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Inland
Bundesweiter Aktionstag zur "Pannenserie" zugunsten des NSU-Trios
"Bündnis gegen das Schweigen"
Von Peter Kleinert

Das "Bündnis gegen das Schweigen" ruft zu einem bundesweiten Aktionstag am 4. November auf. In fast 30 Städten werden bereits Kundgebungen, Demonstrationen und Veranstaltungen geplant. Die Gründe: eine angebliche »Pannenserie«, »Kommunikationsprobleme« und »eine Reihe von unglücklichen Zufällen« - auch zwölf Monate nach Bekanntwerden der Taten des NSU-Trios und seiner UnterstützerInnen werden die Strukturen, die diese Terror- und Mordserie ermöglichten und seine Aufklärung verhinder(te)n, verharmlost und herunter gespielt. Auch der Bremer Anwalt und Menschenrechtler Dr. Rolf Gössner wird zu diesem Thema am 6. und 8.11. Vorträge in Wilhelmshaven und Bremerhaven halten. 

Karikatur: Kostas Koufogiorgos
Cartoon: Kostas Koufogiorgos
www.koufogiorgos.de


Das "Bündnis gegen das Schweigen" will den 4. November, zu einem bundesweiten Aktionstag machen und damit gegen den gesellschaftlichen sowie institutionellen Rassismus protestieren. In Berlin soll auf die Fassade des Bundesamtes für Verfassungsschutz eine Botschaft projiziert werden. In Rostock ist Kernbotschaft der Kundgebung die Forderung nach der Umbenennung einer Straße nach dem Opfer Mehmet Turgut. In Hamburg und Köln sind große Demonstrationen geplant. Die Liste der Städte, in denen am und um den 4. November Aktionen geplant sind, können sie hier einsehen: http://buendnis-gegen-das-schweigen.de/liste-der-teilnehmenden-stadte/. Die Kölner Demonstration findet am 10. November, 14 Uhr, auf dem Pariser Platz in Köln-Chorweiler statt.

"Die Verwicklung der Nachrichtendienste, der katastrophale Umgang der Verfassungsschutz- und Kriminalämter mit der extremen Rechten als
bundesdeutsches Problem, die fortdauernde Behinderung der Aufklärungsarbeit, aber auch die fehlende Sensibiliät der Gesellschaft gegenüber dem Rassismus – auf all das wollen wir mit diesem Tag aufmerksam machen", sagt Bündnissprecher Michael Gräfe.

Keine drei EinzeltäterInnen

Und weiter: "Die Mitglieder des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) waren keine drei EinzeltäterInnen. Sie sind nur die Spitze einer gewaltbereiten rechten Szene, die seit Jahren und Jahrzehnten tagtäglich aktiv ist. Das NSU-Trio und seine Unterstützerinnen und Unterstützer fühlten sich sicher, fuhren in den Urlaub, sie sind nicht abgetaucht, wie man sich das allgemeinhin vorstellt. Sie sind nicht einfach von der Bildoberfläche verschwunden. Die Frage ist, woher sie diese Sicherheit nahmen." Die Antwort liege in der sogenannten Pannenserie: "Denn die Behörden und der ihnen eigene strukturelle Rassismus sind Teil des Problems. Bisher hat sich niemand dieser Verantwortung gestellt. Vorschläge, aus den Behörden selbst, aktive Maßnahmen gegen falsche Vorannahmen in Ermittlungen oder der Analyse von Lagebildern zu treffen, sind bisher ausgeblieben. Stattdessen wird versucht, die Ereignisse als eine unglückliche Verknüpfung von Pannen darzustellen."
 
Deshalb gründeten Dutzende Initiativen und Einzelpersonen Anfang dieses Jahres das "Bündnis gegen das Schweigen", um aus zivilgesellschaftlicher Perspektive einen kritischen Blick auf die rassistische Ermittlungspraxis zu richten und dabei auch die Perspektive der Hinterbliebenen einzubeziehen. Im Juni lud das Bündnis zu einem großen Hearing nach Berlin ein. Den Wortlaut der beim Hearing verabschiedeten Resolution und eine Übersicht der Aktionen am 4. November 2012 finden Sie unter www.buendnis-gegen-das-schweigen.de.

