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Aktueller Online-Flyer vom 19. April 2024  

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Krieg und Frieden
Bundeswehr bekommt zunehmend Probleme in der ARGE
Nicht nur in Köln
Von Christel Mertens

Seit einiger Zeit stiften AntimilitaristInnen nicht nur in Köln erfolgreich Unruhe bei öffentlichen Auftritten der Bundeswehr. Schwerpunkt sind deren mittlerweile monatlich stattfindenden Werbe- und Beratungsveranstaltungen in Arbeitsämtern. Die Initiative Bundeswehr-Wegtreten schafft es zunehmend, die Bundeswehr in ihrem Streben nach mehr gesellschaftlicher Akzeptanz, verbunden mit ihrer Selbstinszenierung im öffentlichen Raum, eben genau dort anzugreifen und sie dort wieder zurückzudrängen.
Angesichts der Perspektivlosigkeit am Arbeitsmarkt und des zunehmenden Drucks auf Erwerbslose, seit der mehrfach verschärften Hartz IV Gesetzgebung jeden noch so miesen Job und jede noch so unsinnige Maßnahme annehmen zu müssen, lockt die Bundeswehr, immer offensiver für den "Job" der SoldatIn zu werben. Alarmierend dabei ist, dass dabei eine Kooperation zwischen Bundesagentur für Arbeit und Bundeswehr entstanden ist, die mancherorts noch enger ist, als dies die Ähnlichkeit der schneidigen Namensgebung von Vermittlungsoffensive einerseits und Rekrutierungsoffensive andererseits vermuten lässt:

Demonstration „Bundeswehr wegtreten!
Demonstration „Bundeswehr wegtreten!“
Foto: Bundeswehr

Es begann mit einem Gerichtstermin in Köln

Dagegen tritt Bundeswehr-Wegtreten an. Bereits im letzten Jahr hatten bei einem gut besuchten Gerichtstermin im November 2006 in Köln luden vier wegen Volksverhetzung angeklagte AntimilitaristInnen zur "Umgestaltung" der wenige Tage später stattfindenden Werbeveranstaltung der Bundeswehr an der zentralen Arbeitsagentur ein. Der offene Aufruf unter den rund 100 UnterstützerInnen schien dem Wehrdienstberater genügt zu haben, seine Veranstaltung komplett abzusagen. Diese Schlappe sollte sich nicht wiederholen und so fand der nächste Termin im Januar 2007 abgeschirmt durch bewaffnete Feldjäger im Berufsinformationszentrum der Arbeitsagentur statt.

Doch bevor es drinnen zu Werbeprospekten und Hochglanzperspektiven auf verantwortungsvolle Aufgaben in erlebnisreichen Arbeitsfeldern bei "anständiger" Bezahlung ging, mussten sich die potenziellen RekrutInnen draußen der Musterung durch zahlreiche AntimilitaristInnen unterziehen. Ein Bewerbungs-Sofortbild posierend mit Knochen und Totenkopf vor einer Bergkulisse in Afghanistan sowie ein Fragebogen gehörten zum antimilitaristischen Vorab-Prozedere. Die KriegsgegnerInnen mussten sich damit begnügen, vor dem Saal mörderischen Lärm zu machen. Die Arbeitsagentur hatte ihr Hausrecht für diese Veranstaltung nicht an die Bundeswehr abgetreten und schon gar nicht zum temporären militärischen Bereich erklären lassen, womit der Einsatz bewaffneter Bundeswehr im Inneren der Arbeitsagentur auf äußerst wackligen Füßen stand.

ARGE-Ausbildungsplatz Afghanistan
ARGE-Ausbildungsplatz Afghanistan“
Fotos: A. Bersch und H-D Hey, Arbeiterfotografie

Unmut bei ARGE-MitarbeiterInnen

Die Provokation sorgte für Unmut bei mehreren MitarbeiterInnen der Arbeitsagentur und deren Personalratsvorsitzenden. Ein offener Brief dazu, verteilt an alle Mitarbeiter­Innen der Arbeitsagentur, sollte die interne Diskussion zünden. Aufgehängt am Auftritt der Feldjäger und an dem Skandal, dass junge Arbeitslose im Rahmen ihrer U25-Maßnahme der Arge verpflichtet wurden, an der Bundeswehrwerbeshow teilzunehmen, wurden die MitarbeiterInnen aufgefordert, den Rekrutierungsveranstaltungen der Bundeswehr generell ein Ende zu bereiten. Doch bundeswehrkritische MitarbeiterInnen haben kein leichtes Spiel. Die Arbeitsagenturen beschäftigen nicht wenige (Ex-)Soldaten, die 12 Jahre gedient haben und danach bevorzugt bei Bundesbehörden untergebracht werden.

Am 1. März 2007 wurde die Kölner Werbeveranstaltung der Bundeswehr von innen gestört. Die Feldjäger - diesmal in Zivil - konnten die Initiative nicht an der Teilnahme und Umgestaltung der Veranstaltung hindern. Nach einstündiger, unnachgiebiger Befragung durch die KriegsgegnerInnen konnten die zur Verstärkung anwesenden Militärs ihre angespannte Souveränität nicht weiter aufrecht halten. Der Wehrdienstberater wurde von seinem Vorgesetzten abgelöst. Doch auch dieser konnte nicht mit zufriedenstellenden Antworten aufwarten.

