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Zweite Palästina-Solidaritätskonferenz in Stuttgart
Räuber, Beraubte und das Raubgut
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann

Wie soll das zwischen Räubern und Beraubten bestehende "Problem" gelöst werden? Soll die rassistische Strategie der Räuber aufgehen und den Beraubten auch noch der letzte Rest ihres Besitzes genommen werden? Sollen die Beraubten sich mit vielleicht zehn Prozent ihres ursprünglichen Besitzes zufrieden geben? Oder soll das Raubgut in Zukunft Räubern und Beraubten gleichermaßen zur Verfügung stehen? Endgültige Vertreibung, Zwei-Staaten-Lösung oder gleiche Rechte und Chancen für Alle in einem gemeinsamen Staat – das ist mit anderen Worten die gestellte Frage. „Die Menschen fordern den politischen Systemwechsel im historischen Palästina – Für einen gemeinsamen demokratischen Staat für alle seine Bürger!“ Das war das zentrale Motto der zweiten Palästina-Solidaritätskonferenz, die vom 10. bis 12. Mai 2013 in Stuttgart stattfand. Aber auch um Verbrechen in Israels Nachbarschaft ging es. Darüber, wie mit dem in Syrien stattfindenden imperialistischen Raubmord umzugehen sei, gab es sehr unterschiedliche Auffassungen.


Alle Bilder: arbeiterfotografie.com


Salah Abdel-Shafi, Botschafter und Leiter der Diplomatischen Mission Palästinas in Deutschland


Eröffnungpanel mit Salah Abdel-Shafi (Botschafter Palästinas in Deutschland), Joseph Massad (Prof. an der Columbia Universität, NY, USA), Ian Portman (Moderator vom Palästinakomitee Stuttgart), Ilan Pappe (aus Israel stammender Prof. an der britischen Universität Exeter) und Schirmfrau Evelyn Hecht-Galinski


Konferenz-Ort: Kulturhaus-Arena in Stuttgart


Evelyn Hecht-Galinski, Schirmfrau der Konferenz, eröffnet die dreitägige Veranstaltung. Ihr Grußwort können Sie auch in dieser Ausgabe lesen.


Wie sich in der Frage des Rückkehrrechts rassistisches Denken zeigt: „Ich bin eine palästinensische Araberin. Ich bin in Jerusalem geboren. Palästina ist meine Heimat. Aber ich kann nicht dorthin zurückkehren.“ Und: „Ich bin eine amerikanische Jüdin. Ich bin in den USA geboren. Israel ist nicht meine Heimat. Aber ich kann dorthin 'zurückkehren'.“ – aus dem Vortrag von Ghada Karmi


Im Sinne des Humanismus liegt eine Lösung wie in Südafrika auf der Hand: EIN säkularer, demokratischer Staat für Israelis und Palästinenser


Visualisierung des israelischen Raubzugs in Palästina – Israel hat Palästina fast vollständig von der Landkarte getilgt – was würde auf dieser Basis eine Zwei-Staaten-Lösung bedeuten? – aus dem Vortrag von Ghada Karmi


Simultan-Übersetzung deutsch, englisch und arabisch


Ilan Pappe (an der britischen Universität Exeter lehrender israelischer Historiker) referiert zum Thema „Die Ein-Staat-Lösung, Utopie, bittere Realität, oder realistische Alternative für einen gerechten Frieden im historischen Palästina“


Palästina ins Blickfeld rücken


Keramik aus Palästina


Evelyn Hecht-Galinski zum Thema Rückkehrrecht: "Haben die Palästinenser nicht schon oft genug verzichtet? Auf was sollen sie eigentlich noch alles verzichten?"


Ein Palästina für alle seine Bürger – gleich welcher Religion oder Herkunft – ist das Ziel


Ilan Pappe (von hinten gesehen), Salah Salah aus dem Libanon (links) und Hermann Dierkes, der wegen seiner Kritik an Israels Raubzug fast aus seiner Partei (DIE LINKE) ausgeschlossen worden wäre.