Dubioses V-Leute-System

Aus den gleichen Gründen lädt das "Wilhelmshavener Netzwerk gegen Rechts" zu einer Diskussionsveranstaltung mit dem Rechtsanwalt und Menschenrechtler Dr. Rolf Gössner für Dienstag, 6.11., 19.30 Uhr, im DGB Haus Wilhelmshaven, Weserstraße 51 ein. Ausgehend von der schockierenden Neonazi-Mordserie, die Ende 2011 ohne Zutun des Staats- und Verfassungsschutzes aufgedeckt wurde, widmet sich Rolf Gössner dem Inlandsgeheimdienst "Verfassungsschutz“, seiner braunen Vergangenheit und politischen Ausprägung sowie seinem dubiosen V-Leute-System, mit dem er Neonazi-Szenen und rechtsextreme Parteien unterwandert hat. Der Referent berichtet aufgrund eigener Recherchen über die skandalöse Verstrickung des Verfassungsschutzes in gewaltbereite Neonazi-Szenen sowie über die geheimdienstlichen Versuche, kriminell gewordene V-Leute selbst gegen Ermittlungen der Polizei abzuschirmen. Und er untersucht, wie der Verfassungsschutz im Kampf gegen Rechts agiert, ob er in seiner Ausprägung als Inlandsgeheimdienst zum Schutz der Verfassung taugt oder ein Fremdkörper in der Demokratie ist. Aus seinem Befund formuliert Rolf Gössner politische Konsequenzen, die für eine rechtsstaatliche Demokratie und die Bürgerrechte existentiell wichtig sind.

Außer Kontrolle
 
Unter dem Titel "Außer Kontrolle – zur Verwicklung des Verfassungsschutzes in die Neonazi-Szene", Moderation: Eberhard Pfleiderer, wird Rolf Gössner am Donnerstag, 8.11., 19.30 h, in der Aula der Goetheschule, Deichstr. 39, Bremerhaven, einen Vortrag halten. Der Eintritt ist frei, Veranstalter der Verein "Literatur und Politik" in Kooperation mit der GEW.
 
Zitat aus der Einladung: "In Zusammenhang mit dem gescheiterten NPD-Verbotsantrag wurde immer deutlicher: Der Inlandsgeheimdienst ist unkontrollierbar und handelt demokratiewidrig. Seine in die Neonazi-Szene eingeschleusten bzw. dort angeworbenen V-Leute sind zum großen Teil selbst hartgesottene Nazis, Rassisten und Gewalttäter. Mit seinen bezahlten V-Leuten verstrickt sich der Inlandsgeheimdienst heillos in die Neonazi-Szene – ein Umstand, der auch im Zusammenhang mit der bekannt gewordenen Nazi-Mordserie eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt."
 
Der Bremer Anwalt und Menschenrechtler Dr. Gössner arbeitet und veröffentlicht schon lange zu diesem Bereich, ist Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte und wurde selbst von 1970 bis 2008 vom Verfassungsschutz rechtswidrig beobachtet. Mehr unter http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=17957

105 Opfer rassistischer Gewalt

Zur aktuellen Debatte über die NSU-Mordserie erklärt Petra Pau, Mitglied im Vorstand der Fraktion DIE LINKE und im NSU-Untersuchungsausschuss: "Noch immer wird die NSU-Mordserie als ein extremes Versagen in einer ansonsten heilen Welt debattiert. Das ist kurzsichtig. Bevor das NSU-Trio im Jahr 2000 den ersten Menschen hinrichtete, wurden seit 1990 in Deutschland bereits 105 Menschen Opfer rassistischer Gewalt: erschlagen, erschossen, ertränkt. Wer das ausblendet, hat die Tiefe des NSU-Desasters nicht verstanden. Zum Blackout der Sicherheitsbehörden kam und kommt alltäglicher Rassismus, von Amts wegen und inmitten der Gesellschaft." (PK)



Online-Flyer Nr. 378  vom 01.11.2012



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