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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Krieg und Frieden
„Ferien vom Krieg" begrüßt den 20.000 Gast
Die Perspektive der ,Anderen'
Von Endy Hagen

EU- und UN-Vertreter in Bosnien und im Kosovo hatten vor dem „Experiment" gewarnt, Jugendliche der verfeindeten Gruppen zu gemeinsamen Ferien einzuladen. In Israel/Palästina rieten zu Beginn der Zweiten Intifada selbst prominente Vertreterinnen und Vertreter der Friedensbewegung beider Seiten aus Angst vor unkontrollierbaren Gewaltausbrüchen von solchen Begegnungen ab. Trotzdem begrüßten die Veranstalter in diesem Sommer den 20.000sten Gast bei den „Ferien vom Krieg“.
Die Perspektive der „Anderen“ zulassen

 
Der Veranstalter, das in Köln ansässige „Komitee für Grundrechte“, hat alle Prophezeiungen widerlegt: Keine einzige tätliche Auseinandersetzung hat es bei den zahlreichen „Begegnungen mit den vermeintlichen Feinden" gegeben: In allen Krisen- und Kriegsgebieten gibt es junge Menschen, die Verständigung suchen und für eine friedliche Zukunft zu Kompromissen bereit sind.

„Dennoch“, so die Veranstalter in ihrer Presseerklärung, „sind diese Begegnungen keine "Friede-Freude-Eierkuchen"-Veranstaltungen, sondern bedeuten harte Anstrengung mit stundenlangen Workshops und nächtelangen Diskussionen. Zuhören lernen, die Perspektive der „Anderen" in Gesprächen oder Rollenspielen übernehmen, vitale Interessen verteidigen, trotzdem einlenken können – das sind soziale Fähigkeiten, die fast alle Teilnehmenden während ihres Aufenthalts erwerben. Diese emotional und psychisch schmerzhaften Prozesse finden in einem geschützten Raum statt. Sie werden von Ausflügen und attraktiven Freizeitangeboten begleitet. Der langsame Abbau von Feindbildern gleicht einem Wechselbad der Gefühle, besonders, wenn er traumatische Verletzungen oder Existenzfragen berührt.“


Zuhören lernen

Kosovo, Bosnien und Serbien 

Die vom Westen unterstützten Unabhängigkeitsbestrebungen der albanischen Mehrheit im Kosovo tragen auch heute noch eine hochexplosive Stimmung in der Region bei. Sie destabilisieren das anliegende Mazedonien, dessen albanische Minderheit sich dem „neuen Staat" anschließen will, und könnten sich bis nach Bosnien hinein auswirken. Trotzdem fuhren dreißig junge Albaner, Roma und Serben aus dem südlichen Kosovo im Rahmen der „Ferien vom Krieg“ gemeinsam nach Montenegro ans Meer. „Sie machten nicht nur, wie die Gruppen in den Jahren zuvor, zusammen Urlaub, sondern diskutierten in friedenspädagogischen Workshops die Perspektiven einer gemeinsamen Zukunft. Eine Albanerin, eine Roma und eine Serbin bildeten das Leitungsteam – übrigens zum ersten Mal ohne Beteiligung eines deutschen Koordinators, also ohne ,neutrale Instanz’“, berichten die Veranstalter.
 
„In Neum, der bosnischen Enklave am Mittelmeer, trafen sich in vier Gruppen je hundert Jugendliche aus den drei Bevölkerungsteilen Bosniens, aus Serbien und aus Kroatien. Sowohl Jugendliche als auch Betreuerinnen und Betreuer berichteten, dass in Bosnien unter der scheinbar friedlichen Oberfläche starke Spannungen zu spüren seien. Die verschiedenen Volksgruppen haben wenig Kontakt untereinander, Beziehungen zu den ,Anderen’ bezeichneten die Jugendlichen als extrem schwierig bis undenkbar. (...) Ein Betreuer schätzte im Interview die Situation ähnlich explosiv ein wie 1991.“
 
Dies habe die Jugendlichen nicht gehindert, Freundschaft miteinander zu schließen, berichten die Veranstalter weiter, doch diese blieben „ein Tropfen auf dem heißen Stein, solange die westlichen Staaten Milliarden in die militärische Besetzung und Zwangsverwaltung stecken, dabei korrupte Eliten füttern, statt in die zivile Konfliktbearbeitung für eine friedliche Zukunft zu investieren“.