Flugblatt der Freidenker mit einer klaren Positionierung gegen den gegenwärtig stattfindenden Raubzug des US-Imperialismus in Syrien


Beobachtet von Moderator Wilhelm Langthaler aus Wien versucht sich BBC- und Al-Jazeera-Journalist Mhamed Krichen im Gleichklang mit der imperialistischen Meinungsmache in der Verbreitung des Feindbildes Assad, stößt damit aber auf Protest


Debatte über die Positionierung zum Verhältnis der imperialistischen Raubzüge in Palästina und Syrien


Gleich am ersten Konferenz-Tag wurde die Frage gestellt, welche im Bundestag vertretene Partei sich gegen Israels Raubzug stellen würde. Ein Konferenz-Teilnehmer konfrontierte Salah Abdel-Shafi, Botschafter und Leiter der Diplomatischen Mission Palästinas in Deutschland, mit der Frage, welche Partei die Belange der Palästinenser vertrete, die er deshalb für die bevorstehende Bundestagswahl empfehlen könne. Das könne er nur in einem persönlichen, vertraulichen Gespräch sagen – war seine Antwort. Ein Mitglied der Partei DIE LINKE wurde im persönlichen Gespräch deutlicher: KEINE! Absolut keine!

Damit wird offensichtlich, welche Arbeit den Konferenz-Teilnehmern und der Palästina-Solidaritätsbewegung insgesamt noch bevorsteht. Es ist noch ein mühsamer Weg, bis die Nakba, die Katastrophe für das palästinensische Volk, die seit 1948 bis heute anhaltende ethnische Säuberung Palästinas, von der Öffentlichkeit überwiegend als Verbrechen wahrgenommen wird, für das Deutschland mitverantwortlich ist.

Gegen den Raub seit 1948 oder nur den seit 1967?

Die Besetzung und Kolonisation allen arabischen Landes muss beendet, die Apartheid-Mauer abgerissen werden. Das Grundrecht der arabisch-palästinensischen BürgerInnen Israels auf völlige Gleichheit muss anerkennt werden. Die palästinensischen Flüchtlinge müssen in ihre Heimat zurückkehren können. Das sind die Kern-Forderungen der BDS-Kampagne (Boykott, Des-Investition und Sanktionen).

Im Zusammenhang mit dieser Boykott-Kampagne auf privater, wirtschaftlicher und staatlicher Ebene, mit der Israel unter Druck gesetzt werden soll, ging es um die Frage, ob das komplette Raubgut betrachtet werden soll, also das von Israel seit 1948, oder nur das seit 1967 erbeutete. Für Evelyn Hecht-Galinski ist klar, dass es um das Gesamte gehen muss – also um alles, was Israel über den UN-Teilungsplan von 1947 hinausgehend erbeutet hat. Das ist für sie ein ganz wesentlicher Punkt.

Die Tochter des 1992 verstorbenen Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland Heinz Galinski sprach an, was diesbezüglich gespielt wird: "BDS unterstütze ich. Aber die Organisation ist unterwandert worden und hat sich geändert. Auf einmal heißt es nicht mehr Grenzen von 1948, sondern Grenzen von 1967. Woher kommt das wohl?" Sie ist nicht einverstanden, wenn die Boykott-Bewegung – durch welche Einflüsse auch immer – einen Großteil des israelischen Raubzuges in Palästina plötzlich ausblendet und damit letztlich legitimiert.

Ein gemeinsamer Staat fast ohne Palästinenser?

Weitgehendes Einvernehmen herrschte darüber, dass, wenn es überhaupt eine Lösung gibt, nur ein gemeinsamer Staat wie in Südafrika mit gleichen Rechten für alle seine Bürger – gleich welcher Religion und Herkunft – Frieden und Gerechtigkeit für Israelis und Palästinenser bringen kann.

Auch die Rückkehr der Vertriebenen in das geraubte Land war Thema. Ghada Karmi von der Universität Exeter in England sprach darüber und zeigte das aufschlussreiche Bild zweier Mädchen, die jeweils mit einem Schild demonstrieren. Das eine mit der Aufschrift: „Ich bin eine palästinensische Araberin. Ich bin in Jerusalem geboren. Palästina ist meine Heimat. Aber ich kann nicht dorthin zurückkehren.“ Das andere mit: „Ich bin eine amerikanische Jüdin. Ich bin in den USA geboren. Israel ist nicht meine Heimat. Aber ich kann dorthin 'zurückkehren'.“ Damit wurde deutlich, dass der Zionismus – wie alle anderen Formen von Rassismus auch – überwunden werden muss.

