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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Aktuelles
Erlangen: Prozess gegen den Anmelder einer Demo gegen Rechtsextreme
Anzeige von der Polizei
Von Dr. Sabine Schiffer

In Erlangen ist ein Verfahren gegen den Geschäftsführer der Stadtratsfraktion der Grünen Liste anhängig, weil dieser als Mitveranstalter und Organisator verantwortlich dafür zeichnete, dass eine Demonstration gegen eine Veranstaltung einer rechtsextremen Burschenschaft durchgeführt wurde. Von den antifaschistischen Demonstranten hatten einige den zugewiesenen Platz auf dem gegenüberliegenden Gehsteig verlassen, und dafür erhielt Anmelder Wolfgang Most einen satten Strafbefehl, wegen dem nun bereits ein zweiter Prozesstermin stattfindet. Sabine Schiffer hat mit ihm dazu ein Interview gemacht. - Die Redaktion
 
Sabine Schiffer: Herr Most, Sie sind der Geschäftsführer der Grünen Liste in Erlangen und stehen derzeit unter Anklage – wie die NRhZ berichtete (http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=15076). Was genau wird Ihnen zur Last gelegt?

Wolfgang Most: Mir wird vorgeworfen, gegen das Bayerische Versammlungsgesetz verstoßen zu haben. Anlass war eine Kundgebung gegen die Burschenschaft Frankonia im Oktober letzten Jahres, welche ich angemeldet hatte. Diese Erlanger Burschenschaft ist der rechtsextremen Szene zuordenbar und in deren Strukturen fest verankert. Auf der Frankonia-Webseite wurde ein Besuch des iranischen Generalkonsuls aus München angekündigt. Der Konsul sagte jedoch kurzfristig ab, nachdem er angerufen und näher informiert wurde, in wessen Gesellschaft er sich begeben würde. Die Kundgebung fand trotzdem in sehr entspannter Atmosphäre statt und richtete sich allgemein gegen die Frankonia. Trotz dieser veränderten Situation bestand die Polizei auf der Einhaltung der im Vorfeld erlassenen sehr einschränkenden Auflagen. Anders als in der Anmeldung vorgesehen, durften sich die TeilnehmerInnen der Kundgebung nicht vor dem Frankonia-Anwesen in einer kaum befahrenen Nebenstraße versammeln, sondern mussten nördlich versetzt auf den gegenüberliegenden Gehsteig hinter eine Reihe parkender Autos ausweichen. Die KundgebungsteilnehmerInnen fanden sich mit dieser eigentlich unzumutbaren Situation ab, Zwischenfälle gab es keine. Auch auf der anschließenden kurzen Spontandemonstration nicht, die anlässlich dieser überzogenen Beschränkungen in Abstimmung mit der Polizei durchgeführt wurde.
Völlig überraschend schneite mir im Nachhinein ein Strafbefehl ins Haus: Ich hätte nicht ausreichend auf die Einhaltung der vom städtischen Ordnungsamt erlassenen 'Beschränkungen' bestanden. So hätten sich beispielsweise TeilnehmerInnen 10 Meter entfernt vom ausgewiesenen Kundgebungsort aufgehalten und OrdnerInnen seien nicht ersichtlich gewesen.

Ist das nicht haarspalterisch?

Zuerst die Nebensache: Das Verhalten des Einsatzleiters der Polizei war - naja - befremdlich. Während der Versammlung erwähnte er mir gegenüber mehrmals, dass mich wahrscheinlich ein bekannter Anwalt der Neonazis anzeigen werde, der sich gerade im Anwesen der Frankonia befände. Die Polizei müsse diese Anzeige dann verfolgen. Dieser Anwalt hat jedoch den Ruf, wenig Erfolg mit seinen Anzeigen zu haben. Im Nachhinein erfuhr ich dann, dass mich der Einsatzleiter ohne Not selber angezeigt hatte. Einer seiner Hauptvorwürfe ist, dass der zugewiesene Kundgebungsort nicht eingehalten wurde - obwohl es vor Ort sein eigenes Zugeständnis war, dass Leute mit einem Transparent direkt gegenüber dem Burschenschaftshaus stehen bleiben können. Vor Gericht hat er diese Vereinbarung inzwischen auch eingeräumt.
Besonders aufgestoßen ist mir auch, als sich bei den Zeugenvernehmungen während des ersten Prozesstages herausstellte, dass die Ordnungsbehörden über meine Kundgebungsanmeldung im Vorfeld auch mit Vertretern der rechtsextremen Szene gesprochen haben. An den genauen Gesprächsinhalt konnte sich der Mitarbeiter des Ordnungsamtes nicht mehr erinnern, aber reden würde man mit beiden Seiten, schließlich seien diese doch von ihrer Ideologie her so unversöhnlich. Da war sie wider, diese unerträgliche Gleichsetzung zwischen rechts und vermeintlich links - machen beide nur Ärger.
 