Ein beschwerlicher Weg
 
Noch schlimmer scheint den Veranstaltern die Lage im Nahen Osten. Hier hatte der "Kampf gegen den Terror" im Juni diesen Jahres auch das Projekt "Ferien vom Krieg" getroffen. Zur Finanzierung von Ferienspielen für zweihundert Kinder aus den Besetzten Gebieten hatte Helga Dieter, Koordinatorin des Projekts, unter dem Stichwort „summer-games" 8.000 US$ an ein Jugendzentrum in Nablus/Westjordanland überwiesen. Diese wurden unverzüglich von den US-Behörden blockiert. Nach Auskunft des Sachbearbeiters der Bank kontrollieren diese alle internationalen Dollar-Überweisungen. (Die NRhZ berichtete.) Inzwischen überwachen die USA – mit europäischer Zustimmung – auch alle internationalen Euro-Überweisungen. Die Überweisung des ,Komitee für Grundrechte' hat Nablus nach zehn Wochen aufwändiger Beweisführung über seinen friedlichen Zweck erreicht.

Israelisch-palästinensische ,Ferien vom Krieg’ organisiert das Komitee seit 2002. Seitdem sind mehr als tausend junge Menschen aus dem Nahen Osten nach Deutschland gekommen, „um hier erstmals ihre ‚vermeintlichen Feinde’ zu treffen, die manchmal nur wenige Kilometer entfernt leben, aber durch die politische Situation unerreichbar bleiben. Auch in diesem Sommer waren unter den 168 Teilnehmerinnen und Teilnehmern wieder einige, deren Eltern oder Freunde nicht wissen durften, dass sie in Deutschland .,die Anderen’ trafen, da sie dann auch in der eigenen Familie als ,Vaterlandsverräter’ stigmatisiert und diskriminiert würden.“



"Ferien vom Krieg" in PalästinaAlle Fotos: Ferien vom Krieg

„Die 81 palästinensischen Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus der Westbank hatten einen beschwerlichen Weg über Amman, Jordanien, hinter sich. Drei Mitglieder der Gruppe wurden vom jordanischen Geheimdienst festgehalten und konnten nicht an dem Seminar teilnehmen. Dass einzelne Teilnehmende an Checkpoints oder an der Grenze von der israelischen Grenzpolizei festgehalten wurden, ist in der Vergangenheit fast jedes Jahr vorgekommen. Dass nun auch jordanische Behörden Palästinenser mit ordnungsgemäßen Papieren, Einladung, Visum und ticket am Weiterreisen hindern, ist für uns neu, zeigt aber, welchen Schikanen die Palästinenser allgemein ausgesetzt sind.“

Tragfähige Kompromisse

Während ihres Aufenthalts in Deutschland simulierten die Jugendlichen "Friedensverhandlungen" zwischen den Konfliktparteien und zeigten dabei, dass sie sich der entscheidenden Bedeutung der strittigsten Punkte, wie Grenzverlauf, Status Jerusalems und Flüchtlingsfrage, wohl bewusst sind: Im Gegensatz zur offiziellen Politik klammerten sie diese nicht aus, und erarbeiteten in langem Ringen und teils heftigen Diskussionen mögliche Kompromisse, die in ihrer Detailliertheit durchaus tragfähig waren.
 
Die ehrenamtlichen deutschen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Tausende von Spenderinnen und Spendern der Aktion "Ferien vom Krieg" sind sich einig: Hätten junge Menschen aus allen Krisengebieten Gelegenheit zu "Ferien vom Krieg", wäre eine friedliche Welt in absehbarer Zeit möglich. (YH)

Verantwortlich für das Projekt "Ferien vom Krieg":
Helga Dieter, Flussgasse 8, D 60489 Frankfurt
Tel. #49-69-7892525, Fax #49-69-78803666



Online-Flyer Nr. 112  vom 12.09.2007



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