Als aus dem Publikum der Vorschlag kam, die Palästinenser sollten – ähnlich wie die aus den Ostgebieten vertriebenen Deutschen nach dem zweiten Weltkrieg – mit dem Verzicht auf das Rückkehrrecht den Frieden erkaufen, trat Evelyn Hecht-Galinski erneut ans Mikrofon und sagte unter starkem Beifall: "Haben die Palästinenser nicht schon oft genug verzichtet? Auf was sollen sie eigentlich noch alles verzichten?" Es ist klar: ein gemeinsamer Staat ohne den Großteil der Palästinenser ist kein wirklich gemeinsamer Staat.

Gegen die Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens?

Als es am Samstagabend um den so genannten "arabischen Frühling" und dessen Einfluss auf die Palästinafrage ging, wurde auch Syrien zum Thema. Hier war plötzlich nicht mehr so klar wie in Sachen Palästina, wie man sich zu dem zurzeit stattfindenden Raubzug positionieren soll. Es gab Stimmen, die im Gleichklang mit den Interessen des US-Imperialismus die Entmachtung des syrischen Präsidenten Assad forderten. Jedes Land müsse das Recht haben, sich gegen sein Regime zu erheben und es hinwegzufegen – offenbar auch dann, wenn dies erklärtes Ziel des US-Imperialismus ist. Vom Obama-Regime, vom Merkel-Regime und all den anderen Regimes des Kapitals war in diesem Zusammenhang allerdings nicht die Rede.

Als der Al-Jazeera-Journalist Mhamed Krichen sich dazu verstieg, zu behaupten, die Zahl der Verbrechen Israels an den Palästinensern liege vielleicht gerade mal bei zehn Prozent von dem, was Syrien unter Assad bisher seiner Bevölkerung angetan habe, und er diese Äußerungen mit der Bemerkung krönte, dass die Todesopfer in Palästina im Gegensatz zu Syrien immerhin noch bestattet werden könnten, entlud sich der Unmut dann aber doch mit einem Kriegstreiber-Ruf aus dem Publikum.

So brachte die zweite Palästina-Solidaritätskonferenz in Stuttgart die wesentliche Erkenntnis, dass es darum gehen muss, den Blick zu weiten und die von Israel unter den Augen der USA und ihrer Gefolgschaft begangenen Verbrechen im Zusammenhang mit der gesamten imperialistischen Strategie des Westens ins Auge zu fassen, insbesondere die so genannte Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens, die seit der Durchführung der Operation 9/11 in eine neue Phase eingetreten ist und Schritt für Schritt mit aller Brutalität in die Tat umgesetzt wird. Die bisherigen Opfer des imperialistischen Raubzugs sind allgemein bekannt. Afghanistan, Irak, Libanon, Libyen und Syrien zählen dazu. Weiteren, darunter der Iran, droht die Gefahr zu folgen.


Hinweise:

Siehe auch die Fotoreportage
Stuttgart, 10./11.5.2013 - "Für einen gemeinsamen demokratischen Staat für alle seine Bürger" - Zweite Palästina-Solidaritätskonferenz
http://www.arbeiterfotografie.com/galerie/reportage-2013/index-2013-05-10-11-stuttgart-palaestina-konferenz.html

Grußwort von Evelyn Hecht-Galinski zur zweiten Stuttgarter Palästina-Solidaritätskonferenz
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19052

Stuttgarter Erklärung
Schlussdokument der Palästina-Solidaritätskonferenz 'Getrennte Vergangenheit - Gemeinsame Zukunft' – Stuttgart, 26.-28.11.2010 – getragen von den Organisatoren sowie den unterzeichnenden Konferenz-TeilnehmerInnen und UnterstützerInnen – und die Debatte um die Erklärung
http://www.arbeiterfotografie.com/israel/index-israel-0048.html

Fotoreportage
Stuttgart, 26.-28.11.2010 – Palästina-Solidaritätskonferenz "Getrennte Vergangenheit - Gemeinsame Zukunft"
http://www.arbeiterfotografie.com/galerie/reportage-2010/index-2010-11-26-28-stuttgart-palaestina-konferenz.html

Webseite des die Konferenz veranstaltenden Palästinakomitees Stuttgart
http://www.palaestinakomitee-stuttgart.de

Online-Flyer Nr. 406  vom 15.05.2013



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