Hat das Ganze nicht den Ruch einer Inszenierung?
 
In der Hauptsache geht es um die Willkür beim Erlassen von Auflagen, die inzwischen “Beschränkungen“ heißen. Diese findet mein Anwalt, der auch Stadtrat der Grünen Liste ist, nicht nachvollziehbar, nicht gerechtfertigt und eigentlich sogar verfassungswidrig, da das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit übermäßig eingeschränkt wird. Für solche Beschränkungen, die der “Gefahrenabwehr“ dienen sollen, müssten konkrete Erkenntnisse über Gefährdungen vorliegen. Neben allgemeinen anlassunabhängigen Ansichten und Klischees über die Gefährlichkeit vermutlich teilnehmender Gruppen aus dem linken Spektrum, konnte aber bei den Vernehmungen des Einsatzleiters und der städtischen Sachbearbeiter kein konkreter Hinweis benannt werden.
Gerade in einer Stadt, die der "Europäischen Städte-Koalition gegen Rassismus“ beigetreten und in der "Bayerischen Koalition von Städten gegen Rechtsextremismus" aktiv ist, sollten ihre Behörden bei solchen Anlässen sensibler reagieren und weniger schikanieren.

Worin sehen Sie denn möglicherweise Ansätze für eine Schikane?
 
Ausschlaggebend für solche - angesichts des Anlasses lächerlichen - Einschränkungen ist die selbstgerechte und wenig fundierte Herangehensweise, wie Bedrohungsszenarien aufgebaut werden - das wurde auch wieder bei den Aussagen der Ordnungsbehörden am ersten Prozesstag deutlich. Bei diesen Konstrukten ist nebensächlich, was strafrechtlich relevant ist und was nicht. Um das Versammlungsrecht massiv einschränken zu können, reicht es leider aus, sich mit einem beliebigen Sammelsurium eine Bedrohungskulisse zusammen zu schustern. Heutzutage geht das bequem vom Schreibtisch aus: die meisten der sogenannten Erkenntnisse stammen aus dem Internet. Hier wurde allen Ernstes aus der Parole „Burschenschaften angreifen" eine konkrete Gefahrensituation konstruiert. Dieser altbekannte und allerhöchstens verbal-militante Slogan soll im Umfeld der Kundgebungsmobilisierung aufgetaucht sein.
Das Grundproblem dabei ist: ordnungsrechtlichen Interessen wird immer mehr Vorrang vor den Grundsätzen der Versammlungsfreiheit eingeräumt. Politik und Justiz sind dabei kein großes Hindernis.

Haben Sie schon ähnliche Erfahrungen mit Polizei und Staatsanwaltschaft im Kontext des Kampfes gegen Rechts gemacht?
 
Nein, persönlich nicht, bei meinen vorherigen Versammlungsanmeldungen wurde ich nicht angezeigt.
Aber andere Beispiele gibt es zuhauf, das bekannteste aus unserer Region: 2008 verhinderte eine große Sitzblockade in Gräfenberg einen Neonaziaufmarsch. Danach ermittelte die Polizei die Personalien der BlockiererInnen, u.a. indem sie mit Fotos der “TäterInnen“ durch Gräfenbergs Kneipen zog, in der Hoffnung, dass sie von ihren MitbürgerInnen denunziert werden. 80 Personen erhielten polizeiliche Vernehmungsvorladungen, gefolgt von acht Strafbefehlen in Höhe von je ca. 1000 Euro. Nachdem Widerspruch eingelegt wurde, fanden zwei Gerichtsverfahren statt. Das Ergebnis: Eine Einstellung gegen Auflagen und eine Verurteilung zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen. Der Rest wurde - glaube ich - klammheimlich eingestellt. Einen Freispruch gab es nicht.

Sehen Sie da mögliche Zusammenhänge?

Dass das Versammlungsrecht immer weiter eingeschränkt wird, ist hinreichend bekannt. Erschwerend hinzu kommt: Bayern halt. Auch in meinem Falle wurde die Aussage des Einsatzleiters von der Staatsanwaltschaft wörtlich für ihren Strafbefehl übernommen. Meine vorher eingeholte und umfangreich abgegebene Stellungnahme fand erwartungsgemäß mit keinem Wort Erwähnung. Das nenne ich Arbeitsteilung, Gewaltenteilung sieht anders aus.