Arbeitsamt Berlin-Mitte: Bundeswehr hat abgesagt
Arbeitsamt Berlin-Mitte: Bundeswehr hat abgesagt
Fotos:  Bundeswehr Wegtreten

Mittlerweile Erfolge auch in Bielefeld und Berlin

Mittlerweile hat sich der Kreis der AktivistInnen auf andere Städte ausgedehnt. In Bielefeld griff eine Gruppe "aufrechter StörenfriedInnen" am 6. März 2007 auf waschechte Kommunikationsguerilla zurück - mit maximalem Erfolg, denn die Veranstaltung musste vorzeitig beendet werden. Eine Prozession angeführt von Militärbischof Mixa gefolgt von einer stimmgewaltigen Generalin und ein paar SoldatInnen, die offenbar eine Skelettgrube geplündert hatten, enterte die laufende Veranstaltung, übte das Salutieren, Marschieren im Stechschritt und dergleichen Unsinn mehr. Nachdem die Gruppe unter Singen und Segnen abgezogen war, brachten einige Leute aus dem Publikum arg themenfremde Wortmeldungen in die Veranstaltung ein. So behaupteten sie singend, dass die Kreidezeit eigentlich eine ganz Schöne gewesen sei, dass es nur einen Rudi Völler gäbe... Nachdem weitere Kleingruppen folgten, packte der Werbeoffizier entnervt seine Siebensachen und beendete die Veranstaltung.

Karikatur: Kostas Koufogiorgos
Karikatur: Kostas Koufogiorgos
www.koufogiorgos.de


Am Arbeitsamt Berlin-Mitte hatte die Bundeswehr am 22. März ihre Veranstaltung wegen der breiten Mobilisierung zu deren Störung kurzerhand abgesagt. Weitere Städte bereiten aktuell die Umgestaltung solcher Bundeswehrauftritte am Arbeitsamt vor. Die Termine der WehrdienstberaterInnen liegen öffentlich in den Berufsinformationszentren (BIZ) aus und können unter http://mil.bundeswehr-karriere.de eingesehen werden.

Auch in Schulen ködern Jugendoffiziere

Die Rekrutierungsbemühungen der Bundeswehr beschränken sich jedoch keineswegs auf die Arbeitsämter. Auch an Schulen ködern Jugendoffiziere nach wie vor für die Offizierslaufbahn inklusive Studium ohne Studiengebühren bei "anständigem" Sold von Anfang an. Deswegen hält Bundeswehr Wegtreten es für lohnend, die Interventionen nun auch auf Schulen auszuweiten. Das kann zum einen bedeuten, dass demnächst gemeinsam mit SchülerInnen Aktionen beim Besuch durch den Wehrdienstberater organisiert werden – nach den eindrucksvollen Erfahrungen des Campus Antiwar Network1 in den USA. Zum anderen denkt man an Schul-Veranstaltungen mit Ehemaligen und Aussteigern aus dem Kriegshandwerk. Aimee Allison, die im 2. Golfkrieg verweigerte. "Wir haben herausgefunden, dass die Veteranen die mächtigste Stimme gegen die Rekrutierung sind, die es gibt. Sie können aus ihrer Perspektive sehr glaubwürdig ihre Erfahrungen im Militär und Krieg darlegen", erklärte sie.

Auch der US-Kriegsdienstverweigerer Agustín Aguayo, der am 6. März 2007 wegen "Desertion" und "Verpassen der Verlegung der Einheit" von einem US-Militärgericht in den Leighton-Barracks in Würzburg zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, wird voraussichtlich im Mai diesen Jahres entlassen werden. Auf der Suche nach interessanten GesprächspartnerInnen kann auch der Arbeitskreis Darmstädter Signal helfen. (Siehe u.a. NRhZ Nr. 80 „Arbeitslose an die Waffen“, „Verweigerer…“ in NRhZ 84 oder der das Interview mit Oberstleutnant Rose in NRhZ 87, sowie www.bundeswehr-wegtreten.tk)

Eine skrupellose Rekrutierungspolitik“

„Eine skrupellose Rekrutierungspolitik“ betriebe die Bundeswehr aber auch außerhalb der Arbeitsämter und Schulen, erklärte am Dienstag die innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Ulla Jelpke. In einer Antwort der Bundesregierung auf eine „kleine Anfrage“ der Fraktion zu „Reklameeinsätzen der Bundeswehr“ (BT-Drs. 16/4768) sei die Rede von allein 600 Einsätzen zur Werbung von Jugendlichen in diesem Jahr. Kosten: 1,3 Millionen Euro. Dabei, so Jelpke, mache sich die Truppe in Innenstädten, Messen und Ausstellungen mit "Karriere-Treffs", Info-Mobilen und Messeständen des "Zentralen Eventmarketings" breit.

Auf der Bundeswehr-Homepage heißt es z.B. über den "Karriere-Treff": "Karrieretruck, Kinotruck, Kletterwand und Bühnentruck sollen die Jugendlichen überzeugen." Das bedeute, so Ulla Jelpke, dass über Technikbegeisterung und Spaßangebote Minderjährige fürs Militär geködert werden sollen. Die Abgeordnete: „Wir ermuntern ausdrücklich die antimilitaristischen und Friedensgruppen vor Ort, diese Termine wahrzunehmen und zu protestieren: Gegen völkerrechtswidrige Kriegsbeteiligungen und Auslandseinsätze der Bundeswehr und gegen den Versuch, Jugendliche dafür zu werben.“

Die komplette Antwort der Bundesregierung finden Sie im Internet unter www.ulla-jelpke.de

Online-Flyer Nr. 88  vom 28.03.2007



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