommunale Einrichtungen. Und in Fragen der Überwachung und Kontrolle der Bevölkerung sind staatliche Instanzen auf den Zugang zu den gesammelten Daten der privatwirtschaftlichen Tech-Konzerne angewiesen.

Refeudalisierung als paradoxes Entwicklungsphänomen

Unter Refeudalisierung, so Neckel, habe Habermas nicht etwa die schlichte Rückkehr zur bäuerlichen Leibeigenschaft und zur Fronarbeit des Lehnswesens verstanden. Der von ihm gewählte Terminus verweise vielmehr auf einen Prozess, der ein paradoxes Entwicklungsphänomen inmitten des Kapitalismus und der bürgerlichen Gesellschaft betrifft. Die Refeudalisierung, wie sie von Habermas verstanden wurde, bedeute nicht den Rückschritt in diese historische Vergangenheit. Sie beschreibe vielmehr die neu-„fortschrittliche“ Abkehr von der ehemals progressiven bürgerlich-wohlfahrtsstaatlichen Sozialordnung.

Deren besonderes Merkmal war die Trennung zwischen öffentlichen Angelegenheiten (Politi/Staat) und privaten Interessen (Wirtschaft/Markt), vermittelt durch die bürgerliche Öffentlichkeit aus Parteien und Parlamenten, dem Zeitungswesens und der Literatur, den Vereinen und den Interessenverbänden von Unternehmern und gewerkschaftlich organisierten Werktätigen. Heute hingegen beeinflussen und steuern die privaten Print- und elektronischen Medien sowie die Konzerne und Banken das öffentliche Geschehen, teils durch Lobbyarbeit, teils im Wege von Parteispenden, teils mittels ihrer Stiftungen sowie auf noch anderen, meist verborgenen Wegen.

Als Modus eines gesamtgesellschaftlichen Veränderungsprozesses betrachtet, meint Refeudalisierung einen weitaus komplexeren und widersprüchlichen Prozess, als den einer bloßen Rückkehr zur Vergangenheit. Ähnlich wie Habermas beschrieb Colin Crouch in seinen Büchern „Postdemokratie“ (2008) und „Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus“ (2011) die Entwicklung, dass die modernen Wirtschaftseliten den politischen Raum aus Parteien, Parlament und Medien sowie die Institutionen des Staates dem Muster gewinnorientierter Unternehmen angepasst haben. Lemmata hierzu sind Schlagworte wie „schlanker Staat“, „unternehmerische Stadt“, „Unternehmen Hamburg“, „Konzern Frankfurt“.

Mittelalterlicher Aberglauben und die Virologie als Religion

Refeudalisierung bezeichnet nun einerseits zwar eine Art von Modernisierung im Zeichen digitaler Technologien politischer Kontrolle und des „Überwachungskapitalismus“ (Shoshana Zuboff). Andererseits haftet dem damit beschriebenen Prozess aber auch immer noch etwas feudalzeitlich ‚Mittelalterliches‘ an. Der italienische Philosoph Giorgio Agamben berichtete in einem Interview, dass der bedeutende französische Virologe Didier Raoult die Ernsthaftigkeit der viralen Epidemie und die Effektivität der Isolations- und Quarantänemaßnahmen „als mittelalterlichen Aberglauben bezeichnete“. Die Wissenschaft – hier in Gestalt der Virologie, der Epidemiologie und der pharmakologischen Forschung – sei zur Religion unserer Zeit geworden. Die Analogie zur Religion sei durchaus wörtlich zu verstehen: Die Theologen des Mittelalters hätten erklärt, sie seien nicht imstande klar zu definieren, was Gott sei. Dennoch diktierten sie den Gläubigen im Namen Gottes Verhaltensregeln und schreckten nicht davor zurück, Ketzer zu verbrennen. Heute seien es Virologen, die zugeben, nicht genau zu wissen, was ein Virus sei. Dennoch würden sie im Namen des Virus beanspruchen entscheiden zu können, wie Menschen zu leben hätten.

Dem von Habermas als Refeudalisierung bezeichneten Prozess entspricht auf Seiten großer Teile der Bevölkerung die teils erzwungene, teils subaltern freiwillige Anpassung an Lebens- und Arbeitsbedingungen, die sich mit denen des Feudalismus vergleichen lassen. Hierbei ist etwa nicht nur an die fronförmigen Werkvertragsbedingungen zu erinnern, unter denen vorwiegend ausländische Arbeitskräfte im Paketzustelldienst, in der Fleischindustrie und saisonal in der Landwirtschaft ausgebeutet werden. Gleicherweise erinnert die Homeoffice-Tätigkeit an die wirtschaftliche Organisationsform dezentraler Produktion: an das frühkapitalistisch-neuzeitliche Verlagssystems in Heimarbeit. Wie in den Siechenheimen des Mittelalters wurde den Angehörigen von alten, pflegebedürftigen und sterbenden Insassen der Alten- und Pflegeeinrichtungen der Kontakt verwehrt. Die euphemistisch als Inobhutnahme bezeichnete Fremdplatzierung von Kindern infizierter Eltern, fern ihrer Familie, gehört in diesen Zusammenhang.