Es gab bereits eine Verhandlung. Was war ihr Ergebnis?

Noch keins, es fanden nur Zeugenvernehmungen statt.

Wie schätzen Sie das Potential für die rechte Szene gerade im Frankenland ein?

Nachdem sich sogenannte freie Kräfte gegen die NPD-Führung auflehnten, wurde Anfang letzten Jahres ein neues Neonazinetzwerk gegründet: Im “Freien Netz Süd“ haben sich Neonazis aus Franken, der Oberpfalz und Oberbayern zusammengeschlossen, sind mit einem Portal im Web vertreten und scheinen an Bedeutung zuzunehmen. Ihr letzter größerer Auftritt war die Mobilisierung zum 1. Mai nach Schweinfurt. Der dritte neonazistische "Frankentag" soll am 15. Mai in Geschwand / Obertrubach stattfinden. Für Schlagzeilen sorgt die Gewaltbereitschaft der regionalen Szene: Wie fast jedes Jahr in der Zeit des Hitlergeburtstags wurden auch heuer in einem Nürnberger Stadtteilladen [Kulturtreff] die Scheiben eingeschmissen. Am 28. April ist ein 17-jähriger im Nürnberger U-Bahnhof Plärrer zusammengeschlagen worden, so schwer, dass er ins künstliche Koma versetzt werden musste. Einen Monat vorher hatten vier Neonazis einen Jugendlichen am Fürther Rathaus verprügelt.

Ah, die Hintergründe dieser U-Bahn-Schlägerei in Nürnberg scheinen erst jetzt so richtig durch. Da hatte man sich nicht hervorgetan, die Zusammenhänge mit Rechtsextremismus zu berichten. Was halten Sie von aktuell beobachtbaren Koalitionen, die sich bilden - also etwa die Bejubelung Ahmadinejads auf der einen und die Nähe zur dezidiert antiislamischen Szene (pro-Bewegungen, Blogs etc.) auf der anderen Seite?

Koalitionen würde ich es nicht nennen. Sie wollen überall Land gewinnen. Nicht der Iran sei ein diktatorisches Regime, schrieb der NPD-Vorsitzende Voigt vor einem Jahr, sondern die Bundesrepublik mit ihrer angeblichen Verfolgung einer “nationalen“ Opposition”. Proteste gegen das iranische Regime wurden von mehreren rechten Gruppen als jüdisch-amerikanische Verschwörung gebrandmarkt. Ein gutes halbes Jahr später stellte die NPD ihre Anti-Islam-Plakate für den Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen vor. NPD-NRW-Chef Claus Cremer sagte, Schwerpunktthema sei “die Überfremdung und die damit verbundene Islamisierung unserer Heimat”. Antisemitismus und Rassismus stehen bei beidem im Mittelpunkt. Ansonsten geht es auch um die Besetzung populärer Themen: z.B. Kindesmissbrauch ist ja schon längere Zeit hoch im Kurs. Besonders im Osten wurden fleißig Bürgerinitiativen gegründet bzw. versucht zu vereinnahmen. Und die sogenannten freien Kräfte imitieren zunehmend linke Codes und Stile.
 
Wie geht die politische Szene in Erlangen mit der Situation um?

Junge und politisch vernetzte Leute, die aufgrund ihres Alters und ihres Alltages am meisten mit der Rechtsaußen-Szene konfrontiert werden, gibt es in Erlangen etliche. Sie beobachten die rechte Szene, versuchen mit Aktionen und auch kulturell einen Gegenpunkt zu setzen und informieren auf Veranstaltungen sehr differenziert über die rechten Netzwerke.

Wann genau ist denn der nächste Verhandlungstermin?

Der nächste Verhandlungstermin ist am 10. Mai um 13.30 Uhr im Amtsgericht, Sitzungssaal 5..

Schiffer: Dann hoffe ich, dass viele dieses Interview lesen und wünsche Ihnen und uns allen für die anstehende gerichtliche Auseinandersetzung viel Erfolg! Vielen Dank für das Gespräch! (PK)
 
 
Dr. Sabine Schiffer ist Gründerin und Leiterin des Instituts für Medienverantwortung in Erlangen: www.medienverantwortung.de


Online-Flyer Nr. 248  vom 05.05.2010



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