Medialer Hexenwahn und die modernen Scheiterhaufen

Mittelalterliche Reminiszenzen werden ebenso wach, sobald man objektive Maßstäbe anlegt an die Berichterstattung der Medien über Kundgebungen und Demonstrationen, bei denen die Teilnehmenden gegen die per Verordnung vollzogenen Grundrechte-Einschränkungen der Regierungen auf die Straße gehen und protestieren. Die Demonstrierenden werden – wie im Mittelalter die Häretiker und bei den Hexenverfolgungen die Weisen Frauen – ins gesellschaftliche Abseits gestellt und pauschal als „gefährlich“ verleumdet und geschmäht: als „Aluhüte“, „Esoteriker“, „Covidioten“, „Coronaleugner“, „Verwörungstheoretiker“, „Reichsbürger“ oder „Neonazis“. Die herrschaftskonformen Virologen erweisen sich als moderne Heilige Inquisition, die Print-, TV- und Digital-Medien des Mainstreams als moderne Scheiterhaufen.

Wie im Mittelalter die Geistlichkeit, so beanspruchen und verkörpern superreiche Multimilliardäre wie Bill Gates und Warren Buffett sowie die Vertreter des wissenschaftlichen und des Medien- und Parteien-Establishments nach Art des geistlichen und weltlichen Feudaladels eine ideologische und mit Macht ausgestattete Führerschaft. Ihr ist unbedingter Gehorsam und Gefolgschaft zu leisten. Widerspruch und Widerstand sind nicht geduldet. Das Politikmuster, welches in Deutschland am Beispiel der Corona-Maßnahmen zu erkennen ist, erinnert an den absolutistischen Obrigkeitsstaat des Wilhelminismus, aber auch an die Politik der Notverordnungen gegen Ende der Weimarer Republik. Wie seinerzeit – im Wilhelminismus, dann weiterlebend in der Weimarer Republik und nicht zuletzt im Nazi-Faschismus – gemahnt auch das heutige Verhalten des größten Teils der Bevölkerung an die massenhafte Untertanen- und Gefolgschaftsbereitschaft von damals.

Im Zuge der fortschreitenden Militarisierung der Ordnungskräfte entwickeln sich auch heute erneut polizeistaatliche Strukturen. Das Spitzelwesen nimmt die Gestalt elektronischer Überwachung an. Sämtliche dieser Zusammenhänge – die Merkmale der Refeudalisierung ebenso wie die Erscheinungsformen einer Rückkehr zum absolutistischen Obrigkeitsstaat – erschließen sich aus dem semantischen Bedeutungsfeld von lat. „Corona“, die Krone. Mehr noch: Sie haben durchaus eine Entsprechung in der Realität.

Herausforderungen an die neue Soziale Bewegung des Widerstands


Wer sich dieser Zusammenhänge und Parallelen vergewissert, für den wird erkennbar, dass sich der Widerstand gegen die Corona-Maßnahmen in einem größeren gesellschaftlichen und geschichtlichen Kontext bewegt. Historisch erinnern die aktuellen Proteste einerseits an die Bauernkriege gegen den Feudaladel; an die Französische Revolution 1789 im Kampf des Bürgertums und der Pariser Massen gegen den Adel; an die 1848er Revolution in Deutschland; an den durch die revoltierenden Soldaten und Arbeiter vor einem Jahrhundert ausgelösten Sturz der deutschen Monarchie (schon zu Kaiserzeiten wurde das Robert-Koch-Institut gegründet); an den 17. Juni in der DDR und an deren Ende 1989.

Andererseits reicht aber auch die politische Tragweite der Hoffnungen, die im Sinne der Schrift „Prinzip Hoffnung“ des marxistischen Philosophen Ernst Bloch mit dem politischen Widerstand verbunden sind, weit über das von den Protestierenden bisher verlangte Festhalten am Grundgesetz hinaus. Der Widerstand gegen die bestehenden Verhältnisse erfordert eine Neue Demokratie. Das heißt, die Soziale Bewegung des Widerstands gegen die herrschende Corona-Politik ist gefordert, ihre auf den Wortlaut des Grundgesetzes fixierte Verfassungsbefangenheit zu überwinden und den „virologische Tunnelblick“ abzulegen. Wenn dies gelingt, stellt sich die Frage der Kanzlerkrönung in einem neuen Licht.


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